Szb Ildiko@yahoo.com 142 Methodik Axel Vielau Text
InternetpublikationMethodik des k omm unika tiven Fremdspr achen- unter richtsAxel V ielau Methodik des kommunikativen Fremdsprachen- unterrichtsAxel Vielau Internetpublikation Der Autor: Dr. habil. Axel Vielau, Fachbereichsleiter für Fremdsprachen an der VHS Oldenburg 1975-2008,Lehrbeauftragter (1979-2008) und außerplanmäßiger Professor für die Didaktik der englischenSprache an der Universität Oldenburg. Arbeitsbereiche: Sprachwissenschaft – Sprachdidaktik -Erwachsenenbildung. E-Mail: info@axel-vielau.de Rechte und Verwertung: Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als dengesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Autors.Die Internetfassung dieses Werks darf ohne besondere Genehmigung in unveränderter Formwie vorliegend vervielfältigt und auf nichtkommerzieller Basis weitergegeben werden. Bei derVerwendung von Auszügen oder Kopien für Schulungen oder andere Zwecke ist auf die Quellehinzuweisen. Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Cornelsen Verlag, Berlin: Vielau, Axel : Methodik des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts / Axel Vielau -Berlin: Cornelsen Verlag, 1997ISBN 3-464-07924-4 2., neu bearbeitete Auflage 2010 (Internetpublikation) 1. Auflage 1997 © 2010 by the author Layout, Grafik und Satz: Dr. Axel Vielau, Rastede Bestellung im Internet: www.axel-vielau.deDas Buch richtet sich an Fremdsprachenlehrer/innen in Schule und Erwachsenenbildung; es bietet eine theoretisch fundierte, dennoch leicht verständliche und praxisnahe Methodik deskommunikativen Fremdsprachenunterrichts auf der Basis aktueller sprachdidaktischer und lern-theoretischer Annahmen (Konstruktivismus). Es zeigt zunächst, wie Sprachen unter verschiede-nen Bedingungen gelernt werden, und leitet daraus eine Handlungsanleitung für das Lehren inheterogenen Lerngruppen ab. Die verschiedenen Schritte des Lernprozesses (Sprachaufnahme,-verarbeitung, -anwendung, Lernkontrolle) werden anhand von typischen Lernarrangements undÜbungsbeispielen systematisch und folgerichtig dargestellt. Ein transparentes, einsichtig begründ-bares Unterrichtskonzept dieser Art ist nicht nur Voraussetzung für qualifiziertes Lehren, sondernauch für das „Lernen des Lernens“ in der Gruppe, für das Aushandeln des gemeinsamen Lern-wegs und für späteres autonomes Weiterlernen. Inhalt 1. Vorwort zur zweiten Auflage ………………………………………………………….. 5 2. Einleitung ……………………………………………………………………………………… 83. Wie lernt man fremde Sprachen? ……………………………………………………18 3.1. Sprache, Kommunikation, Kommunikationsfähigkeit ………………..18 3.2. Natürlicher Zweitsprachenerwerb – Vorbild für den Fremdsprachenunterricht? ………………………………………………………… 22 3.2.1. Grundformen des Sprachenlernens – eine Grobklassifikation ….. 22 3.2.1. Grundformen des Sprachenlernens – eine Grobklassifikation ….. 233.2.3. Mythos „Zweitsprachenerwerb“ ……………………………………………. 26 3.3. Kognitive Prozesse ………………………………………………………………… 28 3.3.1. Grundannahmen ……………………………………………………………….. 30 3.3.2. Die Organisation des Wissens ……………………………………………. 333.3.3. Die Repräsentation des Wissens ………………………………………… 35 3.3.4. Die Entstehung des Wissens: Ein Beispiel …………………………… 40 3.4. Ein Arbeitsmodell des Fremdsprachenlernens ………………………… 43 3.4.1. Der innere Lehrplan …………………………………………………………… 46 3.4.2. Fremdsprachenlernstrategien und Lernertypen …………………….. 52 3.5. Fremdsprachenlernen im Unterricht ……………………………………… 60 3.5.1. Aspekte der Unterrichtssituation ………………………………………….. 61 3.5.2. Der äußere Lehrplan ………………………………………………………….. 63 3.5.2.1. Didaktisch-methodische Entscheidungen (1): INPUT………… 643.5.2.2. Didaktisch-methodische Entscheidungen (2): INTAKE………. 703.5.2.3. Didaktisch-methodische Entscheidungen (3): OUTPUT ……. 78 3.5.3. Der heimliche Lehrplan ………………………………………………………. 85 4. Wie lehrt man fremde Sprachen? …………………………………………………. 91 4.1. Lehr- und Lernphasen ………………………………………………………….. 94 4.2. Die Konstruktion der Lernersprache …………………………………….. 99 4.2.1. Sprachaufnahme …………………………………………………………….. 99 4.2.1.1. Hören / Globalverstehen ……………………………………………… 102 4.2.1.2. Dekodieren / Det ailverstehen ………………………………………. 107 4.2.1.3. Nachsprechen / Echosprechen ……………….. ………………….. 113 4.2.1.4. Die Einführung der Schrift ……………………………………………. 118 4.2.1.5. Vorlesen ……………………………………………………………………. 119 4.2.1.6. Schreiben als Fertigkeit und Lernhilfe …………………………… 121 4.2.2. Sprachverarbeitung …………………………………………………………. 123 4.2.2.1. Aussprache ……………………………………………………………….. 131 4.2.2.2. Wortschatz ………………………………………………………………… 137 4.2.2.3. Grammatik …………………………………………………………………. 145 4.2.2.4. Sprachfunktion …………………………………………………………… 164 4.2.3. Integration und Sprachsynthese ……………………………………….. 174 4.3. Der Gebrauch der Lernersprache ………………………………………… 178 4.3.1. Hörverstehen ………………………………………………………………….. 183 4.3.2. Sprechen ……………………………………………………………………….. 189 4.3.3. Leseverstehen ………………………………………………………………… 199 4.3.4. Schreiben ………………………………………………………………………. 206 4.4. Die Kontrolle der Lernersprache ………………………………………….. 215 4.4.1. Ausgangsbedingungen ……………………………………………………. 219 4.4.1.1. Die Wahl eines Lernwegs: Einstufungstests, Lernberatung 2204.4.1.2. Subjektive Lerntheorien ………………………………………………. 223 4.4.2. Lernprozess und Gruppe …………………………………………………. 225 4.4.2.1. Die Arbeitsgrundlage für das gemeinsame Lernen …………. 226 4.4.2.2. Das Lernen lernen: Lerntechniken und Lernstrategien ……. 2284.4.2.3. Gruppenintegrative Arbeitsformen ………………………………… 232 4.4.3. Lernergebnisse ………………………………………………………………. 237 4.4.3.1. Fehler und Fehlerkorrektur…………………………………………… 238 4.4.3.2. Lernkontrollen und Tests ……………………………………………… 2404.4.3.3. Exkurs: Fremdsprachenprüfungen, Leistungsbeurteilung … 247 4.4.4. Individuelle Lernverläufe, Differenzierung, Lernerautonomie .. 250 5. Möglichkeiten und Grenzen der Methodik: das Lernen lehren und das Lehren lernen ……………………………………………………………. 257 Anhang A: Verzeichnis der Schaubilder …………………………………………….. 261 Anhang B: Verzeichnis der benutzten Lehrmaterialien ……………………….. 262 Anhang C: Verzeichnis der benutzten Literatur ………………………………….. 263 51. Vorwort zur zweiten Auflage Unabhängig von jeder Lehrmethode – eine Sprache muss erlernt werden. Jedes Erlernen, auch der Erwerb kommunikativer Fähigkeiten, ist letztlich ein individueller Akt. Unbekanntes mussaufgenommen, verstanden, organisiert, eingeprägt, angewendet werden. Der Zweck einer Lehr-methode liegt darin, den Prozess des (letztlich individuellen) Erlernens anzuleiten und zufördern. Ausgangsproblem der Methodik ist daher nicht die Person des Lehrenden, das Lehr-ziel, die Rolle der Lehrtechnik oder Medien, auch nicht die Sprache, sondern zunächst dasLernen. Die Methodik des Lehrens folgt der Eigenart des Lernens. Entsprechend ist diesesBuch aufgebaut. Eine Lehrmethode leitet den Lernprozess von außen her an, beinhaltet daher stets auch Fremd- kontrolle. Die Fremdkontrolle wird üblicherweise damit gerechtfertigt, dass die Basis fürautonome (lernerbestimmte) Lernprozesse fehle, dass autonomes Lernen unter den gegebe-nen Bedingungen erfahrungsgemäß nicht zum Ziel führe. Diese Begründung wird kritisch zuprüfen sein: Wenn Fremdsprachen ohne Hilfe von außen (vielleicht sogar besser?) erlerntwerden können oder wenn Fremdsprachen intuitiv nach Art des Erstsprachenerwerbs erwor-ben werden können, dann wäre eine Methodik des Lehrens überflüssig, als unnötige Fremd-bestimmung sogar schädlich. Die Lehrerfahrung zeigt jedoch: Fremdsprachenlernen ist für die meisten Menschen ein kom- plexer und langwieriger Prozess mit unsicherem Ergebnis; besonders gilt dies, wenn Fremd-sprachen außerhalb des Kulturzusammenhangs gelernt werden, wenn also reale Anwendungs-möglichkeiten und lebenspraktische Herausforderungen fehlen. Wie kann unter solchen Vor-aussetzungen eine praktische Befähigung, wie kann „Kommunikationsfähigkeit“ entstehen? Jeder Lernprozess braucht ein Mindestmaß an Planung und Orientierung – Klarheit über den Ausgangspunkt, über Ziel und Etappen, über geeignete Lern- und Arbeitsstrategien, übersinnvolle Lernhilfen und aussagefähige Erfolgskontrollen. Je stabiler die Motivation, je qua-lifizierter das Lernvermögen, desto überflüssiger jede Form von Fremdbestimmung; über-wiegt jedoch Unsicherheit, so kann eine Anleitung von außen hilfreich, bei ungünstigen Lern-voraussetzungen sogar unverzichtbar sein – zumindest für den Teil des Weges, auf dem dasLernen gelernt wird, auf dem die individuellen Lernmethoden verbessert werden. Fremd-sprachenlernen ist lebenslanges Lernen, gelenktes Lernen daher immer nur Vorstufe für das(selbstbestimmte) Weiterlernen. Abbau der Fremdkontrolle im Lernprozess und Qualifizie-rung des autonomen Lernvermögens sind daher unverzichtbar – gerade im kommunikativenFremdsprachenunterricht. Der Ausdruck „kommunikativer Fremdsprachenunterricht“ wird hier mehrdeutig gebraucht, und dies nicht ohne Absicht. Die erste Bedeutung verweist auf das Ziel: Nicht das Wissen über Sprache, sondern das Sprachkönnen steht im V ordergrund des Lernens – die Fähigkeitdes Lernenden, die Fremdsprache in lebenspraktisch-“kommunikativen“ Zusammenhängenangemessen gebrauchen zu können. Die zweite Bedeutung zielt auf den Prozess , auf die Art und Weise, wie eine Fremdsprache im Unterricht gelernt wird. Der kommunikative Unter-richt soll nicht als (einseitige) Vermittlung, sondern als (wechselseitiger) Dialog zwischenLehrenden und Lernenden angelegt werden – als ein Verständigungsakt, in dem die wesentli-chen Aspekte des Lernprozesses nach und nach transparent werden. Denn die Transparenz 6der Bestimmungsfaktoren und entsprechend der Aufbau lernerseitigen Orientierungswissens ist V oraussetzung für wachsende Mit- und Selbstbestimmung im Lernprozess, perspektivischfür die Autonomie des Lernenden in der Lernsituation. Praktikables Orientierungswissen kann beim Lernenden nur entstehen, wenn der Lehrende selber über ein klares Konzept verfügt, wenn er sein unterrichtsmethodisches V orgehen ange-messen darstellen, praxisnahe „auf den Punkt bringen“ und nachvollziehbar begründen kann.Der vorliegende Text stellt eine im Sinne dieses Anspruchs ausreichend explizite, in sichkohärente und unter Berücksichtigung des heutigen Wissens hinreichend begründete „Theo-rie des praktischen Handelns beim Fremdsprachenlernen und -lehren“ vor, eine Methodik: alsAnlass zum Nachdenken und zur Prüfung im Licht eigener Unterrichtserfahrungen, als Richt-schnur für das Experimentieren und für kritisches Nachvollziehen, nicht zuletzt als Angebotzur kreativen Weiterentwicklung. Im Mittelpunkt der Darstellung steht das Fremdsprachenlernen im eigentlichen Sinne, der Spracherwerb – weniger das, was sich in verschiedenen Organisationsformen des Fremd- sprachenunterrichts an diese Lernphase anschließen mag (fachsprachliche Anwendungen,Literaturrezeption, freie Konversation usw.). Die Beispiele stammen, meinem Arbeitsbereichentsprechend, meist aus dem Englischunterricht in der Erwachsenenbildung, der Gültigkeits-anspruch, das sei hier ausdrücklich vermerkt, reicht jedoch weiter, bezieht als „Methodik deskommunikativen Fremdsprachenunterrichts“ andere Fremdsprachen (außer Deutsch als Fremd-sprache) und, mit sinngemäßen Modifikationen, andere Praxisfelder ein. In erweiterter Fassung und mit dem Untertitel „Ein prozess- und handlungsorientiertes Unter- richtskonzept für den gesteuerten Spracherwerb“ lag diese Abhandlung der UniversitätOldenburg als Habilitationsschrift vor. Ich danke allen, die mich mit ihrem Rat und ihrenGutachten beim Zustandekommen der Arbeit unterstützt haben; mein besonderer Dank giltHeike Rautenhaus, Winfried Boeder, Wolfgang Eichler, Hans-Jürgen Krumm und MichaelWendt für wertvolle Hinweise und konstruktive Kritik. Publiziert wurde das Buch 1997 imCornelsen Verlag. Die zweite Auflage dieses Buchs kann nicht mehr bei Cornelsen erscheinen, weil dem Verlag die Verkaufszahlen nicht ausreichten. Ich bin von verschiedenen Seiten gefragt worden, obich den Text trotzdem weiterhin anbiete: Es gibt zahlreiche Sammelbände zu verschiedenenAspekten den Fremdsprachenlernens, aber kaum eine umfassende und in sich kohärente Me-thodik des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts – und schon gar nicht auf aktuellerlernpsychologischer Grundlage. Denn lange bevor der Konstruktivismus Einzug in die Fremd- sprachendidaktik hielt, lag hier eine theoretisch fundierte und zugleich praxisnahe Methodikauf konstruktivistischer Basis vor. Der Denkansatz dieser Abhandlung ist heute so aktuell istwie zum Zeitpunkt seines Entstehens. Entsprechend stelle ich eine leicht aktualisierte Fassung der kommunikativen Methodik zur freien, nicht-kommerziellen Nutzung ins Internet. Das bedeutet, jeder darf den vorliegendenText benutzen, aber niemand außer dem Autor darf ihn verändern. Wer Ideen daraus bezieht,sollte so fair sein, die Quelle so zu zitieren, wie es guter wissenschaftlicher Tradition ent-spricht. Für Kritik und Anregungen bin ich dankbar (info@axel-vielau.de) ; denn ich beab- sichtige, den Text auch weiterhin zu pflegen. Damit nur autorisierte Fassungen kursieren,steht der jeweils aktuelle Text ausschließlich auf meiner Homepage (www.axel-vielau.de) zum Download bereit. Dabei entstehen keine Kosten, und man muss sich nicht als Nutzer 7registrieren. Es gibt insofern keinen Grund, den Text aus nicht-autorisierter Quelle zu bezie- hen. Gegenüber der ersten Auflage ändern sich das Layout (Umstellung auf ein größeresDruckformat), damit natürlich auch die Paginierung und einiges bei den Sprachbeispielen;außerdem habe ich im Sinne besserer Lesbarkeit den Text auf die neue Rechtschreibungumgestellt. Die elektronische Publikation im PDF-Format bringt gegenüber der Buchformpraktische Vorteile für den Benutzer: • PDF-Dateien sind kompakt, durchsuchbar, und sie können auf jedem Computer ange- zeigt werden, auf dem der kostenfrei erhältliche Acrobat Reader installiert ist. • Der Acrobat Reader enthält in der aktuellen Variante eine Volltext-Suche, die besser zu handhaben ist als jeder Buchindex: Sie liefert zu dem Suchbegriff jeweils eine Konkor-danzliste, aus der man schnell und bequem die passenden Textstellen auswählen kann. • Ausgehend von der Suchfunktion oder vom Inhaltsverzeichnis kann man so sehr einfach zu jeder beliebigen Textstelle springen. • Einen Text im PDF-Format kann man für Schulungszwecke ganz oder in Teilen aus- drucken, man kann Textteile und Grafiken exportieren und sie problemlos in eigeneArbeitsblätter oder Seminarunterlagen einbauen. • Aktuell erscheinen die ersten elektronische Lesegeräte, die PDF-Texte in papierähnlicher Qualität darstellen; wer nicht gerne am Monitor liest, findet hier eine interessanteAlternative. 8Eine Anweisung dieser Art hat einen engen Anwendungsbereich: Der Zusammenhang von Ausgangsbedingungen, Prozess und Ziel ist eindeutig und bis ins Detail der einzelnen Opera-tionen geregelt. Eine Gebrauchsanweisung lässt dem Handelnden wenig Spielraum, sie istnicht auf Verstehen und Variation, sondern auf Übernahme und Nachvollzug angelegt. Eintechnisches Gerät wird auf diese und keine andere Art bedient; die Anweisung beschreibt dienotwendigen Handgriffe möglichst eindeutig, klar und präzise; Begründungen würden eherstören und vom rechten Weg ablenken. Tritt der gewünschte Effekt nicht ein, so liegt dasvielleicht an einem Bedienungsfehler; bringt auch die präzise Wiederholung keinen Erfolg, somuss der Fehler in den Ausgangsbedingungen liegen (z.B. in einem Gerätedefekt oder infalschen Zutaten beim Kochrezept). Anweisungen dieser Art sind weniger gut geeignet, komplexe Handlungen zu steuern und zu kontrollieren, bei denen man sich auf veränderliche Ausgangsbedingungen einstellen mussoder bei denen Auswahl und Abfolge der Operationen nicht klar geregelt sind. Man versetzesich etwa in die Situation eines Weltreisenden, der in einem fremden Land unter unklarenVerkehrsbedingungen von Ort A nach Ort Z gelangen möchte:2. Einleitung Anweisung, Methode, Methodik – Begriffsklärungen Von der Wortbedeutung her verweist „Methode“ auf das begründete, in den Einzelschrittengeplante und überprüfbare Verfahren, von bestimmten Ausgangsbedingungen zu einem be-stimmten Ergebnis zu gelangen (vgl. AEBLI 1980, VIELAU 1985). In erster Annäherung könnte man daher sagen: Eine Methode regelt und kontrolliert (K) einen Handlungsablauf durch die Anweisung, unter bestimmten Ausgangsbedingungen (A) be- stimmte Operationen in einer bestimmten Abfolge (O1, O2, …) auf bestimmte Art und Weise auszuführen, um zu einem bestimmten Ziel (Z) zu gelangen. Insofern ähnelt die Methode zumBeispiel einem Kochrezept oder der Gebrauchsanweisung eines technischen Gerätes. Beidessind in sich kohärente, komplexe Anweisungen zur Steuerung und Kontrolle zielgerichteterHandlungsabläufe, wie sie das folgende Handlungsmodell darstellt: Schaubild 1: Steuerung einfacher Handlungen Schaubild 2: Steuerung komplexerHandlungen 9Bei komplexen Handlungen dieser Art gibt es häufig nicht einen Handlungsweg, sondern mehrere Handlungsalternativen; d.h. abhängig von der Einschätzung der Ausgangsbedin- gungen sowie der jeweils erreichten Zwischenstände sind die erfolgversprechenden Operati-onen auf intelligente Weise aus dem Spektrum der aktuell möglichen Handlungsoptionen(Optionen a, b, c … im Entscheidungspunkt O1) auszuwählen: Der Reisende wählt das besteVerkehrsmittel und den optimalen Weg zwischen zwei Stationen seiner Reise aus. Vielleichtgibt es dabei keine objektiv beste Lösung, sondern nur die Entscheidung nach subjektivenPrioritäten (Einsparung von Zeit oder Geld, Sicherheit, Bequemlichkeit, Naturschönheit etc).Eine schematische Reaktion im Sinne einer vorgegebenen Anweisung verspricht in solchenFällen keinen Erfolg; außerdem muss die ergebnisbezogene Handlungskontrolle durch eineprozessorientierte Feinsteuerung des Handlungsablaufs (K1, K2, K3 …) ergänzt werden. Komplexe Handlungsabläufe dieser Art werden besser durch Methoden gesteuert. Eine Me- thode hat einen weiten Anwendungsbereich, d.h. sie ist in bestimmten Grenzen auf analogeAnwendungsfälle übertragbar. Insofern beschreibt eine Methode die erforderlichen Handlun-gen nur exemplarisch; wichtig ist das Verständnis des Handlungsprinzips. Erst das Verständ-nis dieses Prinzips garantiert die Übertragbarkeit und erlaubt unter unklaren Bedingungendie aktive Interpretation, Variation und eventuell Divergenz, falls eine Methode im gegebenenAnwendungsfall ganz oder in Teilen nicht zum Ziel führt. Während eine Anweisung die Operationen bis ins Detail festlegt, muss eine Methode daher offen angelegt sein, sie muss argumentieren, begründen und das jeweilige Handlungs- und Entscheidungsprinzip verdeutlichen. Die Darstellung der Operationen hat hier eher exempla-rischen Charakter, denn die einzelnen Operationen können (und sollen) in sinngemäßer An-wendung des Prinzips variieren. Jede Methode verlangt daher nach einem Bezugssystem, dasdie Kohärenz der Begründungen sichert: nach einer Theorie des Gegenstandsbereichs. Müs- sen zur Steuerung komplexer („systemhafter“) Abläufe verschiedenartige Methoden zusam-menwirken, so spreche ich von von einer „Methodik“. Eine Methodik setzt eine entsprechendkomplexe Theorienbildung voraus. Didaktik und Methodik Unterricht ist veranstaltetes Lernen. Sinn dieser Veranstaltung ist der Übergang des Lernen-den von einem als defizitär empfundenen Ausgangszustand hin zu einem bewusst angestreb-ten Zielzustand. Insofern impliziert jede Unterrichtssituation die Existenz von Ausgangsbe-dingungen und Zielen (die auf Nachfrage hin beschrieben, begründet und gerechtfertigt wer-den müssen) und eine Vorstellung von den Handlungsabläufen, die in der Praxis den Über-gang vom Ist-Stand hin zum Soll-Stand bewirken sollen. Solange die Eigensteuerung des Lernenden noch keinen Erfolg auf dem Weg zum Ziel ver- spricht, ist es Aufgabe des Lehrenden, die Ziele im Auge zu behalten und die Handlungsab-läufe in geeigneter Weise zu steuern und anzuleiten. Veranstaltetes Lernen verlangt daherTheoriebildung auf der Ebene der Ausgangsbedingungen und Ziele (üblicherweise Gegen-stand der Didaktik ) ebenso wie auf der Ebene der Handlungsabläufe (Gegenstand der Me- thodik ). Dabei impliziert eins das andere: Ohne V orstellung davon, welche Art praktischer Handlungen den Lernfortschritt bewirken in Richtung auf die angestrebten Ziele (und welchenicht), bleibt die Didaktik steriler Selbstzweck. Und umgekehrt ist kohärentes Handeln in 10dem Sinne, dass man bewusst das eine tut und das andere lässt, nur möglich, wenn man weiß, wohin man gelangen will und ob man im gegebenen Handlungszusammenhang in diesemSinne Fortschritte macht oder nicht (vgl. MEYER 1987). Im Allgemeinen gibt es nicht nur eine, sondern mehrere Möglichkeiten, ein Ziel anzusteuern: Allein die Beschreibung des Ziels sagt nicht viel darüber aus, welcher Weg der beste ist.Unter komplexen Handlungsbedingungen ist es oft sogar schwierig, überhaupt einen schlüs-sigen Zusammenhang zwischen den einzelnen Operationen und den abstrakten Unterrichts-zielen herzustellen; nicht einmal Aussagen darüber, ob man noch auf dem richtigen Wege ist,scheinen möglich. Das Problem liegt in der Vielzahl der Variablen, in der mangelnden Kon-stanz der Ausgangsbedingungen und entsprechend in der Komplexität und wechselseitigenVernetzung der jeweils wirksamen Einflussfaktoren. Dem Pädagogen bietet sich ein chaoti-sches Bild: Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist ungewiss, Erfolg oder Misser-folg einzelner Operationen daher kaum vorhersagbar – schlimmer noch: Die Ursachen bestimm-ter unerwünschter Ereignisse bleiben oft unklar. Was heute gelingt, kann morgen aus schein-bar unerfindlichen Gründen völlig „danebengehen“. Ein schlüssiger Zusammenhang von Unterrichtszielen und Handlungskonzepten entsteht nicht schon auf der Mikroebene einer einzelnen Operation, sondern erst im Rahmen größerer Hand-lungssequenzen (oder in der Verkettung solcher Handlungssequenzen zu Lernverläufen).Insofern leitet sich Methodik nicht auf direktem Wege aus der Didaktik ab; sie verlangt eige-ne Theoriebildung. Jeder Unterrichtende hat ohnehin, wie immer unbewusst, eine solcheHandlungstheorie im Kopf, sobald er im Unterricht auf Ziele hinarbeitet, sich entschließt, daseine zu tun und das andere zu lassen, das eine als Erfolg zu verstehen und das andere alsMisserfolg. Die wissenschaftliche Methodik will die subjektiven Handlungstheorien auf einebewusste und reflektierte Ebene anheben, um so, in der Vermittlung von Theorie und Praxis,die jeweils handlungsleitenden Ideen aufzuhellen und die Praxis zu optimieren. Wer das ablehnt und sich auf den Eklektizismus als Methode beruft, unterliegt einer Selbst- täuschung. Theoriebildung ist in Unterrichtssituationen nicht hintergehbar. Sie ist als kohärenz-stiftendes Prinzip sowohl in der didaktischen wie in der methodischen Dimension implizitimmer präsent, sobald sich die Klassentür hinter dem Lehrer schließt. Streiten kann manüber den Grad der Bewusstheit, über Kohärenz und Begründungsqualität von Theorien, nichtjedoch darüber, „ob es auch ohne Theorie geht“ … Zum Gegenstand der Methodik Angesichts der Fülle der Einflussfaktoren, die, wie gleich zu zeigen sein wird, auf denFremdsprachenunterricht einwirken, ist die Aufhellung der handlungsleitenden Ideen in Formeiner in ihren Begründungen expliziten Methodik eine nicht eben leichte Aufgabe. Zu nahezujedem Thema des hier vorliegenden Buches gibt es eine fast unüberschaubare Zahl an Spezial-studien. Entsprechend groß ist die Zahl punktueller und häufig auch sehr widersprüchlicherHandlungsempfehlungen. Andererseits steht die Theoriebildung, wie man sehen wird, zwarkeineswegs am Anfang, von einer umfassend begründeten und konsensfähigen Handlungs-theorie des Lernens und Lehrens fremder Sprachen, die dem Praktiker als „roter Faden“durch den Dschungel der Methoden und Rezepte dienen könnte, sind wir weit entfernt. 11Trotz solcher Theoriedefizite – der Fremdsprachenlehrer kann sich seiner praktischen Aufga- be nicht verweigern, nur weil er hier und da auf schwankendem Grunde agiert. Ähnliches giltfür die Methodik: Sie ist eine praxisorientierte Wissenschaft, eine Handlungswissenschaft , die nicht nur von Empirie und exaktem Wissen, sondern auch vom Experiment, von prakti-scher Erfahrung und Phantasie, Feldbeobachtung und verstehender Interpretation lebt -zumindest dort, wo schlüssigere Erkenntnisquellen (noch) fehlen. Der handelnde Lehrer wirdhier sozusagen zum Forscher in eigener Sache – in einem Forschungsprozess, der unter akti-ver Mitwirkung aller Beteiligten zugleich Wissen vertiefen und Praxis verändern will (sieheauch ALTRICHTER, POSCH 1994). Die Subjektperspektive und die Anwendung hermeneu-tischer Verfahren sind für die praxisorientierte Sozialforschung ohnehin unverzichtbar(HEINZE 1987). Wichtigster Maßstab einer Handlungswissenschaft ist die ökologische Va- lidität ihrer Resultate: ihre Praktikabilität, ihr Erfolg, ihre Erklärungskraft und ihr prognos- tischer Wert in der pädagogischen Praxis, die Übertragbarkeit ihrer Empfehlungen auf ver-schiedene Lehrkräfte und Unterrichtssituationen. Einfach gesagt: eine Methodik will zunächstund vor allem Handlungshilfe sein. Nur eine klare und verständliche Darstellung kann diesem Anspruch genügen. Für die Inhalte heißt dies, dass angesichts der Fülle der Fachpublikationen zu fast jedem der im Folgendenbehandelten Themen gewichtet, ausgewählt und vieles thesenartig verkürzt werden muss.Was die Sprache angeht, werde ich mich um einen zugleich präzisen und verständlichenAusdruck bemühen. „Verständlich“ ist ein Text, der gemessen an Ziel und Adressat hinrei-chend einfach, logisch geordnet und kurz ist und der vielleicht ein wenig an zusätzlicherStimulanz in Form anschaulicher Beispiele, anregender Sprachbilder etc. aufweist (vgl. LAN-GER, SCHULZ VON THUN, TAUSCH 1981, SCHULZ VON THUN 1981).Insgesamtentspricht solchen Anforderungen eine eher sach- und problemorientierte als scholastisch-problemgeschichtliche Darstellung (dazu etwa HÜLLEN 1987, MACHT 1990). Ohnehin muss der Forschungsansatz einer „Methodik“ von dem einer „Methodologie“ oder dem eines „Handbuchs“ unterschieden werden. Eine Methodik bezieht ihre Fragestellungenund Probleme direkt aus dem Objektbereich Fremdsprachenunterricht; ist das angesprocheneProblem vielschichtig, so ist ein interdisziplinärer Ansatz erforderlich, d.h. der gezielte und selektive Rückgriff auf Wissensbestände von Bezugswissenschaften wie Lernpsychologie,Spracherwerbsforschung, Pädagogik und Andragogik, Fachdidaktik, Sprachwissenschaft, Li-teratur- und Landeswissenschaft, Informatik, Soziologie und Statistik, Wissenschaftslogik.Die Bezugswissenschaften haben für die Methodik immer nur Hilfsfunktion: Je nach Objekt-bereich und Problemlage tragen sie bei – ergänzt durch subjektive Lehrerfahrung, Feldbeob-achtung, forschendes Lehren – zur Problemaufnahme, zur Problemanalyse und zur Entwick-lung von Lösungstrategien für die pädagogische Praxis. Eine „V ollständigkeit“ der behandel-ten Themen, wie man sie von einem Handbuch verlangt (vgl. BAUSCH et al. 2003, 4. Aufl.),ist hier nicht zu erwarten. Im Gegensatz zur Methodik analysiert, vergleicht und bewertet eine Methodologie den Gültigkeitsanspruch alternativer Methodikentwürfe nicht handlungs- und problemorientiert,sondern inhaltsbezogen und systematisch: Ihr Objektbereich ist nicht Fremdsprachenunterricht,sondern Methodik; ihr Vorgehen dementsprechend eher disziplinär , systematisch bezüglich des Anspruchs an Arbeitsansatz und Bezugssystem, damit auch problemgeschichtlich. Dieübliche Darstellungsform des Forschungsberichts ist hier eher angemessen. Aus der Ver-wechslung der Forschungsgegenstände von Methodik und Methodologie folgt manches Miss- 12verständnis; praxisrelevante Handlungsempfehlungen sind aus der vergleichenden Darstel- lung alternativer Lehrmeinungen mangels schlüssiger Außenkriterien nicht ableitbar. Ich fasse den Zwischenstand zusammen.Das vorliegende Buch ist kein Handbuch des Fremd- sprachenunterrichts und keine Methodologie, sondern eine Methodik . Die kommunikative Methodik beschreibt und analysiert Prozesse beim Lehren und Lernen fremder Sprachen imRahmen eines kommunikativen Unterrichtskonzeptes (und setzt insofern bestimmte Ergeb-nisse der kommunikativen Didaktik voraus). Sie entwickelt transparente, ökologisch valideHandlungsempfehlungen für den Fremdsprachenlehrer. Da der Objektbereich komplex ist,muss der Arbeitsansatz interdisziplinär sein: Die kommunikative Methodik wählt relevanteForschungsergebnisse der Bezugswissenschaften problemorientiert aus, reduziert und gewichtetsie im Blick auf eigene Problemstellungen. Aus diesem Arbeitsansatz folgt, dass das theore-tische Bezugssystem der Methodik, die Handlungstheorie im eigentlichen Sinne, nicht deduk-tiv abgeleitet und statisch vorgegeben werden kann, sondern dass auch das Bezugssystemselber eher induktiv, problem- und prozessorientiert entwickelt wird. Das Faktorenmodell Nehmen wir an, ein Englischlehrer bzw. eine Englischlehrerin*, hauptberuflich im öffentli- chen Schulwesen, will zum ersten Mal zusätzlich einen Abendkurs in einer V olkshochschuleübernehmen. Welche Informationen braucht er*, um sich sinnvoll auf die neue Aufgabe ein-stellen zu können? Der neue Kursleiter wird sich zunächst ein Bild seiner Aufgabe machen wollen, d.h. er wird, nahe an der Praxis, die wichtigsten Einflussfaktoren bestimmen und Informationen sammeln (zum Beispiel durch Hospitation und Rücksprache mit Kollegen, durch ein Fachgespräch mitdem Fachbereichsleiter, durch Literaturstudium, durch Lektüre der Lehrmaterialien etc.); erwird diese Informationen im Licht der eigenen Erfahrung sichten und ordnen, das Wesentli-che vom Unwesentlichen trennen und sich schließlich, vielleicht zunächst probehalber, fürein bestimmtes V orgehen im Unterricht entscheiden. Dieses V orgehen impliziert eine spezifi-sche und individuelle Passung der Faktoren , die sich (vermutlich) nicht unerheblich von dem unterscheidet, was er tagsüber in der Schule macht. Streng genommen ist es nicht zulässig, hier von „Faktoren“ zu sprechen. Begreift man den Unterricht als Prozess, so wirkt die Isolation von Einflussfaktoren künstlich: Die Zahl derEinflüsse ist größer, als es typische Faktorenmodelle darstellen können; die Faktoren wirkenund beeinflussen sich in wechselseitiger Abhängigkeit. Zudem geht in die Auswahl der As-pekte, die aus dem Bedingungsgeflecht des Unterrichts als Faktoren hervorgehoben werden,ein V orverständnis in Form bestimmter erkenntnisleitender Interessen ein, das die Ergebnissepräformiert. Das Faktorenmodell ist daher als Forschungsansatz weniger interessant. Aber eserlaubt eine übersichtliche Problemansprache – und nur aus diesem Grunde wird es hierbenutzt (s.auch KOODINIERUNGSGREMIUM 1983: 16 ff., GEISLER 1987). * Ausdrücklich angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass die Sprachkonvention, der ich ab hier folge, bei Kollektivbezeichnungen nicht auf das NATÜRLICHE Geschlecht referiert: Angesprochen sind also, wo nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, immer beide natürlichen Geschlechter. Vgl.auch DUDEN-Grammatik, s.v. „Genus des Substantivs“, Regel 323.2. 13Zunächst werden den neuen Kursleiter vielleicht bestimmte Merkmale des institutionellen Rahmens interessieren: Unterrichtszeiten, Kursdauer, Kursfrequenz (z.B. Unterricht zweimal pro Woche), Unterrichtszeitraum, unterrichtsfreie Zeiten, Teilnehmerzahl, Lernort nebst Aus-stattung des Unterrichtsraums und Sitzordnung. Er wird Fragen bezüglich seiner Rechts-stellung als Kursleiter stellen, nach Honorar, Anmeldeverfahren, Kursgebühren und Teilnehmer-liste, nach Kooperationsformen im Kollegium und vielleicht nach Einführungs- und Fortbil-dungsangeboten. Und er wird einiges über die Institution V olkshochschule und deren Auf-gabenverständnis als kommunale Gesamtschule für Erwachsene erfahren. Ein nächstes wichtiges Thema in dem Einführungsgespräch werden die Lernziele sein: das Globallernziel des Fremdsprachenunterrichts an V olkshochschulen (wobei eventuell die Rol-le der Abschlüsse/ Zertifikate gestreift wird), Aufbau und Gliederung des Lernangebots, Lern-etappen und Zwischenziele, Angebotsdifferenzierung und die Lokalisierung des eigenen Kur-ses im Gesamtprogramm, schließlich die genaue Kursbeschreibung und das Lernprogrammfür den kommenden Unterrichtszeitraum. In dieser Kursbeschreibung wird etwas über dieTeilnehmer des Kurses ausgesagt, über die Zielgruppe: die vermutliche Zusammensetzung der Lerngruppe, über Lernvoraussetzungen, Lernmotive und Lernerwartungen. Dieser Ziel-gruppenbeschreibung entsprechen dann wiederum bestimmte Feinziele des Kurses und dieZuordnung der Lerninhalte und Medien : des Lehrbuchs und sonstiger Lernmittel, der Stoff- verteilung über das Semester und der Lehrmittel (z.B. Kreidetafel, Video- und Tonmaterialien,Folien für den Tageslichtschreiber, Programme für Sprachlabor und Computer). Damit nähert sich das Einführungsgespräch dem Abschluss, der Frage der Unterrichts- gestaltung. Hier wird der VHS-Fachbereichsleiter zwar einige globale V orgaben formulieren(die die Eigenart des Lernens an einer V olkshochschule im Gegensatz zum Lernen an einerSchule, Universität oder privaten Sprachenschule kennzeichnen), die Wahl der Methoden jedoch unmissverständlich dem Kursleiter überlassen. Globale V orgaben dieser Art könntensein: V orrang partnerschaftlicher und kommunikativer Lehr- und Lernformen, Teilnehmer-orientierung und, nicht zuletzt im Interesse der späteren Fortsetzung des Kurses, das Bemü-hen um eine geringe Abbruchquote. Und wenn über die Lernformen gesprochen wird, wirdder Fachbereichsleiter seinen Gesprächspartner vielleicht abschließend noch kurz über seinSelbstverständnis in der neuen Rolle als Kursleiter befragen: ob und wie er diese Rolle anders sieht als seine hauptberufliche Funktion im öffentlichen Schulwesen. Der nächste Schritt im Beispiel müsste in der Gewichtung der Einflussfaktoren bestehen und in der Herstellung einer spezifischen „Passung“ als Richtschnur für die Unterrichtsplanung.Zunächst wird dabei auffallen, dass vieles vorgegeben ist, vieles vom Kursleiter nicht direktbeeinflusst werden kann: der institutionelle Rahmen, die Teilnehmer, der eigene Status unddie Funktion als Kursleiter, die Lernziele nebst Lokalisierung des eigenen Kurses in einemübergreifenden Lernprogramm, die Lerninhalte (soweit es um die Einordnung in den Lehr-betrieb geht), in gewisser Weise sogar die Medien (Verfügbarkeit). Die genaue Ausprägungund die Interdependenz dieser Bestimmungsfaktoren zu klären, ihre Begründungszusammen-hänge aufzuhellen, wäre Aufgabe der Didaktik , hier der „Didaktik des Fremdsprachenunter- richts an Volkshochschulen“. Der Arbeitssituation des Kursleiters entsprechend (und weil esThema eines eigenen Buches wäre) soll eine ausführlichere Analyse der Bestimmungsfaktorenhier zurückgestellt werden (vgl. VIELAU 2001). 14Bei so vielen V orgaben – wo bleiben die Handlungsspielräume? Neben der Frage, wie er sich selber als Kursleiter versteht und in die Lerngruppe einbringen will, neben gewissenEntscheidungsspielräumen bei den Inhalten und Medien liegt der eigentliche und wichtigsteEntscheidungspunkt in der Wahl der Methoden . Die Methoden müssen geeignet sein, in der gegebenen didaktischen Konstellation die Ziele praktisch-prozessual einzulösen, d.h. die ge-wählten Methoden sollen in Ausschöpfung der Handlungsspielräume einen passenden Lern-weg formen und die Lernprozesse optimieren. Je nachdem, wie der Kursleiter seinen Handlungsspielraum interpretiert, die Faktoren auf- fasst, gewichtet und in Beziehung setzt, für welche Passung er sich entscheidet, können bei der Wahl der Methoden verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden (zur Übersicht vgl.RICHARDS, RODGERS 1986). Die folgende Grobklassifizierung soll kein methodologischesWerturteil ausdrücken: •Der traditionelle (und bis heute in der Praxis wohl meistverbreitete) Ansatz ist der einer stofforientierten Methodik . Die handlungsleitende Frage gilt hier dem Lehrbuch, den Gesichtspunkten der Stoffauswahl und Präsentation, der optimalen Vermittlung desLernstoffs. Typische Probleme (und meist auch Kapitelüberschriften) in einer stoff-orientierten Methodik wären z.B. „Ausspracheschulung“, „Grammatikvermittlung“,„Wortschatzarbeit“, „Textarbeit“ (z.B. QUETZ u.a. 1981). •Einen anderen Akzent setzt die lernzielorientierte Methodik . In diesem Ansatz fallen Didaktik und Methodik zusammen: Die Zielbeschreibung liefert zugleich die Kriterien für die Gestaltung des Lernwegs. So gibt es zum Beispiel einen Übungsaufbau, in demKommunikation „vorbereitet“, „aufgebaut“, „strukturiert“, „simuliert“ und schließlich„realisiert“ wird (etwa PIEPHO 1979; BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT 1978).Im weiteren Sinne gehört auch die Erforschung der Interaktionsprozesse beim Lehrenund Lernen einer Fremdsprache in diesen Zusammenhang – soweit aus dieser ForschungHandlungsempfehlungen abgeleitet werden (HÜLLEN 1987). Obwohl sich beide Ansätze in der Praxis bewährt haben, werden sie den Kursleiter vielleicht nicht befriedigen: Das Lernziel „Kommunikationsfähigkeit“ gilt fast analog in Schule undErwachsenenbildung, und auch der Lernstoff unterscheidet sich zwar in der Wahl der The-men und Situationen, kaum jedoch in den tieferen Prinzipien der Stoffauswahl und -anordnung.Heißt das nun, dass er, vielleicht mit einigen kleinen Modifikationen, analog vorgehen kann -gleich ob Schule oder Erwachsenenbildung? Eine so direkte Übertragung der Schulmethoden auf den Abendkurs ist spontan wenig plausi- bel, wird sich auch kaum mit dem decken, was der Kursleiter bei Hospitationen beobachtethat. Zunächst müsste geklärt werden, wie überhaupt Fremdsprachen gelernt werden, ob Er-wachsene eine Fremdsprache auf ähnliche Weise wie Kinder lernen, welche Rolle Lebens-alter, Lernbiographie und äußere Faktoren spielen, ob solche Unterschiede für die Methodikhandlungsrelevant sind. Indem er Fragen dieser Art an den Anfang der methodischen Überle-gungen stellt, befindet sich der Kursleiter auf dem Boden der dritten Variante – dem einerlernerorientierten Methodik (z.B. BUTZKAMM 1989). 15Lernerorientierung Es gibt viele Gründe, den Lerner (wie es neudeutsch heißt) als vorrangigen Bezugspunkt des methodischen Denkens zu wählen. Der wichtigste Grund liegt nahe: Obwohl alle Lerner inder Gruppe den gleichen Unterricht erhalten, profitiert der einzelne Lerner in dieser Gruppein sehr unterschiedlichem Maße. Ein Problem des pädagogischen Alltags, wenn man so will- aber für das methodische Denken zugleich Ausgangspunkt und größte Herausforderung.Warum lernt der eine in der gegebenen Lernkonstellation sicher und schnell, der andere lang-sam und mit großen Problemen, der dritte fast gar nicht? Liegt es am Lerner: an der Motiva-tion, an mangelndem Weltwissen und kultureller Ferne, am Fleiß, an der „Begabung“? Liegtes an den äußeren Bedingungen und am Lehrplan? Oder liegt es an den Lehrern und an denMethoden? Oder an allem zugleich, an der unzureichenden Passung? Muss man folgern, dassdie Wahl der Methodik bedeutungslos ist, wenn das Ergebnis so weit streut? In einer empirischen Untersuchung, über die ich vor vielen Jahren berichtet habe (VIELAU 1979), ergab sich, dass dem Englischunterricht schon in der Orientierungsstufe die bei wei-tem höchste Selektionswirkung unter allen Schulfächern zukommt. Die Gruppe der besondersleistungsschwachen Schüler mit mangelhaften Noten in mehr als zwei Fächern scheitert hierfast zu hundert Prozent. In der Studie konnte von ihrer Anlage her nicht deutlich werden, dasses Lerngruppen gibt, in denen sich die Schere zwischen erfolgreichen und erfolglosen Ler-nern in dramatischem Tempo öffnet, und andere Lerngruppen, in denen der Schereneffektkaum erkennbar wird, obwohl die Gruppe ein ähnliches Lerntempo vorlegt und das gleicheStoffpensum bewältigt. Da der Effekt sich der Tendenz nach bei den gleichen Lehrern wieder-holt, auch wenn sie neue Lerngruppen übernehmen, darf man bei aller Vorsicht in der Ein-schätzung der Wirkung von Lehrmethoden (EINSIEDLER 1981, PIENEMANN 1989) un-terstellen, dass nicht nur Lernervariablen, sondern auch Lehrer und Methoden den Lernerfolgbeeinflussen. Die Unterrichtserfahrung zeigt, dass unter günstigen V oraussetzungen auch schwächere Ler- ner erfolgreich eine Fremdsprache lernen können, dass sie sogar mit den stärkeren Lernernungefähr Schritt halten. Aber während gute Lerner fast unabhängig von Lehrer und Methodedie Fremdsprache erfolgreich lernen, scheint es eine besondere Lernkonstellationen zu ver-langen, damit schwächere Lerner Erfolg haben. Die gleiche Lehrmethodik wirkt sich lerner-abhängig verschieden aus, denn jede Lehrmethode unterstellt und erwartet beim Lernendenein bestimmtes Wissen, bestimmte Fähigkeiten und bestimmte Einstellungen: Jede Lehrmethodeist (häufig unbewusst) auf einen impliziten Lerner hin angelegt. Entspricht der Lernende diesen impliziten Anforderungen nicht und kann er sich auf diese Anforderungen nicht ein-stellen, so wird er erfolglos bleiben. Die künstliche Lernsituation wirkt insofern stärker selektiv als das Lernen unter natürlichen Bedingungen. Selbst völlig lernungewohnte Erwachsene – man denke an die Lebensumständevon Arbeitsmigranten – erreichen unter natürlichen Lernbedingungen früher oder später eineauf die Anforderungen ihrer Lebenspraxis zugeschnittene, ausreichende Sprachhandlungs-fähigkeit; das gilt zum Beispiel für die Entwicklung von Pidgin- und Kreolsprachen. In dernatürlichen Lernsituation bestimmt der Lernende selber den Prozess – und in der künstlichenLernsituation der Lehrende. In der Steuerung des Lernprozesses liegt also die Chance, dassdas Lernen wirksamer abläuft, aber andererseits auch die Gefahr, dass die Bedürfnisse ein-zelner Lerner oder der Lerngruppe insgesamt verfehlt werden. 16Eine Lehrmethodik darf daher nicht „ohne Ansehen der Person“ aufgesetzt werden, sondern sie hätte sich an den Bedürfnissen der Lerner zu orientieren. Es gibt nicht eine einzige, ein-heitliche und universal richtige Lehrmethodik, so ist zu folgern, sondern sehr viele, wollteman das Lehren mit Bezug auf den einzelnen Lerner optimieren (Subjektorientierung), undimmerhin noch mehrere, wenn man aus Praktikabilitätsgründen bestimmte Gruppen und Lerner-typen als Bezugspunkt wählt (Zielgruppenorientierung). Es ist eine Frage der übergreifenden Unterrichtsziele, des Aufgabenverständnisses und des pädagogischen Engagements, an welchem Lernertyp bzw. an welcher Zielgruppe sich derLehrende bei seinen methodischen Entscheidungen orientiert. Wenn man annimmt, dass dieguten Lerner nach nahezu jeder Methode erfolgreich lernen können, wird sich die Wahl derBasismethode gemäß einem Aufgabenverständnis, wie es für die Erwachsenenbildung ty-pisch ist (Abbruchquote gering halten/ Selektion vermeiden), besonders nach den Bedürfnis-sen der schwächeren Lerner richten. Entsprechend erweist sich die Brauchbarkeit einer Me-thodik erst dort, wo Fremdsprachenlernprozesse nicht sozusagen im Selbstlauf funktionie-ren: in leistungsheterogenen Lerngruppen, in der Arbeit mit Hauptschülern oder mit lern-ungewohnten Erwachsenen. Umgekehrt heißt das, dass man Annahmen zur Wirksamkeit be-stimmter Methoden kaum sinnvoll im Kontext universitärer Sprachkurse überprüfen kann -zumindest, wenn man auf die Übertragbarkeit der Ergebnisse Wert legt. Die Konsequenz könnte lauten: Je mehr der Lehrende darüber weiß, wie eine Fremdsprache generell gelernt wird, wie seine Zielgruppe lernt und wo deren Schwierigkeiten liegen, destobesser wird die Passung des gewählten Unterrichtskonzeptes (zum Begriff MEYER 1987:208) stimmen, desto höher werden die Erfolgsaussichten für alle Seiten sein. Leider stimmt diese Behauptung nur zum Teil. Das erste Problem liegt darin, dass sich die impliziten Voraussetzungen bestimmter methodischer Entscheidungen oft schwer abschätzenlassen. Nehmen wir an, es wird nach gängiger methodischer Sicht weitgehend einsprachigunterrichtet, der Lehrer bemüht sich um einen authentischen, sprechnatürlichen Input. DasHandlungskonzept ist klar – aber ist ebenso klar, was dieses Konzept tatsächlich leistet? Waswird vorausgesetzt, wem werden Erfolgschancen geöffnet, wer ist der implizite Lerner dieserMethodik? Das Konzept der Lernerorientierung setzt die Bereitschaft voraus, Fragen dieserArt (selbst)kritisch zu prüfen.Damit wären zumindest die Fragen richtig gestellt. Die zweiteSchwierigkeit liegt bei den Antworten. Beim heutigen Stand der Fremdsprachenmethodik istes immer noch schwierig, kohärente Handlungsempfehlungen für einen an den Bedürfnissendefinierter Lernergruppen orientierten Fremdsprachenunterricht zu geben. Man weiß zwar,was man will und vielleicht auch, was man besser nicht tun sollte, aber eine wirklich überzeu-gende Lösung des Problems liegt weiter im Ungewissen. Wenn Fragen und Antworten stim-men, bleibt noch die Kluft von abstraktem Theoriewissen und tatsächlicher Handlungs-kompetenz in der pädagogischen Praxis (JANK, MEYER 1991: 37 ff). Ein problembewussterDidaktiker ist nicht automatisch auch ein guter Lehrer – so wenig, wie ein fähiger Linguist einglänzender Redner sein muss. Die vorliegende Methodik soll dazu beitragen, dass wenigstens die Wissenslücken im Unterrichtskonzept enger werden. Sie umfasst, dem skizzierten Forschungsansatz und Er-kenntnisinteresse entsprechend, zwei Themenkomplexe (zur Gliederung siehe auch BUTZ-KAMM 1989): 17•Teil 1 stellt die Frage, wie Fremdsprachen GELERNT werden. Das Hauptinteresse gilt der Wirklichkeit des Fremdsprachenlernens im Unterricht, gestreift wird der natürliche Zweitsprachenerwerb. Ziel ist die Entwicklung eines Arbeitsmodells des Fremd-sprachenlernens aus Lernersicht. •In Teil 2 wird auf der Grundlage dieses Arbeitsmodells und unter besonderer Berück- sichtigung von Lernern mit problematischen Lernvoraussetzungen gefragt, wie Sprachen GELEHRT werden (sollen). Unter Abstraktion von lernfeldtypischen Aspekten der Planung, Durchführung und Evaluati- on des Unterrichts (Merkmalen der Lerngruppe, der Institution, des Unterrichtsmaterials etc.)werden im Folgenden die Grundlinien der kommunikativen Methodik als einer lernerorientiertenBasismethode entwickelt. Diese Basismethode kann mit gewissen Modifikationen auf ver- schiedene Lernfelder (Schule, Weiterbildung, betrieblicher Fremdsprachenunterricht) über-tragen werden. Sie ist ausgerichtet auf die Bedürfnisse leistungsheterogener und eher lern-ungewohnter Lerngruppen, und sie gilt sprachübergreifend für den gesteuerten Fremdsprachen-erwerb im engeren Sinn (nicht zum Beispiel für den Frühbeginn oder den fachsprachlichenUnterricht). Nicht übertragbar ist die vorliegende Methodik auf Lernsituationen, in denen sich gesteuerter und ungesteuerter Erwerb überlagern, zum Beispiel also, wenn Deutsch als Fremdsprache inDeutschland oder Englisch als Fremdsprache in englischsprachigen Ländern unterrichtet wird. 183. Wie lernt man fremde Sprachen? 3.1 Sprache, Kommunikation, Kommunikationsfähigkeit Besonders interessiert in dieser Abhandlung, wie eine Fremdsprache gelernt wird, was sich im Kopf des Lernenden verändert, ob und wie der Aneignungsprozess gesteuert und beein-flusst werden kann. Vorher jedoch ein kurzer Blick auf das Lernobjekt : Was wird eigentlich gelernt, wenn eine Sprache gelernt wird? Eine Sprache ist uns zugänglich in der Kommunikation, in den empirischen Äußerungen der Kommunikationspartner, die sich in einer ihnen gemeinsamen Sprache verständigen. Die Zahlder möglichen (mündlichen und schriftlichen) Äußerungen in einer Sprache ist unendlichgroß; Sprachen sind so universal und so produktiv wie das Denken. Dennoch werden diemeisten Äußerungen verstanden – und dies, obwohl sie unvollständig und fehlerhaft seinmögen. Sie werden verstanden, weil sich die Kommunikationspartner für die Produktion undRezeption der Äußerungen bestimmter gemeinsamer (intersubjektiver) Bezugssysteme be-dienen. Ihr Sprachgebrauch ist nicht willkürlich, sondern er folgt kommunikativen Konventi-onen. Diese Konventionen sind Teil der intuitiven Sprachhandlungskompetenz der Kommu-nikationspartner. Die entsprechenden Handlungsmuster wurden während des individuellenSpracherwerbs ausgebildet und durch häufigen Gebrauch so weit verinnerlicht und automa-tisiert, dass im praktischen Leben auch komplexe Sprachhandlungen intuitiv und ohne merk-liche Verzögerung ausgeführt werden können. Betrachten wir ein einfaches Beispiel. Ein Ortsunkundiger (A) spricht einen Passanten (B) auf der Straße wie folgt an: A: Entschuldigung. …Zum Leopoldplatz? Mit etwas Glück wird die Antwort eine Wegbeschreibung sein. Die kurze Äußerung evoziertin dem gegebenen Handlungszusammenhang das Handlungmuster „Nach dem Weg fragen /Wegbeschreibung“ – ein Handlungsmuster, das beide Sprecher kennen. Beide gehen in ihrerInterpretation der Äußerung von analogen Rezepten aus, wie ich die mentale Repräsentation eines Handlungsplans im Anschluss an WETTLER (1980) im Folgenden nennen werde. DasRezept enthält alle notwendigen Elemente eines kohärenten Handlungszusammenhangs: Kon-text, Handlungssubjekt(e), Handlungsziel, Sprechabsichten, Handlungsoptionen, sprachli-che Exponenten, Handlungskontrolle, Handlungsevaluation. Sprecher A möchte an einen bestimmten Ort gelangen, und er kennt den Weg nicht (Handlungs- ziel). Die Situation enthält für ihn also ein Problem, sie ist in gewissem Maße unbestimmt.Ohne Hilfsmittel, allein durch Versuch und Irrtum, dürfte das Problem kaum zu lösen sein.Die Sprachhandlung hat eine spezifische und punktuelle Funktion: Sie löst ein Problem, spartArbeit, indem sie die „Unbestimmtheitsstelle“ im Handlungsplan füllt. A entscheidet sich hierfür die sprachliche Option alternativ zu anderen Handlungsmöglichkeiten (er könnte sichzum Beispiel einen Stadtplan kaufen). Das Handlungsmuster, dessen er sich nun bedient, enthält typischerweise die Anrede einer fremden Person und eine „Zielansprache“ (Angabe des gesuchten Ortes). Nicht zum Rezeptwürde zum Beispiel gehören, dass A seine Tante Frieda besuchen möchte, die kürzlich umge-zogen ist. Er könnte diese Information natürlich trotzdem als individuelle Retusche des Re- zepts einfließen lassen. Sprecher A verbalisiert nun seine Sprechabsicht unter entsprechen- 19dem Rückgriff auf sein Sprachwissen. Auch hier stehen ihm wieder verschiedene Optionen offen; er wählt die sprachlichen Exponenten , die er unter Berücksichtigung von Gesprächs- partner und Situation als angemessen und wirksam empfindet. Sprecher B wird auf die Anrede irgendwie reagieren und der (im Beispiel sehr kurzen) Äuße- rung seines Gesprächspartners eine Interpretation zuordnen, indem er das entsprechende Rezeptabruft (A bittet um Wegbeschreibung), die Sachlage prüft (Ort bekannt?) und sich nunseinerseits für eine bestimmte Handlung entscheidet. Sprecher A wird sodann die von B gege-bene Information mit Blick auf sein Handlungsziel prüfen ( Evaluation ) und sinngemäß in seinem Handlungsplan fortfahren. Das Beispiel zeigt: Sprachliches Handeln ist in vielen Fällen kaum mehr als die Fortsetzung des praktisch-gegenständlichen Handelns mit anderen Mitteln. Hier ermöglicht es die Sprach-handlung, Unbestimmtheitsstellen (information gaps) im lebenspraktischen Handlungsplan zu schließen. Umgekehrt erschließt sich der Sinn vieler (sprachlicher) Äußerungen erst durchintuitive Zuordnung des übergreifenden Handlungsplans nebst sinngemäßer Ergänzung dersprachlichen Leerstellen. Die Bedeutung einer Äußerung im Kommunikationszusammenhangist wechselseitig motiviert: sprachlich und außersprachlich (HALLIDAY 1973). Wer eine(Fremd)Sprache kommunikativ angemessen gebraucht, setzt daher linguale und kulturelleBezugssysteme – Sprachwissen und Weltwissen – in Beziehung. In Fremdsprachenunterricht bestand lange Zeit die Neigung, die Sprachhandlung auf ihre linguale Komponente und die linguale Komponente auf ihre kleinsten sprachlichen Bausteinehin zu verkürzen. Dies führte zu dem Missverständnis, dass das Sprachenlernen bzw. derSpracherwerb als Aneignung der sprachlichen Bausteine und ihrer Verknüpfungsregeln, als„linguistische Kompetenz“ im Sinne von CHOMSKY (1965), hinlänglich erfasst sei. Ent-sprechend heißt es noch bei WODE (1988: 37): „Eine Sprache lernen heißt: ein System undseine konventionellen Zuordnungen erschließen. Spracherwerb ist Strukturerwerb …“. Rich- tig daran ist, dass Sprechtätigkeit nicht allein oder vorrangig als ein Imitieren auswendiggelernter Sätze erklärt werden kann. Jeder eigenständigen Sprachverwendung liegt die intui-tive Kontrolle des Systems der konventionellen Regelungen der betreffenden Sprache zugrunde;nur so sind Flexibilität und Produktivität im Sprachgebrauch erklärlich. Systemhaftes Sprach-wissen ist daher ein notwendiger und unverzichtbarer Teil der Sprachhandlungsfähigkeit. Andererseits kann erfolgreiche Sprechtätigkeit nicht allein durch Bezugnahme auf linguales Systemwissen erklärt werden: Die kommunikative Bedeutung (die Funktion) einer Äußerunggeht nicht in der sprachlichen Bedeutung von Sätzen auf. Der formal gleiche Satz kann po-tenziell in unterschiedlichen Zusammenhängen völlig unterschiedliche Bedeutungen anneh-men: Seine aktuelle Bedeutung erlangt er erst in einer konkreten Verwendung, in einem Denk-und Handlungszusammenhang. Wer als Fremdsprachenlehrer nur das sprachliche Systemunterrichtet, vertraut daher darauf, dass der Lernende sein eigenkulturelles Handlungswissen(sozusagen als stille Interpretationshilfe) auf die Zielsprache projiziert – und dass die betref-fenden Rezepte tatsächlich interkulturell übertragbar sind (MÜLLER 1979). Viele Kommu-nikationsprobleme haben in solchen Annahmen ihre Ursache (VIELAU 1987). Ich kommespäter ausführlich auf diesen Fragenkomplex zurück. Ein zweiter Einwand ist fast noch wichtiger: Die linguistische Verengung des Objektbereichs versperrt den Weg zu einem stärker prozessualen Verständnis von Sprechtätigkeit und Sprachen-lernen, wie es für den Fremdsprachenunterricht (anders als für die Sprachwissenschaft) grund- 20legend ist. Die weitergehenden Implikationen lassen sich anhand des Beispiels verdeutlichen. Natürlich müssen die Äußerungen der beiden Sprecher (unter Berücksichtigung der üblichenFehlertoleranz) richtig sein im Sinne der gültigen Sprachkonvention; sonst wäre Verständi- gung überhaupt unmöglich. Sprecher A wird sein kommunikatives Ziel jedoch nur erreichen,wenn die gewählte Äußerung außerdem angemessen im Sinne der Sprechabsicht und hinrei- chend expressiv ist. Die Frage B: Wie komme ich zu Tante Frieda? wäre sprachlich korrekt, aber nicht angemessen, weil sie nicht in das übergreifende Szenario passt. Und auch die Frage C: He, Sie da! – Wie komme ich zum Leopoldplatz? wird nicht unbedingt zum Ziel führen: Nicht jede richtige und angemessene Äußerung ist inder Praxis wirksam – vielleicht ist die gewählte Formulierung rhetorisch ungeschickt (z.B. zukompliziert, unhöflich, in der Wortwahl eher schriftsprachlich als umgangssprachlich, mitfalscher Intonation oder Gestik vorgetragen) – oder sie bleibt aus ähnlichen Gründen erfolg-los. Schließlich muss Sprecher A die Sprache so flüssig beherrschen, dass er die (sicher nicht ganz unkomplizierte) Wegbeschreibung spontan verstehen und mit Blick auf sein Handlungs-ziel auswerten kann. Eine Sprache ist uns zugänglich im Sprachgebrauch empirischer Kommunikationspartner. Das Beispiel entspricht dem Sprachhandlungstyp einer Transaktion . V on einer „Transakti- on“ spreche ich im Folgenden, wenn die Sprachhandlung in einen praktischen Handlungsplaneingebettet ist. Jeder Mensch hat eine große Zahl solcher Handlungspläne im Verlauf seinerSozialisation erworben; sie bilden sein persönliches Handlungswissen. Manche dieser Hand-lungspläne bzw. Rezepte laufen fast unbemerkt ab (Routinen, z.B. Bewegungskoordination),andere verlangen an bestimmten Schnittstellen eine bewusste Wahl zwischen verschiedenenpraktischen Handlungsalternativen, wieder andere, wie im Beispiel oben, enthalten Unbe-stimmtheitsstellen, die am sinnvollsten durch eine Sprachhandlung zu schließen sind. Obwohl dem transaktionalen Sprachgebrauch gerade im fremdsprachlichen Anfangsunterricht eine besondere Bedeutung zukommt – hier steht zunächst ja die Alltagskommunikation imVordergrund -, folgen längst nicht alle empirischen Sprachhandlungen diesem Muster. VieleSprachhandlungen sind nicht durch einen praktisch-gegenständlichen Handlungszusammen-hang motiviert, sondern durch Denkprozesse, durch geistige Handlung. In diesem Fall spre-che ich im Folgenden von einer Interaktion . (Eine ähnliche Unterscheidung zwischen „situ- ativer“ und „thematischer“ Sprache findet sich schon bei DENNINGHAUS 1975.) In derInteraktion treten thematische Rezepte an die Stelle der praktischen Handlungspläne in derTransaktion: Der Sprecher interpretiert thematische Information (wie er sie z.B. bei der Lek-türe eines Zeitungsartikels aufnimmt) durch Bezugnahme auf persönliche thematische Re-zepte, in denen sein Sachwissen gespeichert ist. Dient die Sprachhandlung dagegen auch derBewertung einer Information, so spreche ich vom Diskurs : Im Diskurs* greift der Sprecher auf normative Rezepte zurück, auf sein Urteilswissen. Eine umfassende Kommunikations-fähigkeit würde sowohl den transaktionalen, den interaktionalen wie den diskursiven Sprach-gebrauch einschließen. Die Qualität einer (transaktionalen, interaktionalen oder diskursiven) * Die hier gewählte Terminologie weicht vom heute üblichen Gebrauch ab, in dem z.B. „Diskurs- analyse“ im übergreifenden Sinn als „Gesprächsanalyse“ verstanden wird. 21Äußerung kann für die Zwecke der Fremdsprachenmethodik hinreichend präzise in vier Di- mensionen gemessen werden: Angemessenheit , Richtigkeit , Expressivität und Flüssigkeit . Für jede dieser Dimensionen lässt sich der Lernfortschritt messen; von einem Zuwachs ankommunikativem Können kann man nur sprechen, wenn sich der Lernende nach und nach(wenn auch nicht notwendigerweise synchron) in allen vier Dimensionen verbessert. Zwischen dem Ausgangsniveau des Anfängers und dem hypothetischen Zielniveau der „kom- munikativen Kompetenz“ (differenziertes Ausdrucksvermögen, intuitives Sprachgefühl, rhe-torisches Geschick und Überzeugungskraft, fließende Sprachbeherrschung) liegen also nichtnur quantitativ, sondern auch qualitativ viele Abstufungen* Das gilt für das Fremdsprachen-lernen und in vergleichbarer Weise für die Sprachentwicklung des Muttersprachlers. Wenn heute über das globale Lehrziel des Fremdsprachenunterrichts, gleich ob in Schule oder Erwachsenenbildung, in der Fachdidaktik weitgehende Übereinstimmung herrscht – inder Definition, der Begründung, der Operationalisierung dieses Lehrziels gibt es erheblicheUnterschiede. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Nur eine kurze Bemer-kung: Es ist meines Ermessens weniger sinnvoll, das selbst für viele Muttersprachler uner-reichbare Ideal der „kommunikativen Kompetenz“ als Leitziel des Fremdsprachenunterrichtsanzugeben (PIEPHO 1974 und 1979, JÄGER 1984). Abgesehen davon, dass das zugrundeliegende Kommunikationsmodell (Fremdsprachenlernen als Anpassung an eine Zielkultur)nicht valide ist- hierauf komme ich später zurück -, dieses Leitziel ist auch in der Praxis alsOrientierungshilfe wenig nützlich. Was schon der muttersprachliche Unterricht in vielen Fäl-len nicht erreicht: Die praktischen Möglichkeiten selbst des gymnasialen Fremdsprachen-unterrichts werden durch dieses Lehrziel überfordert. Fremdsprachenlernen ist eine komple-xe, anspruchsvolle, potenziell lebenslange Aufgabe. Auf diese Aufgabe kann Schule mangelslebensprakischer Anforderungen und Handlungsmöglichkeiten allenfalls vorbereiten. Sie be-reitet vor, indem sie Lernstrategien bereitstellt, eine sachliche Grundlage legt und, besonderswichtig, indem sie für das Weiterlernen motiviert. Hier soll bescheidener vom Lehrziel der Kommunikationsfähigkeit bzw. einem bestimmten Grad der „Sprachhandlungsfähigkeit“ gesprochen werden. Beides kann in praktikabler Formtransitorisch, auf Übergangsniveaus, definiert werden. Im Fremdsprachenunterricht der Er-wachsenenbildung wurde z.B. schon früh zwischen dem GRUNDBAUSTEIN, einer Art ers-ter Schwellenqualifikation beim Fremdsprachenlernen, und dem ZERTIFIKAT unterschie-den; das Zertifikat bestätigt die Kommunikationsfähigkeit in Alltagssituationen (PAS/DVV1977). Jede dieser Definitionen wird durch Zuordnung bestimmter Stoffkataloge operationa-lisiert: Sprechabsichten, Themen, Situationen, Textsorten, Wortschatz und Strukturen. AufEinzelheiten dieser Lehrzieldefinitionen, ihre Ableitungen und Begründungen sowie ihre Wei-terentwicklung zum „Europäischen Referenzrahmen für das Fremdsprachenlernen“ (1997)kann ich hier nicht eingehen. Fragen der unterrichtspraktischen Umsetzung (transitorischund operational verstandener) kommunikativer Lehrziele in kommunikative Lernprozessewerde ich dagegen in aller Ausführlichkeit behandeln. * Vgl. Lernstufen des „Europäischen Referenzrahmens für das Fremdsprachenlernen“ (1997) 223.2 Natürlicher Zweitsprachenerwerb – Vorbild für den Fremdsprachenunterricht? Sprachen werden in vielen Formen und unter verschiedenen V oraussetzungen gelernt: DasKleinkind erwirbt seine Muttersprache; das Diplomatenkind im Gastland wächst bilingualauf; der Arbeitsmigrant erwirbt die Sprache des Gastlandes im täglichen Gebrauch; seinespäter nachgeholten Kinder lernen die Zweitsprache zusätzlich und in Konkurrenz zur Erst-sprache im Elternhaus, in der Schule und im Alltag; der Schüler lernt eine Fremdsprache imUnterricht; der Erwachsene frischt in einem Wiederholungskurs eine früher gelernte Fremd-sprache auf; der Autodidakt vertraut den Versprechungen eines Videokurses und lernt da-heim; der Sprachensammler nimmt in einem VHS-Fremdsprachenkurs seine fünfte Fremd-sprache in Angriff; der Grundschüler lernt die Fremdsprache in spielerischen Formen; es gibtbilinguale Kindergärten, zweisprachige Kochkurse und Sprachen-Tandems. Die Liste ist beiweitem nicht vollständig. Was unterscheidet diese Lernformen, was haben sie gemeinsam? 3.2.1 Grundformen des Sprachenlernens – eine Grobklassifikation Wer angesichts solcher Vielfalt der Lernformen einfach nur vom „Sprachenlernen“ spricht,ohne seinen Gegenstandsbereich näher zu bestimmen, läuft Gefahr, nicht Vergleichbares zuvergleichen. Nehmen wir an, eine bestimmte Reihenfolge im Erwerb bestimmter Morphemeder englischen Sprache sei statistisch signifikant sowohl im Erstsprachenerwerb US-ameri-kanischer Mittelschichtenkinder und im Fremdsprachenunterricht einer Zufallsstichprobedeutscher Erwachsener beobachtet worden. Ließe sich nun aus dieser Koinzidenz auf einegemeinsame Ursache, z.B. einen einheitlichen, universal wirksamen Spracherwerbsmecha-nismus schließen?- Rein forschungslogisch betrachtet, ist dieser Schluss wenig evident. EineKoinzidenz kann einen Zusammenhang signalisieren, muss es jedoch nicht. Bei der Übertra-gung eines Erklärungsmusters von einem Gegenstandsbereich auf einen anderen bewegt sichder Forscher in einem logischen Zirkel: Die V orannahme steuert die Empirie; entsprechendbesteht die Neigung, als Regularität wahrzunehmen, was im empirischen Befund die Vor-annahme bestätigt. Die Gefahr logischer Zirkel liegt bei jeder empirischen Modellbildung nahe. Groß ist diese Gefahr, wenn Hypothesen von einem Wirklichkeitsbereich auf den anderen übertragen wer-den, ohne dass zuvor die Vergleichbarkeit geprüft wurde. Wer vergleichen will, muss beideWirklichkeitsbereiche gut kennen, die Bestimmungsfaktoren und ihr Zusammenspiel für je-den dieser Wirklichkeitsbereiche geklärt haben. Ergibt sich in dieser parallelen Analyse einausreichendes Maß an Gemeinsamkeit, so ist der Vergleich legitim: Es mag in definiertemUmfang mit analogen Erklärungsmustern gearbeitet werden. In dem Beispiel wären dieGesetzmäßigkeiten des kindlichen Spracherwerbs für die Methodik des Fremdsprachen-unterrichts irrelevant – es sei denn, man hätte nachgewiesen, dass für beide Wirklichkeits-bereiche in definiertem Umfang analoge Gesetzmäßigkeiten gelten. Die Folgerung kann nurlauten: Wer Aussagen über das Fremdsprachenlernen im Unterricht machen will, sollte sichvorrangig mit dem Fremdsprachenunterricht befassen. Wie lässt sich der Wirklichkeitsbereich „Fremdsprachenunterricht“ gegen andere Formen des Sprachenlernens abgrenzen? Üblich ist zunächst die Unterscheidung zwischen acquisition 23und learning , zwischen dem natürlichen Erwerb einer Sprache in lebenspraktischen Zusam- menhängen und dem gesteuerten Erlernen der Sprache in der künstlichen Umwelt des Unter-richts (schon bei WILKENS 1974: 26; später in KRASHEN 1981, DULAY , BURT,KRASHEN 1982, KRASHEN 1985, LITTLEWOOD 1984). Zu unterscheiden ist weiterhin, ob Muttersprache (Erstsprache) oder Fremdsprache erlernt wird und, beim Fremdsprachenlernen, ob die Fremdsprache im Lande selbst (hier sprichtman häufig vom „Zweitsprachenerwerb“) oder außerhalb des Kulturzusammenhangs erlerntwird. Auf Basis solcher Merkmale lassen sich in einer ersten Grobklassifikation bestimmteGrundformen des Sprachenlernens identifizieren: Erstsprachenerwerb, natürlicher Zweit-sprachenerwerb, Erstsprachenlernen im Unterricht, Fremdsprachenunterricht, autodidakti-sches Fremdsprachenlernen. Diese Klassifikation soll die Wirklichkeitsbereiche nur benen-nen; ob und in welcher Weise sich die entsprechenden Lernprozesse tatsächlich unterschei-den, soll hier zunächst offen bleiben (siehe etwa KLEIN 1986: 20). Zwei dieser Grundformen des Sprachenlernens sind für den Fremdsprachenpädagogen beson- ders interessant: das Fremdsprachenlernen im Unterricht und der natürliche Zweitsprachen-erwerb. Beim natürlichen Zweitsprachenerwerb ist der Lernende kommunikationsfähig inseiner Herkunftssprache und verfügt über entsprechendes Welt- und Handlungswissen; ererwirbt die Zweitsprache aus praktischen Handlungszusammenhängen heraus, besucht kei-nen Unterricht und benutzt (mangels formaler Bildung oder aus anderen Gründen) vorwie-gend intuitive Lernstrategien. Typische Vertreter dieser Lernform wären z.B. der mexikanischeArbeitsmigrant in den USA, der pakistanische Asylbewerber oder der türkische Gastarbeiterin Deutschland. Der natürliche Zweitsprachenerwerb (vgl. MCLAUGHLIN 1987) ist für den Fremdsprachen- pädagogen interessant, weil er zeigt, dass Fremdsprachen auch ohne formale, fremdgesteuerteLernprozesse, sogar ohne die Basis einer Schulausbildung gelernt werden können. Die Ver-mutung liegt daher nahe: Jeder Mensch besitzt eine Grundausstattung an Lernfähigkeit, dieihn nach Abschluss des Erstsprachenerwerbs in die Lage versetzt, erfolgreich weitere Spra-chen zu lernen – sofern die Umstände förderlich sind. Trifft diese Vermutung zu, so wäre sieein idealer Ausgangspunkt für unterrichtsmethodische Überlegungen. 3.2.2 Die Erwerbssequenz Die Analyse des natürlichen Zweitsprachenerwerbs soll von einem praktischen Beispiel aus-gehen. Ein Asylbewerber aus Pakistan (im folgenden „P“), nur wenige Wochen in Deutsch-land und ohne Deutschkenntnisse, möchte im Bäckerladen eine Weißbrotstange kaufen. Dasentsprechende Handlungswissen bringt er mit: Er weiß, wie man in kleinen Geschäften ein-kauft, dass man Ware gegen Geld tauscht; er überträgt das eigenkulturelle Handlungsrezeptin der Annahme, dass es dem hiesigen entspricht. Das Handlungsrezept „Einkauf“ enthält(mindestens) fünf Unbestimmtheitsstellen: Verhalten beim Betreten des Ladens; Aufmerk-samkeit reklamieren, sobald man an der Reihe ist; Ware bezeichnen und quantifizieren; Preisin Erfahrung bringen und bezahlen; Verhalten beim Verlassen des Ladens. P steht vor Problemen. Er könnte versuchen, die in der Situation liegende Unbestimmtheit auf nichtsprachlichem Wege durch Körpersprache, Mimik und Gestik zu lösen; zur Bezahlungkönnte er eine größere Münze anbieten und den Preis der Ware einfach aus dem Wechselgeld 24bestimmen. Die nichtsprachlichen Handlungsoptionen haben jedoch gravierende Nachteile, sind allenfalls als Übergangslösung brauchbar: Sie verlangen die volle Aufmerksamkeit undehrliche Kooperationsbereitschaft des Handlungspartners sowie ein Mindestmaß an interkul-tureller (Warum grüßt der nicht beim Betreten des Ladens?) und semantischer Phantasie (Was meint der wohl mit dieser komischen Bewegung?) . Die Ware muss im Gesichtsfeld sein, sonst ist eine Zeigehandlung nicht möglich. Hinweisdefinitionen sind missverständlich,größere Zahlen sind nichtsprachlich schwierig darstellbar, Fehler (z.B. falsches Wechsel-geld) sind ohne Sprache kaum aufzuklären. Für P ist das Erlernen der Sprache des Gastlan-des, zumindest soweit es die Befriedigung lebenspraktischer Bedürfnisse angeht, insofernkeine Frage der Neigung, sondern eine Notwendigkeit. P wird nun zunächst eine Lernphase durchlaufen, die dem Beobachten und „Einhören“ dient, eine Phase, in der er selber noch nicht spricht (silent period) . Er wird in dem Gewirr der verschiedenen Äußerungen auf wiederkehrende Wendungen achten, ihre Wirkung beobach-ten und ihnen versuchsweise bestimmte Bedeutungen zuordnen. Basis dieser ersten globalenSemantisierung ist das Handlungsrezept; also z.B. an der ersten Unbestimmtheitsstelle seinWissen: WENN … (man den Laden betritt), DANN … (grüßt man die Anwesenden). Er wirdbeobachten, was bei dieser Gelegenheit gesagt wird, und der am häufigsten gebrauchtenWendung dieBedeutung „Gruß“ zuweisen. Nur der Ausschnitt aus der Vielzahl sprachlicherWendungen, die auf der gegebenen Wissensbasis semantisiert werden kann, ist lernwirksamerInput für P. V on den Gesprächen, die ohne direkten Situationsbezug in dem Geschäft geführtwerden, profitiert er bis auf weiteres so gut wie gar nicht, da er nichts davon versteht: Nurverständlicher Input (comprehensible input) ist lernwirksam (KRASHEN 1985). Der erste Schritt zum Verstehen ist noch relativ einfach, die Ausgangshypothese wird top down gebildet: Ausgehend vom Rezept, der mentalen Repräsentation des Handlungsplans, also sozusagen „von oben nach unten“, von der Sinnebene „hinab“ zur Sprachebene, wirdder sprachlichen Wendung eine Globalbedeutung zugewiesen. Besteht die sprachliche Wen-dung aus mehreren Lautgruppen, die in verschiedenen Kombinationen auftreten („ein Grau-brot“, „zwei Weißbrote“, „ein halbes Schwarzbrot“), so reicht die Zuweisung einer Global-bedeutung nicht aus. Die sprachliche Wendung muss bottom up („von unten nach oben“), ausgehend von der Sprachebene, analysiert werden. Dabei müssen die bedeutungsunter-scheidenden Laute im Strom der lautlichen Umgebung wahrgenommen (Phonemanalyse) undbezüglich ihrer Gruppierung zu Bedeutungsträgern identifiziert werden (Morphem- undWortanalyse). Dann können diesen Lautgruppen bestimmte Bedeutungen zugeordnet werden(Wort für „Brot“ etc.). Die Wörter gleicher Wortart haben bestimmte Funktionen gemeinsam(„dient zur Bezeichnung von Dingen“). Schließlich werden syntaktische Struktur und Mor-phosyntax aufgefasst („dient zur Mehrzahlbildung“) – das alles geschieht vorbewusst, mehroder weniger simultan und ohne Metasprache (KLEIN 1986: 59 ff.). Wie die mentalen Prozesse im Einzelnen ablaufen, denen die hier beschriebene analytische Leistung entspricht, ist noch weitgehend unbekannt. Für die Konstruktion von Bedeutung imAkt des Verstehens überlagern und ergänzen sich nach dieser Annahme zwei Verarbeitungs-richtungen: top-down -Prozesse (Abruf gespeicherten Wissens) und bottom-up -Prozesse (daten- orientierter Aufbau neuen Wissens). Für die Analyse der Daten bildet P wahrscheinlich aufintuitivem Wege Arbeitshypothesen, die er durch Beobachtung testet. Sobald er die Wörter zuverstehen glaubt, wird er sich selbst an ersten Äußerungen versuchen, zunächst wohl ankurzen Holophrasen (Gruß), später auch an komplexeren Bildungen („zwei Weißbrot“). 25P dürfte bei seinen analytischen Bemühungen von einer typischen Eigenart der Kommunika- tion zwischen Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, Muttersprachlern und Ausländernprofitieren. Wie häufig beobachtet wurde, reagiert die kompetente Seite in asymmetrischenKommunikationssituationen dieser Art mit einem spezifischen tuning der eigenen Äußerun- gen auf die Kommunikationsprobleme des Partners (MÜLLER 1987): Man spricht deutlich,laut, langsam, in kurzen und einfachen Sätzen – oder verfällt gar selber in „Babysprache“(motherese , vgl. NEWPORT 1977) bzw. ins „Gastarbeiterdeutsch“. Auch hier wird sich das Verkaufspersonal im Interesse der besseren Verständigung einfach ausdrücken. Während man beim Zuhören auf Zufälle angewiesen ist, erlaubt das produktive Testen raschere Lernfortschritte: Das Feedback der Umwelt wirkt als selektive Rückmeldung; der „sekundäre Input“ aus solchen Rückmeldungen ist hoch lernwirksam. Wenn P beim Betretendes Ladens „Auf Wiedersehen“ sagt und nur in irritierte Gesichter blickt, wird er aus diesemFeedback gelernt haben, dass die Grußformeln beim Betreten und Verlassen des Ladens nichtaustauschbar sind. Seine Forderung „ein Brot“ könnte die (von einer Hinweisdefinition beglei-tete) Gegenfrage „Weißbrot oder Graubrot?“ auslösen. Erst das produktive Testen in Verbin-dung mit entsprechenden tuning -Prozessen des Kommunikationspartners ermöglicht die schrittweise Verfeinerung der Ausgangshypothesen, deren Elaboration. Die Performanz wirdspontaner, sicherer, flüssiger in dem Maße, wie sich linguale und kontextuelle Informationnach und nach zu einem neuen, zweitsprachlichen Handlungsrezept verdichten, das in derPraxis funktioniert, d.h. keinen negativen Feedback mehr auslöst und zu den gewünschtenResultaten führt. P wird nun dieses Rezept in analogen Situationen (etwa beim Einkauf in anderen Geschäften) testen – oder auch Teile des Rezepts benutzen, um bei anderen Transaktionen analoge Hand-lungsabsichten zu versprachlichen (etwa, um in anderen Kontexten jemanden zu begrüßen,sich zu verabschieden, etwas mittels Hinweisdefinition zu bezeichnen, nach dem Preis zufragen) – oder auf die gelernten Redemittel (z.B. Zahlen, Intonationsfrage) aus anderen Zu-sammenhängen heraus zugreifen. Bei diesem Transfer werden neue Rezepte gebildet, die sich mit dem Ausgangsrezept über- schneiden und modifizierend auf dieses zurückwirken. Bald steht im Ausgangsrezept mehrals eine Sprachhandlungsoption pro Unbestimmtheitsstelle zur Verfügung (z.B. mehr als eineArt zu grüßen …). Mit der Möglichkeit zur Auswahl zwischen alternativen Optionen gewinntdas zunächst sehr starre Rezept zunehmend an Flexibilität. Je nach Handlungsabsicht könnennun bestimmte Retuschen gebildet werden, kann das Rezept an die konkreten Bedingungenangepasst und optimiert werden (P lernt vielleicht, dass junge Leute anders grüßen als ältere,dass man freundlicher bedient wird, wenn man „bitte“ anfügt etc.). Beim Transfer des Rezeptes entstehen erste Formen der Vernetzung und der internen Organi- sation des zweitsprachlich kodierten Wissens – eine neue Qualität der Wissensorganisationalso, mehr als ein bloß additives Nebeneinander unverbundener und jeweils in sich geschlos-sener Handlungsmuster. Außerdem lösen sich die Redemittel aus der Verankerung eines punk-tuellen Handlungsrezeptes (symbolische Verselbstständigung), gewinnen Symbolqualität undwerden damit frei verfügbar: So steht beispielsweise das im Ausgangsrezept erworbene Zahlen-wissen nach einigen gelungenen Transfers situationsabstrakt zur Verfügung; es ist nicht län-ger an die Einkaufssituation gebunden. Sobald P gelernt hat, das Handlungsrezept „Einkauf“ hinreichend flexibel und kommunikativ 26erfolgreich zu handhaben, schwindet das Lernmotiv. P erreicht ein subjektives Lernplateau: Weiterer (auch abweichender) Input ist nicht mehr lernwirksam; eine weitere Elaboration desWissens ist nicht mehr ökologisch valide , nicht mehr hinreichend wichtig und bedeutungs- voll in seiner subjektiven Lebenswelt. P hört auf zu lernen, denn er ist nun in ausreichendemMaße kommunikationsfähig: Seine Performanz ist flüssig (das „Gastarbeiterdeutsch“ wirdhäufig erstaunlich schnell gesprochen) und für seine Gesprächspartner hinreichend verständ-lich und akzeptabel – sie erfüllt ihren Zweck. Sie ist allerdings im formalen Sinne häufigweder richtig noch expressiv. P wird in der Erwerbssituation nur selten sprachbezogenesFeedback in Form von Korrekturen erhalten; und das im Anfangsstadium so hilfreiche tuning erweist sich für den fortgeschrittenen Lerner als Bumerang: Er erhält zu wenig lernwirksamenInput für die weitergehende Elaboration seines Wissens. So sind der Entwicklung von P’s Sprachkönnen Grenzen gesetzt; der Ausdruck ist wenig genau (das erstsprachlich-eigenkulturelle Bezugssystem bleibt dominant), wenig differen-ziert, sprachliche Fehler bleiben unkorrigiert und verfestigen sich („Fossilisierung“): P ent-wickelt jenen Typus eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit, der in der einschlägigen Lite-ratur als „Gastarbeiterdeutsch“ beschrieben worden ist (BARKOWSKI u.a. 1980; KLEIN,DITTMAR 1979; CLAHSEN u.a. 1983). Beschränkt ist nicht nur die Qualität der so erwor-benen Sprachhandlungskompetenz, sondern auch deren Reichweite (der Erwerb transaktionalenWissens steht im V ordergrund) und Quantität: Das Sprachwissen reicht kaum über die unmit-telbar lebenspraktischen Anforderungen hinaus. 3.2.3 Mythos „Zweitsprachenerwerb“ Streng genommen gibt es keine einheitlich beschreibbare Varietät „Gastarbeiterdeutsch“, son-dern eine Vielzahl von Ideolekten, die bestimmte Merkmale gemeinsam haben, sich im Ein-zelnen jedoch stark voneinander unterscheiden. Es ist kaum vorhersagbar, welcher Grad derElaboration des Sprachwissens im Einzelfall erreicht werden wird, wo die individuellen Lern-plateaus liegen werden. Zu unterschiedlich sind die Lernvoraussetzungen, zu wenig ist überden Einfluss einzelner Lernfaktoren im natürlichen Zweitsprachenerwerb und ihr Zusam-menspiel bekannt. Kurz erwähnt seien hier nur einige dieser Faktoren: Umfang des eigenkulturellen und fremd- kulturellen Weltwissens; Einflüsse des formalen Wissens und der formalen Bildung; die Rolledes bewussten Lernens in natürlichen Erwerbsprozessen; die Rolle des Lernalters sowiegeschlechtsspezifische Einflüsse; die Rolle der individuellen Sprachlernbegabung; Einflüsseder Herkunftssprache (fällt Deutsch einem Araber schwerer als einem Franzosen?) und drit-ter Fremdsprachen; der Einfluss der Lernökologie und lebenspraktischer Anforderungen (lerntein ausländischer Student, der sich auf ein Praktikum vorbereitet, schneller/ leichter/ mehr alsein Asylbewerber in der Warteschleife?); die Rolle affektiver Faktoren (Lernmotivation, Inte-resse an der Zielkultur, Bereitschaft zur Integration); der Einfluss der Lerndauer und andererProzessfaktoren (Bereitschaft zum Experiment etc.). Die Liste ist keineswegs vollständig. Ein Blick in die Praxis mag an dieser Stelle aufschlussreich sein. Als Fachbereichsleiter Sprachen einer großstädtischen Volkshochschule war ich mehr als zehn Jahre lang zuständigfür die Beratung von Ausländern und ihre Einstufung in das Kurssystem „Deutsch als Fremd-sprache“. In dieser Zeit habe ich in diesem Teilgebiet wohl mehrere tausend Beratungsgespräche 27geführt und eine ähnliche Zahl mündlicher und schriftlicher Einstufungstests abgenommen. Die Ergebnisse des natürlichen Zweitsprachenerwerbs lassen sich auf keinen gemeinsamenNenner bringen; um die Bandbreite zu verdeutlichen, hier zwei typische Fälle. P. ist Asylbewerber aus Pakistan; er lebt seit etwa zwei Jahren zusammen mit anderen Asyl- bewerbern, vornehmlich Landsleuten, in einem Wohnheim, hat keine Arbeitserlaubnis undwenig Aussicht auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland. Er hat daheim ein wenigEnglisch gelernt und kennt das lateinische Alphabet, besitzt insgesamt aber eher geringeBildungsvoraussetzungen. Deutsch hat er ausschließlich im Zusammenhang lebenspraktischerVollzüge erworben, er besitzt nicht einmal ein zweisprachiges Wörterbuch oder einen Sprach-führer; die Schriftsprache ist ihm fast gänzlich fremd geblieben. Mit seinen Landsleutenkommuniziert er weiterhin in der Erstsprache, bei Behördengängen hilft ein Dolmetscher. Pkann sich in elementarer Weise auf Deutsch verständigen: Er versteht zum Beispiel, wann derSprachkurs beginnt, wo er stattfindet, wieviel er kostet, kann auf Fragen bezüglich Aufent-haltsdauer, Herkunftsland etc. antworten; bei komplexeren Fragen (Warum möchten Sie aneinem Sprachkurs teilnehmen?) muss er passen. P spricht (aus Unsicherheit?) schnell, fastüberhastet, und seine Aussprache ist undeutlich. Dennoch sind seine Äußerungen im gegebe-nen Kontext einigermaßen verständlich, man muss allerdings oft zurückfragen und selbersehr einfach, langsam und deutlich sprechen. Seine Sätze sind sehr fehlerhaft, der Satzbauder deutschen Sprache ist faktisch kaum erkennbar. P erhält die Empfehlung, an einem Inten-sivkurs für Anfänger teilzunehmen. F ist Französin und lebt mit einigen Unterbrechungen ebenfalls seit etwa zwei Jahren in Deutschland; sie hat ihren (deutschen) Partner im Urlaub kennen gelernt und wohnt nun festmit ihm zusammen. Sie besitzt gute Bildungsvoraussetzungen einschließlich Hochschulzu-gangsberechtigung und hat in der Schule drei Fremdsprachen gelernt, darunter auch dreiJahre lang die deutsche Sprache (sie meint allerdings, das habe wohl nicht viel gebracht). IhreDeutschkenntnisse hat sie nach eigenem Bekunden im Wesentlichen praktisch gelernt, jedenfallsbisher keinen Sprachkurs besucht; mit ihrem Partner spricht sie deutsch, der Freundes- undBekanntenkreis spricht deutsch, sie informiert sich aus deutschen Zeitungen, hört Radio,abends wird wohl auch öfter ferngesehen. Sie besitzt einen Sprachführer (den sie „aber nuram Anfang“ gebraucht hat) und ein gutes zweisprachiges Wörterbuch (das sie auch jetzt nochöfter zu Rate zieht). F hat eine gute und flüssige Kommunikationsfähigkeit in der deutschenSprache erworben, die sogar deutlich über den transaktionalen Bereich hinausreicht: Sie kannansatzweise auch über abstraktere Themen sprechen und ihre Meinung ausdrücken. IhreAussprache hat einen deutlichen Akzent, die Kommunikation ist jedoch nicht beeinträchtigt.Sie benutzt meistens kurze Sätze, komplexere Strukturen vermeidet sie; der Satzbau ist (bisauf kleinere Probleme im morphosyntaktischen Bereich) weitgehend korrekt, der Ausdrucknicht immer passend und noch wenig expressiv. F ist selbstkritisch; sie möchte einen Sprach-kurs belegen, weil sie das Gefühl hat, „in letzter Zeit kaum noch Fortschritte“ gemacht zuhaben. Außerdem möchte sie wieder in ihrem Beruf arbeiten und fühlt sich dafür vor allem imschriftsprachlichen Bereich noch nicht ausreichend sicher. Der Einstufungstest bestätigt ihreine Sprachkompetenz etwa entsprechend dem VHS-Zertifikat Deutsch. Sie erhält die Emp-fehlung für einen „Mittelstufenkurs“ und zusätzlich einige Hinweise für gezieltes Selbststu-dium im schriftsprachlichen Bereich. Die Verallgemeinerung von Beobachtungen dieser Art führt zu folgenden Thesen. Der Erfolg des natürlichen Spracherwerbs ist weitgehend abhängig von den individuellen Lernvoraus- 28setzungen, von der Einstellung zur Sprache und Kultur des Gastlandes, von Art und Umfang des lernwirksamen Input, von der ökologischen Validität der Zweitsprache in der Lebensweltdes Lernenden. Der Erwerbsprozess verläuft, gemessen am tatsächlichen Lern- und Übungs-aufwand, wenig effektiv (ähnlich KLEIN 1986: 9). Die Ergebnisse sind ungewiss, sie variie-ren über eine große Bandbreite. Weitere Fortschritte jenseits des durch Erwerbsprozesse spontanerreichten Lernplateaus sind nur auf der Basis bewussten und systematischen Lernens (auto-didaktisch oder im Unterricht) möglich. Jede „Idealisierung“ des Zweitsprachenerwerbs ist also fehl am Platze. Wenn die Ergebnisse von Erwerbsprozessen tatsächlich so unsicher sind, wesentlich von den individuellen V oraus-setzungen und lebenspraktischen Anforderungen abhängen, so liegt wenig Sinn darin, eineUnterrichtsmethodik als Nachahmung des Zweitsprachenerwerbs anzulegen, etwa als NA-TURAL APPROACH im Sinne von KRASHEN/TERRELL (1983) oder ähnlicher Konzep-te (ELLIS 1984, 1990; BUTTARONI, KNAPP, 1988). Dass sich die Bedingungen des natür-lichen Spracherwerbs, wie sie oben am Beispiel einer Erwerbssequenz dargestellt wurden,nicht in den Unterricht importieren lassen, sei hier nur ergänzend angemerkt. Andererseits zeigt die Analyse des natürlichen Zweitsprachenerwerbs, dass Fremdsprachen, wie immer eingeschränkt und unvollständig, durchaus autodidaktisch erlernbar sind. Auchlange nach Abschluss des Erstsprachenerwerbs, bei eher geringen Bildungsvoraussetzungenund unter ungünstigen Lernumständen kann sich der Erwerber offensichtlich auf eine intuiti-ve Sprachlernfähigkeit stützen. Wie kann diese Sprachlernfähigkeit beschrieben, wie kannsie erklärt werden? 3.3 Kognitive Prozesse Gibt es noch keine umfassende Theorie, so nähert sich die Wissenschaft ihrem Objektbereichüblicherweise mit Hilfe von Modellen . Modelle ermöglichen es, die als wesentlich angenom- menen Merkmale eines Wirklichkeitsausschnitts herauszuheben und in ihren Wechselbezie-hungen zu analysieren. Ein Modell kann allgemeiner oder spezieller angelegt werden: DerGrad der Abstraktion richtet sich nach dem Verwendungszweck. Aus der Sicht einer Handlungs-wissenschaft sind Modelle brauchbar, die im Einklang mit der Erfahrung stehen und relativzu den jeweiligen Anforderungen bei minimalem Beschreibungsaufwand optimale Erklärungs-kraft besitzen. Im Fremdsprachenunterricht ging man zunächst von sehr einfachen Lernmodellen aus. Die inneren V orgänge beim Sprachenlernen sind nicht direkt beobachtbar; unser Inneres gleichtinsofern einer black box , in die man nicht hineinblicken kann. Im strengen Sinne empirisch beobachtbar sind immer nur Input und Output , Handlungsimpuls und Reaktion.Hierauf gründet die behavioristische Psychologie, die Sprache als verbal behavior (SKINNER) auf- fasst und entsprechend Sprachlernen als Ausbildung und Festigung von Reiz-Reaktions-Ver-bindungen versteht. Das entsprechende Lernmodell ist sehr ökonomisch: S(timulus) — > (BLACK BOX) — > R(esponse) Dass dieses Modell zwar einfach, aber unzulänglich ist, weil es nicht im Einklang mit derErfahrung steht, ist oft gezeigt worden. Mehrere Aspekte der Behaviorismuskritik sind imgegenwärtigen Zusammenhang interessant. Man kann zwar nicht in die black box hineinse- hen – die Ergebnisse von Introspektion und Retrospektion sind nur begrenzt aussagefähig -, 29aber schon eine flüchtige Analyse der empirisch beobachtbaren Eigenart von Sprachhandlungen erlaubt wichtige Rückschlüsse: •Die black box lernt , d.h. sie bildet Wissen, speichert Wissen und nutzt dieses Wissen für die Verarbeitung neuer Erfahrungen. •Die black box ist intelligent . Sprachenlernen kann nicht widerspruchsfrei als Ausbil- dung von S-R-Verbindungen verstanden werden, weil in der Sprachwirklichkeit ein bestimmter Input nicht notwendig einen bestimmten Output zur Folge hat. Die Zahl dermöglichen Reaktionen auf einen Input ist unbestimmt; anders als bei Lernprozessennicht-intelligenter Lebensformen ist die Reaktion oft abhängig von intelligenten – undwomöglich kreativen – Verarbeitungsprozessen. •Die black box ist produktiv . Sie erzeugt von sich aus Output, der über vorher Gelerntes hinausgeht. Umgekehrt kann ein Output, obwohl er in der gegebenen Form vorher nie dagewesen sein mag, vom Kommunikationspartner gleichwohl verstanden werden.. •Die black box ist nicht nur in der Lage, regelhafte Äußerungen zu verstehen, sondern sie ist in bestimmten Grenzen fehlertolerant : Fehlerhafte Äußerungen bleiben oft dennoch verständlich; Sprachen werden gelernt, obwohl der Input, etwa beim Erst-sprachenerwerb im Elternhaus, weder systematisch noch korrekt sein mag. •Die black box verhält sich in Problemlagen heuristisch und konstruktiv . Steht für einen bestimmten Input kein geeigneter Output zur Verfügung, werden Hypothesen gebildet und getestet. Eine Äußerung wie (What did you do last night?) *I goed to the cinema ist fehlerhaft, allerdings auf eine Art fehlerhaft, die eine aktive Hypothesenbildungvermuten lässt. •Die black box verhält sich selbstregulativ und selbstreflexiv. Mit jeder Handlung wird ein bestimmter Zweck verfolgt; das Handlungsergebnis wird mit Blick auf die Zweck- setzung fortlaufend evaluiert. Tritt das gewünschte Ergebnis nicht ein, so wird einalternativer Handlungsplan gewählt. Steht keine erfolgversprechende Handlungs-alternative zur Verfügung, so werden heuristische Strategien aktiviert. •Die black box passt sich durch Lernen und Vergessen ständig neuen Anforderungen an – nicht blind und intuitiv, sondern kontrolliert und auf Basis bewusster Denkoperationen. Die Erforschung humanspezifischer Lernprozesse verlangt daher Modelle, die im Gegensatz zum Behaviorismus die besonderen Leistungen des menschlichen Geistorgans nicht von vorn-herein ausblenden, sondern diese, trotz der methodischen Probleme, systematisch in die Modell-bildung einbeziehen.Seit der „kognitiven Wende“ der Humanpsychologie ist es üblich, kogni-tive Prozesse in informationstheoretischen Begriffen zu analysieren, das Geistorgan als eineArt „Biocomputer“ anzusehen (GARDNER 1989). Das heißt nicht, dass Mensch und Com-puter gleichgesetzt werden oder dass im Umkehrschluss dem Computer menschliche Züge,Geist und Intelligenz zugebilligt werden. Im Gegenteil: gerade die Kognitionspsychologiekann deutlich machen, dass kognitive Prozesse unendlich viel leistungsfähiger und komple-xer sind als jeder heute vorstellbare Computer. Die Kognitionspsychologie erforscht mit Hilfe informationstheoretischer Kategorien, wie Wissen entsteht, wie es intern repräsentiert, organisiert, aufbewahrt und genutzt wird (zum Folgenden u.a. NORMAN 1982, WESSELS 1984, HÖRMANN 1984, ANDERSON 1985,GAGNÉ 1985, BRANDER, KOMPA, PELTZER 1985, GLOVER, RONNING, BRUNING 301990). Kognitive Prozesse sind nicht direkt beobachtbar – aber man kann versuchen, sie technisch zu simulieren. Die Möglichkeiten einer solchen Simulation stehen zwar erst amAnfang, aber die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, ermöglichen im Rückschluss einvertieftes Verständnis der Eigenart kognitiver Prozesse – ermöglichen neue, aussagefähigereArbeitsmodelle der Kognition. Die Brauchbarkeit dieser Arbeitsmodelle wiederum misst sichdaran, ob sie ökologisch valide sind – ob sie im Einklang mit der Erfahrung stehen und ineinem definierten Anwendungsbereich sinnvolle Handlungsperspektiven öffnen. 3.3.1 Grundannahmen Die hervorstechende Eigenschaft des menschlichen Geistorgans besteht in der Fähigkeit, Wissen zu bilden, Wissen aufzubewahren und Wissen intelligent zu nutzen. In einem forschungslogischüberholten, aber sehr anschaulichen Zugang ist das Geistorgan mit einem Behälter verglichenworden (OERTER, SCHUSTER 1982: 475). Die verschiedenen Abteilungen dieses Behäl-ters können jeweils in bestimmten Zeiteinheiten eine bestimmte Menge an Information auf-nehmen. Die Zahlenverhältnisse lassen sich etwa wie folgt darstellen (nach HASSELHORN1976: 23 ff.). Pro Sekunde werden im Ultrakurzzeitgedächtnis durch die menschlichen Sin- nesorgane mehr als 500 Millionen Bit verarbeitet. Aber altersabhängig können nur etwa 16Bit pro Sekunde bewusst aufgenommen und simultan im Kurzzeitgedächtnis festgehalten werden. Die Information bleibt dort etwa 6 Sekunden gegenwärtig; die durchschnittlicheBewusstseinskapazität umfasst somit etwa 96 Bit. Die Behälter sind nach dieser Annahme altersabhängig verschieden groß: Kleine Menschen haben kleine Behälter, erwachsene Menschen haben große Behälter, alte Menschen haben„durchlässige“ Behälter (vgl. OERTER, SCHUSTER 1982: 475). In Zahlen ausgedrückt,kommt man etwa zu folgenden Verhältnissen: Alter Aufnahme Gegenwartsdauer Bewusstseinskapazität ————————————————————————— 10 J. 12 bit 6 sec. 72 bit 20 J. 16 bit 6 sec. 96 bit 50 J. 12 bit 6 sec. 72 bit 70 J. 8 bit 4 sec. 32 bit Nur ein Bruchteil von dem, was bewusst wird, kann für eine kurze Zeitspanne oder auch längerfristig behalten werden: Das Kurzzeitgedächtnis speichert pro Sekunde etwa 0,7 Bit;die Gedächtnisspanne (also das, was in einem Durchgang behalten werden kann) beträgtetwa sieben Elemente; die Behaltensdauer im Kurzzeitgedächtnis variiert (abhängig von ver-schiedenen Faktoren) von wenigen Minuten bis zu mehreren Tagen. Das Langzeitgedächtnis speichert pro Sekunde nur 0,05 Bit; dafür bleibt die so gespeicherte Information langfristigerhalten. Wir brauchen also für das Einprägen wesentlich mehr Zeit als für die bloße Kennt-nisnahme. Die Unterschiede in der Verarbeitungsgeschwindigkeit erklären sich durch unter-schiedliche bioelektrische und biochemische Prozesse bei der Speicherung von Informationim Kurz- und Langzeitgedächtnis. 31Das menschliche Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen). Jedes Neuron verhält sich wie ein extrem komplexer Mikroprozessor; es kann mit bis zu 10000anderen Neuronen verbunden sein. Insgesamt schätzt man die Anzahl der Neuronen-verbindungen auf 100 Billionen. Nur zum Vergleich: große Parallelrechner verfügen derzeitüber einige tausend vernetzte Prozessoren mit mehreren 100000 Verbindungen. BiologischeSysteme sind ungeheuer komplex: Derzeit wird versucht, weniger die exakten Prozesse derInformationsverarbeitung im Gehirn zu enträtseln als wenigstens die Grundsätze und Arbeits-prinzipien neuronaler Systeme zu verstehen. Jedes Neuron des biologischen Netzes kann Signale empfangen und, bei Überschreiten eines neuronspezifischen Schwellenwertes an den Schaltern (Synapsen), selbst ein spezifisch ge-wichtetes Signal aussenden. Der genaue Mechanismus und die neurophysiologische Kodie-rung dieser Datenkommunikation ist noch weitgehend unbekannt. Das Zusammenspiel dergewichteten Signale in einer Schicht des Netzes ergibt ein bestimmtes Wissensschema . Das erworbene Wissen ist also nicht in einzelnen Neuronen oder Gedächtnisspuren (Engrammen),wie früher oft angenommen wurde, sondern in Schichten des neuronalen Netzes repräsentiert.Das System ist fehlertolerant; d.h. der Ausfall einzelner Neuronen oder bestimmter Regionendes Netzes führt nicht automatisch zu einem totalen blackout , sondern eher nur zu bestimm- ten Ungenauigkeiten des Netzes.Neuronale Netze sind lernfähig , d.h. sie können auf Basis einer Analyse von Ein- und Ausgabewerten Wissensschemata bilden und diese Wissensschematanach Maßgabe einer übergreifenden Zwecksetzung selbstregulativ optimieren. Man versucht, diese besondere Fähigkeit neuronaler Netze zu simulieren. Das Verfahren ist auch für das Verständnis biologischer Prozesse interessant; darum sei eine der möglichenVarianten hier kurz skizziert. Künstliche neuronale Netze werden nicht auf eine bestimmteRelation von Input und Output programmiert: Sie lernen diese Relation – und zwar auf Basiseiner Metaprogrammierung, die die Lernstrategien bestimmt. Sie lernen aus Beispielen, pas-sen sich durch Approximation und kontextsensitive Selbstorganisation der Aufgabenstellungan. Eines der Lernverfahren, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, wird als back- propagation bezeichnet (THOMAS 1990). Vereinfacht lässt sich dieses Verfahren wie folgt beschreiben. Durch die Metaprogrammierung werden bestimmte Ziele vorgegeben, also etwadie gewünschten Ausgabewerte des neuronalen Netzes. Die Eingabewerte werden nun jeweilsim Blick auf die gewünschten Ausgabewerte analysiert und in Form einer Abbildungsregel(eines abstrakten Wissensschemas) approximiert: Auftretende Fehler führen zu Veränderun-gen der Abbildungsregel. Auf diese Weise können neuronale Netze auch unvorhergesehenverfälschte Eingabewerte sinnvoll verarbeiten und nach jeweils einigen Lerndurchgängenkorrekte Ausgabewerte erzeugen. Interessant ist dieses Verfahren beispielsweise bei der Sprach-erkennung, wenn es gilt, die Vielzahl allophoner Repräsentationen eines Lautes bei der Sprach-wahrnehmung auf ihre gemeinsame Phonemqualität zurückzuführen. Der Vergleich von Geistorgan und Wissensbehälter ist unzulänglich. Das Behälter-Modell ist zu statisch; insbesondere kann es nicht erklären, warum sich bei gleicher neurophysiologischerAusstattung, bei gleichem Lebensalter und vergleichbarer Bewusstseinskapazität die indivi-duelle Lernfähigkeit unterscheidet. Eine Antwort wäre vielleicht, dass die Unterschiede imLernvermögen mit der verschiedenen Fähigkeit zusammenhängen, Informationen weiterzu-verarbeiten und abzubauen, mit verschiedenen Abflussgeschwindigkeiten also. Aber dieseAntwort verschiebt nur das Problem, sie ist zirkulär. Interessanter sind hier die kognitivenModelle, die ihre Hypothesen aus der Wirkweise neuronaler Netze ableiten. 32Der Abbau bekannter Informationen geschieht im Wesentlichen vorbewusst durch Vergleich der eingehenden Daten mit vorhandenem Wissen. Je größer also der V orrat an abrufbaremWissen im neuronalen Netz ist, desto schneller erfolgt der vorbewusste Informationsabbauund desto geringer wird das Bewusstsein belastet. Für diesen vorbewussten Informationsab-bau ergänzen sich zwei Verarbeitungsrichtungen: Eingehende Daten werden bottom-up bzw. datenorientiert analysiert, vorhandenes Wissen wird top-down bzw. wissensorientiert zuge- ordnet. Ich komme auf diese Zusammenhänge gleich noch genauer zurück. Interessant ist die Weiterverarbeitung unbekannter Information. Hier liegt die Vermutung nahe, dass Unterschiede im Lernvermögen auf die individuell unterschiedliche Fähigkeit zumEinsatz kognitiver und metakognitiver Strategien zurückzuführen sind. Wer unbekannte In- formation effektiv verarbeiten will, benötigt die Fähigkeit zur Abstraktion wesentlicher Merk-male, zur Bildung von „Superzeichen“ auf Basis dieser Abstraktion, schließlich zur Zusam-menfassung und Bündelung von Superzeichen zu einem Wissensschema. Eine solche Zusam-menfassung und Verdichtung der Information erhöht die Verarbeitungskapazität um ein Viel-faches, da nicht Einzelheiten, sondern Komplexe weiterverarbeitet werden können. Das Prinzip dieser schrittweisen Abstraktionsleistungen haben OERTER/ SCHUSTER (1982: 487) an einem ebenso einfachen wie eindrucksvollen Beispiel dargestellt. Die Gedächtnis-spanne im Kurzzeitgedächtnis beträgt 7 +/- 2 Elemente. Die folgende Abbildung zeigt neunKreise mit spezifisch unterschiedlichen Merkmalen: Schaubild 3.1: Gedächtnisspanne und Bildung von Superzeichen/ 1 Der Versuch, diese Information innerhalb weniger Sekunden mechanisch einzuprägen, dürftedie meisten Menschen an die Grenze ihres Kurzzeitgedächtnisses führen. Wer auf diese Artan der Aufgabe scheitert, wird vielleicht den Einsatz einer anderen kognitiven Strategie fürdas Einprägen in Betracht ziehen. Er wird verschiedene Vorgehensweisen auf ihre Erfolgsaus-sichten prüfen (für diese vergleichenden und bewertenden Denkoperation setzt er metakognitiveStrategien ein) und sich dann dafür entscheiden, das Wesentliche (Position der Striche) vomUnwesentlichen (Anwesenheit der Kreise) zu trennen („Abstraktion“). Wenn er nun die latei-nischen Großbuchstaben kennt („Einsatz von Wissen“) und wiederum die richtige kognitiveStrategie anwendet, wird er möglicherweise die vier Buchstaben W/ I/ N/ D erkennen. DasBehalten von vier isolierten Buchstaben belegt nur noch vier der maximal neun „Leerstellen“im Kurzzeitgedächtnis, bereitet also kaum noch Probleme. Schaubild 3.2: Gedächtnisspanne und Bildung von Superzeichen/ 2WIND 33Wer die Buchstaben erkennt, obendrein die deutsche Sprache beherrscht und erneut die rich- tige kognitive Strategie anwendet, wird die vier isolierten Buchstaben zu einem Wort kombi-nieren können; dieses Wort belegt nur noch eine der neun Leerstellen im Kurzzeitgedächtnis. Schaubild 3.3: Gedächtnisspanne und Bildung von Superzeichen/ 3 Das Beispiel ließe sich fortsetzen, denn natürlich endet das Prinzip der Superzeichenbildungnicht auf der Wortebene. Mit jeder dieser Abstraktionen wird das Kurzzeitgedächtnis weiterentlastet; entsprechend kann in der gleichen Zeiteinheit mehr Information verarbeitet werden.Deutlich wird damit: Die Leistungsfähigkeit des Geistorgans hängt weniger von der neuro-physiologischen Verarbeitungskapazität ab, von der Größe des Behälters, als von der spezifi-schen Art der Informationsverarbeitung und vor allem der subjektiven Verarbeitungstiefe (CRAIK, LOCKHART 1972) im neuronalen Netz, damit indirekt vom individuellen Wissenund der Fähigkeit, problemorientiert geeignete kognitive Strategien für die Kodierung derInformation auszuwählen und einzusetzen. 3.3.2 Die Organisation des Wissens Wie ist es möglich, dass neuronale Netze mit ihren relativ langsamen Bausteinen höchstkomplexe Vorgänge innerhalb kürzester Zeit erfassen? In der reinen Geschwindigkeit sindNeuronen den technischen Halbleiterbausteinen weit unterlegen. Was das Gehirn vom Com-puter jedoch derzeit noch prinzipiell unterscheidet, ist seine Architektur. Computer arbeitenüberwiegend sequenziell ; d.h. die Aufgaben werden in Teilprozesse zerlegt und sukzessive eine nach der anderen abgearbeitet – nach den Steuerimpulsen eines Zentralprozessors undnach einem bestimmten Algorithmus, der die Art der Rechenoperationen festlegt. Erst injüngster Zeit, im Kontext der Forschungen zur künstlichen Intelligenz, interessiert man sichvermehrt wieder für Parallelarchitekturen. Die Parallelarchitektur versucht, die Informations-verarbeitung im neuronalen Netz nachzuempfinden: Die Teilprozesse einer Aufgabe werdenhier nicht sequenziell, sondern parallel bearbeitet – und zwar nicht von nur einer Zentralein- heit, sondern simultan von einer Vielzahl von Prozessoren. Dass die Parallelarchitektur aufdiese Weise auch mit langsamen Bausteinen theoretisch sehr viel schneller zu Lösungen kom-men sollte, liegt auf der Hand; schwierig bleibt allerdings die Steuerung und vor allem dieKoordination der Rechenprozesse. Das menschliche Gehirn arbeitet im Prinzip ähnlich wie ein solcher Parallelrechner. Jede Nervenzelle wirkt wie ein Mikroprozessor, der Informationen selektiv verarbeitet und weiter-leitet. Jedes Neuron ist mit Tausenden von anderen Neuronen verbunden; durch Signale, dieüber die Synapsen kommen, wird es aktiviert. Jede Synapse hat einen eigenen Schwellenwert,bei dem sie ihrerseits Signale weiterleitet, um andere Neuronen zu aktivieren. Diese Signalesind nicht in sich einheitlich aufgebaut wie in der Elektronik; sie werden in den Synapsengezielt gedämpft oder verstärkt und wirken so auf ihre Empfänger ganz verschieden. Milliar-den von Nervenzellen arbeiten in dieser Weise in vollkommener Koordination zusammen;WIND 34weder der genaue bioelektrische und biochemische Mechanismus noch das Steuerungsprinzip dieser Koordination ist bekannt. Bekannt sind die Resultate, der Output biologischer Netze. Wir erkennen ein bekanntes Ge- sicht im Großstadtgewühl unter Tausenden – in Bruchteilen von Sekunden und ohne besonde-re Anstrengung. Ein Raubvogel, der in großer Höhe kreist, sieht eine Maus, obwohl er sichselber bewegt, obwohl sich das Gras bewegt, obwohl sich die Maus bewegt und obwohl dieMaus nur teilweise sichtbar ist. Hinter solchen Wahrnehmungen verbirgt sich ein komplexerProzess der Berechnung von Milliarden von Bildpunkten auf der Netzhaut, der Bewertungder Information, der Inferenz von Handlungsschemata. Einer der heute üblichen sequenziel-len Computer würde für diese Rechnung Stunden oder Tage benötigen (wenn es denn einentsprechendes Programm gäbe). Der Raubvogel braucht nur Bruchteile von Sekunden, umdie Maus zu orten und in den Sturzflug zu gehen. Hinsichtlich der Komplexität der Architek-turen wie hinsichtlich ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit sind Computer der heute mögli-chen Technologie vom biologischen Gehirn immer noch so weit entfernt wie der Faustkeilvon der Raumstation. Die Leistung des menschlichen Geistorgans beruht auf der Netz-Architektur des Gehirns, die eine perfekt koordinierte Parallelverarbeitung von Informationen ermöglicht. Wichtig istweiterhin, dass das Gehirn nicht isolierte Einzelinformationen verarbeitet, sondern kodierte Superzeichen . Wer Information verdichtet, das Wesentliche auffasst und vom Unwesentli- chen trennt, Strukturen abstrahiert und in Begriffen symbolisiert (vgl. Beispiel oben), lerntschneller und effektiver, weil er in der gleichen Zeiteinheit mehr Information verarbeiten kann(mehr Information fließt geordnet ab) und weniger Einzelheiten einprägen muss. Umgekehrtimpliziert eine geringere Verarbeitungstiefe höheren Lern- und Einprägeaufwand, da vieleunstrukturierte Einzelinformationen mit geringem spezifischen Informationsgehalt behaltenwerden müssen. Kodierte Information wird außerdem nicht willkürlich im Langzeitspeicher abgelegt, etwa in der zeitlichen Reihenfolge des Erwerbs, sondern sie wird in eine organisierte Ablage einge- arbeitet. BADDELEY benutzt den eingängigen Vergleich mit der Aufnahme neuer Bücher ineine große Bibliothek. Das Festhalten von Informationen im Gedächtnis gleicht dem Prozessdes Verschlüsselns neuer Bücher (BADDELEY 1986: 103 ff). Um die rasche Auffindbarkeitunter möglichst vielen Aspekten zu sichern, wird die neue Information analysiert, sie wird inbestehende Ordnungsstrukturen einbezogen, es werden Merkmale, Suchbegriffe und Quer-verweise abstrahiert, die Information erhält eine Adresse, ein Etikett, einen Platz im Indexund einen festen Standort. Wird das Buch später gebraucht, so muss man nicht erst Tausendevon Büchern in die Hand nehmen („serielle Durchmusterung“), sondern man kann mit mini-malem Aufwand über verschiedene Indices und die Speicheradresse direkt auf die gesuchteInformation zugreifen („Direktzugriff“). Entsprechend ist es üblich, abhängig vom Grad der Organisation des Wissens und seiner Verfügbarkeit, zwischen dem Abrufgedächtnis und dem Wiedererkennungsgedächtnis zu unterscheiden. Nur auf die höchstorganisierte Information kann direkt, ohne wahrnehmbareVerzögerung, zugegriffen werden. Die Grenzen zwischen Abrufgedächtnis und Wieder-erkennungsgedächtnis sind fließend. Das Abrufgedächtnis passt sich kontinuierlich durchLernen und Vergessen wechselnden lebenspraktischen Anforderungen an; nur ökologisch va-lide Information bleibt längerfristig im Abrufgedächtnis. Was in der subjektiven Lebenswelt 35nicht (mehr) wichtig ist oder nicht ständig benötigt wird, sinkt ins Wiedererkennungsgedächtnis ab, wird aus dem Präsenzbestand der Bibliothek in fernere Regionen ausgelagert. Der Vergleich des Geistorgans mit einer Bibliothek ist noch aus einem weiteren Grund auf- schlussreich. Je feiner ein Sachgebiet gegliedert ist, je ausgefeilter die Ordnungsprinzipien,desto einfacher und schneller ist die Integration neuer Information möglich. Fehlen solcheOrdnungsprinzipien, etwa weil ein neues Sachgebiet erschlossen werden soll, so ist die Auf-gabe des Bibliothekars viel aufwendiger. Entsprechend gilt allgemein: Je mehr man von einerSache weiß, desto besser kann man lernen und behalten. Der Schachmeister kann sich ohneMühe ganze Partien merken, der Anfänger kaum zwei oder drei Züge. Der Fußballfan „sieht“strategische Spielzüge seiner Mannschaft und kann sie noch nach Stunden abrufen und erör-tern; wer das Spiel nicht kennt, erlebt ein unstrukturiertes Chaos von Einzelaktionen. Der Satz vom Wissen gilt auch umgekehrt: Wer wenig weiß, kann entsprechend schlechter lernen und behalten. Kleine Kinder verfügen in vielen Bereichen weder über abrufbares Wis-sen noch über geeignete Organisationsprinzipien für neue Informationen; entsprechend ge-ring ist vorerst ihre aktive Denk- und Gedächtnisleistung. V or ähnlichen Problemen stehenunbeschulte Erwachsene und Analphabeten: Während ihr mechanisches Lernvermögen undihre Wiedererkennungsleistung meist kaum abweicht, verharrt die aktive Denk- und Gedächtnis-leistung auf einem Stand ähnlich dem von V orschulkindern. Es fehlt an Anknüpfungspunktenim Abrufgedächtnis, es fehlt an kognitiven Strategien für die Tiefenverarbeitung, vor allemfehlt die ordnende Hand der Metakognition , der Einfluss jener steuernden, regulierenden und kontrollierenden Instanz im Hintergrund des Bewusstseins. 3.3.3 Die Repräsentation des Wissens Ebenso interessant wie umstritten ist die Frage, wie man sich die mentale Repräsentation desWissens vorstellen könnte. Zunächst darf man die Begriffe „mentale Repräsentation“ und„neurophysiologischer Ort“ nicht verwechseln. Etwa durch die Messung von Hirnströmenund die Auswertung bestimmter Sprachstörungen kann man die Verteilung des Wissens überHirnhemisphären und -regionen lokalisieren und auch feststellen, welche Regionen bei be-stimmten sprachlichen Operationen beteiligt sind. Allerdings ist die neurophysiologische„Ortung“ des Wissens angesichts der Vernetzung des Biosystems und der fast simultanenInformationsverarbeitung in Parallelarchitekturen aus lernpsychologischer Sicht ziemlichuninteressant. Die unterrichtspraktischen Folgerungen, die aus solchen Ortungen gezogenwerden, beruhen in den meisten Fällen auf vordergründigen Behältermodellen und mechanis-tischen Missverständnissen nach dem Motto: „Wenn zwei Regionen beteiligt sind, muss dasja wohl mehr bringen, als wenn nur eine Region lernt.“ Mit der „mentalen Repräsentation“ des Wissens ist also weder der bioelektrisch/ biochemi- sche Kode der Informationsverarbeitung im Gehirn (das Transportsystem der Bibliothek)noch der neurophysiologische Ort in der Hirngeographie gemeint (die Verteilung der Stell-flächen in der Gebäudearchitektur der Bibliothek), sondern die spezifische Art des internenInformationsmanagements (das Ordnungs- und Benutzungssystem der Bibliothek). Man hat die Spezifik der mentalen Repräsentation des Wissens in vielen Begriffen einzufan- gen versucht: Manche Lernpsychologen sprechen im Anschluss an BARTLETT (1932) auch 36heute noch von „Schemata“; in neueren Modellen spricht man, jeweils mit unterschiedlichen kognitionspsychologischen Implikationen, von frames , scripts , von „Szenarien“ oder „Re- zepten“. Ich schließe mich hier der Terminologie von WETTLER (1980) an und verwendedie komplementären Begriffe Rezept und Retusche zur Beschreibung der Wissensreprä- sentation. Ein Rezept (der Terminus darf nicht mit dem entsprechenden Alltagsbegriff ver-wechselt werden!) ist als eine mentale Handlungsanweisung zu verstehen, als eine interneAnleitung, hereinkommende Information auf spezifische Art auf gespeicherte Information(oft: gespeicherte Handlungspläne) zu beziehen. WEINERT beschreibt die mentale Funktionsolcher Rezepte (er nennt sie „subjektive Theorien“) auf sehr eingängige Weise: Der größte Teil unseres (Alltags-)Wissens ist nicht in Form elementarer Informations- einheiten gespeichert, sondern in einer Ordnung, die man als ‘subjektive Theorien’ bezeich-nen kann. Gemeint ist damit, dass die mentale Organisation des Wissens im Dienste der Orientierung des menschlichen Handelns steht. Ähnlich wie wissenschaftliche Modelle erlauben auch subjektive (oder „naive“) Theorien mehr oder minder zutreffende Urteiledarüber, warum etwas so ist wie es ist, und sie erlauben zugleich die Bildung von Hypothe- sen darüber, was getan werden muss, um etwas in gewünschter Weise zu beeinflussen oder zu verändern. Subjektive Theorien sind also erkenntnis- und handlungsleitendeOrdnungssysteme des individuellen Wissens.“ (WEINERT 1986: 104) Die unterschiedlichen Implikationen der Terminologien lassen sich am Beispiel des Jagd- schemas eines Raubvogels verdeutlichen. Auch der Raubvogel, der eine Maus jagt, benutztein (genetisch angelegtes) Wissensschema: Er bewertet die visuelle Information und ergänztTeilinformationen (die Maus mag im Gras nicht vollständig sichtbar sein) durch Inferenz despassenden Schemas. Die induzierte Handlung verläuft jedoch „schematisch“ (nicht intelli-gent), enthält keine Wahl- und Bewertungsprozesse, keine aktive oder kreative Retuschen-bildung. Würde der Raubvogel durch einen Unfall seine Flugfähigkeit einbüßen, wäre erunfähig, sein primäres Jagdschema durch Lernprozesse den neuen Erfordernissen anzupas-sen – er müsste kläglich umkommen. Auch Menschen reagieren zuweilen schematisch; imZusammenhang der Sprechtätigkeit sind solche starren Reaktionen allerdings eher die Aus-nahme. Ein humanpsychologisches Modell kognitiver Prozesse lässt sich auf solche Ausnah-men nicht gründen. Wissensrezepte steuern die Informationsverarbeitung, sie ermöglichen die Reduktion von Kom- plexität, sie stellen Handlungsvorlagen bereit. Dennoch sind Rezepte weniger statisch aufge-baut als etwa das Jagdschema des Raubvogels. Rezepte können Unbestimmtheitsstellen enthalten; diese Unbestimmtheitsstellen werden vom Handlungssubjekt jeweils aktiv ausge-füllt. Oft gibt es dabei mehrere Möglichkeiten, die bewertet werden müssen und zwischendenen gewählt werden kann. Das heißt, das Handlungssubjekt trifft im Blick auf das Handlungs-ziel und die konkreten Umstände eine intelligente Wahl im Spektrum der Handlungsalter- nativen. Ein differenziertes Rezept enthält ein breites Optionenspektrum in den Entscheidungs-punkten, ein undifferenziertes Rezept lässt dem Handlungssubjekt – ähnlich wie das Jagd-schema dem Raubvogel – wenig Entscheidungsspielraum. Dazu ein Beispiel (modifiziert nach HALLIDAY 1973: 73 ff.; vgl. auch VIELAU 1980: 353 ff. und VIELAU 1988: 20 ff.): Ein kleiner Junge hat beim Spielen einen Gegenstand mitge-nommen, der ihm nicht gehört. Seine Mutter bemerkt das, als er damit nach Hause kommt.Sie möchte ihm ihre Missbilligung ausdrücken und verhindern, dass er es noch einmal tut.Wie also könnte die Mutter reagieren? Es gibt viele Möglichkeiten, jede davon mit eigenenVoraussetzungen und Implikationen. Sie könnte außersprachlich reagieren, z.B. mit einer 37Ohrfeige. Sie könnte sich vielleicht auch für eine der folgenden Sprechoptionen entscheiden: Hinter diesen Äußerungen verbirgt sich ein breitgefächertes Optionenspektrum: Schaubild 4: Spektrum der Handlungsoptionen in der Beispielsituation Jede der Handlungsoptionen kann sprachlich verschieden ausgedrückt werden; die hier vor- geschlagenen Äußerungen sind jeweils nur Beispiele zur Veranschaulichung der Möglichkei-ten. Ein bestimmter Ausschnitt aus diesem Alternativenspektrum, so vielleicht die Optionen„Mißbilligung“ und „Drohung“, kennzeichnet das im entsprechenden Wissensrezept der Mutterabgelegte subjektive Handlungspotenzial. Sie füllt die Unbestimmtheit, indem sie sich unterBerücksichtigung von Situation und Handlungsziel für eine dieser beiden Optionen entschei-det – und dann vielleicht so etwas Ähnliches wie in Satz 2 sagt. Allgemein besteht eine Handlung aus den folgenden Elementen. Am Anfang steht die Orien- tierung: Sie reagiert auf den Handlungsanlass und enthält eine Vorstellung des Handlungs-1. Das war aber sehr unartig von Dir! 2. Wenn Du das noch einmal tust, haue ich Dir eine runter!3. Bitte tu so etwas nie wieder!4. Das gehört Dir nicht! Du kannst das doch nicht einfach mitnehmen!5. Dein Vater wäre aber sehr wütend, wenn er das wüsste!6. Du hast Mama jetzt aber sehr traurig gemacht. Das hätte ich wirklich nicht von Dir erwartet! 7. Das ist verboten! Tu das nie wieder!8. Das sage ich Papa!9. So etwas tut man nicht! Merk Dir das! ( … ) 38ziels. Durch Rezeptabruf und Auswahl einer bestimmten Handlungsoption aus dem Spek- trum der gegebenen Möglichkeiten, eventuell auch durch aktive Neubildung, wird ein Hand-lungsplan festgelegt. Im Handlungsprozess erfolgt die Feinanpassung an den Adressaten (etwadurch Optimierung der Wortwahl). Prozess und Handlungsergebnis unterliegen der Handlungs-kontrolle: Erweist sich der Handlungsplan als ungeeignet im Blick auf das Handlungsziel,muss die Situation neu analysiert und ein anderer Plan verfolgt werden. Die Mutter ist bei der Verfolgung ihres Handlungsziels nicht an ein bestimmtes Wissens- rezept gebunden. Empfindet sie in der gegebenen Konstellation keine der ihr bisher geläufi-gen Optionen als erfolgversprechend im Sinne des Handlungsziels, so wird sie etwas Neuesversuchen, sie wird eine Retusche bilden. Eine Retusche ergänzt und modifiziert ein bestehendes Wissensrezept. Die Prozesse, die die Retuschenbildung steuern, sind sehr komplex; ich kom-me im späteren Zusammenhang auf dieses Problem zurück. Die Vorstellung, dass das menschliche Wissen in Rezepten gespeichert ist, die erfahrungs- geleitet retuschiert werden, erlaubt interessante Folgerungen. Für die Informationsverarbeitungim Geistorgan überlagern sich nach dieser Hypothese zwei Verarbeitungsrichtungen: DieAnalyse der Sinnesdaten ( bottom-up -Verarbeitung) wird ergänzt durch gegenläufigen Wissens- abruf ( top-down -Prozesse). Je mehr Vorinformation vorliegt, je früher das zu den Sinnes- daten passende Rezept identifiziert ist, desto zügiger und effektiver kann die Informationweiterverarbeitet werden. Advance organizers (AUSUBEL 1963) sind deshalb so wirksam, weil sie eine rasche Zuordnung des passenden Rezeptes erlauben. Das einmal aktivierte Re-zept steuert dann mehr und mehr die Informationsverarbeitung: Informationslücken werdengeschlossen, Fehler werden korrigiert, kleinere Inkonsistenzen werden überspielt. Die Auf-merksamkeit richtet sich speziell auf die Retuschen (was ist neu/ anders/ unerwartet?), diezum Rezept gehörende Information wird inferiert. Das hier beschriebene kognitive Prinzip der wissensgeleiteten Verarbeitung von Information ist seit BARTLETT in zahlreichen Versuchsanordnungen geprüft und bestätigt worden. Nureinige besonders interessante Aspekte, die sich von diesem allgemeinen Prinzip ableiten, sol-len hier noch kurz erwähnt werden. So effektiv und ökonomisch die Informationsverarbeitung auf Basis bestehender Wissens- rezepte sein mag – sie hat auch ihre Nachteile. Vor-Urteile, falsche Vorinformation, Unauf-merksamkeit o.ä. können zur Aktivierung eines falschen Wissensrezeptes führen, das danndie (Fehl)Steuerung der Informationsverarbeitung übernimmt. Missverständnisse sind ent-sprechend häufig darauf zurückzuführen, dass ein anderes als das richtige bzw. vom Ge-sprächspartner intendierte Rezept aufgerufen wird. Ähnliche Probleme können bei aktivenGedächtnisleistungen auftreten: Vor Gericht stellt sich bei Zeugenvernehmungen die Frage,ob sich etwas tatsächlich so ereignet hat, wie es der Zeuge schildert, oder ob die Ereignisseaktiv rekonstruiert werden, der Zeuge subjektive Unbestimmtheitsstellen und Erinnerungs-lücken auf Basis von inferiertem Wissen schließt. In vielen Fällen ist das Erinnern eher alsaktives Rekonstruieren auf Basis eines früher erworbenen Wissens zu verstehen, denn alsoriginärer Abruf detailgetreu gespeicherter Einzelinformationen. Den Inhalt einer Rede, diewir verstanden haben, können wir in ihrem wesentlichen Aussagegehalt (nicht jedoch in deneinzelnen Formulierungen) mühelos rekonstruieren. V on einer Rede über ein Fachgebiet, vondem wir nichts verstehen, bleibt dagegen kaum etwas haften. Entsprechend schlecht arbeitetunser Gedächtnis, wenn für die Verarbeitung des Input kein Wissensrezept zur Verfügung 39steht: Je sinnloser, detailhafter und unverbundener etwas für uns ist, je weniger wir uns auf die Information „einen Reim machen können“, desto schneller und gründlicher wird dieseInformation wieder vergessen. An Einzelheiten von einem V ortrag, den wir verstehen, behal-ten wir immer nur die Retuschen, also das, was der Redner an interessanten und neuen As-pekten einbringt; die Basisinformation wird inferiert (d.h. auf Grundlage eines Rezeptabrufsrekonstruiert). Dieses Prinzip des (aktiven und selektiven) Intake erklärt, warum wir be- stimmte Informationen, zu denen wir den richtigen Zugang haben, sehr speicherökonomischund ohne bewusstes Einprägen aufnehmen und behalten können. Der Unterschied zwischendem Input, also der Information, die über die Sinne aufgenommen wird, und dem Intake,jener Informationsanteile, die auf Basis des V orwissens aktiv für das Behalten ausgewähltund hochselektiv weiterverarbeitet werden, liefert aus kognitionspsychologischer Sicht denSchlüssel zur Analyse und zum Verständnis humanspezifischer Lern- und Behaltensprozesse. Es ist üblich, die Schwierigkeit eines Textes an bestimmten Merkmalen der Textoberfläche festzumachen: an der Zahl der unbekannten Wörter, an Gliederungsmerkmalen, am Grad derPrägnanz und Stimulanz eines Textes (SCHULZ VON THUN 1981). Aus kognitions-psychologischer Sicht ist die subjektiv erreichbare Verarbeitungstiefe jedoch viel wichtiger: Eine Information ist subjektiv immer dann zu schwierig, wenn dem Zuhörer Anknüpfungs-punkte fehlen, wenn ihm keine oder nur undifferenzierte Wissensrezepte zur Einordnung undInterpretation der eingehenden Daten zur Verfügung stehen. Die Daten haben in diesem Fallekeine innere Bindung und Kohärenz: Er kann nicht aktiv und selektiv zuhören, sondern müss-te mehr oder weniger alles behalten. Für mechanisches Behalten dieser Art sind wir jedochschlecht gerüstet. Ohne aufwendiges Memorieren sind solche unorganisierten Informationenschnell wieder vergessen. Einer Rede, die wir inhaltlich nicht verstehen, können wir darum oft schon nach wenigen Sätzen nicht mehr folgen. Viele Studenten machen diese Erfahrung, wenn sie zum ersten Maleine Vorlesung besuchen und dort etwas mitschreiben wollen. Flüssiges Mitdenken und Mit-schreiben ist nur möglich, wenn vorrangig top-down verarbeitet werden kann, wenn für die Weiterverarbeitung auf entsprechende (vorher gebildete) Rezepte zurückgegriffen werdenkann. Dieses Wissen soll jedoch in der Vorlesung erst entstehen – ein kleiner Teufelskreis also!Fehlen die Anknüpfungspunkte für die top-down Verarbeitung, so sind wir im Grenzfall auf die Kapazität des mechanischen Kurzzeitgedächtnisses beschränkt, d.h. auf etwa sieben Ele-mente. Und das reicht (abhängig von der individuellen Fähigkeit zur Superzeichenbildung)vielfach kaum aus, um einen einzigen schwierigen Fachbegriff aufzufassen und zu Papier zubringen. Eine Information ist verständlich, wenn wir uns für die Interpretation auf ein passendes Wissens- rezept stützen können. Allerdings wird eine Information, die lediglich bekannte Rezepte ab-ruft und bestätigt, nicht unbedingt als interessant empfunden. Interessant wird eine Informa-tion erst, wenn der Text in hinreichendem Maße Retuschen enthält. Der Zuhörer kann voneinem solchen Text lernen, d.h. er kann ein bestehendes Rezept verändern ( Akkomodation des Rezeptes) oder weiter ausdifferenzieren, d.h. das Optionenspektrum in den Entscheidungs-punkten erweitern ( Assimilation neuer Information). Ähnliches gilt für einen Text, der meh- rere Interpretationen zulässt: Dem Rezipienten stellt sich das Problem, zwischen verschiede-nen Rezepten wählen und sich für eine „Lesart“ entscheiden zu müssen. Jede dieser Möglich-keiten fordert ihn zu aktiven Verarbeitungsleistungen heraus, zum Füllen der Unbestimmt-heit, zur Erweiterung des bisher geläufigen Optionenspektrums, zum geistigen Experimentie- 40ren mit neuen Lesarten. Ein in diesem Sinne „interessanter“ Text ergänzt, erweitert, differen- ziert also bestehendes Wissen und fordert Phantasie und Kreativität. Das in Rezepten gespeicherte aktive Wissen wird durch Lernprozesse aufgebaut. Es unter- liegt kontinuierlichen Veränderungen gemäß den aktuellen lebenspraktischen Anforderungen:Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Daseinsbewältigung nicht mehr gebraucht werden,werden vergessen (sie treten in den Hintergrund, stehen nicht mehr für den aktiven Abruf zurVerfügung); andere, lebenspraktisch wichtigere Verbindungen werden aktiviert, rücken inden V ordergrund. Die Verfassung des Abrufgedächtnisses ist ein Spiegel dessen, was aktuellin der subjektiven Lebenswelt valide ist: Lernen und Vergessen unterliegen dem Prinzip derökologischen Validität. Die Altersforschung liefert interessante Belege für die Wirkungen dieses Prinzips. Ein wich- tiger Einschnitt liegt z.B. in der Pubertät (etwa ab dem 12. Lebensjahr): V or allem die Einstel-lung zu Lernprozessen ändert sich in diesem Lebensabschnitt. Gegenüber der naiven Sponta-neität und fast universellen Neugier des Kindes wird dem Lernprozess hier sozusagen einhöherer Affektivfilter vorgeschaltet. Getragen von einem neuen, noch ungefestigten Selbst-wertgefühl und einer neuen Akzentuierung der Interessen, gewinnen und verlieren bestimmteLerngegenstände an subjektiver Validität, erhöht sich andererseits die Scheu vor persönlicherEntwertung, vor Misserfolg und Blamage. Auch der vermeintliche Leistungsabfall des Lern- und Behaltensvermögens im Alter wird heute eher als ein Problem der ökologischen Validität der Lerngegenstände gesehen (OERTER,SCHUSTER 1982). Objektiv lässt das Lern- und Behaltensvermögen auch im Alter kaumnach: Denn in vielen Bereichen kann der Nachteil einer geringeren Bewusstseinskapazitätdurch den V orteil größeren Wissens und differenzierterer Organisation des Wissens mehr alsausgeglichen werden. Probleme gibt es insbesondere dort, wo nicht auf vorhandene Rezeptezurückgegriffen werden kann, beim mechanischen Lernen oder bei der Einarbeitung in neueSachgebiete. Hier wirken sich die neurophysiologischen Faktoren (geringere Zuflussge-schwindigkeit, geringere Gegenwartsdauer, geringere Bewusstseinskapazität) stärker aus, esmuss in kleineren Portionen gelernt werden. Das wirkliche Problem scheint jedoch eher ineiner Veränderung von Neugierverhalten und Lernbereitschaft zu liegen: Die Lebenswelt bie-tet aus der Sicht des Lernsubjekts im Alter weniger valide Lernanreize. Nicht das Gedächtnisan sich, der Behälter also, sondern eher die metakognitiven Strategien des Einprägens undAbrufens sind dem Wandel unterworfen. 3.3.4 Die Entstehung des Wissens: Ein Beispiel Die Wissensrezepte, die ein Mensch bildet, aufbewahrt und für den Abruf bereithält, sindalso gleichsam „geronnene Erfahrung“, Spiegel der subjektiven Lebenswelt. Jedes dieserRezepte beinhaltet abhängig von den Bedingungen der Entstehung und lebenspraktischenFunktion einen Inhalts-, Handlungs- und Beziehungsaspekt; jeder Lernprozess und jede Er-fahrung kann entsprechend hinsichtlich ihrer ideationalen, operativen und affektiven Kompo-nente analysiert werden. Gehen wir von einem Beispiel aus. Ein Tennisspieler lernt den grundsätzlichen Bewegungs- ablauf anfangs vielleicht eher intuitiv durch praktisches Ausprobieren. Dabei hilft es, wenner Handlungswissen von anderen Ballsportarten inferieren kann. Nehmen wir an, der Anfän- 41ger hat erste Erfolge. Er macht weiter, erwirbt gewisse spielpraktische Fertigkeiten und ent- wickelt eine positive Einstellung zu dem Spiel. Mit anderen Worten, der Tennisspieler hat einerstes Handlungsrezept in Sachen Tennis gebildet. Er hat ein bestimmtes (vorwiegend impli-zites) inhaltliches Wissen über das Spiel erworben (Inhaltsaspekt); er weiß, wie er sich bewe-gen muss, um den Ball erfolgreich zu schlagen (Handlungsaspekt); und er hat Freude an demSpiel gefunden (Beziehungsaspekt). Irgendwann wird er nun vielleicht ehrgeiziger, will womöglich in Turnieren spielen. Um seine Technik zu verbessern, wendet er sich an einen Trainer. Der Trainer erklärt ihm, worauf erbeim Spielen achten muss. Dieses explizite Tenniswissen, das der Trainer vermittelt, bedeu- tet nicht, dass darum gleich auch die Spieltechnik besser wird, dass das vorher gebildeteHandlungsrezept sich gewissermaßen von selber dem neuen Wissensstand anpasst. Auchwenn der Spieler die Regeln und Anweisungen, die ihm der Trainer gibt, auswendig lernenwürde, selbst die Kenntnis ganzer „Tennisgrammatiken“ würde ihn spielpraktisch um nichtsbesser stellen. Die neuen Bewegungsabläufe müssen praktisch erarbeitet und eingeübt wer-den; das heißt, der Spieler muss sich sein neues Handlungsrezept auf der Grundlage dereigenen Fähigkeiten selbst konstruieren , die verbesserten Bewegungsabläufe durch Übungs- prozesse stabilisieren und automatisieren. Abhängig von vielen Faktoren wird dies dem einenSpieler besser, dem anderen weniger gut gelingen. Selbst eine Erklärung des Trainers, die exakt verstanden wird, bedeutet daher nicht, dass das Handlungsrezept in analoger Weise profitiert; sprich: dass der praktische Bewegungsablaufanders und besser wird (denn sonst wären wir alle binnen kurzem kleine Tennisweltmeister).Wissen und Können sind zweierlei; die entsprechenden Rezepte entstehen auf verschiedenenWegen. Eine verstandene Erklärung bewirkt zunächst nur, dass die Fremdsteuerung des (äu-ßeren) Lehrers durch die Selbstkontrolle des „inneren Lehrers“ ersetzt werden kann. DerSpieler weiß nun auch ohne Hilfe von außen, wie er es eigentlich anfangen müsste und was erfalsch macht – ob ihm freilich auf Basis dieses Wissens der verbesserte Bewegungsablaufauch praktisch gelingt, steht auf einem anderen Blatt. Das Handlungsrezept wird nach eineminneren Lehrplan gebildet, der weder von dem äußeren noch von dem inneren Lehrer auf direktem Wege beeinflusst werden kann: Abhängig von vielen Faktoren konstruiert sich jedesLernsubjekt letztlich sein eigenes Handlungsrezept. (Das ist der Grund, warum kein Tennis-spieler so spielt wie der andere.) Wissen kann nicht „vermittelt“ werden – es wird vom Lernenden aktiv erworben („konstru- iert“). Wie das Tennis-Rezept im Einzelnen beschaffen ist, welche mentale Realität es hat, inwelchem Kode es sich im neuronalen Netz abbildet, kann niemand sagen. Die technischeSimulation könnte zwar zeigen, dass ein solches Rezept sehr komplex und leistungsfähig ist;eine wirklich aussagefähige Simulation ist auf Basis der aktuellen Computertechnik nochnicht möglich. Obwohl das explizite Wissen, das der Trainer vermittelt, also keinen direkten Einfluss auf den inneren Lehrplan hat, ist es eine wichtig Hilfe. Denn dieses Wissen hat metakognitive Funktion: Es steuert, kontrolliert, überwacht den Lernprozess. Der Spieler weiß nun, woraufer achten muss, welche Fehler er macht, woran er arbeiten muss, welche Übungsstrategienfür ihn nützlich sind. Übungsstrategien sind lernbar, und es gibt ein großes Spektrum solcherStrategien; jeder Spieler trifft für sich eine Auswahl. Erst durch die richtige Auswahl undKombination dieser Strategien wird ein wirklich gezieltes (und daher auch effektives) Trai- 42ning möglich. Je mehr der Spieler also über das Spiel weiß, je besser er seine eigene Spielwei- se versteht, desto größer die Chancen für erfolgreiches Lernen. Für die meisten Spieler ist diebewusste Kontrolle der Übungshandlungen eine wichtige Voraussetzung für ihre spielpraktischeWeiterentwicklung. Es gibt zwar Bewegungstalente, die auch ohne Trainer und ohne gezieltesTraining zu einer fast perfekten Spieltechnik kommen – aber solche Talente sind selten. Ohnebewusstes Training stagnieren die meisten Spieler nach einiger Zeit in ihrer Entwicklung; sieerreichen ihr persönliches Lernplateau – und machen unverdrossen immer wieder die gleichenFehler. Es fehlt eine kritische metakognitive Instanz, die den Lernprozess weitergehend kon-trolliert und analysiert, Fehler markiert, zum Experimentieren anregt, angemessene Übungs-strategien auswählt: Es fehlt der innere Lehrer . Die bewusste Kontrolle wird im Training schrittweise abgebaut in dem Maße, wie sich der neu erworbene Bewegungsablauf stabilisiert und automatisiert. Im Ergebnis des Lernprozes-ses hat der Spieler ein qualitativ höherwertiges Handlungsrezept gebildet: Er weiß mehr überdas Spiel, kann die eigene Spielweise in Ansätzen analysieren (das Wissen steht ihm nun auchexplizit in Form bestimmter Fachbegriffe zur Verfügung, die er vom Trainer gelernt hat); erkann besser und erfolgreicher spielen; und vielleicht hat sich im Prozess des Lernens auch inseiner Einstellung zum Tennisspielen einiges verändert. Er wird nun zunehmend eigene Wegeausprobieren, sich womöglich für einen anderen Trainer oder für eine neue Trainingsmethodeentscheiden (Einsatz der Metakognition zur Selbstregulation). Je mehr er trainiert, je wichti-ger das Spiel für ihn wird, je ehrgeiziger er seine Ziele setzt, desto mehr verändert sich wahr-scheinlich auch seine Einstellung zum Spiel … Fassen wir die Beobachtungen aus diesem Beispiel zusammen. Jedes Rezept enthält in einer bestimmten Gewichtung eine ideationale Komponente (ein bestimmtes inhaltliches Wissen), eine operative Komponente (ein bestimmtes Handlungswissen) und eine affektive Kompo- nente (einen Gefühlswert). Teile dieses Wissens können explizite Form und ggf. metakognitiveFunktion haben. Die Gewichtung zwischen den Komponenten ist fließend; sie hängt von derArt des Lernprozesses und der lebenspraktischen Funktion des Rezeptes ab. So wird etwa dieideationale Komponente des Tennis-Rezepts in der Lebenswelt des Trainers ein höheres Ge-wicht haben als in der des Hobby-Spielers – dem es womöglich ausreicht, wenn er die Spiel-regeln kennt und irgendwie den Ball trifft. Wissensrezepte können jeweils in Richtung einerder Komponenten akzentuiert sein; es fällt jedoch schwer, sich nur-ideationales Wissen (sinn-lose Silben/ Kreuzworträtsel/ Vokabellisten?) oder entsprechend nur-operatives oder nur-af-fektives Wissen vorzustellen. Wie vor allem J.S.BRUNER in vielen Versuchsanordnungen gezeigt hat, hängt die Art und Gewichtung der Wissensrepräsentation entscheidend vom Lernmodus ab. Überwiegend prak- tisches Lernen (learning by doing) führt danach zur Ausbildung operativ akzentuierter Wissens- rezepte; sprachlich betontes Lernen (symbolic learning) entsprechend zu einer ideationalen oder womöglich metakognitiven Akzentuierung (BRUNER 1974). Dieser Zusammenhang ist uns auch vom Alltag her geläufig. Niemand käme auf den Gedan- ken, dass allein das Studium der Bedienungsanleitung eines Fahrzeugs schon die praktischeBefähigung zum Autofahren vermittelt. Umgekehrt wird auch der erfahrene Autofahrer gerneinen Blick in die Bedienungsanleitung werfen, bevor er sich an das Steuer eines neuen Wa-gens setzt. Die übliche Gegenüberstellung von Wissen und Können ist irreführend: JedesKönnen hat einen Inhalt und enthält zumindest implizit eine ideationale Komponente. Und 43umgekehrt: Ein vertieftes Wissen über einen Gegenstandsbereich verbessert die Chancen für weiteren Könnenszuwachs oft ganz erheblich. Die Grenzen sind fließend, die Akzente könnensich im Laufe eines Lernprozesses mehrfach verschieben (je nachdem, ob ein Problem eherpraktisch oder eher theoretisch angegangen wird, welche Einstellung der Lerner jeweils hatund welche Erfahrungen er macht). Es steht daher im Gegensatz zur Erfahrung, es ist wenig erklärungsökonomisch und es ist angesichts der Netzstruktur des neuronalen Systems obendrein wenig plausibel, wenn in derLernpsychologie mit dichotomischen Modellen gearbeitet wird, wenn „getrennte Wissens-typen“ angenommen werden, zwischen denen keine Verbindung existiere ( non-interface -Hy- pothese). Die Unterscheidung zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen, die gernevorgenommen wird (vgl. ELLIS 1990), betont eher die Endpunkte eines Kontinuums (sieheauch GLOVER u.a. 1990). Eine dichotomische Gegenüberstellung von Wissen und Könnenist deshalb nicht unproblematisch, weil sie in den praktischen Konsequenzen leicht zu einemEntweder-Oder wird. Der dynamische und ganzheitliche Charakter der Wissensrepräsentationgerät dann aus dem Blickfeld, und es wächst die Neigung zu einseitigen Lernmodellen undeinseitigen Lehr- und Lernempfehlungen. 3.4 Ein Arbeitsmodell des Fremdsprachenlernens Sprachwissen ist aus kognitionspsychologischer Sicht ein Wissen wie jedes andere: Es wirddurch Lernprozesse gebildet, in (sehr komplexen, wechselseitig vernetzten) Rezepten abge-legt, beim Sprechen abgerufen und für aktuelle Handlungszusammenhänge ausgewertet undgenutzt. Der Umfang und die Zusammensetzung des abrufbaren Sprachwissens verändertsich kontinuierlich durch Prozesse des Lernens und Vergessens in Abhängigkeit von den indi-viduellen kommunikativen Bedürfnissen: Jeder Sprecher verfügt über einen persönlichenIdeolekt . Der Ideolekt eines kompetenten Sprechers überschneidet sich mehr oder weniger ausgeprägt mit (regionalen) Dialekten , (schichtspezifischen) Soziolekten , (fachsprachlichen) Registern und beinhaltet in jedem Falle einen großen Anteil der (nicht-markierten) Standard- sprache . Wenn wir eine Fremdsprache lernen, bilden wir ebenfalls Sprachwissen. Während der erst- sprachliche Ideolekt uns eine im Wesentlichen ungestörte Teilhabe an allen ökologisch vali-den Kommunikationsprozessen ermöglicht, ist der zweitsprachliche Ideolekt zumeist, abhän-gig vom Stand des Lernens, weniger leistungsfähig. Zur Kennzeichnung der spezifischenÜbergangskompetenz, die dem aktuellen Sprachstand in der Fremdsprache entspricht, wirdüblicherweise von einer „Lernersprache“ (interlanguage) gesprochen (SELINKER 1972, CORDER 1981, SWAN, SMITH 1987, VOGEL 1990). Die Lernersprache repräsentiert einSprachwissen in statu nascendi ; ein Sprachwissen, das hinsichtlich Angemessenheit, Rich- tigkeit, Expressivität und Flüssigkeit noch bestimmte Defizite aufweist, die unter Umständendie Kommunikation stören. Die inneren V orgänge beim Sprechen einer Fremdsprache lassensich wie folgt veranschaulichen: 44Ausgangspunkt ist ein bestimmter Input (sprachlich und/ oder außersprachlich), der über die Sinne aufgenommen wird. Nehmen wir in Anlehnung an ein früheres Beispiel an, Sprecher B,selbst nicht Engländer, würde in London von einem Unbekannten (A) wie folgt auf der Straßeangesprochen: A: „Excuse me! … To Buckingham Palace?“ Die Sinnesdaten durchlaufen zunächst in B’s Ultrakurzzeitgedächtnis einen Inputfilter, indem die Informationen einer Art Vorauswahl unterzogen werden. Alles, was aus subjektiverSicht potenziell bedeutungslos oder unwichtig ist (zum Beispiel Störgeräusche), wird so bereitsam Eingang ausgefiltert; nur ein Bruchteil der eingehenden Information (im Schaubild „CI“für comprehensible input) kommt für die Weiterverarbeitung in Betracht. Bezöge B die An- rede nicht auf sich oder hätte er keine Englischkenntnisse, würde die Kommunikation schonan dieser Stelle abbrechen. Die potenziell bedeutungsvolle Information wird im Kurzzeitgedächtnis weiter verarbeitet, den Sinnesdaten wird eine Interpretation zugeordnet. Das Kurzzeitgedächtnis wirkt dabeiähnlich wie ein Datenpuffer im Computer: Die einzelnen Informationselemente verblassenrasch und ermöglichen so dem Organismus, kontinuierlich neue Daten nachzuladen und mitdem sprachlich/ außersprachlichen Datenfluss Schritt zu halten. Das Verblassen der Infor-mation kann durch eine bewusste Konzentration der Aufmerksamkeit auf bestimmte Elemen-te verlangsamt werden. Damit würde dann allerdings der Datenfluss gestört; die folgendenDaten gingen verloren, der Datenpuffer flösse über. Die Sinnesdaten können nur dann geordnet und verzögerungsfrei verarbeitet werden, wenn für ihre Interpretation auf gespeichertes Wissen zurückgegriffen werden kann – hier also aufdie in der Lernersprache abgelegten Rezepte. Das Zusammenspiel der entsprechenden bottom- up und top-down Prozesse ist ausführlich beschrieben worden. Der dicke Pfeil im Schaubild soll den Vorrang der wissensgeleiteten Verarbeitungsrichtung signalisieren: Die eingehendeInformation wird, nachdem der Rezeptabruf gelungen ist, nur noch global und hochselektivim Blick auf die Retuschen ausgewertet; das inferierte Rezept wird zum primären Träger derInformation. Auch unvollständiger oder verfälschter Input kann auf diese Weise sinngemäßweiterverarbeitet werden. Im Beispiel wird die Frage verstanden, weil im gegebenen Situations-kontext der Rezeptaufruf trotz der sehr verkürzten sprachlichen Botschaft gelingt. Nur dieSchaubild 5: Sprachverarbeitung 45Retusche (Buckingham Palace) muss streng datenorientiert aufgenommen und für eine er- folgreiche Kommunikation notfalls durch Rückfrage abgeklärt werden. Das vom Sprecher B aktualisierte Rezept (Bitte um Wegbeschreibung) enthält ein bestimm- tes Spektrum an Handlungsoptionen. Je nachdem, wie er die Information interpretiert undwie er sie intellektuell und gefühlsmäßig bewertet, wird er sich für eine der möglichen Hand-lungen entscheiden. Nehmen wir an, Sprecher B wäre schlecht gelaunt; er empfindet dieFrage vielleicht als zu kurz. Die Bewertung im Affektivfilter fällt entsprechend ungünstigaus. Auch eine Nulloption wäre in diesem Falle eine denkbare Antwort: A’s Bitte um eineWegbeschreibung bliebe unbeantwortet. Bei positiver Bewertung im Affektivfilter wird sich Sprecher B – vorausgesetzt, das entspre- chende Weltwissen steht zur Verfügung (Wissensabruf) – gewiss eher für eine sprachlicheOption entscheiden, für eine Wegbeschreibung. Die betreffende Sprechintention (SI) erhältim Outputfilter ihre endgültige sprachliche Form, wobei sich Sprecher B, selber kein Mutter-sprachler des Englischen, bei der Planung der sprachlichen Äußerung auf die entsprechendenRessourcen seiner interlanguage stützt: Er setzt bestimmte Abrufstrategien ein, um geeigne- te Redemittel auszuwählen, und sucht sich dabei zugleich nach besten Kräften auf seinenGesprächspartner einzustellen. Stößt er bei der Versprachlichung seines Sprechplans auf Pro-bleme, so wird er sich für bestimmte „Enkodierungsstrategien“ entscheiden (Paraphrasenschwieriger Ausdrücke, sprachliche Umwege etc.), um seine Botschaft dennoch zu übermit-teln. Den Output wird er außersprachlich durch Körpersprache, Mimik und Gestik unterma-len. Der Gesamtprozess unterliegt der Kontrolle der Metakognition: Bleibt B’s Erklärungunverstanden, so wird er sich möglicherweise für eine andere Handlungsoption entscheiden. Das Beispiel geht von der Annahme aus, dass der Rezeptabruf gelingt. In vielen Fällen wird die Zuordnung eines passenden Rezeptes jedoch auf Schwierigkeiten stoßen, weil die Lerner-sprache ein solches Rezept nicht, nur teilweise oder zu wenig differenziert bereithält. In die-sen Fällen muss gelernt werden; ein neues Wissensrezept wird gebildet oder ein bestehendes wird modifiziert. Ein wichtiger Unterschied zwischen Sprachanwendung und Sprachlernenkann hier schon vorweggenommen werden: Sprachanwendung beruht auf dem Vorrang dertop-down Prozesse (gelingender Rezeptabruf), Sprachlernen auf dem V orrang der bottom-up Verarbeitung (datenorientierter Aufbau neuer Rezepte). Lernhandlungen haben allgemein das Ziel, die Lebenswelt zu kontrollieren, bestehende Un- bestimmtheit aufzuhellen, mögliche Gefahren zu reduzieren. Der Organismus stellt sich aufBasis einer genetischen Vorprogrammierung mit den lebenswichtigen Grundfunktionen durchLernhandlungen in einer ständigen Feinanpassung auf die wechselnden Anforderungen seinerLebenswelt ein. Es gibt drei wichtige Voraussetzungen für Lernhandlungen: Motivation undLernbereitschaft, einen aus subjektiver Sicht potenziell verständlichen Input und die Fähig-keit des Geistorgans, sich auf diesen Input „einen Reim zu machen“, den Sinnesdaten eineInterpretation (eine Bedeutung) zuzuordnen. Bei vielen Lerngegenständen erschließt sich die Bedeutung nicht direkt aus den Daten der sinnlichen Wahrnehmung; und schon gar nicht ist dies bei sprachlichen Botschaften der Fall.Die sinnliche Wahrnehmung liefert hier (neben der kontextuellen Information) stets nur Lauteoder Schriftzeichen; die dahinterliegende Bedeutung muss sich das Lernsubjekt selber kon-struieren. Im Prinzip verläuft dieser Konstruktionsprozess vermutlich nach einem einfachenMuster. Kann die Lernersprache keine passenden Interpretationen bereitstellen (weil das ent- 46sprechende Wissen fehlt), so müssen zunächst Hypothesen gebildet werden. Diese Hypothe- sen steuern versuchsweise die Interpretation der Daten. Solange die Interpretation aus derSicht des Lernsubjekts nicht befriedigt (weil die Kommunikation nicht oder nicht in jedemFalle erfolgreich ist), muss die Hypothese verändert und verbessert werden. Der Impuls zurVeränderung ergibt sich als Feedback der Praxis; die Hypothese wird getestet und elabo- riert . In dem Prozess des Testens verdichtet sich die Hypothese, je öfter sie erfolgreich abge- rufen werden kann, zu einem funktionstüchtigen, flexibel abrufbereiten Rezept. Der Lernpro-zess ist mit dem Intake eines neuen Wissensrezepts erfolgreich abgeschlossen. 3.4.1 Der innere Lehrplan Sehr wichtig für ein vertieftes Verständnis von Lernprozessen ist die Frage, wie das Lern- subjekt bei der Bildung seiner Hypothesen vorgeht. Niemand kann sagen, wie die entspre-chenden mentalen Prozesse genau und im Einzelnen ablaufen; wir müssen solche Prozessetheoretisch erschließen. Gemessen an Beobachtungsdaten und am Denkansatz der Kognitions-wissenschaft sind einige dieser Annahmen mehr, andere weniger plausibel. Zwei dieser weni-ger plausiblen Theorien seien zunächst kurz angesprochen. Man könnte annehmen, dass das Lernsubjekt seine Hypothesen überwiegend empirisch nach dem Prinzip „Versuch-und-Irrtum“ durch induktive Generalisierung bildet. Diese Annahmeist wenig wahrscheinlich, wenn man sich den Output von Sprachlernern genauer ansieht. DerOutput ist oft reicher als der Input; er enthält Bildungen, die entsprechend nicht im Inputenthalten waren. So imitiert der Output eines Kindes beim Erstsprachenerwerb nicht aufdirektem Wege die Erwachsenensprache; das Kind konstruiert sich eine eigene Sprachwelt,die sich erst nach und nach den Konventionen der Erwachsenensprache annähert. Ein solcherOutput kann daher nicht allein durch induktive Generalisierung erklärt werden. Ein deutliches Indiz liefert auch die Fehleranalyse. Jeder Praktiker weiß, dass bestimmte Fehler typisch sind und sich unabhängig von Lerner und Input wiederholen. Fehler dieser Artwerden nicht imitiert, sondern sie werden vom Lerner produziert; sie verweisen auf (unvoll-ständige) Regelbildungen im Lernerbewusstsein. Die meisten Fehler deuten nicht auf einblindes Probieren nach dem Zufallsprinzip, sondern eher auf die Anwendung bestimmterkognitiver Strategien. Der Satz *Three womans are sitting at the table enthält z.B. einen Fehler, der die Übergeneralisierung einer (an sich richtig aufgefassten) Sprachkonventionvermuten lässt. Die Hypothese, die wahrscheinlich hinter dieser Bildung steht, kann dahernicht als ein Produkt blinden Ratens verstanden werden. Ähnlich verfehlt ist die Annahme, man könne dem Lernsubjekt die Hypothese von außen vorgeben – etwa in Form einer Erklärung des Lehrers oder durch die Regelformulierung einerGrammatik. Man muss hier zwischen äußerem und innerem Lehrplan unterscheiden: Lern-wirksam ist nur der innere Lehrplan – also das, was der Lerner dem äußeren Lehrplan (Input)bewusst oder unbewusst entnimmt und für den eigenen Lernprozess nutzbar macht (Intake).Das heißt nicht, dass äußere Faktoren keine Rolle spielen oder dass sie unwichtig sind – wieim Rahmen streng konstruktivistischer Lerntheorien zuweilen vermutet wird (WOLFF 1994,dazu auch WENDT 1996). Ohne passenden Input und ohne geeignete Rückmeldungen zurQualität der gebildeten Hypothesen würde dem inneren Lehrplan die Basis entzogen. Ent-sprechend stellen sich Eltern beim Erstsprachenerwerb unbewusst auf ihre Kinder ein: Die 48Merkmale der Information werden abstrahiert und schrittweise (Zeichen, Wort, Satz, Text) zu Bedeutungskomplexen zusammengefasst (Superzeichenbildung); das Ergebnis wird impraktischen Gebrauch getestet und elaboriert. Keine dieser Operationen erfolgt blind; nachder Logik, nach der eine Ratte im Labyrinth ihr Futter sucht, würde kein Mensch jemals eineSprache erlernen. Zur Steuerung der geistigen Operationen bei der Datenverarbeitung (Ana-lyse, Abstraktion und Klassifizierung, Generalisierung und Symbolisierung, Synthese, Testund Elaboration etc.) werden kognitive Strategien eingesetzt. Der Lernende kann sich dabeiim Prinzip auf zwei wichtige Ressourcen für die bottom-up Verarbeitung stützen: auf intuiti- ve und auf bewusste Lernstrategien. Die Beobachtung des kindlichen Erstsprachenerwerbs wie des natürlichen Zweitsprachen- erwerbs legt die Vermutung nahe, dass jeder Mensch beim Sprachenlernen auf ein bestimm-tes, angeborenes Spracherwerbspotenzial zugreifen kann (WODE 1988). Dieses Sprach-erwerbspotenzial ist personspezifisch als eine feste Größe, vergleichbar vielleicht dem ROM-Speicher eines Computers, im Organismus angelegt; es wird intuitiv beim Spracherwerbeingesetzt, ist bewusster Reflexion nicht zugängig und wahrscheinlich durch Lernprozessenicht beeinflussbar. Ein Kind lernt die Erstsprache zugleich planvoll und ungeplant: DerErwerbsprozess folgt der intuitiven Logik eines intern vorgegebenen Lernplans. Dieser intu-itive Lernplan ist recht leistungsfähig: Jedes normalbegabte Kind erwirbt die Grundlagen derErstsprache ohne Hilfe eines pädagogisch geschulten Lehrers und ohne bewusste Lern-anstrengungen etwa in Form memorierenden Einprägens; selbst ein in Teilen fehlerhafterInput (bei geringer Sprachkompetenz der Eltern) kann den Erwerb nicht verhindern. Andererseits dürfen die Möglichkeiten dieses intuitiven Lernplans nicht überschätzt werden: Der Erwerb der Schriftsprache oder die Ausbildung einer differenzierten Sprachhandlungs-kompetenz sind auf diesem Wege kaum denkbar. Wird der intuitive Lernplan nicht früheroder später durch bewusstes und kontrolliertes Lernen ergänzt (durch einen Lehrplan also), so stagniert der Spracherwerb personabhängig irgendwo in der Nähe des durchschnittlichenSprachhandlungsniveaus eines Vorschulkindes oder unbeschulten Erwachsenen. Wäre esanders, so könnte man auf Schulen und ein öffentliches Bildungssystem verzichten. Über den Status des angeborenen Lernplans ist nicht erst seit CHOMSKYs Annahme eines language acquisition device (LAD) viel spekuliert worden (vgl. z.B. ZIMMER 1986); die Suche nach einer überzeugenden Version der angeborenen Universalgrammatik bzw. einerinterlingual nachweisbaren natural sequence beim Spracherwerb dauert an (ELLIS 1990: 34). Weniger verpflichtend dürfte die Annahme sein, dass nicht bestimmte grammatischeAnweisungen angeboren sind, sondern eher nur ein Grundinventar abstrakter Verarbeitungs-strategien (O’MALLEY, CHAMOT 1990), vielleicht in dem Sinne, wie KLEIN (1986) voneinem internen „Sprachprozessor“ spricht. Aus unterrichtspraktischer Sicht ist der psycho-linguistische Status des angeborenen Lernplans weniger bedeutsam – solange man akzeptiert,dass Sprachen immer auch auf intuitivem Wege nach einem angeborenen Steuerungsprinziperworben werden. Sobald der Stand der kognitiven Entwicklung es zulässt, werden intuitive Erwerbsprozesse ergänzt und überlagert durch Prozesse des aktiven und bewussten Lernens. Kaum ein Kon- zept der Lerntheorie wird so häufig und so grundsätzlich missverstanden wie das Prinzip desbewussten Lernens. So wird hier häufig vom „Kognitivieren“ oder vom „kognitiven Lernen“gesprochen (was wenig sinnvoll ist, da jede Form des Sprachlernens kognitive Prozesse im- 49pliziert); bewusstes Lernen wird häufig auch mit verbalem Lernen oder den Erklärungen einer Lehrperson gleichgesetzt; und es wird kaum zwischen kognitiven und metakognitivenProzessen unterschieden. Was also ist unter „bewusstem Lernen“ zu verstehen? Das menschliche Bewusstsein, also die Tatsache, dass ein Ereignis subjektive Erlebnisqualität gewinnt, ist neurophysiologisch noch nicht erklärbar. Man kann lernende neuronale Netzenachbilden, man kann sich vorstellen, wie komplexe Handlungsrezepte in Datenpuffern undneuronalen Schichten gespeichert und abgerufen werden (CALVIN 1989), aber man hat kaumeine Erklärung dafür, wie es möglich ist, dass solche Systeme subjektiv erleben , was sie tun. Der Computer, der beim Anschalten mit gepflegter Frauenstimme „Guten Morgen“ sagt,empfindet dabei ebenso wenig wie die Zeitschaltuhr, die den Backofen einschaltet. „Bewusst-sein“ kann beim heutigen Wissensstand nur mit psychologischen Verfahren erforscht undbeschrieben werden. Noch einmal kurz zurück zu einem früheren Beispiel. Ein Tennisspieler bemerkt, dass seine Rückhand nicht richtig „kommt“. Er weiß vom Training her, woran es liegen könnte undprobiert nun bewusst bestimmte Lösungen aus (eine andere Griffhaltung, flachere Schläger-führung, frühere Ausholbewegung, früherer Treffpunkt …). Der Lernende stößt auf ein Pro-blem, richtet seine Aufmerksamkeit auf dieses Problem und sucht eine Lösung, indem ersubjektiv plausible Lösungsmöglichkeiten ausprobiert. Dass alle Schritte eines solchen Pro-zesses in verbal geplanter Form durchlaufen werden, dürfte eher die Ausnahme sein. Den-noch muss man hier von einer bewussten Handlung sprechen: Ein Problem rückt in denV ordergrund der Aufmerksamkeit, es wird zwischen verschiedenen Optionen ausgewählt undes wird geplant und kontrolliert an der Lösung des Problems gearbeitet. Das Beispiel macht deutlich: Wichtig für das Konzept des bewussten Lernens sind Aufmerk- samkeitsfokus und aktive Planung , weniger der Aspekt der Verbalisierung oder gar der Aspekt der Explikation. Man kann einem Lernenden von außen her nichts „bewusstmachen“,denn jede Erklärung ist immer nur Teil des äußeren Lehrplans; sie ist nützlich oder unnütz indem Maße, wie es dem Lernenden gelingt, die Erklärung für die eigene Planung und Handlungs-steuerung auszuwerten (und auf dieser Basis dann womöglich selber etwas „bewusst zu ma-chen“). Nur der innere Plan steuert letztlich den Lernprozess. Ein weiterer Aspekt unterscheidet bewusste und unbewusste (intuitive) Lernprozesse. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Sachverhalt konzentrieren, wie es beimbewussten Lernen der Fall ist, so stellt dies eine hohe Beanspruchung der kognitiven Res-sourcen dar. Man kann gleichzeitig die Zeitung lesen, die Nachrichten im Fernsehen verfol-gen und ein beiläufiges Gespräch führen (geteilte Aufmerksamkeit). Fesselt jedoch ein inter-essanter Aspekt in einem der drei Medien unsere Aufmerksamkeit, so verblasst die simultaneInformation fast schlagartig: Je interessanter, problemhaltiger, attraktiver eine Sache für unsist, desto mehr bündeln wir unsere Aufmerksamkeit – und desto geringer sind die kognitivenRessourcen, die für andere Prozesse zur Verfügung stehen. Die meisten höheren Lernprozesse beruhen auf bewusstem Lernen: Es ist die leistungsfähigs- te und phylogenetisch höchstentwickelte Lernform überhaupt. Allerdings stellt bewusstesLernen hohe Anforderungen an die kognitiven Ressourcen: Es ist nicht möglich, die Auf-merksamkeit gleichzeitig auf zwei (oder noch mehr) subjektiv schwierige Sachverhalte zukonzentrieren. Im Vorgriff sei schon hier festgehalten: Während intuitives Lernen auf Paral-lelverarbeitung beruht, der Input also simultan und ganzheitlich erfolgen kann, haben be- 50wusste Lernprozesse primär sequenziellen Charakter: Die Schwierigkeiten müssen isoliert, in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht und schrittweise „abgearbeitet“ werden. Fordert man eine Lerngruppe auf, einen Text zu einem bestimmten Thema in der Fremdspra- che zu schreiben, so wird diese Aufgabenstellung ohne geeignete methodische Hilfen diekognitiven Ressourcen schwächerer Lerner überlasten: Denn der Schreibende steht vor(mindestens) zwei subjektiv schwierigen Aufgaben zugleich, der inhaltlichen Planung desTextes und der fremdsprachlichen Formulierung. Nur einem dieser Probleme kann er dievolle Aufmerksamkeit widmen. Meist leidet die inhaltliche Planung, da der Lerner sich unbe-wusst stärker auf die vermeintlich größere Schwierigkeit der fremdsprachlichen Formulie-rungen konzentriert. Eine sinnvolle methodische Hilfe müsste die Aufgabe also prozessualerleichtern, z.B. die inhaltliche Planung des Textes vorentlasten oder ein sprachlichesHandlungsgeländer anbieten, an dem sich der Lernende mit seinen Formulierungen entlang-hangeln kann. Auf die hier angedeuteten Fragen aus der Methodik des Schreibens komme ichspäter zurück. In dem Maße, in dem eine bewusst eingeübte Handlung mit zunehmender Automatisierung subjektiv nicht mehr als schwierig empfunden wird, eine entsprechende Handlungsroutine gebildet ist, wird die bewusste Kontrolle abgebaut; die Handlungsroutine beansprucht diekognitiven Ressourcen nur noch in geringem Maße. Die frei werdenden Ressourcen stehendem Biocomputer nun wieder für ein breiteres Multitasking zur Verfügung. Die schrittweiseÜberführung bewusster (speicherintensiver) Lernhandlungen in automatisierte (speicher-extensive) Handlungsroutinen ist daher eine universale kognitive Gesetzmäßigkeit, die letztlichmit Speicherökonomie bzw. dem Prinzip der ökonomischen Allokation kognitiver Ressour- cen erklärt werden kann (WESSELS 1984: 96 ff.). Die in der Literatur oft gestellte Frage, ob bewusstes Lernen den Spracherwerb fördert oder behindert (TÖNSHOFF 1990, WOLFF 1993, HECHT 1994), ist meines Ermessens eher einterminologisch bedingtes Scheinproblem. Flüssiger Sprachgebrauch setzt mentale Parallel-verarbeitung, damit die Existenz entsprechender Teilroutinen, zwingend voraus. Solange be-stimmte Teilhandlungen zuviel Aufmerksamkeit beanspruchen, ist ein flüssiger Sprachge-brauch nicht möglich. Umgekehrt sagt diese Beobachtung aber wenig oder nichts darüberaus, welcher Lernweg am besten zur Bildung dieser Handlungsroutinen führt. Wird etwas Neues als schwierig/ wichtig/ spannend empfunden, so kommt es fast automatisch zu einerFokusbildung und damit zu bewusstem Lernen. Insofern ist bewusstes Lernen als human-spezifisch leistungsfähigste Lernform faktisch kaum zu vermeiden – schon gar nicht in struk-turierten Lernsituationen. Solche „bewussten“ Lernphasen sind schon beim Spracherwerbvon Kleinkindern zu beobachten – ohne dass dadurch der Lernprozess beeinträchtigt würde. Neben dem Abruf von gespeichertem Wissen und dem datenorientierten Konstruieren neuen Wissens steht dem Fremdsprachenlerner potenziell eine dritte wichtige Systemressource desGeistorgans zur Verfügung: seine Metakognition . Was der äußere Lehrer für den äußeren Lehrplan leistet, das bewirkt im Idealfall die Metakognition als innerer Lehrer für den inne-ren Lehrplan. Die Metakognition steuert, überwacht und kontrolliert die Lernprozesse; siemodelliert die Aufmerksamkeit und ermöglicht eine flexible Anpassung der Lernstrategien anLernziele und Ressourcen; sie erlaubt die Reflexion der Wirksamkeit alternativer Handlungs-strategien und deren Optimierung. Erst der Einsatz metakognitiver Prozesse befähigt denmenschlichen Organismus zu einer flexiblen Selbstregulation. 51Diese kurze Skizze der Leistungen der Metakognition zeigt eigentlich schon, dass hier eher von einem Potenzial des Geistorgans als von einer universal verfügbaren Ressource gespro-chen werden kann. Zwar funktionieren bestimmte metakognitive Prozesse auch unbewusst:Wenn wir auf einem Wege nicht zum Ziel kommen, versuchen wir es vielleicht auf eineandere Art, ohne uns über Ursachen und Folgen lange den Kopf zu zerbrechen. Qualifiziertemetakognitive Prozesse setzen jedoch ein höheres Verarbeitungsniveau voraus: Die Fähig-keit, bewusst über die eigene Tätigkeit nachzudenken, alternative Wege zu erfinden und zuerproben, Fehler zu bemerken und sich selber zu korrigieren, ist keinesfalls eine angeboreneSelbstverständlichkeit, sondern eine anspruchsvolle intellektuelle Leistung. Die metakognitiven Fähigkeiten werden durch unser Bildungssystem oft noch zu wenig ge- fördert: Die Hilflosigkeit vieler Erwachsener in der Weiterbildung, die Orientierungsproblemevieler Schulabgänger beim Beginn ihres Studiums sind typische Ergebnisse eines Bildungs-wesens, das viel Wert auf die Außensteuerung von Lernprozessen, auf das Memorieren, aufErklärung und Vermittlung, auf Fremdkontrollen und Zensuren legt, das selbstbestimmte undselbstkontrollierte Lernen (autonomes Lernen) jedoch kaum fördert. Wer später in eigenerVerantwortung weiterlernen will, muss also zunächst „das Lernen lernen“, um sich aus dererworbenen Abhängigkeit von äußeren Steuerungsinstanzen zu lösen. Der innere Lehrer mussin solchen Fällen durch spezielle Lernprozesse für seine Aufgaben erst qualifiziert werden. Autonomes Lernen ohne ein Mindestmaß an metakognitiver Kompetenz ist unmöglich: Für eine begrenzte Zeit ist die Außensteuerung des Lernens in vielen Fällen daher ebenso notwen-dig wie legitim. Andererseits wird der äußere Lehrer überflüssig, sobald der innere Lehrer inder Lage ist, den Prozess qualifiziert in die eigene Regie zu übernehmen. Wie schon in derEinleitung gesagt: Fremdsprachenlernen ist lebenslanges Lernen; wenn also ein Lernprozessnicht zugleich auch die Fähigkeit des Lernenden zum autonomen Weiterlernen entwickelt, sosteht der Sinn des ganzen Unternehmens in Frage. Auf die methodischen Möglichkeiten zurFörderung des metakognitiven Lernens komme ich später zurück. Der kognitionspsychologische Denkansatz legt die Vermutung nahe, dass beim Fremdsprachen- lernen wie bei anderen humanspezifischen Lernprozessen im Prinzip alle verfügbaren Lern-ressourcen beteiligt sind: Motivation und Einstellungen, die innere Bibliothek (Wissen), dergenetisch vorgegebene Lernplan, der innere Lehrplan (intuitive und bewusste Lernprozesse),der innere Lehrer (Metakognition). Alle Ressourcen wirken bei der Hypothesenbildung mit -allerdings keineswegs in gleicher Gewichtung. So wie im kindlichen Erstsprachenerwerb eherder angeborene Lernplan dominiert, werden die höheren sprachlichen Fähigkeiten (Schrift-sprache) vermehrt durch bewusstes Lernen gebildet. Umgekehrt können auch beim bewuss-ten, aktiven Lernen intuitive Erwerbsprozesse eine Rolle spielen. Die Übergänge sind flie-ßend. Die These von der flexiblen Allokation der kognitiven Ressourcen erklärt ebenso ökono- misch wie zwanglos viele Aspekte des Fremdsprachenlernens: die individuellen Unterschiedeim Lernvermögen; den Einfluss der Erstsprache und potenzieller Drittfremdsprachen; denEinfluss des kognitiven Entwicklungsstandes, der Lernerfahrung und des Weltwissens; dieTatsache, dass es aus subjektiver Sicht „leichte“ und „schwere“ Fremdsprachen gibt; indivi-duelle Unterschiede beim Auftreten bestimmter Fehlertypen; nicht zuletzt auch bestimmteÄhnlichkeiten im Verlauf vorwiegend intuitiv gesteuerter Lernprozesse (Erstsprachenerwerb,natürlicher Zweitsprachenerwerb). 52Nur am Rande sei hier erwähnt, dass der Akt der Hypothesenbildung in der Spracherwerbs- forschung oft einseitig als Ergebnis intuitiver Erwerbsprozesse verstanden wird (z.B.KRASHEN 1981, 1983, 1985; WODE 1988; FELIX 1982). Häufig geht diese Forschungdann allerdings vom kindlichen Erstsprachenerwerb aus – wo ja naturgemäß die Wissens-komponente, bewusstes Lernen oder gar die Metakognition eine geringere Rolle spielen. Dadie Erstsprache unter einzigartigen und nicht wiederholbaren Bedingungen erworben wird,können entsprechende Beobachtungen jedoch nur bedingt auf spätere Lernprozesse übertra-gen werden. Auch für die weitergehende Annahme, dass es beim Sprachenlernen keine Über-gänge zwischen intuitivem Erwerb und bewusstem Lernen gäbe ( non-interface Hypothese), sehe ich keine Begründung oder Plausibilität. Das Zusammenspiel bewusster und unbewuss-ter Faktoren ist aus allen humanspezifischen Lernbereichen so gut gesichert (auch im kindli-chen Erstsprachenerwerb gut zu beobachten), dass nichts zu der Vermutung veranlasst, dassdas Fremdsprachenlernen vom Prinzip her anders abläuft; dass „getrennte Lernsysteme“ fürexplizites und implizites Wissen (ELLIS 1990: 184 ff.) wirksam sind, dass es getrennteBehaltenssysteme für deklaratives und prozedurales Wissen gibt (O’MALLEY , CHAMOT1990) oder dass unterschiedliche Lernsysteme miteinander konkurrieren (FELIX 1982). Die häufig weit auseinanderliegenden Ergebnisse von Fremdsprachenunterricht und natürli- chem Zweitsprachenerwerb, auf die in diesem Zusammenhang Bezug genommen wird, ver-weisen also weniger auf eine dichotomische Eigenart der Kognition als auf andersartige Erfah-rungszusammenhänge bei der Konstruktion des Wissens: auf den Zeitfaktor, auf die geringe-re ökologische Validität der Lerngegenstände im Unterricht, auf metasprachlich akzentuierteÜbungsmethoden, auf fehlende Übungsdichte. Ich komme auf diese Fragen zurück. 3.4.2 Fremdsprachenlernstrategien und Lernertypen Der Erstsprachenerwerb ist, zumindest was den Erwerb einer elementaren Kommunikations-fähigkeit angeht, phylogenetisch angelegt; er beschreibt eine entwicklungspsychologischeNotwendigkeit . Jedes normalbegabte Kind erwirbt die Grundlagen der Erstsprache in einem bestimmten Zeitraum und letztlich auf vergleichbare Art. Die Erlernung von Zweit- und Dritt-sprachen stellt dagegen eher nur eine Möglichkeit der kognitiven Entwicklung dar. Nicht jeder, der sich darum bemüht, hat auch vergleichbaren Erfolg. Lerner unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht: in ihrem Wissen, in ihren Interessen, ihrer Motivation, in ihren Begabungen und Fähigkeiten, im Grad ihrer Selbstständigkeit, in Lern-strategien und Lerntempo, in ihren Fähigkeiten, mit anderen zu kooperieren. Die Unterrichts-beobachtung lässt vermuten, dass Lerner an eine Lernaufgabe verschieden herangehen, dasssie von ihren Ressourcen verschiedenen Gebrauch machen und dass sie verschieden effektiveStrategien einsetzen. Im Zusammenhang des kognitionspsychologischen Lernmodells inter-essiert besonders die Frage nach den internen Verarbeitungsformen: Welche Strategien setzenLerner bewusst oder unbewusst ein, um sich ihr individuelles Modell der Zielsprache(interlanguage ) zu konstruieren? Wie lassen sich diese alternativen Lehrpläne klassifizieren? Lassen sie sich pädagogisch beeinflussen? Lernerstrategien sind nicht direkt beobachtbar und auch der Selbstbeobachtung nicht zu- gänglich, da vieles unbewusst abläuft. Man muss sie daher aus der Analyse von Prozessdatenoder aus Ergebnisdaten erschließen. Einfacher zu praktizieren ist Letzteres: Jeder kommuni- 53kative Output, jeder Versuch des Lerners, in der Fremdsprache etwas mitzuteilen, liefert auswertbare Ergebnisdaten. (Die Ergebnisse von Sprachtests sind aus Gründen, die später zuzeigen sein werden, für Lernverlaufsanalysen weniger aufschlussreich.) Aus validen Ergebnis-daten kann man auf den Sprachstand wie auf die Lernerstrategien schließen. Ergebnisdaten im hier angesprochenen Sinn haben allerdings den Nachteil, dass sie oft viel- deutig sind. Im Gegensatz zur „Fehleranalyse“ (CORDER 1967) bezieht die Lernverlaufs-analyse den gesamten Output ein: nicht nur die Fehler, sondern auch den korrekten Gebrauch.Dennoch sind die Rückschlüsse mit V orsicht zu sehen: Die im Folgenden vorgeschlagene,sehr praxisnahe Typisierung ist nicht mehr als ein Versuch, wiederkehrende Beobachtungenaus Lernverläufen in bestimmter Weise zusammenzufassen und zu systematisieren. Jeder Mensch hat die Fähigkeit zu den allgemeinen kognitiven Operationen, ohne die Sprachen- lernen prinzipiell unmöglich ist.Dazu gehören das sinnliche Wahrnehmungsvermögen, artiku-latorische Fähigkeiten, kognitive Fähigkeiten zur Abstraktion und Klassenbildung, zur Gene-ralisierung und Regelbildung, zur Symbolisierung. Fähigkeiten dieser Art, wenn auch indivi-duell unterschiedlich ausgeprägt, sind Teil der kognitiven Grundausstattung des Menschen,zu seiner Verfügung über einen „ratiomorphen Apparat“ (RIEDL 1987, BUTZKAMM 1989:92 ff.). Auf dieser allgemein-kognitiven Basis kann man in häufig beobachteten Lernverläufenbestimmte Makrostrategien für das Fremdsprachenlernen identifizieren, die hier als „Passiv- strategie“, „Analogstrategie“, „Konstruktionsstrategie“ und „Monitorstrategie“ bezeichnetwerden sollen. Ein Lerner, der nach der Passivstrategie lernt, verzichtet weitgehend auf aktive Hypothesen- bildungen. Die Daten werden nur oberflächenorientiert aufgenommen, als fertige Sprach-hülsen holophrastisch gelernt, mechanisch memoriert und im Bedarfsfall ebenso mechanischreproduziert. Im Output findet sich nichts, was über den Input hinausgeht; kann zum Aus-druck einer bestimmten Sprechintention keine passende Wendung abgerufen werden, so stocktdie (Pseudo-)Kommunikation: Die gelernten Sprachelemente können vom Lerner weder vari-iert noch auf andere Situationen übertragen werden. Da die Verarbeitungstiefe gering ist, kaum Superzeichen gebildet werden, umfasst die Kapa- zität des Kurzzeitgedächtnisses selten mehr als sieben Silben. Sätze, die neue Informationenthalten, müssen also sehr kurz sein, sonst kommt der Passivlerner nicht mit. Da gespeicher-tes Wissen kaum ins Spiel kommt, müssen die Sinnesdaten detailgetreu aufgenommen undverarbeitet werden; entsprechend gering ist die Abflussgeschwindigkeit. Längeren Sätzen innormalem Sprechtempo kann der Passivlerner selbst dann nicht folgen, wenn ihm die meistenWörter bekannt sind (die Daten können nicht schnell genug abfließen, der innere Datenpufferfließt über). Mangels flüssiger Inferenzprozesse muss der Passivlerner zudem ohne eine auto-matisierte Fehlerkorrektur zurechtkommen: Ist der Input unvollständig, fehlerhaft, undeut-lich gesprochen oder entspricht er nicht detailgetreu dem erlernten Muster, so wird dieserInput selbst dann nicht verstanden, wenn er sich nur aus bekannten Wörtern zusammensetzt.Im Sprachlabor sind passive Lernstrategien dieser Art gut zu beobachten: Schwächere Ler-ner haben oft Probleme, dem vom Programm vorgegebenen Lernrhythmus zu folgen. Die Passivstrategie verspricht wenig Lernerfolg, zumindest auf mittlere Sicht. Wer schon einmal versucht hat, ein Wörterbuch oder einen Sprachführer auswendig zu lernen (und dannvon diesem Wissen praktischen Gebrauch zu machen), kennt den Effekt: Was sich zu Beginnnoch ordentlich anlässt, wird umso problematischer, je länger die Liste der Lerngegenstände 54ist. Unsere Behaltenskapazität für mechanisch Gelerntes ist begrenzt; da keine Wissens- organisation stattfindet (die innere Bibliothek folgt der Logik eines nach Zufall gefülltenBücherregals), ist ein aktiver Abruf des derart Gelernten schon bald nicht mehr möglich. Fürwenige Bücher braucht man keine geordnete Ablage; je größer jedoch das Bücherregal, destohoffnungsloser wird die Suche, wenn man den Bestand nicht in geeigneter Weise organisiert. Niemand käme auf den Gedanken, jenseits des kleinen Einmaleins das Auswendiglernen als eine sinnvolle Strategie für den Mathematikunterricht zu empfehlen. Das Ansinnen, etwa dasErgebnis der Multiplikation zweier dreistelliger Zahlen auswendig parat zu haben, würde alssinnlose Belastung des Gedächtnisses empfunden; denn wer das Prinzip versteht (in der Lageist, die entsprechende Multiplikationsregel zu inferieren), kann das Ergebnis mit minimalemAufwand produzieren . Ähnliches gilt für das Fremdsprachenlernen: Wer die Prinzipien ver- innerlicht hat, nach denen Sprache produziert wird, dessen Lernbelastung und mechanischeGedächtnisleistung reduziert sich um ein Vielfaches. Dennoch gelten für den Fremdsprachenunterricht häufig andere Gesetze. Mechanisches Aus- wendiglernen spielt in der subjektiven Unterrichtstheorie vieler Lehrender und Lernendereine Schlüsselrolle und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Fremdsprachenlernen istin dieser Perspektive keine intellektuelle Herausforderung, kein Problem des Verstehens, desErschließens, der aktiven Aneignung von Gesetzmäßigkeiten (die abhängig vom individuel-len V orgehen gelingen oder misslingen kann), sondern eine simple Fleißaufgabe. Misserfolgwird leicht erklärbar (Faulheit) – und entsprechend eindeutig ist die Frage der Verantwortlich-keit für den Unterrichtserfolg geregelt: Fleißige Schüler haben Erfolg, faule Schüler habenkeinen; die gute Note ist der gerechte Lohn für redliches Bemühen. Unter Erwerbsbedingungen gibt es die Passivstrategie praktisch nicht – weder beim Erst- sprachenerwerb noch in nennenwerter Weise beim natürlichen Zweitsprachenerwerb. AlsUnterrichtstheorie und Erklärungsmodell spielt die Passivstrategie besonders dort eine Rolle,wo Lernprozesse als schwierig erfahren werden. Viel Phantasie wird in die Verbesserung vonMemoriertechniken investiert (z.B. SPERBER 1990). Oft hört man auch die Forderung, der Lernstoff möge „multisensorisch“ aufgenommen und durch Bildung zusätzlicher Assozia-tionen besser verankert werden („Lernen mit allen Sinnen“). Ähnliche Wirkungen verspre-chen sich viele Pädagogen von mechanischen Merkhilfen, Eselsbrücken, von dem Lernen mitV okabelkästen oder vom Memorieren im Entspannungszustand (Suggestopädie). Solche Empfehlungen sind isolierten Laborergebnissen der älteren Assoziationspsychologie nachempfunden, dem Vergleich von Behaltenseffekten und Vergessenskurven beim Memorie-ren sinnloser Silben unter verschiedenen Lernbedingungen. Aus kognitionspsychologischerSicht sind diese Empfehlungen wenig brauchbar, da die Versuchsanordnung der Assoziations-psychologie zentrale Aspekte humanspezifischer Lernprozesse (Einflüsse des Wissens, derWissensorganisation, der Lernstrategien etc.) von vornherein ausklammert: Eine unsortierteBibliothek wird kaum benutzerfreundlicher dadurch, dass man die Bücher nach der Farbeihres Umschlags, nach der Buchstabenanzahl ihrer Titel oder nach dem Gefühlswert derAbbildungen auf dem Buchumschlag sortiert; auch ständiges Umsortieren (häufig geleseneBücher nach hinten, wenig gelesene Bücher nach vorn) oder das Sortieren unter Musik-berieselung dürfte den gezielten, zeitsparenden Zugriff auf ein bestimmtes Buch nicht geradeerleichtern. Ähnliches gilt für den Sprachgebrauch: Flüssige Sprachproduktion setzt ein Höchst-maß an interner Wissensorganisation des Biocomputers voraus. Das Problem beim Sprachen- 55lernen liegt nicht im Einspeichern von Daten, sondern in der Interpretation und Organisati- on der eingespeicherten Daten. Die Passivstrategie muss daher durch eine effektivere Makrostrategie ersetzt werden; sie kann nicht verbessert werden: „Gesichert ist …, daß passiv und mechanisch Gelerntes, also nicht wirklich Verarbeitetes und Verstandenes, in der Regel auch nur rigide und stereotypreproduziert oder angewendet werden kann“ (WEINERT 1986: 104). Lerntechniken wie die suggestopädische Séance, die letztlich darauf abzielen, das mechanische Lernen zu effekti-vieren, sind darum schon im Ansatz problematisch (VIELAU 1990). Fremdsprachenlernenhat wenig mit Gedächtnisakrobatik zu tun. Entsprechend sollte man nicht auf immer neueTechniken zur Effektivierung der Oberflächenverarbeitung sinnen, sondern sich vorrangigum Anregungen zur besseren Tiefenverarbeitung des Lernstoffs bemühen, um die Förderungaktiver Konstruktionsprozesse, um Hilfen zur schlüssigen Organisation der inneren Biblio-thek (vgl. auch BRANDER u.a. 1985). Während die Passivstrategie keine eigenständigen Bildungen oder Variationen erlaubt, der Output des Lerners also vorwiegend dem Input entspricht, ist dies bei der Analogstrategie anders. Der Lernende bleibt hier nicht bei der Oberflächenverarbeitung des Lernstoffs ste-hen, sondern er bemüht sich aktiv um die Erschließung der Gesetzmäßigkeiten im Input: Erbildet Hypothesen und testet sie. In Ermangelung einer besseren Orientierung benutzt er seinerstsprachliches Wissen als Basis für die Hypothesenbildung: Er unterstellt unbewusst, dass alle Sprachen analog aufgebaut sind, und analysiert die Fremdsprache dementsprechend inenger Analogie zur Erstsprache. Nach CORDER würde er sich unbewusst Fragen der folgen-den Art stellen: „‘Are the systems of the new language the same or different from those of the language I know? And if different, what is their nature?’ Evidence for this is that a largenumber, but by no means all, of his errors are related to the systems of the mother tongue.“(CORDER 1981: 12) Die Analogstrategie erlaubt den produktiven Gebrauch der Lerninhalte – der Lernende kann eigenständig Sätze bilden, die in entsprechender Form nicht im Input enthalten waren -,allerdings enthält der Output viele Interferenzen der Erstsprache (z.B. die Verwechslung vonwho und where wegen der Ähnlichkeit mit „wo“ und „wer“). Die Lerntechnik verknüpft die sinntragenden Elemente der Zielsprache jeweils mit einem erstsprachlichen Äquivalent alskognitivem Mittler; die Organisation des Neuen hängt sich sozusagen an die bestehendenRezepte der Erstsprache an. Nur auf diesem Wege ist auch der Abruf möglich: Die Sprech-planung erfolgt erstsprachlich und wird dann wort- und satzweise in die Zielsprache umge-setzt. Insofern ist die Analogstrategie aus der Sicht des Fremdsprachenlerners letztlich eineunproduktive Sackgasse (viele Interferenzfehler, geringe Flüssigkeit und Expressivität). Vie-le Lerner sehen das auch selber kritisch: „Mich würde das mehr interessieren, daß ich sofort das rausbekomm, wie die Sätze da gedreht werden. Also, das ist ja nämlich: Man vergleicht das immer mit Deutsch, man will immer das Deutsch, was man sagt, umsetzen ins Englisch oder ins Französische, oder jenachdem. Also die Reihenfolge – und das ist aber meistens dann irgendwie verdreht und irgendwie andersrum, und das müßte man jetzt … so gut im Kopf haben, daß man genau das richtig setzt. (…)“ (Zitiert nach QUETZ 1992: 55). Es liegt auf der Hand, dass die Analogstrategie durch Übersetzungsmethoden und zweispra- chige Übungsformen wie das Vokabellernen begünstigt wird. Dennoch kann die Analogstrategienicht pauschal negativ bewertet werden. In einem frühen Lernstadium ist sie kaum zu umge- 56hen. Da in der künstlichen Umgebung des Fremdsprachenunterrichts die natürlichen Metho- den der Bedeutungsfindung, wie sie hier am Beispiel des Zweitsprachenerwerbs dargestelltwurden, nicht zur Verfügung stehen, bleibt der Lernende auf kognitive Mittler angewiesen.Unabhängig von der Art der Präsentationstechnik und der Unterrichtssprache: die erste Inter-pretation einer unbekannten Zeichenfolge erfolgt stets auf der Basis und im konzeptuellenRahmen der Erstsprache. Wir denken in den Bedeutungen unserer Sprachwelt. Ein Gegen-stand, dem wir Bedeutung zuweisen, ein Bild, das wir interpretieren, eine Situation, die wirverstehen, eine Zeichenfolge, die wir wiedererkennen – jede Bedeutung, die wir uns bewusst-machen, hat sprachliche Form. Und solange wir in der Zielsprache noch nicht denken undempfinden können, hat sie die Form der Erstsprache. Die Erstsprache ist daher beim Fremd-sprachenlernen als Anfangshypothese nicht hintergehbar . Die Frage ist allerdings, ob der Lernende bei dieser ersten Hypothese stehen bleibt. Im Ideal- fall würde nun eine Konstruktionsstrategie zum Zuge kommen: Der Lernende würde die Anfangshypothese testen und sie unter Einsatz der verfügbaren kognitiven Ressourcen, insbe-sondere des schon vorhandenen zweitsprachlichen Wissens, schrittweise elaborieren. Die aufder Basis einer solchen Konstruktionsstrategie entstehende Lernersprache ist zwar ebenfallsnoch nicht korrekt, aber die Mängel sind in ihrer Mehrzahl nicht länger auf erstsprachlicheInterferenzen zurückzuführen, sondern eher auf transitorische Ungenauigkeiten in derKategorienbildung und Systematisierung des Wissens (z.B. Übergeneralisierung einer Regu-larität, zu geringe Differenzierung, experimentelle Füllung von Wissenslücken) oder auf pro-zessuale Probleme bei der Enkodierung (vgl. auch HECHT, GREEN 1991). Eine typi-sche Ungenauigkeit in diesem Rahmen wäre beispielsweise die Bildung von *goed statt went. In reinster Form ist die Konstruktionsstrategie im kindlichen Erstsprachenerwerb zu beob-achten, eine große Rolle spielt sie im natürlichen Zweitsprachenerwerb. Wenn die äußeren Bedingungen stimmen (hierzu ausführlicher später), gewinnt die durch Konstruktionsprozesse entstehende Lernersprache zunehmend Systemcharakter; darin unter-scheidet sie sich von den (zufällig-additiven) mentalen Repräsentationen, die durch die Passiv-strategie oder die Analogstrategie gebildet werden. Das heißt, die vom Lerner aktiv konstru-ierte Lernersprache beruht auf einer Tiefenverarbeitung des Lernstoffs und funktioniert da- her im Prinzip ganz ähnlich wie die Erstsprache: Sie erlaubt intentionale Sprachproduktionauch jenseits der im Input vorhandenen Sätze und den Transfer der gelernten Redemittel; vorallem ermöglicht sie Inferenzprozesse, damit die flüssige Weiterverarbeitung auch lücken-und fehlerhaften Inputs sowie die Bewältigung längerer Wortfolgen. Tiefenverarbeitung wird in der Praxis häufig mit expliziter Sprachanalyse, bewusstem Ler- nen sowie verbaler Erklärung und Systematisierung durch den Lehrer gleichgesetzt. Einersolchen Lernsituation entspricht aus Lernersicht freilich eher die Monitorstrategie des Fremdsprachenlernens (KRASHEN 1985): Die Regeln und Explikationen des äußeren Lehr-plans dominieren den Lernprozess, oft werden sie selber zum vorrangigen Lerninhalt. DieSpielräume des inneren Lehrplans sind bei diesem Zugang eng gesteckt; Vermittlung rangiertvor aktivem Erlernen, häufig fehlen dem Lerner die Möglichkeiten für aktive Probierbewe-gungen, für Test und Elaboration der inneren Sprache. Entsprechend zeigt die interlanguage des Monitorlerners wenig inneren Zusammenhang; Lücken und grobe Inkonsistenzen erschwe-ren den produktiven Gebrauch. Auf der affektiven Ebene führen Lehrverfahren, die Sprach-beschreibung, Sprachanalyse und Explikation des Regelapparats akzentuieren, oft zu Ab-wehrhaltungen und Sprechhemmungen. Die Sprechplanung durchläuft hier zunächst eine Art 58Allerdings zeigt die Erfahrung auch, dass es Lerner gibt, die trotz eines ungünstigen äußeren Lehrplans erfolgreich lernen. Das führt weiter zu der Annahme, dass es bestimmte Dispositi-onen für das Fremdsprachenlernen geben muss, die es dem einen Lerner leicht machen, not-falls auch gegen den äußeren Lehrplan konstruktiv und produktiv zu lernen, und andereDispositionen, die das Erlernen der Fremdsprache eher erschweren. Eine gewisse Rolle spielt hier sicher zunächst die Frage, welchem Wahrnehmungstyp der Lerner entspricht und wie man es ermöglichen kann, den Lerner über seinen bevorzugtenWahrnehmungskanal anzusprechen bzw. den sensorischen Input auf mehr als nur einenWahrnehmungskanal zu verteilen („Lernen mit allen Sinnen“). Überlegungen dieser Art soll-ten lernmethodisch jedoch nicht überbewertet werden. Zum einen sind die meisten Menschenohnehin eher dem visuellen Wahrnehmungstyp zuzuordnen. Zum zweiten entstehen auch dieWahrnehmungen nicht außerhalb, sondern innerhalb der „kognitiven Architektur“ (ANDER-SON 1983): Wahrnehmungsprozesse können nicht allein neurobiologisch erklärt werden; dieInferenz subjektiven „Wahrnehmungswissens“, Prozesse selektiver Aufmerksamkeit, ökolo-gische Faktoren und vieles andere spielen bei der Aufnahme sensorischer Informationen mit(ROCK 1985, BRUCE, GREEN, GEORGESON 1996). Aus der Neurobiologie im engeren Sinne ist daher keine Theorie der Wahrnehmung und schon gar keine Methodik des Sprachenlernens ableitbar. Denn die sensorische Wahrnehmung spieltnur bei der Oberflächenverarbeitung des Input eine Rolle, bei der Auffassung der Signifi- kanten. Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg des Spracherwerbs ist jedoch, was danachim Kopf des Lerners geschieht bei der kognitiven Weiterverarbeitung der sensorischen Infor-mation (Intake). Im Unterschied zu nicht-symbolischen Lernprozessen geht es beim Sprachen-lernen ja nicht vorrangig um das Aufnehmen und Einprägen der Sinneseindrücke (die Signi-fikanten sind arbiträr und in sich weitgehend bedeutungslos), sondern um die mentale Kon-struktion der ihnen verbundenen Signifikate: um die Bildung, Repräsentation und Vernetzungabstrakter V orstellungsinhalte hin zu einer neuen Lernersprache. Viel wichtiger als die Fragenach dem Wahrnehmungstyp ist daher die Frage nach den jeweils bevorzugten kognitivenVerarbeitungsmustern bei der Tiefenverarbeitung des Input. Entsprechend gibt es eine große Zahl empirischer Untersuchungen, in denen der Versuch unternommen wird, den Fremdsprachenlernerfolg mit Faktoren wie verbaler Intelligenz, Erst-sprachenwissen, allgemeiner Gedächtnisleistung, phonetischer Unterscheidungsfähigkeit, be-stimmten Einstellungen usw. in Verbindung zu bringen. Wie bei einem solchen Ansatz (auchangesichts der methodischen Probleme) nicht anders zu erwarten, ist die Forschungslageunübersichtlich und widersprüchlich (MACHT 1991); in seiner zusammenfassenden Beur-teilung plädiert MACHT für faktorenübergreifende Modelle und fasst zusammen: „Den größ- ten Einfluß üben zweifelsfrei jene Faktoren aus, die mit der mentalen Verarbeitung sprach-licher Informationen zu tun haben …“ (276). Ganz in diesem Sinne sollen im Folgenden (idealtypisch und versuchsweise) drei globale, integrative Lerndispositionen bzw. Lerner- typen unterschieden werden (vgl. VIELAU 1988b): Spracherwerber, Spracherlerner und Sprachlernungewohnte. Zu den Spracherwerbern in dem folgend beschriebenen Sinn gehören vor allem Kinder in der sprachsensiblen Phase, d.h. in einem Lebensalter etwa bis zum Beginn der Pubertät.Zwar ist aus heutiger Sicht die Annahme LENNEBERGs (1967) weniger wahrscheinlich,dass hier ein Einschnitt in der biologisch-neurophysiologische Entwicklung des Menschen 59liegt (EDMONDSON, HOUSE 1993). Dennoch kann nicht bezweifelt werden, dass die Pu- bertät eine wichtige Etappe in der kognitiven, metakognitiven und besonders auch der affek-tiven Entwicklung markiert; für viele Menschen liegt hier eine kritische Phase in der Ent-wicklung ihres Spracherwerbspotenzials: Ihre Fähigkeit zum intuitiven, spontanen Sprach-erwerb schwindet (vgl. auch QUETZ 1985). Gleichwohl gibt es einen gewissen, wenn auchvermutlich relativ geringen Prozentsatz Jugendlicher und Erwachsener, die (anlagebedingt/umweltbedingt?) ihre Sprachsensibilität, ihre Fähigkeiten zu intuitiv gesteuerten Erwerbs-prozessen über diese kritische Phase hinweg behalten. Als Fremdsprachenlehrer erkennt man diesen Lernertypus an folgenden Merkmalen: Sprach- erwerber setzen von sich aus tiefenwirksame Verarbeitungsstrategien ein (sie fassen Regu-laritäten im Input auf, ohne sich dessen bewusst zu sein); sie experimentieren aktiv mit Spra-che, gehen dabei auch über die V orgaben des äußeren Lehrplans hinaus und lassen sich durchFehler kaum beirren; sie interessieren sich für Sprachen, haben geringe Image -Probleme in Lernsituationen und höheres Selbstvertrauen, sind daher kaum korrekturempfindlich. Ein Spracherwerber benötigt so wenig einen Fremdsprachenlehrer, wie ein Kind für den Er- werb der Erstsprache auf die Hilfe eines Lehrers angewiesen ist. Sobald dem Erwerber einquantitativ ausreichender und hinlänglich verständlicher Input sowie realitätsnahe Anwen-dungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, läuft der Spracherwerb fast von selber: Der Er-werber filtert sich aus dem Input jeweils das heraus, was er für die Konstruktion des internenSprachsystems benötigt und wofür er vom Stand seiner Lernersprache bereit ist. Selbst Feh-ler und Inkonsistenzen im Input behindern den Erwerbsprozess kaum: Der Input wird vomErwerber nicht Wort für Wort ausgewertet, sondern selektiv im Blick auf die aktuellen Erfor-dernisse des inneren Lernplans. Durch aktives Ausprobieren und Auswertung der entspre-chenden Reaktionen der Umwelt (sekundärer Input) schafft sich der Erwerber selber fortlau-fend die optimalen Erwerbsbedingungen: Er schließt bestehende Wissenslücken aktiv; er wartetnicht, bis bestimmte Informationen zufällig im Input auftauchen. Insofern sind Methodenfra-gen aus der Sicht des Erwerbers zweitrangig; er lernt die Fremdsprache fast unabhängig vonLehrer und Methode nach Maßgabe seines inneren Lehrplans – und am besten unter natürli-chen oder realitätsnahen Bedingungen. Die große Mehrzahl aller Jugendlichen und Erwachsenen gehört allerdings eher zum Typus des Spracherlerners . Dem Erlerner fliegt die Fremdsprache nicht von selber zu; die intuiti- ven Mechanismen des inneren Lehrplans können den Lernprozess allein nicht tragen. Derausländische Jugendliche, der im Alter von 14 Jahren nach Deutschland kommt, lernt dieSprache auf andere Weise als sein achtjähriger Bruder: Der Erlerner muss sich die Fremd-sprache kontrolliert, in expliziter und systematischer Form (nach einem äußeren Lehrplan)erarbeiten. Ohne geplantes V orgehen und ohne äußere Hilfen gelangt der Erlerner früher oderspäter (und meist recht bald) auf sein persönliches Lernplateau – der Lernprozess stagniert.Unter natürlichen, ungesteuerten Lernbedingungen entwickelt der Erlerner daher typischer-weise nur eine eingeschränkte Kompetenz, wie sie als „Pidgin“, „Gastarbeiterdeutsch“ etc.beschrieben worden ist; unter Unterrichtsbedingungen ist der Erfolg lehrer-, stoff- undmethodenabhängig. Beim dritten Typus, dem Sprachlernungewohnten , stellt sich die Grundkonstellation ähn- lich wie beim Erlerner dar: Produktive Lernstrategien sind auf intuitivem Wege nicht verfüg-bar. Erschwerend kommt hier, häufig als Konsequenz früherer Misserfolge, ein hoher Affektiv- 60filter hinzu: Der Sprachlernungewohnte hat im Unterricht starke Image -Probleme, reagiert gehemmt und defensiv, leidet womöglich unter Lernblockaden. Aus Angst vor Misserfolg undBlamage traut er sich nicht, Vermutungen anzustellen, zu fragen, eigene Lösungen aktiv zutesten; Korrekturen sucht er nach Möglichkeit zu vermeiden. Im Bestreben, den sicheren Wegzu gehen und alles richtig zu machen, tendiert der Sprachlernungewohnte von sich aus zurPassivstrategie. Erweist sich diese Strategie als mühsam und wenig erfolgversprechend, soschwindet die anfängliche Lernmotivation: Der Lernungewohnte bricht das Lernen ab (häu-fig findet sich ein vorgeschobenes Alibi, um den Misserfolg zu tarnen), er geht in die „innereEmigration“ oder „stört den Unterricht“, wenn der Zwangscharakter der Lernsituation einenAbbruch nicht zulässt. Ähnlich wie der Spracherlerner ist auch der Sprachlernungewohnteauf die Hilfe einer qualifizierten Lehrkraft angewiesen. Hier wäre nicht nur der Zugang zuproduktiven Lernstrategien zu ebnen; besonderes Augenmerk müsste den affektiven und moti-vationalen V oraussetzungen des Lernens gelten (VIELAU 1988b, QUETZ 1992). Gemessen am Lernertypus sind die Anforderungen an den Lehrer daher recht verschieden. Wer vorrangig mit Spracherwerbern arbeitet, benötigt außer guter Sprachbeherrschung undder Fähigkeit, sich sprachlich auf die Lerngruppe einzustellen ( tuning des Input), kaum eine besondere Lehrqualifikation. Wer vorrangig Spracherlerner unterrichtet, muss in der Lagesein, den Unterricht methodisch anzuleiten und zu steuern; eine didaktisch-methodische Aus-bildung ist unverzichtbar. Die Arbeit mit Lernungewohnten fordert den Lehrenden zusätzlichals Sozialpädagogen und in seiner Rolle als Lernberater; das Anforderungsprofil für Lehr-kräfte in diesem Aufgabenbereich ist besonders anspruchsvoll. Am schwierigsten zu unterrichten sind heterogene Gruppen, in denen unterschiedliche Fähig- keitsprofile und Lerndispositionen aufeinander treffen (VIELAU 1995). Heterogene Lern-gruppen sind im deutschen Bildungswesen in der Grundschule, in den Anfängen der Orientie-rungsstufen, in manchen Gesamtschulen und in der Erwachsenenbildung anzutreffen. Dadiese Lernkonstellation die größten Anforderungen an den Sprachpädagogen stellt, soll sieAusgangspunkt der folgenden methodischen Überlegungen und Empfehlungen sein. 3.5 Fremdsprachenlernen im Unterricht Das Denken in geschlossenen Lernmodellen verleitet zu einer mechanischen Gegenüberstel-lung von natürlichem Spracherwerb und Fremdsprachenunterricht, wobei in der Fachdiskussiondie Neigung bestand, „die“ Ergebnisse „des“ natürlichen Erwerbs zu idealisieren und „die“Ergebnisse „des“ Fremdsprachenunterrichts kritisch zu sehen. Daraus ergab sich die Forde-rung, die Methodik des Fremdsprachenunterrichts dem typischen Verlauf natürlicher Erwerbs-prozesse nachzuempfinden (z.B. KRASHEN, TERRELL 1983). Neben richtigen Beobachtungen enthält dieser Ansatz angefangen beim simplifizierenden Lernmodell bis hin zu den praktischen Konsequenzen eine Reihe von Denkfehlern und unzu-lässigen Vergleichen. Schon die Ausgangshypothese (Überlegenheit des natürlichen Erwerbs)ist empirisch nicht zu bestätigen, wie auch ELLIS nach umfänglicher und kritischer Sichtungder einschlägigen Forschung einräumen muss: „Learners who receive formal instruction outperform those who do not; that is, they learn more rapidly and they reach higher levelsof ultimate achievement“ (ELLIS 1990: 171). Dieser Befund ist nicht überraschend und für Fremdsprachenlehrer, die Vergleichsmöglichkeiten haben oder selber Zweitsprachenunterricht 61an Ausländer erteilen, alltägliche Erfahrung. Auch liefert die Erforschung der Gesetzmäßig- keiten, nach denen eine Zweitsprache unter natürlichen Lernbedingungen erworben wird,jenseits der allgemeinen Prinzipien kein klares Bild; schlüssige Handlungsempfehlungen sindaus diesem Forschungsstand kaum ableitbar. Die folgende Bewertung ist heute so gültig wiedamals: „Anyone who claims that second language instruction must be arranged in a particular way on the evidence available from linguistics or neurophysiology or any otherscience, displays a fair measure of naivety if not presumption“ (KLEIN 1986: 55). Noch wichtiger ist der Einwand, dass sich Forschungsansatz und Empirie der Spracherwerbs- theorien nicht auf die Lernsituation im Unterricht beziehen. Da jedoch anzunehmen ist, dassdas Sprachenlernen im Unterricht nicht nur durch interne, sondern wesentlich auch durchexterne Faktoren beeinflusst wird (EDMONDSON, HOUSE 1993), darf die Analyse des Lernumfelds nicht ausgeklammert werden. Wer Handlungsempfehlungen für den Unterrichtgeben will, sollte alle Bestimmungsfaktoren dieser Praxis in systematischer Weise prüfen undin die methodischen Überlegungen einbeziehen (vgl. VIELAU 1985, DIGESER 1988). 3.5.1 Aspekte der Unterrichtssituation Im Gegensatz zum natürlichen Zweitsprachenerwerb ist Fremdsprachenunterricht veranstal- tetes Lernen: Der Lernprozess findet unter spezifischen Bedingungen statt, die sich in der Analyse teils als förderlich, teils als hinderlich darstellen. Auf den ersten Blick eher ungünstig wirken die äußeren Bedingungen. Fremdsprachenunterricht richtet sich an Gruppen , nicht an einzelne Lerner; die Lernhandlungen finden in einem engen zeitlichen Korsett unabhängig von der aktuellen Befindlichkeit des Lerners, von Motivationund Lernbereitschaft statt, nach einem festen Rhythmus auf einige wenige Stunden pro Wo-che verdichtet. Nicht die Bedürfnisse des Einzelnen bestimmen Ablauf und Lerntempo, son-dern die Bedürfnisse der Gruppe. Aufschlussreich ist ein Vergleich der effektiven Lernzeit im natürlichem Zweitsprachenerwerb und Fremdsprachenunterricht. Zweitsprachenerwerb findet potenziell immer dann statt, wennder Lernende aus seiner Lebenswelt verständlichen Sprachinput erhält, also vielleicht achtStunden pro Tag, 2850 Stunden im Jahr. Die Rechnung für den Fremdsprachenunterrichtnimmt sich bescheidener aus: 32 Unterrichtswochen mit vielleicht vier Wochenstunden macht128 Stunden pro Jahr; der Sprachkontakt außerhalb des Unterrichts kann vernachlässigtwerden – mit Ausnahme bestimmter individueller Übungszeiten, die sich aus dem Unterrichtergeben (Hausaufgaben). Um auf die gleiche Lernzeit zu kommen, müsste der Unterricht alsogut zwanzig Jahre dauern. Schon diese simple Rechnung verdeutlicht, wie problematisch eindirekter Vergleich von Zweitsprachenlernen und Fremdsprachenunterricht ist. Tatsächlich sind die Relationen aus der Sicht des einzelnen Lernenden noch ungünstiger. Denn als Lerner in einer Gruppe erhält er nur kleine „Zeitscheiben“ zugewiesen, in denen erim Sinne der Konstruktionsstrategie aktiv und selbsttätig nach seinem inneren Lehrplan lernt:in denen er Hypothesen bilden, diese aktiv-selektiv testen und seine Lernersprache elaborie-ren kann. Wenn es dem Lehrenden in einem gut geführten Fremdsprachenunterricht gelingt,seine eigene Sprechzeit auf fünfzig Prozent der Gesamtzeit zu begrenzen, so bleibt von einertypischen Unterrichtsstunde von 45 Minuten, wenn keine Multiplikationseffekte eingebautwerden und alle 25 Lerner gleichmäßig zum Zuge kommen, rechnerisch weniger als eine 62Minute aktive Lernersprechzeit pro einzelnem Lerner. Wie wenig das tatsächlich ist, erhellt der Vergleich mit der Sprechaktivität eines Kleinkindes beim Erstsprachenerwerb. In deroptimalen Nutzung der Lernzeit und womöglich der Ausweitung der individuellen Zeitscheibenliegt eine Schlüsselfrage jeder Unterrichtsmethodik. Während der Lernende in der Erwerbssituation durch lebenspraktische Anforderungen un- mittelbar und andauernd motiviert wird, seine kommunikativen Möglichkeiten den jeweiligenErfordernissen anzupassen, bietet die Unterrichtssituation keinen Lernantrieb vergleichbarerIntensität. Aus der Sicht des Lernenden ist das Lernen im Unterricht nur in beschränktemMaße ökologisch valide; es wird günstigenfalls von Neigung und Interesse getragen, vielleichtvon Nützlichkeitserwägungen und Disziplin, beruht schlimmstenfalls lediglich auf äußeremZwang. Die Fremdsprache hat im Unterricht keinen direkten Wirklichkeitsbezug, dem Ler-nen fehlt die praktische Handlungs- und Erfahrungsgrundlage, der Unterrichtsdialog dientmehr dem sprachbezogenen Üben als dem Austausch von Mitteilungen (BLACK, BUTZ-KAMM 1977; VIELAU 1979). Während man in einer natürlichen Gesprächssituation erwartet, dass der Gesprächspartner sich symmetrisch, intentional und kooperativ verhält (dass er nicht nach Dominanz trachtet;dass er meint, was er sagt; dass er nur nach Dingen fragt, die er nicht weiß etc.), bietet dieUnterrichtskommunikation eine oft unklare Gesprächsbasis. Die Gesprächssituation ist asym-metrisch, sie wird durch den Unterrichtenden dominiert; er entscheidet nicht nur über dieKommunikationsinhalte, sondern auch über deren Realitätsgrad: Die Bandbreite der Mög-lichkeiten reicht vom sprachbezogenen Übungsdialog (Is this a pen? / Yes, it is.) über pseudokommunikative Minidialoge ( Have you got a little brother? / Antwort, dem vorgege- benen Muster und der Realität entsprechend: Yes, I have ) bis hin zur realen Kommunikation (Tell me, please – what are you going to do next weekend? / offene Antwort mit dem Aus- tausch von Mitteilungen). Für den Lerner ist oft schwierig zu durchschauen, ob er formal-sprachbezogen oder inhaltlich-mitteilungsbezogen reagieren soll. Gleiches gilt für viele Lerninhalte und Situationen. Der Fremdsprachenunterricht bietet eine künstliche Welt, in der ich etwas nicht wirklich kaufe, sondern in der ich lerne, wie man etwasauf Englisch kaufen könnte. Entsprechend erlebt der Lernende die Sprache nicht als Mediumund Werkzeug, dessen man sich eingebunden in reale Handlungen bedient, sondern als Ob-jekt und Handlungsziel in sich. Die Begleitumstände der simulierten Sprachhandlungen mussman sich vorstellen (können), sie sind nicht real gegeben. Die Erfahrungsgrundlage und Lernperspektive im Unterricht ist daher zwangsläufig eine andere als im natürlichen Zweitsprachenerwerb: nicht objektsprachlich, sondern meta-sprachlich; nicht transaktional (praktisch handelnd), sondern interaktional (geistig-symbo-lisch handelnd). Es liegt auf der Hand, dass solche Unterschiede bei der didaktisch-methodi-schen Planung des Unterrichts berücksichtigt werden müssen. Soviel sei hier vorweggenommen: Die Künstlichkeit der Lernsituation lässt sich mit methodi- schen Mitteln immer nur partiell aufheben; erst die Einführung eines bilingualen Sach-unterrichts, in dem beispielsweise Informatik auf Englisch unterrichtet würde, brächte hiereine tiefgreifende Änderung (vgl. MÜHLMANN, OTTEN 1991). 633.5.2 Der äußere Lehrplan Aus methodischer Sicht besteht der wichtigste Unterschied zwischen Zweitsprachenerwerb und Fremdsprachenunterricht aber wohl darin, dass die Unterrichtssituation als solche (un-abhängig von der Person, dem pädagogischen Zugang und der subjektiven Unterrichtstheoriedes Lehrenden) anders als die Erwerbssituation ein Lernen in bewusster und geplanter Form impliziert: Jeder Unterricht orientiert sich an (Lehr-)Zielen und organisiert das Lernen nacheinem Lehrplan. Der Lehrplan regelt Art und Umfang des Input, meist durch Auswahl geeig-neter Lehrbücher; er regelt die Abfolge der Lernaktivitäten, die den Intake des Lernstoffsbewirken sollen; und er legt spezifische Erfolgskriterien fest, an denen der Output der Ler-nenden gemessen wird. Wichtig im aktuellen Zusammenhang ist, dass ein solcher Lehrplanfür den Lernenden zunächst nur den kognitiven Status eines äußeren Lehrplans (vgl. Kapi- tel 3.3.4) haben kann. Wenn jeder Unterricht die Existenz eines Lehrplans impliziert, so heißt dies nicht, dass dieser Lehrplan in sich geschlossen, konsistent oder in vollem Umfang transparent sein müsse -vielfach ist dies keineswegs der Fall. Häufig ist außerdem noch ein heimlicher Lehrplan wirksam, der die Unterrichtsziele transportiert, die man als Lehrender selber nicht sieht oderüber die man nicht gerne öffentlich Rechenschaft legt. Die Implikationen des jeweiligen Lehrgeschehens erschließen sich der didaktisch-methodi- schen Analyse der Unterrichtsprozesse. Gegenstand dieser Analyse sind die drei Entscheidungs-felder, die mit den Stichworten Input , Intake und Output am einfachsten beschrieben sind (VIELAU 1985). Entsprechend können Fremdsprachenlehrmethoden danach analysiert undklassifiziert werden, welche Entscheidungen sie hier treffen. Im vorliegenden Buch könnenFragen dieser Art nur exemplarisch angesprochen werden; die systematische Aufarbeitungwäre Aufgabe einer Didaktik und/oder Methodologie. 3.5.2.1 Didaktisch-methodische Entscheidungen (1): Input Jeder Lernprozess setzt eine geeignete Datenbasis voraus. Ohne ausreichenden Input würdeden internen Verarbeitungs- und Konstruktionsprozessen die Grundlage entzogen. DieserZusammenhang ist so offensichtlich, dass unabhängig von allen lerntheoretischen Positionenden Fragen der Auswahl, der Abfolge und der Anordnung des Lernstoffs in der Fremdsprachen-didaktik stets viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Die Datenbasis, auf die sich der Lernende im Fremdsprachenunterricht bei der Konstruktion seiner Lernersprache bezieht, geht über den Lernstoff im engeren Sinne hinaus. Im Unterrichtsind (mindestens) drei Sprachen präsent: die Fremdsprache, die Erstsprache und eine Fach- sprache, die der Beschreibung und Analyse des Lehr-/Lernprozesses sowie der Gestaltungdes Unterrichts dient. Entsprechend empfängt der Lernende Input aus mehreren sprachlichenQuellen und auf verschiedenen logischen Ebenen. Der Lautfolge „¿Cómo se llama usted?“ ordnet er versuchsweise eine Interpretation zu; diese Interpretation wird in den Begriffen der Erstsprache bewusst, also vielleicht so: „‘¿Cómo se llama usted?’ bedeutet wohl ‘Wie heißen Sie?’“. Der Erstsprache kommt dabei die Funk- tion einer Metasprache zu, in der über eine „Objektsprache“ reflektiert wird. Zugleich regis-triert der Lerner vielleicht einen typischen Unterschied in Wortwahl und Satzbau und merkt 64sich so etwas wie „ ‘llamar’ wird reflexiv gebraucht“. Mit einer solchen Feststellung befände er sich auf der dritten Sprachebene – auf der Ebene einer Fachsprache, die der Analyse undBeschreibung der Objektsprache dient. Schaubild 6 zeigt, dass der fremdsprachliche Inputunter Unterrichtsbedingungen durch den Input einer interpretativen Metasprache (Erstsprache)sowie einer analytischen Metasprache (Fachsprache) ergänzt wird: Ebenso interessant wie umstritten ist die Rolle der Erstsprache. Lässt sich die Erstsprache, wie immer wieder verlangt wird (etwa ARENDT 1991), durch konsequente Einsprachigkeitaus dem Unterricht heraushalten? Lässt sich die Bedeutung einer fremdsprachlichen Laut-folge auf direktem Wege, ohne Umweg über die Erstsprache, vermitteln? Eine solche Annah-me würde implizieren, dass aus dem Unterrichtsgeschehen heraus eine neue und eigenständi-ge Begriffswelt entstände – eine Begriffswelt, die ohne praktische Erfahrungsgrundlage alleindurch verbale Vermittlung und/oder Demonstration des Lehrenden gebildet wird. Diese An-nahme steht jedoch im Widerspruch zu allem, was wir über die Zusammenhänge von Denken,Sprechen und Erfahrung wissen (z.B. HOLZKAMP 1973, HÖRMANN 1978, ZIMMER1986, BUTZKAMM 1989). Jede Sprachhandlung verweist auf konventionelle Handlungsmuster (Szenarien) , die im Prozess der Sozialisation erworben werden und die Lebenserfahrung des Menschen in seinerkulturellen Umwelt spiegeln. Nehmen wir als Beispiel ein Gespräch an der Hotelrezeption.Der Dialog besteht aus einer bestimmten Abfolge von Operationen, z.B. Hotelgast begrüßen,den Namen angeben, Reservierung klären, Anmeldeformular ausfüllen, Zimmernummer an-geben, Schlüssel aushändigen, bei Gepäckbeförderung helfen usw.- Für jede dieser Operati-onen gibt es ein mehr oder minder breites Alternativenspektrum an verbalen und nichtverbalenHandlungsmöglichkeiten. Die Sprachhandlung ist dabei oft die sinnvollste Alternative, umdie in der Situation liegende Unbestimmtheit zu klären. Ohne Unbestimmtheit entfällt dasMotiv der Sprachhandlung (auf den Aufzug direkt neben der Rezeption muss nicht verbalhingewiesen werden), und umgekehrt gibt es Formen der Unbestimmtheit, die eine verbaleHandlung verlangen (den Namen des Hotelgastes in Erfahrung bringen). Das Handlungs-muster enthält außerdem vieles, was konventionell vorausgesetzt und daher nicht versprach-licht wird. In älteren Lehrbuchtexten wurde häufig gegen das Prinzip der Nicht-Versprach-lichung von Bekanntem verstoßen: Die Frage der Empfangsdame, ob der Gast genügendGeld besitzt, oder die Frage des Gastes, wieviele Zimmer frei sind, kommt nur in Lehrbuch-dialogen vor. In einem authentischen Text ergänzen sich die verbale und die nichtverbaleInformation zu einem kohärenten Handlungsablauf. Schwieriger wird die Verständigung, wenn die Ereignisfolge von den Gesprächspartnern un-Schaubild 6: Ebenen des sprachlichen Input 65terschiedlich interpretiert wird: wenn der eine etwas voraussetzt, was für den anderen unbe- stimmt ist. Tatsächlich gehen viele Missverständnisse darauf zurück, dass der Gesprächs-partner sich nicht so verhält, wie man es in dieser Situation von ihm erwartet. Der folgendeDialog an einer Hotelrezeption kommt aus einem älteren Englisch-Lehrwerk für Erwachsene: (G = guest / R = receptionist) G: Good afternoon. I’m Anita Möhlmann. R: Oh, good afternoon. Welcome to Edinburgh. Did you have a good journey? G: Well, my train was about half an hour late, but all the trains were late today. R: Oh, I see. Now, could you please fill in this form? G: … R: Thank you. And here are your keys. Your room is number 510 on the fifth floor. G: Thank you. R: Dinner is from half past six to ten o’clock. Shall I help you with your bag? G: Oh, no thanks. That’s very kind of you, but I can manage. R: Oh, and would you like a morning call? G: Yes, please. At half past seven. Thank you. Quelle: English Network 1, Langenscheidt-Longman, 29 Der Dialog folgt weitgehend dem bekannten Szenario – wenn man voraussetzt, dass das Zimmer vorher gebucht wurde und Halbpension vereinbart ist. Allerdings wird im realenLeben schwerlich der Gast zuerst grüßen. Auch der Kommentar des Gastes über die Zugver-bindungen stört etwas, kann hier jedoch als individuelle Retusche des Rezeptes akzeptiertwerden. Das Prinzip der Nichtversprachlichung von Inferenzwissen wird beachtet; es gibtkeine Störungen, die auf unterschiedliche Interpretation des Handlungsrezeptes zurückzu-führen wären. Die Kommunikation gelingt, weil beide Gesprächspartner vom gleichen Hand-lungsrezept und vom gleichen Vorverständnis ausgehen; bei der Wortwahl – nicht jedoch imHandlungsinhalt oder der Abfolge der Teilhandlungen – gibt es individuelle Spielräume (lang/kurz; direkt/indirekt; höflich/unhöflich, Gebrauch von Füllwörtern und Aufmerksamkeitssigna-len). Verständigungsprobleme in einem solchen Dialog könnten folgende Ursachen haben: •Die Gesprächspartner sind Angehörige verschiedener Kulturen; sie gehen von kultur- spezifisch verschiedenen Rezepten aus und erwarten abweichende Ereignisfolgen. •Die wechselseitig erwartete Ereignisfolge stimmt an sich überein, wird jedoch verschie- den interpretiert; was der eine als selbstverständlich ansieht, empfindet der andere als unbestimmt. Hierher würde auch die „echte“ Antwort auf eine eher rhetorisch gemeinteFrage gehören (Did you have a good journey?). •Eine inhaltlich angemessene Sprechabsicht kann nicht oder nur unzureichend versprach- licht werden. •Die getroffene Wortwahl realisiert eine andere als die vom Sprecher intendierte Sprechabsicht. So wird das „Oh, I see“ des Hotelangestellten in der gegebenen Situation vermutlich mit falling intonation gesprochen ( discourse marker ); mit fall-rise intonation könnte man die Bemerkung als Aufforderung verstehen, noch mehr über die Unbilden der Reise zu erzählen(backchannel ). 66Kommunikationsprobleme können auf sprachliche und auf nichtsprachliche Ursachen ver- weisen. Das Fremdsprachenlernen im Unterricht impliziert daher nicht nur Sprachwissen,sondern auch eine lebenspraktische Erfahrungsgrundlage. Während im natürlichen Zweit-sprachenerwerb Sprach- und Handlungswissen ganzheitlich und integrativ erworben werden,kann sich ein Gespräch im Unterricht immer nur virtuell , im Kopf des Lernenden, abspielen. Wenn der Lernende das Szenario nicht kennt, keine V orstellung davon besitzt, nach welchemMuster ein Gespräch an der Hotelrezeption abläuft, was in dieser Situation vorausgesetztwird und was unbestimmt ist, so kann ihm auf sinnvolle Weise die Sprache nicht vermitteltwerden, die er zur Gestaltung dieser Situation benötigt. Basis des Fremdsprachenlernens imUnterricht ist daher letztlich immer das (kulturspezifisch erworbene und erstsprachlich ko-dierte) Weltwissen des Lernenden. Erlernt man die Sprache einer eng verwandten Kultur, so scheint das Problem der Kultur- differenz weniger wichtig zu sein; eine Position wie die von MÜLLER (1979) scheint vertret-bar: Gelernt werden müsse vor allem die Sprache (d.h. das System der arbiträren Regelungender Zielsprache); denn die Prinzipien, nach denen Sprachen in der Realität gebraucht werden,seien übertragbar. MÜLLER führt aus: „Wer an der Vielschichtigkeit der Kommunikations- akte scheitert, scheitert nicht wegen Unkenntnis pragmatischer Gesetzlichkeiten – diesesind … fast alle universal -, sondern wegen seiner Defizite in den system-grammatischen,L2-spezifischen Regelungen …“ (26). Dass die in verschiedenen Kulturen konventionell übli- chen Sprachhandlungsmuster meistens übertragbar oder gar universal gültig seien, ist allerdingsnicht mehr als unbewiesene Behauptung; es ist sozusagen die Lebenslüge der vorkommuni-kativen Fremdsprachendidaktik. Sofern wir keine künstlichen Sprachen wie ESPERANTO lernen, bleiben die kulturspezifischen Bedeutungen, die den Sprachgebrauch motivieren, eines der schwierigsten Probleme derFremdsprachendidaktik. Die Bedeutungen einer natürlichen Sprache sind Ergebnis der leben-digen Sprach- und Kulturgeschichte eines Volkes; sie verweisen auf eine Vielzahl tieferliegenderHandlungs-, Denk- und Empfindungsmuster, die letztlich nur einem Angehörigen dieser Kul-tur nachvollziehbar sind. Schon ein flüchtiger Vergleich konventioneller Alltagsdialoge auseng verwandten Kulturen (Deutsch/ Englisch) zeigt, dass sich Ablauf und Interpunktion vonEreignisfolgen nur selten exakt und in vollem Umfang entsprechen. Nur in diesen Bereichendirekter Übertragbarkeit sind keine spontanen Verständigungsprobleme zu erwarten. In denmeisten Fällen ist das Handlungswissen jedoch nur „so einigermaßen“ übertragbar; hier sindin der interkulturellen Kommunikation leichtere Missverständnisse wahrscheinlich. Aber esgibt auch Bereiche, in denen das erstsprachliche Handlungswissen gar nicht passt (interkul-turelle „Fettnäpfchen“), in denen daher größere Verständigungsprobleme auftreten. Das Pro-blem kann in Form überlappender Kreise veranschaulicht werden (Schaubild 7): Schaubild 7:Übertragbarkeit vonSprachhandlungsmustern 67Die Kreise sollen jeweils die Gesamtheit der kulturspezifischen Szenarien darstellen, an de- nen die Sprecher dieser Kulturkreise partizipieren.Die Schnittfläche der beiden Kreise reprä-sentiert die Menge der interkulturell übertragbaren Sprachhandlungsmuster. Man darf an- nehmen, dass diese Schnittmenge bei eng verwandten Kulturen relativ groß ist, bei fernenKulturen wird sie eher klein sein. Übertragbare Handlungskonventionen sind auch in derkünstlichen Umgebung des Fremdsprachenunterrichts erlernbar: Denn im strengen Sinne musshier nur die jeweilige Sprachkonvention erlernt werden, das erforderliche Handlungswissenkann inferiert werden. Die Flächen im Schaubild, die sich nicht überschneiden, bezeichnen didaktisch-methodische Problemzonen für den Fremdsprachenunterricht: die eigenkulturellen Handlungsmuster, die keine zielkulturelle Entsprechung haben, und umgekehrt die zielkulturellen Handlungsmuster,die mangels eigenkultureller Erfahrungsgrundlage nicht oder nur erschwert gelernt werdenkönnen. Wie soll mit Lerninhalten umgegangen werden, die diesen Problemzonen zuzuord-nen sind? In einer stofforientierten Didaktik wird kaum unterschieden, welche Szenarien in der Lebens- welt der Lernenden ökologisch valide sind und welche nicht. Geht der Lernstoff allzu deutlichüber den Handlungshorizont der Lerngruppe hinaus, so wird gerne vom „landeskundlichenLernen“, von „Horizonterweiterung“ und „Kulturvergleichen“ geredet. Fremdsprachenlernenwird hier als einseitiger Akt der Anpassung an die Zielkultur verstanden; der Lernende solleine Art „kleiner Engländer“ werden: Lehrziel ist eine umfassende kommunikative Kompe-tenz ( near nativeness ), die sich letztlich an der des Muttersprachlers orientiert.*) Unklar bleibt allerdings, wie ein so anspruchsvolles Ziel methodisch eingelöst werden soll. Wenn sich die Lerngruppe in ein Szenario nicht hineinfinden kann, die Ereignisfolge nichtkennt, nicht weiß, was an einer bestimmten Stelle des Ablaufs von den Gesprächspartnernerwartet wird und was unbestimmt ist, so bleiben die unterrichteten Redemittel ohne Sinn undinneren Zusammenhang. Gleich ob die Redemittel bekannt sind oder nicht – ein solches Ge-spräch ist für die Lerngruppe ohne Bedeutung; es kann mechanisch imitiert werden, aberkaum in erfolgreiche Lebenspraxis einmünden. Wird die Situation im Bild dargestellt odermetasprachlich beschrieben, so bleibt die Frage, ob die Phantasie der Lernenden ausreicht,sich die Ereignisfolge plastisch vorstellen zu können. Ein Handlungsrezept entsteht durchpraktisches Tun ( learning by experience ), nicht durch symbolische Interaktion ( learning by media ), da medial vermittelte Botschaften selber erst interpretiert und verstanden sein wollen (OLSEN, BRUNER 1973). Das Verstehen medial vermittelter Botschaften beruht auf (vorhergebildetem) Handlungswissen: Die Annahme, man könne Handlungswissen durch verbaleErklärungen bilden, bewegt sich daher in einem logischen Zirkel. Selbst wenn die Beschreibung eines Handlungsmusters verstanden werden könnte, so ist die- ses Verstehen nicht identisch mit „Handeln-Können“ unter analogen Bedingungen. Landes-kundliche Lernprozesse setzen einen ganzheitlichen, sprachlich-praktischen Erwerbskontextvoraus wie beim natürlichen Zweitsprachenerwerb. Unter künstlichen Lernbedingungen istlandeskundliches Lernen am ehesten dort möglich, wo die kulturellen Differenzen gering sindund der Lernende im eigenen Weltwissen eine solide Vergleichsbasis besitzt. * ) Die in diesem Konzept enthaltene Fiktion einer klar zu beschreibenden soziolingualen undsoziokulturellen Norm wird später noch kurz thematisiert werden. 68Hier knüpft die lernerorientierte Didaktik an: Nicht „Anpassung an die Zielkultur“, „near nativeness“ oder „kommunikative Kompetenz“ heißt die Perspektive, sondern Annäherung des Input an den Lernerhorizont. Der Lernende soll befähigt werden, seinen eigenen Ideolektmöglichst umfassend, möglichst bruchlos und möglichst reflektiert in der Zielsprache zurealisieren; er soll auch in der fremdsprachlichen Kommunikation er selber bleiben. Metho-disch würde das bedeuten, dass der Lernstoff kritisch im Blick auf seine ökologische Validitätin der Lebenswelt der Lerngruppe befragt wird und dass „lernereigenen Texten“ ein größeresGewicht beigemessen wird, als dies üblicherweise der Fall ist. Auch hier bleibt das Problem, dass später Missverständnisse zu erwarten sind – besonders dort, wo eigenkulturelle Handlungsmuster keine direkte Entsprechung in der Zielkultur ha-ben. Der L2-Sprecher wird in solchen Fällen Verstehensprobleme haben – weil er das Hand-lungsmuster nicht kennt, weil er die Ereignisfolge anders interpretiert, weil aus seiner Sichtgegen das Prinzip der Nichtversprachlichung verstoßen wird, weil er die gewählte Wendungals zu direkt empfindet oder aus ähnlichen Gründen. Aber ist das wirklich so problematisch,wie in der fremdsprachendidaktischen Literatur häufig unterstellt wird? Die interkulturelle Verständigung stellt Ansprüche immer an beide Seiten: Die Verständigung ist als ein wech- selseitiger Lernprozess gleichberechtigter Partner, als ein dialogisches Aushandeln des jeweilsGemeinten zu verstehen – nicht als einseitiger Akt der Anpassung an die Sprachhandlungs-konventionen der Zielkultur (DETHLOFF 1992, VIELAU 1994). Aus solchen, zunächst eher theoretischen Überlegungen ergeben sich wichtige Gesichtspunk- te zur Beurteilung des Input im Fremdsprachenunterricht. Die Grundforderung lautet, dassder Input dem Handlungshorizont der Lerngruppe entsprechen soll, dass er für die Lern-gruppe ökologisch valide zu sein hätte. Das Prinzip dieser Forderung lässt sich in Analogie zu KRASHEN (1985) mit der Formel W + 1 ausdrücken: Basis ist das Weltwissen der Lerngruppe (W); um das Interesse anzuregen und den Blick für kulturelle Differenzen zuschärfen, soll dieser Wissensstand durch den Input jeweils leicht überschritten werden (+ 1).Bei der Stoffauswahl wäre daher zunächst von dem Schnittbereich der interkulturell über-tragbaren Szenarien auszugehen, wobei nach Bedarf Ausdrucksmittel für subjektrelevanteSprechpläne aus den „Problemzonen“ hinzutreten. Die zweite Forderung steht mit der ersten in engem Zusammenhang: Der Input soll gemessen am Stand der interlanguage der Lerngruppe verständlich sein, denn nur verständlicher Input ist lernwirksam. Dieses gilt für den natürlichen Spracherwerb, viel mehr noch für den Fremd-sprachenunterricht. Denn während in der natürlichen Lernsituation die Interpretation einerverbalen Information durch eine Fülle außersprachlicher Informationen unterstützt wird, gibtes solche Zusatzinformationen in der künstlichen Lernsituation kaum: Im Grenzfall muss dieverbale Information allein aus sich heraus verstanden werden. Bezüglich der sprachlichenSchwierigkeit gilt daher das Prinzip I + 1 (KRASHEN 1985): Der Input sollte den Stand der Lernersprache jeweils nur geringfügig überschreiten. Je mehr Zusatzinformationen dem Ler-nenden zur Verfügung stehen, desto leichter kann die verbale Information erschlossen wer-den. Schließlich sollte die Datenbasis im Unterricht systematisch aufgebaut sein. Während in der Erwerbssituation vieles auf Zufall beruht, wirklich effektive und konsistente Lernprozessekaum möglich sind, bietet die Unterrichtssituation dem Lernenden den V orteil, nach einemLehrplan lernen zu können, der den Lernstoff durchdacht aufbereitet, so dass anknüpfend an 69das V orhandene die neue Information in lernbarer Dosierung erscheint ( L + 1 ): Die Auswahl des Lernstoffs, seine Anordnung, Abfolge und Progression orientieren sich an theoretischenAnnahmen über effektives Fremdsprachenlernen, nicht zuletzt an der kumulierten Lehr-erfahrung. Wenn das Lernen im Unterricht im gewichteten Vergleich effektiver ist als dernatürliche Erwerb, so hängt dieses zu einem guten Teil mit der Qualität der Datenbasis zu-sammen: Denn von der Datenbasis bleibt der innere Prozess des aktiven Konstruierens inletzter Instanz abhängig. Auch der beste Architekt stößt an Grenzen, wenn ihm das geeigneteBaumaterial fehlt. Beim natürlichen Spracherwerb ist die Datenbasis per se vollständig; alles, was verstanden wird, ist potenziell lernwirksam. Problematisch ist hier, dass der Input unsystematisch, in-konsistent, ohne spezielle Akzentuierung und vielfach auch fehlerhaft erfolgt. Der innereArchitekt (um im Bild zu bleiben) muss daher beim Bau des Gebäudes jeweils erst eine ArtPuzzle durchlaufen, um aus der breiten Palette des Materialangebots das aktuell passendeTeil auszuwählen; in vielen Fällen wird er auch improvisieren oder sich mit der zweiten Wahlbegnügen müssen. Der Bauherr wird auf diese Weise zwar letztlich zu einem bewohnbarenGebäude kommen, das seinen Bedürfnissen entspricht, aber es wird lange dauern, bis allespasst und fertig ist – und er muss wohl auch mit Baumängeln leben. Anders im Fremdsprachen-unterricht: Dort kann die Datenbasis systematisch und konsistent gestaltet werden. Die Aus-wahl der Elemente ist jedoch nicht unproblematisch, der Input ist per se weder vollständig noch hinreichend valide. Der Architekt kann so zwar zügig bauen, der Materialnachschubrollt wohlkoordiniert – aber der Bauherr wird sich fragen, was dort eigentlich für ein Gebäudeentsteht, wozu er die einzelnen Räume nutzen soll und ob das Ergebnis seinen Bedürfnissenentspricht. In der Entwicklung der Fremdsprachendidaktik gab es viele Versuche, die Nachteile der künst- lichen Lernsituation durch innovative Lernarrangements zu kompensieren. Exemplarisch hierein kurzer Blick auf einen der jüngeren Versuche in dieser Richtung, auf das sogenannteCommunity Language Learning (CLL). Die Methode geht auf C.A.CURRAN zurück; Handeln, Denken und Empfinden sollen im CLL nicht getrennt, Lernprozesse sollen subjek-tiv bedeutungsvoll und ganzheitlich-integrativ gestaltet werden (SCHWERDTFEGER 1983,HAJNAL 1983). Interessant im gegenwärtigen Zusammenhang ist, dass es im CLL keinen Input im Sinne eines äußeren Lehrplans gibt, sondern dass die Gruppe ausschließlich mit eigenen Textenarbeitet. Lernprozessual läuft das etwa wie folgt ab. Die Gruppe sitzt im Kreis; Thema undInhalt der Äußerungen sind freigestellt. Wer bereit ist, etwas mitzuteilen ( client ), wendet sich zunächst an die Lehrperson ( counselor ), die hinter ihn tritt und ihm eine zielsprachliche Fassung seiner Mitteilung leise vorspricht. Der Lerner übernimmt diese Fassung und wendetsich damit an die Gruppe; die Lehrperson hilft, wenn Wörter fehlen oder die Aussprache nichtstimmt. Diese Prozedur wird – immer auf freiwilliger Basis und ohne Vorgabe von außen -mehrfach wiederholt, sofern und solange sich weitere Mitglieder der Gruppe äußern möch-ten. Alle Äußerungen werden auf Tonträgern mitgeschnitten und dienen als Basis für weitereLernschritte. Die Methode soll hier nur im Hinblick auf die Input-Technik beurteilt werden. Das für Unterrichtssituationen typische Sinndefizit kann im CLL nicht entstehen. Aber der Preis dafürist hoch: Die Methode verzichtet auf jegliche Form der Inputkontrolle; die Datenbasis ist in 70der sprachlichen Dimension so zufällig, heterogen und inkonsistent, wie sie nur sein kann. Die Lerngruppe wird hier simultan einer Erwerbssituation und einer Unterrichtssituationausgesetzt, wobei sich allerdings, wie man befürchten muss, die Nachteile beider Lernformennicht ausgleichen, sondern eher noch addieren: Für natürliche Erwerbsprozesse fehlt es anhandlungspraktischen Bezügen und vor allem an Lernzeit (die mangels Inputorganisationetwa um den Faktor 20 größer sein müsste); und für extern gesteuertes Lernen fehlt es anexterner Steuerung und Inputkontrolle. 3.5.2.2 Didaktisch-methodische Entscheidungen (2): Intake In der kognitiv-konstruktivistischen Lerntheorie wird Fremdsprachenlernen als aktives Kon-struieren eines subjektiven Sprachmodells ( interlanguage ) verstanden. Der Lernende verar- beitet den lernwirksamen Input unter Ausschöpfung aller kognitiven Ressourcen, die ihm zurLösung dieser Aufgabe zur Verfügung stehen.Verschiedene kognitive Ressourcen können dabeiins Spiel kommen. Der lernungewohnte Asylbewerber erwirbt seine Kenntnisse unbewusst,eingebettet in lebenspraktische Vollzüge, nach Maßgabe seiner intuitiven Erwerbsstrategienund des ihm zur Verfügung stehenden Weltwissens. Anders die lerngewohnte ausländischePraktikantin: Sie ergänzt den alltäglichen, intuitiven Spracherwerb durch bewusstes Lernen;sie beschafft sich geeignete Lehrbücher, Sprach-CDs, Wörterbücher und arbeitet jeden Tageine halbe Stunde mit diesen Materialien. Der intuitive Erwerb wird hier durch intellektuellgesteuerte Prozesse des bewussten und autonomen Lernens überlagert. Sie lernt (zusätzlich/ergänzend/ konkurrierend?) nach einem Lehrplan, dessen Arbeitsweise und Fortschritte siedurch metakognitive Prozesse (durch ihren inneren Lehrer) steuert und überwacht. Ihr Lerner-folg hängt letztlich von der Qualität dieses Lehrplans ab: von der Qualität der Materialien(Input), von der Qualität der vorrangig eingesetzten Verarbeitungsstrategien (z.B. Analog-strategie, Monitorstrategie) und von der Steuerungskompetenz des inneren Lehrers. Viele Menschen machen die Erfahrung, dass sie eine Fremdsprache allein für sich schlecht lernen können; das gilt für den Spracherwerb im Lande, mehr noch für das Fremdsprachen-lernen außerhalb des Kulturkreises der Zielsprache. Da der direkte Sprachkontakt und damitdie lebenspraktische Grundlage für intuitive Erwerbsprozesse fehlt, kann der innere Lehrplanden Lernprozess allein nicht tragen, Hilfe von außen ist erforderlich: Ein äußerer Lehrplanund ein äußerer Lehrer übernehmen (vorübergehend?) die Lernsteuerung; die Kommunikati-on in der Lerngruppe bietet Gelegenheit zu aktiven Übungshandlungen. Wichtig für die Beurteilung des Verhältnisses von äußerem und innerem Lehrplan ist die Hypothese, dass letztlich nur der innere Lehrplan lernwirksam ist. Denn die Konstruktion der Lernersprache ist eine intellektuelle Leistung, die jeder Lerner individuell für sich selbererbringt – ganz, teilweise oder auch gar nicht. Die Frage nach der Gestaltung des äußerenLehrplans stellt sich damit in besonderer Weise: Wie muss der äußere Lehrplan beschaffensein, damit er die Prozesse des inneren Lehrplans optimiert? Um den inneren Lehrplan (aufindirektem Weg) beeinflussen und steuern zu können, muss der Lehrende eine Vorstellungdavon haben, was bei der Tiefenverarbeitung des Input im Kopf des Lerners geschieht. Nachden lernpsychologischen Annahmen, auf denen die vorliegende Methodik gründet, lässt sichder Prozess des Intake in Teilprozesse ( Lernphasen ) aufgliedern. Die wichtigsten Stationen des Konstruktionsprozesses sind wie folgt. 71Allgemein wird ein Zustand der Lernbereitschaft vorausgesetzt: Offenheit für Lernprozes- se, Interesse, Motivation, eine positive Grundeinstellung, kein zu hoher Affektivfilter. DerLernende ist willens und bereit, Neues aufzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen, errichtet seine Aufmerksamkeit auf den Lerngegenstand und stellt damit für die Sprach-verarbeitung kognitive Ressourcen bereit. Nehmen wir an, im Rahmen eines Esperanto-Kurses hätte der fremdsprachliche Input die Form einer Lautfolge wie z.B. /kiu estas via nomo/ (steigende Intonation). Die Lautfolge muss im ersten Schritt hypothetisch interpretiert werden: hinsichtlich ihrer phonetischen, le-xikalischen, grammatischen Eigenschaften und natürlichen auch nach Merkmalen des Ge-brauchs (In welchen Handlungsplänen kann diese Lautfolge eingesetzt werden, um was zubewirken?). Für diese Interpretation(en) kann nur teilweise auf V orwissen zurückgegriffenwerden; vielleicht sind einzelne Wörter aus der Lautfolge schon bekannt, können aus demVorwissen (Drittfremdsprachen) inferiert oder aus der Situation heraus (gegenseitige V orstel-lung) erschlossen werden. Entsprechend der Qualität des V orwissens und der eingesetztenStrategien bildet der Lernende mehr oder minder brauchbare Anfangshypothesen („Es wirdnach dem Namen gefragt; nomo bedeutet ‘Name’; kiu ist ein Fragewort …“). In der zweiten Phase werden diese Anfangshypothesen auf der Basis von weiterem Input getestet und elaboriert; der Lehrende weist z.B. auf sich selber und sagt /mia nomo estas Müller/ (fallende Intonation). Auf diese oder ähnliche Weise werden Zusatzinformationen gesammelt; die Anfangshypothesen nähern sich im Idealfall den entsprechenden zielsprach-lichen Konventionen an. Theoretisch könnte man sich diese zweite Phase als einen primärrezeptiven Prozess vorstellen (vgl. KRASHEN 1985); ungleich effektiver unter Unterrichts- bedingungen sind jedoch aktive Probierbewegungen des Lernenden mit geeigneten Rückmel- dungen des Unterrichtenden. Der Lernende testet z.B. mehrere Hypothesen gleichzeitig, in-dem er versuchsweise die Lautfolge /via nomo estas Müller/ (steigende Intonation: „Ihr Name ist Müller?“) produziert und prüft, ob der Unterrichtende bestätigt oder korrigiert. SolcheProbierbewegungen bieten dem Lernenden die Möglichkeit, lernkritische Optionen selektivzu testen; die Rückmeldung des Lehrers ist die Antwort auf eine indirekt gestellte Frage – unddamit ein hoch lernwirksamer sekundärer Input . In der dritten Phase wird das so gebildete Rezept durch den Gebrauch in anderen Lernzusam- menhängen verallgemeinert ( Transfer ); es ist nicht länger punktuell an den ursprünglichen Lernkontext gebunden und erlangt Symbolqualität. Das symbolisch verallgemeinerte Rezeptwird intern an der passenden Stelle in die Lernersprache eingefügt, wo es als neues Elementin der „inneren Bibliothek“ zur weiteren Benutzung bereitgehalten wird. So kann zum Bei-spiel das Fragewort kiu nicht mehr nur im ursprünglichen Lernkontext, sondern in beliebigen Fragekontexten benutzt werden. In der vierten Phase werden Abrufstrategien gebildet und durch Übungshandlungen auto- matisiert. Ohne geeignete Abrufstrategien bliebe das neue Wissen nutzlos; es könnte zwarwiedererkannt, aber nicht aktiv gebraucht werden. Abrufstrategien werden in Abhängigkeitvon den jeweiligen Lernoperationen erworben; wichtige Fähigkeitsbereiche sind Hörverstehenund Sprechen, Leseverstehen und Schreiben, in zweiter Linie auch Übersetzen. Hörverstehenlernt man, in dem man hört, Sprechen, indem man spricht. Die Abrufstrategien werden ak-zentuiert erworben: Jede dieser Fertigkeiten muss daher einzeln geübt und erarbeitet werden.In dem Maße, in dem aus der Kommunikation heraus automatisiert und erfolgreich auf das 72gespeicherte Wissen zugegriffen werden kann, schwindet das Lernmotiv: Ein erstes Lern- plateau ist erreicht; die kognitiven Ressourcen, die durch den Lernprozess gebunden waren,werden wieder für andere Aufgaben frei. In der Lernwirklichkeit überlappen und durchdrin-gen sich die Phasen einer Lernsequenz. Das erste Lernergebnis wird oft noch Defizite aufweisen; solche Defizite können später An- lass für einen neuen „Lernschub“ sein. Die Bildung der Lernersprache und deren Annäherungan zielsprachliche Standards ist häufig ein längerer Prozess mit Lernplateaus und Sprüngen,aber auch mit der Möglichkeit des Stillstands und der Verfestigung defizitärer Konstruktio-nen (Fossilisierung). Wenn der Lernende bei der Konstruktion seiner Lernersprache etwa so vorgeht, wie es hier angenommen wird, so stellt sich die Frage, wie ein äußerer Lehrplan beschaffen sein müsste,der Lernhandlungen der beschriebenen Art ermöglicht und anregt. Dabei ist zu bedenken,dass eine solche Strategie des aktiven Konstruierens keineswegs von jedem Lerner spontan eingeschlagen wird; viele Lerner neigen, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus eherzur Passivstrategie (Nachahmung), zur Analogstrategie (Einschaltung von kognitiven Mitt-lern), zur Monitorstrategie (explizite Sprachbetrachtung) oder zu Mischformen dieser Zu-gänge. So unterschiedlich die Zugänge aus Lernersicht, so vielfältig sind auch die didaktisch-methodischen Konzepte aus der Sicht des Fremdsprachenlehrers. Diese Vielfalt lässt sich imKern auf auf drei globale Zugänge (oder Mischformen davon) reduzieren: Das Steuerungs- prinzip der Lernaktivitäten ist das Merkmal, auf das es hier ankommt. Nach diesem Kriteri-um unterscheide ich holophrastisch-imitative, synthetisch-ganzheitliche und analytisch-phasierende Methoden. Holophrastisch-imitative Methoden spielen im Fremdsprachenunterricht immer schon eine große Rolle; lernerseitig entspricht dieser Methode die Passivstrategie. Jede Form von sprach-oberflächenorientiertem Auswendiglernen gehört in diesen Zusammenhang, egal ob dabeieinzelne Wörter, Kollokationen oder ganze Sätze (Holophrasen) gelernt werden. Zunächstdenkt man hier natürlich an das listenmäßige V okabellernen, das viele Lehrkräfte sogar infortgeschrittenen Stadien des Lernprozesses noch für unentbehrlich halten (HOHMANN 1985).Das holophrastisch-imitative Lernprinzip steckt letztlich aber auch hinter der suggestopädi-schen Séance oder hinter manchem pseudo-kommunikativen Übungsdialog moderner Lehr-werke. Da keine Tiefenverarbeitung stattfindet, die Redemittel nicht analysiert und aufge-schlossen werden, verharrt der Lerner bei der (erstsprachlichen) Anfangshypothese; dasimitative Einüben festigt primär die Assoziation zur Erstsprache – gleichgültig, ob im Unter-richt einsprachig unterrichtet wird oder nicht. Wenn das holophrastisch-imitative Lehrkonzept den Lerner in eine unproduktive Mischung von Passiv- und Analogstrategie drängt – warum finden sich Übungen dieses Typs auch inmodernen kommunikativen Lehrwerken? Wie später zu zeigen sein wird, sieht sich derLehrbuchautor in einem Dilemma: Einerseits soll ein Lernstoff angeboten werden, der derpragmalinguistischen Analyse einigermaßen standhält; andererseits soll die Lernersprachesystematisch nach dem Prinzip I+1 aufgebaut werden. Gerade am Anfang des Lernwegs sinddiese Forderungen kaum zu vereinbaren. Ein gewisses Maß an holophrastischem Lernen,besonders im Bereich der Idiomatik, lässt sich wahrscheinlich kaum vermeiden. Allerdingskann dieses Konzept den Lehrplan nicht auf Dauer tragen. Streng genommen taugt es allenfallsfür die Auflistung von Redemitteln in Lernzielkatalogen oder in einem Sprachreiseführer; 73sinnvoller Spracherwerb allein durch Imitation, ohne Tiefenverarbeitung des Lernstoffes, ist nicht vorstellbar. Auf den ersten Blick sehen die Übungsformen, die für die synthetisch-ganzheitlichen Me- thoden typisch sind, ebenfalls nach vordergründigem Auswendiglernen aus. Man will imUnterricht natürliche Erwerbsprozesse nachahmen; gelernt wird durch Tätigkeit, durch anden Stand der Lernersprache angepasste kommunikative Praxis: Es werden realitätsnahe,motivierende Texte und Sprechanlässe angeboten, und es wird weitgehend einsprachig gear-beitet. Der Lernende erwirbt sein Wissen auf induktivem Weg, wobei seine Induktionen (zu-mindest in den weniger radikalen Varianten dieses Konzepts) vom Lehrplan her durch geeig-nete sprachbezogene Übungsformen gestützt werden. Das Arbeitsprinzip lässt sich anhandder folgenden Übung veranschaulichen: A: What are you going to do after this class? B: I’m going to / have a glass of wine with … / meet my husband at …/ go straight home. / … (Vorgegebene Antwortbeispiele:) B: Well, I’m hungry. I’m going to have a pizza at the new Italian restaurant across the street.B: Alf and I are thirsty. We’re going to have a beer at the Löwen. Why don’t you come along and have a meal there? Quelle: Englisch für Erwachsene B2 (Cornelsen), S.6 In der Übung wird gelernt, wie man Handlungabsichten ausdrückt; neu ist der Gebrauch des going to-Future , der Wortschatz ist aus früheren Übungen geläufig. Die Übung knüpft an den Stand der Lerngruppe an und führt nur in einem Punkt weiter (Input unter Beachtung desPrinzips I + 1). V on den Lernenden wird erwartet, dass sie intentional und mitteilungsorientiertreagieren: Sie sollen Auskunft darüber geben, was sie tatsächlich nach dem Unterricht tunwerden. Die Substitutionstafel bietet keine starre Fertigkost zur Imitation an, sondern offeneMuster, an denen man sich bei der Produktion eigener Äußerung orientieren soll. Insofernkann hier trotz der engen Steuerung durchaus von einer mitteilungsbezogenen Übung gespro-chen werden. Eine solche Übung ist „ganzheitlich-synthetisch“ angelegt, weil sie, ähnlich wie beim natür- lichen Spracherwerb, aus der Sicht des Lerners alle Lernphasen von der Sprachaufnahme biszur Sprachanwendung in einen einzigen Schritt zusammenfasst: Er muss Hypothesen bildenzur Form, zur Bedeutung und zum Gebrauch der neuen Redemittel; zugleich wird erwartet,dass er diese neuen Redemittel in korrekter Weise zur Kommunikation benutzt und dass das,was er sagt, in der gegebenen Situation Sinn macht. Der Lerner ist auf mehreren Ebenen zugleich gefordert; er befindet sich in einer ähnlichen Lage wie jemand, der beim Zeitunglesen fernsieht und obendrein noch ein beiläufiges Ge-spräch führt. Im Prinzip ist eine solche Aufteilung der kognitiven Ressourcen auf mehrereparallele Prozesse durchaus möglich – unter der V oraussetzung allerdings, dass keiner dieser Prozesse subjektiv als sonderlich schwierig oder interessant empfunden wird. Übertragen aufden Fremdsprachenunterricht heißt dies, dass stärkere Lerner („Spracherwerber“) mit den 74Ansprüchen dieser Übung zurechtkommen sollten: Wer intuitiv und ohne besondere Anstren- gung auffasst, worauf bei dem neuen Lernstoff zu achten ist, kann seine kognitiven Ressour-cen mehr auf die Sprechplanung und auf aktive Probierbewegungen zur Elaboration seinerHypothesen konzentrieren. Da brauchbare Anfangshypothesen spontan gebildet werden, istder Umweg über kleinschrittige Sprachanalysen, über Erklärungen und Terminologien ver-meidbar; gelernt wird höchst ökonomisch und höchst effektiv nach dem Prinzip learning by doing. Bei durchschnittlichen oder schwächeren Lernern (Spracherlernern bzw. Sprachlernunge- wohnten) führen ganzheitliche Übungen dieser Art rasch zu einer Überlastung der kogniti- ven Ressourcen. So wie der Zeitungsleser, der über einen interessanten Artikel stolpert, sichnun ganz der Zeitung widmet und andere Informationsquellen ausblendet, reagieren dieseLerner auf reale oder vermeintliche Lernschwierigkeiten mit stärkerer Fokusbildung. Werdabei schon an der Sprachoberfläche stockt (z.B. bei der Auffassung der unterschiedlichenWortstellung bei Frage und Aussage), wird große Probleme haben, gleichzeitig eine sinnvolleMitteilung unter Verwendung eben dieser Redemittel zu bilden. Die Vorgabe im Lehrbuchwird mechanisch nachgeahmt – oder es entwickelt sich ein ineffektives Ratespiel im Sinne destrial-and-error learning . Für weniger schnelle Lerner müsste die Aufgabenstellung also dahingehend erleichtert wer- den, dass eine sequenzielle Bearbeitung möglich wird: Im Prinzip darf zu einem gegebenen Zeitpunkt des Lernprozesses aus subjektiver Sicht jeweils nur ein Problem anfallen, demdann die volle Aufmerksamkeit gewidmet werden kann; erst wenn entsprechende Teilroutinengebildet sind, ist die Zusammenfassung zu einer komplexen Gesamthandlung zu verlangen.Einer solchen Strategie des schrittweisen V orgehens entspricht der Ansatz der analytisch- phasierenden Methoden, auf die ich im Folgenden eingehe. V orher jedoch, stellvertretend für die vielen Varianten der synthetisch-ganzheitlichen Metho- den (Direkte Methode, Berlitz-Methode etc.) ein Blick auf den Natural Approach (KRASHEN, TERRELL 1983). Der Name ist Programm: Die Fremdsprache soll auch im Unterricht aufnatürliche Art erworben werden. Jeder Spracherwerb setzt verständlichen Input voraus; dieVerarbeitung und Auswertung dieses Input jedoch soll dem Lerner überlassen bleiben. Dabeiwird ihm eine ausgedehnte silent period zugebilligt; er wird nicht gedrängt, frühzeitig im Lernprozess selber sprachlich aktiv zu werden: „The central hypothesis of the theory is that language acquisition occurs in only one way: by understanding messages. (…) acquisitionis based primarily on what we hear and understand, not what we say.“ (54) Sprachlicher Output ergibt sich gleichsam von selber ( „…output emerges …“ ), sobald der Lerner vom Stand seiner acquired competence und Gemütsverfassung ( low affective filter ) bereit ist. Der Unterricht erfolgt einsprachig unter Beachtung des Prinzips I+1. Auf Erklärungen, den Gebrauch von Fachsprachen und sprachformorientierte Korrekturen wird weitgehend ver-zichtet: „Language is best taught when it is being used to transmit messages, not when it is explicitly taught for conscious learning“ (55, fett im Original). Der Lernstoff wird themen- orientiert ausgewählt, nicht nach grammatischen Gesichtspunkten: „If the Input Hypothesis is correct, (…) providing comprehensible input in sufficient quantity will automaticallydeliver the right grammar … sequencing of grammatical rules will take care of itself“(175). Erwachsene und Kinder lernen nach dieser Annahme vom Prinzip her auf gleicheWeise ( „… all performers, young and old, are acquirers …“ , 61); allerdings wäre zu beach- 75ten, dass sich der Affektivfilter ab der Pubertät erhöht (vgl. 46, 61). Entsprechend wichtig sind Maßnahmen zur Senkung des Affektivfilters. Die unterrichtspraktischen Konsequenzen der Methode sind rasch beschrieben: „… the most important element of any language teaching program is input“ (55). Für den Einstieg in das Fremdsprachenlernen orientieren sich KRASHEN/ TERRELL an ASHER’s TPR-Methode(total physical response ): Der Lehrer fordert auf, bestimmte Handlungen auszuführen ( Put up your left hand ); die Lerner zeigen ihr Verstehen, indem sie sich entsprechend verhalten (die linke Hand heben; für Einzelheiten vgl. ASHER 1977). Sobald die Lerner auf diese Weise den Einstieg bewältigt haben, schließt sich eine breite Palette von acquisition activities an (vgl. 95 ff.): affective-humanistic activities (interviews, preferences, talking about yourself etc.), problem-solving activities, games, content activities.Diese activities repräsentieren den methodischen Kern des Natural Approach (vgl. 95 ff.) : „It is through acquisition activities that the instructor will (1) introduce new vocabulary,(2) provide the comprehensible input the students will utilize for acquisition, (3) createopportunities for student oral production, and (4) instill a sense of group belonging andcohesion which will contribute to lower affective filters.“ Losgelöst von seinen theoreti- schen Wurzeln hat ein solcher activities approach Eingang in viele aktuelle Lehr- und Lern- materialien des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts gefunden. Der Natural Approach ist für den universitären Bereich entwickelt worden und wurde dort auch erprobt. Man darf annehmen, dass die Zahl der „Spracherwerber“ in diesem Umfeldhöher ist als etwa in der neunten Klasse einer Hauptschule. Erfolgsmeldungen dürfen dahernicht überbewertet werden, zumal es bei den Erprobungen nicht um Fremdsprachenunterricht(z.B. Deutsch für Amerikaner), sondern um englischen Zweitsprachenunterricht für auslän-dische Studenten in den USA ging: Der Spracherwerb im Unterricht wird beim Zweitsprachen-lernen in kaum quantifizierbarem Maß durch außerunterrichtliche Erwerbsprozesse in lebens-praktischen Anwendungen unterstützt. Selbst wenn sich die Methode auf den Fremdsprachenunterricht übertragen ließe, bliebe je- doch festzuhalten, dass sie hohe Ansprüche an das autonome Lernvermögen stellt: Wer mitganzheitlich-synthetischen Übungsformen Probleme hat, wer mit der Verarbeitung undSystematisierung des Input sowie der Konstruktion seines inneren Sprachmodells im Allein-gang nicht zurechtkommt, kann nicht auf Hilfe rechnen. Die Methode leistet nichts zurQualifizierung des inneren Lehrers (Monitorlernen wird abgelehnt) oder zur Optimierung desinneren Lehrplans: Es wird vorausgesetzt, dass der Lerner von selber am besten lernt. Dassdiese V oraussetzung nur für einen kleinen, sehr sprachbegabten Personenkreis gilt, zeigt nichtzuletzt ein Blick auf den natürlichen Zweitsprachenerwerb weniger befähigter Lerngruppen(die auf sich allein gestellt allenfalls ein wenig Pidgin erwerben). Damit komme ich zu den analytisch-phasierenden Methoden. Hier wird der Gesamtprozess in Teilprozesse, in eine Abfolge von Lernphasen und Lernschritten, aufgegliedert – was gene-rell den V orteil bietet, dass die Lernschwierigkeiten isoliert und (mit geeigneten Lernerleichte-rungen und Lernhilfen) akzentuiert erarbeitet werden können; die Zusammenfassung undKoordination der Teilroutinen steht jeweils erst am Ende der Lernsequenz, nicht gleich amAusgangspunkt wie bei den synthetisch-ganzheitlichen Methoden. Auf ein Beispiel zur Ver-anschaulichung dieses Konzeptes soll hier verzichtet werden, da die praktische Seite im zwei-ten Teil dieses Buches ausführlich behandelt wird. 76Analytisch-phasierende Methoden sind auf den Einbezug der phylogenetisch wichtigsten humanspezifischen Lernressource angelegt: auf die Fähigkeit des Menschen, mit problem-lösendem Denken und bewusstem Lernen dort fortzufahren, wo bloße Beobachtung, Nach- ahmung und intuitiv gesteuertes Probieren nicht weiterführen. Bewusste Lernprozesse wer-den von vielen Fremdsprachendidaktikern abgelehnt; ausgehend von der non-interface Hy- pothese wird unterstellt, dass bewusstes Lernen (häufig identifiziert mit expliziter Grammatik-analyse) nicht zu praktischem Fremdsprachenkönnen führe (z.B. STANDOP 1991). Auskognitionspsychologischer Sicht können jedoch weder die V oraussetzungen (Existenz getrennterLern- und Behaltenssysteme) noch die Folgerungen (Verzicht auf bewusst gesteuertes Ler-nen) als plausibel gelten; ich fasse noch einmal kurz zusammen: •Jeder Lernprozess impliziert eine Mobilisierung von Lernressourcen im Geistorgan. Welcher Aufwand dabei intern getrieben wird, ist abhängig von (meist unbewussten) subjektiven Bewertungen des Lerngegenstandes (Wichtigkeit, Schwierigkeit, affektiveBewertung etc.). Umso wichtiger/ schwieriger ein Lerngegenstand eingeschätzt wird,desto umfassender die Allokation kognitiver Ressourcen – bis hin zur Bündelung derAufmerksamkeit (Fokusbildung) auf einen bestimmten Prozess, der damit zeitweisezulasten anderer, parallel ablaufender kognitiver Prozesse in den Vordergrund desBewusstseins rückt. Man kann intuitive und bewusste Lernprozesse zwar idealtypischgegenüberstellen; in der Realität wird man es jedoch eher mit einem Kontinuum im Grad der Bewusstheit von Lernhandlungen zu tun haben. •Jeder erfolgreiche Lernprozess führt im Ergebnis zur Bildung von Routinen : nach der hier gewählten Terminologie zur Bildung von Wissensrezepten, die automatisiert abruf- bar sind und daher die kognitiven Ressourcen nur noch gering belasten. Lernfortschrittkann entsprechend als „Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten bei progressiverEntlastung der kognitiven Ressourcen“ definiert werden. •Die Frage, ob ein Wissensrezept stärker ideational, operativ oder affektiv akzentuiert ist, hängt von der Art der Tätigkeit ab, durch die es gebildet wurde. Wird primär theoretisch gelernt, so führt dies zu einer ideational akzentuierten Wissensroutine (umgangssprach- lich spricht man hier von „Wissen“ im Gegensatz zum „Können“); wird primär prak-tisch gelernt, so ist eine stärker operative Akzentuierung die Folge. Auch hier geht es nicht um ein Entweder-Oder, sondern um Fragen der Akzentuierung in einem Kontinu-um. Ob die Lerntätigkeit, durch die die Routine gebildet wurde, eher bewusst oder eherintuitiv gesteuert wurde, ist in diesem Zusammenhang fast unerheblich. Das Steuerungsprinzip der Lerntätigkeit (intuitiv … bewusst) ist interessant also eher aus lernprozessualer Sicht als aus der Sicht des Lernresultats. Wer etwas gleichsam beiläufig undintuitiv erlernen kann, wäre in der Tat mit einem kleinschrittigen, in allen Einzelheiten be-wussten und fokussierten Lernprozess schlecht beraten, da er, gemessen an seinen Möglich-keiten, einen viel zu hohen Aufwand treibt. (Darum reagieren „Spracherwerber“ auf gutge-meinte Erklärungen oder auf zu kleinschrittige Lernprozesse häufig demonstrativ gelang-weilt und unkonzentriert.) Wer dagegen ein Lernproblem nicht spontan lösen kann, trotz mehrerer Anläufe eher blind probiert als gezielt zu lernen, der muss intern (höhere Allokation kognitiver Ressourcen) undextern (schrittweises Vorgehen, abgestufte Schwierigkeit etc.) einen höheren Lernaufwandtreiben, um zum Erfolg zu kommen: Er muss bewusster, konzentrierter und nach einem auf- 77wendigeren, kleinschrittigen Lehrplan vorgehen. Entsprechend stellen gerade die analytisch-phasierenden Methoden hohe Anforderungen an die Qualifikation der Lehrkraft. An die Stelle der simplen Nachahmung des gewünschtenEndverhaltens tritt hier die differenzierte Planung von Lernprozessen und der Einsatz vonLernhilfen zur Optimierung der Lernverläufe. Dabei gibt es bestimmte Missverständnisse. Viele Lehrkräfte verwechseln Prozesse des äußeren und des inneren Lehrplans – oder identi- fizieren sie miteinander. Eine als Lernhilfe gemeinte Erklärung des äußeren Lehrplans, etwadie Regelformulierung einer deskriptiven Grammatik, ist nicht mit einer entsprechenden in-neren Anweisung gleichzusetzen: Dazwischen liegen subjektive Akte des Verstehens, derHypothesenbildung, des Hypothesentestens, der Symbolisierung – kurz: der Konstruktioneiner inneren Repräsentation. Welche Form die innere Repräsentation hat, wissen wir nicht;jedenfalls ist sie nicht mit den Regeln der deskriptiven Grammatik identisch – wie menschen- freundlich diese auch formuliert sein mögen. Aber auch der Umkehrschluss, grammatische Regeln seien für das Sprachenlernen von vornherein sinnlos, da ihnen keine psychologische Realität zukomme (so etwa STANDOP1991), ist problematisch: Sinnvoll aufgebaute Erklärungen können durchaus eine Lernhilfesein. Der Tennisspieler, der seine Technik verbessern will, braucht den Rat seines Trainers,braucht sinnvolle Arbeitshypothesen und Übungspläne; blindes „Drauflosspielen“ bringt ihnum keinen Schritt weiter. Jedoch bleibt die Umsetzung von Prozessen des äußeren Lehrplansin Prozesse des inneren Lehrplans auch hier eine Leistung, die vom Lerner individuell er-bracht werden muss und die ihm letztlich niemand abnehmen kann. Ein geschickt angelegterUnterricht kann den internen Konstruktionsprozess zwar anregen (das Zauberwort in diesemZusammenhang heißt „entdeckendes Lernen“), aber nicht erzwingen. Das Aha-Erlebnis, dasden Schritt zur nächsthöheren Lernstufe einleitet, kommt von innen, nicht von außen. Die vergleichende Darstellung der drei grundlegenden Intake-Konzepte macht deutlich, dass die viel diskutierte Frage um die „richtige“ Methode des Fremdsprachenlehrens falsch ge-stellt ist. Es gibt nicht eine Methode, die unabhängig von Lerner, Lehrer, Lehr- und Lernmit-teln etc. die beste wäre. Eine entsprechende Qualifikation der Lehrkraft und die Existenzgeeigneter Lehr- und Lernmittel vorausgesetzt, wäre die Methode letztlich vom LERNER her zu wählen. Der Spracherwerber lernt am besten in ganzheitlich-synthetischen, realitäts-nahen Anwendungen: Den Umweg über kleinschrittige Analysen, metasprachliche Erklärun-gen und explizite Lernhilfen kann er sich sparen. Je geringer jedoch das autonome Lern-vermögen, desto kleinschrittiger muss der Lehrplan angelegt sein, desto wichtiger wird dieRolle intelligent geplanter Lernhilfen. Der äußere Lehrplan hätte die Steuerungsmomente zuliefern, die dem inneren Lehrplan zunächst noch fehlen. Außerdem stellt sich hier die Aufga-be, das Lernen zu lehren, etwas für den Aufbau der fehlenden Steuerungskompetenz zu tun. 783.5.2.3 Didaktisch-methodische Entscheidungen (3): Output Der verbale Output des Lerners ist die wichtigste Informationsquelle, die im Fremdsprachen- unterricht für die Kontrolle und Beurteilung des Lernprozesses zur Verfügung steht. Leiderist diese Informationsquelle sehr vieldeutig und schwierig zu interpretieren, da man gezwun-gen ist, auf unsicherer Basis von einem Ergebnis auf den Prozess zu schließen, der diesesErgebnis (möglicherweise) hervorgebracht hat. Wenn die inneren Prozesse auf direktem Wegezugänglich wären, könnte man zuverlässiger urteilen. Die inneren V orgänge lassen sich je-doch weder von außen beobachten (die Ergebnisse hirnphysiologischer Messungen sind fürZwecke der Lehr- und Lernplanung wenig aufschlussreich) noch auf technischem Weg simu-lieren. Auch die Selbstbeobachtung des Lerners stößt an Grenzen. Denn nur bewusste Vor-gänge (Monitorprozesse) sind der Selbstbeobachtung zugänglich. Der eigentliche Konstruk-tionsprozess, der zur Bildung einer Lernersprache führt, ist jedoch weitgehend unbewusst.Die Selbstbeobachtung erfasst daher nur einen Bruchteil der inneren Vorgänge – und zwareher den uninteressanteren Teil. Obendrein sind die Ergebnisse der Selbstbeobachtung wenigzuverlässig: Indem man sich selbst beobachtet, greift man in den Verlauf ein und verändertihn, die inneren Abläufe werden auf eine bewusste Ebene angehoben. Entsprechend vorsich-tig sollte man Informationen beurteilen, die so gewonnen werden, trotz der Fortschritte, die inder Methodik der Datenerhebung gemacht wurden (vgl. LEGENHAUSEN 1993). Der fremdsprachliche Output des Lerners ist oft inkonsistent, fehlerhaft und vieldeutig. Die im Output beobachteten Fehler können auf Ungenauigkeiten der Lernersprache verweisen,auf Probleme im Abruf des gespeicherten Wissens – oder auch nur auf Flüchtigkeit und Kon-zentrationsmängel. Auch bei fehlerfreien Äußerungen ist oft nicht klar, ob der Lerner dasmeint, was er sagt, ob und welche Enkodierungsstrategien (sprachliche Umwege, Paraphra-sen etc.) er einsetzt, ob affektive Faktoren oder Monitorprozesse hineinspielen, welche Rolledie Aufgabenstellung oder ggf. das Testverfahren spielen (CORDER, 1981). Besonders auffällig sind die Fehler , die im Lerneroutput vorkommen. In der Identifikation, Korrektur, Interpretation und Bewertung der Fehler liegt nach traditionellem Verständniseine der wichtigsten Aufgaben des Fremdsprachenpädagogen. Maßstab bei der Identifikationvon Fehlern ist die Sprachintuition des gebildeten Muttersprachlers (die der Fremdsprachen-lehrer nach besten Kräften nachempfindet), die Korrektur orientiert sich am Übungsziel, dieBeurteilung drückt sich in Änderungen am Lehrplan, oft auch in einer Bewertung des indivi-duellen Lernerfolgs aus, der an der Zahl der Fehler im Lerneroutput festgemacht wird (vgl.z.B. LADO 1971, V ALETTE 1971, UNGAR 1979, DOYÉ 1981). Ob eine Lernkontrolle dieser Art wirklich aufschlussreich ist, muss bezweifelt werden. Denn sie legt einen problematischen Maßstab an den Spracherwerb an und unterstützt den Lern-prozess kaum; sie entmutigt womöglich die lernproduktiven Probierbewegungen und fördertin der Rückwirkung des Kontrollverfahrens auf den Lernprozess eine passive, auf Fehler-vermeidung gerichtete Monitorstrategie und sprachformorientiertes Lernen. Bevor man überdie Instrumente der Lernkontrolle spricht, muss man sich daher über den Maßstab verständi-gen, an dem der Lerneroutput gemessen werden soll. Dieser Maßstab hängt mit den Lehr-zielen, mit dem Zweck der Lernkontrolle, sehr eng auch mit den lerntheoretischen Annahmenzusammen. Begreift man Lernfortschritt im behavioristischen Sinne als Vermehrung von „ge-konnten“ Bausteinen, so sind Ungenauigkeiten und Fehler ein lästiger Störfaktor, der dieBildung und Festigung der gewünschten Assoziationen behindert (LADO 1971). Das gilt für 79alle Fehler, gleich welcher Genese. Fehler seien nach Möglichkeit zu vermeiden; am besten wird schon vorbeugend entsprechend unterrichtet (mechanisches Memorieren, Drills mitAntwortsteuerung). Lernfortschritt versteht man quantitativ als Summe der in Tests fehler-frei reproduzierbaren Sprachmuster; im Extremfall muss man mit Erfolgsmeldungen rech-nen, wie sie in der Zeitschriftenwerbung für manche Selbstlernkurse üblich sind: „In 20Stunden 1000 V okabeln gelernt!“ Vor dem Hintergrund der Spracherwerbsforschung und im Licht der kognitiven Lerntheorie ist ein derart mechanisches Verständnis des Fremdsprachenlernens nicht länger haltbar. Spra-chen werden nicht additiv in Elementen und Bausteinen gelernt; ein Kind hakt beim Erwerbseiner Muttersprache nicht erst die Negation ab (und übt diese bis zur fehlerfreien Beherr-schung), bevor es sich der Fragebildung zuwendet. Sprachen werden in Annäherungsprozessenerworben; dabei gibt es Stufen der teil-richtigen Anwendung, Verzögerungen und Sprünge imLernfortschritt. Jeder Lerner entnimmt dem Lernstoff zu einem gegebenen Zeitpunkt nur das,was für ihn verständlich und lernökologisch valide ist, wofür er vom Stand seiner Lernres-sourcen bereit ist. Seine Interlanguage entwickelt sich nicht additiv, durch passive Übernah- me und memorierendes Einprägen (wobei die Reihenfolge des Erwerbs tatsächlich gleichgül-tig wäre), sondern in Etappen und Schüben, denn es gibt subjektiv schwere und leichte Lern-gegenstände. Der Lernzuwachs pro Übungseinheit ist entsprechend nicht gleichmäßig ver-teilt, sondern es entstehen Lernplateaus , die man je nach erreichtem Könnensniveau als Wissensinseln und Wissenstäler ansprechen kann: Schaubild 8: Lernverläufe und Lehrstrategien Schaubild 8 zeigt, wie sich unterschiedliche Maßstäbe in der Praxis auswirken: Lehrer A versteht sich als gewissenhaft, streng und anspruchsvoll. Er erwartet ein hohes Könnens-niveau, im gewichteten Durchschnitt der Lerngruppe zu 80 Prozent richtige Lösungen, bevorer zur nächsten Lektion übergeht. Seine Begründung lautet: Die Grundlagen müssen stim-men, es sei alles nur eine Frage der Übung und des Fleißes. Lehrer B möchte menschen-freundlicher an die Sache herangehen: Er setzt sein Erwartungsniveau gleichmäßig bei etwa60 Prozent an. Lehrer C wählt keinen sprachbezogenen, sondern einen prozessorientiertenMaßstab: Er beobachtet den Lernverlauf und weiß, dass es aus Lernersicht eher schwere undeher leichte Gegenstände gibt; bei schwierigen Problemen akzeptiert er zunächst eine höhereFehlerquote, bei leichten ist er womöglich noch anspruchsvoller als Lehrer A. 80Wie sind die verschiedenen Maßstäbe zu bewerten?- Lehrer A macht es sich selber und der Lerngruppe schwer: Der äußere Lehrplan liegt bei ihm in einem Dauerkonflikt mit dem inne-ren Lehrplan der Lerngruppe. Er zwingt die Lerngruppe, ständig über das hinauszugehen,was sie vom Stand eines optimierten inneren Lehrplans verkraften kann: Ob in der Erarbeitungdes Lernstoffs ein vorläufiges Lernplateau erreicht ist, interessiert ihn nicht. Er überfordert die Lerngruppe. Auch bei Lehrer B hat der äußere Lehrplan keinen Bezug zum inneren Lehr-plan: Trotz des insgesamt geringeren Anspruchs ist Überforderung nicht ausgeschlossen; undin vielen Fällen wird er die Lerngruppe unterfordern : Es wird nicht effektiv gearbeitet, eine an sich erreichbare Lernstufe wird nicht angestrebt. Bei Lehrer C orientiert sich der Maßstabflexibel am jeweils möglichen Lernfortschritt: Bei größeren Lernproblemen reicht ihm zunächstein kleiner Schritt, bei leichteren Aufgaben ist die Anforderung entsprechend höher. Lehrer Cfordert die Lerngruppe (ohne sie zu überfordern) und arbeitet mit optimalem Wirkungsgrad. Lehrer A vertritt einen Anspruch, der faktisch kaum einzulösen ist. Wer Fehler nach Möglich- keit vermeiden will und eine Lektion erst abschließt, wenn alles „gekonnt“ wird, wird nurlangsam vorankommen, denn er zwingt seine Lerngruppe, mit viel mechanischem Lernauf-wand über das erreichte subjektive Lernplateau hinauszugehen. Der Vergleich im Schaubildzeigt, dass bei zeitlich gleichem Lernaufwand Lehrer A nur drei Lektionen „schafft“, LehrerB und Lehrer C dagegen etwa fünf. Ob bei Lehrer A tatsächlich am gründlichsten gelernt wurde, ist zweifelhaft. Denn eine Lern- gruppe, die vom Stand ihrer Lernressourcen für die Verarbeitung eines bestimmten Lern-problems noch nicht bereit ist, wird auch durch vermehrtes Üben ein derart „aufgesetztes“Wissen nicht sinnvoll verbinden und in die Lernersprache integrieren können. Die praktischeLehrerfahrung zeigt dagegen, dass sich Wissentäler im weiteren Lernverlauf oft nahezu un-merklich und „fast von selber“ schließen: Die Lektion 2 im Lehrbuch, die zunächst schwierigschien, erweist sich im Wiederholungslauf aus dem Blickwinkel der Lektion 10 als eher ein-fach. (Der interne Konstruktionsprozess ist weiter fortgeschritten: Die Elemente können leichterverbunden und eingefügt werden, der Lerner ist vom Stand seiner Lernressourcen nunmehrbereit zur Verarbeitung dieses speziellen Problems.) Wer Lernverläufe künstlich verlang-samt, um vermeintlich besonders gründlich zu arbeiten und „sichere Fundamente zu bauen“,unterliegt einem Missverständnis der Dynamik von Lernverläufen und erweist seiner Lern-gruppe einen schlechten Dienst (LIGHTBOWN, SPADA 1993). Ein weiteres Problem liegt darin, dass der Bewertungsmaßstab des Lehrers von der Lern- gruppe übernommen wird: Die Lerngruppe lernt, sich selber an dem Standard zu messen, dender Lehrer implizit oder explizit an den Lernprozess heranträgt. Obwohl Lehrer A vermeint-lich also besonders langsam, gründlich und „lernerorientiert“ arbeitet, werden sich schwä-chere Lerner bei ihm unwohl fühlen: Denn bei normalem Lernverlauf haben sie Probleme,wenigstens das mittlere Wissenstal zu erreichen; auch bei großem Fleiß gibt es für sie kaumeine Chance, dem weitergehenden Anspruch schon im ersten Anlauf zu genügen. Lehrer Avermittelt ihnen folglich das Gefühl, in einem Lernprozess zu versagen, der besonders lang-sam und gründlich angelegt ist. Gemäß seiner Unterrichtstheorie, dass „alles nur eine Fragedes Fleißes sei“, lässt er irgendwann bei ständiger Wiederholung analoger Fehler vielleichtauch Ungeduld und Missmut erkennen („Der lernt es nie!“). Entsprechend verliert der Lernerdas Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit; er möchte immer noch langsamer, noch gründli-cher lernen („Wie sollen wir eine neue Lektion beginnen, wo wir doch die alte noch gar nichtkönnen?“). Es gibt Lerngruppen in der Erwachsenenbildung, die sich mehrheitlich weigern, 81eine neue Lektion im Lehrbuch zu beginnen; der Unterricht friert geradezu ein. Das Gefühl der Überforderung und des eigenen Versagens wird dabei so intensiv, dass schwächere Lernersich meist recht bald aus solchen Gruppen zurückziehen. Stärkere Lerner („Spracherwerber“) haben geringere Probleme mit dem Anforderungsniveau (ihr persönliches Wissenstal liegt höher); sie reagieren gelangweilt, mit Motivations- undKonzentrationsproblemen auf die vielen Wiederholungen und das langsame V orgehen, irgend-wann ebenfalls mit Unmut über die „Begriffsstutzigkeit“ der Schwächeren in der Gruppe.Auch von ihrer Seite ist folglich mit Ausweichreaktionen zu rechnen. Der Maßstab, an dem der Lerneroutput zu messen ist, sollte daher nicht absolut, sondern relativ zum Lernverlauf gewählt werden: Ein wenig „Mut zur Lücke“ wirkt sich auf das Lernergebnis unter Umständen positiver aus als ein stures Herumreiten auf fehlerträchtigenLernproblemen. Diesen relativen Bezugspunkt für die Bewertung des Lerneroutputs kannman sich für jeden Stand des Lernprozesses und jeden Lernstoff in Form eines Fähigkeits- profils konstruieren. Schaubild 9 vergleicht zwei dieser Fähigkeitsprofile. Schaubild 9: Das magische Viereck der Fremdsprachenmethodik – zwei Fähigkeitsprofile Die Profile haben vier Extensionen: Richtigkeit, Angemessenheit, Flüssigkeit und Expressi- vität. Jeder dieser Extensionen wird gemäß der Erwartung an die Lerngruppe ein Prozentwertzwischen Null und Hundert zugeordnet. Lehrer D erwartet ein hohes Maß an formaler Rich-tigkeit im Output; entsprechend dominieren bei ihm sprachbezogene Übungen und sprach-bezogene Korrekturen. Lehrer E zeigt mehr Fehlertoleranz und stellt Anwendungs- und 82Flüssigkeitsübungen in den Vordergrund; entsprechend unterscheidet sich das Fähigkeits- profil seiner Lerngruppe. Ein dritter Lehrer legt Wert auf idiomatische Stimmigkeit und Ex-pressivität der Äußerungen: Er lässt V okabeln und Holophrasen auswendig lernen und hofft,damit seiner Lerngruppe einen Gefallen zu tun; Probleme wären hier hinsichtlich Flüssigkeit,Richtigkeit und Angemessenheit zu erwarten. Lehrentscheidungen dieser Art werden oft nurauf intuitiver Basis getroffen. Ein expliziter Vergleich von erwünschtem und erreichtemFähigkeitsprofil kann daher in mehrfacher Hinsicht nützlich und aufschlussreich sein. Zunächst macht ein solches Fähigkeitsprofil den mehrdimensionalen Charakter von Sprach- lernprozessen deutlich: Wie die Lehrzielanalyse und Lehrplanung bewegt sich auch die Be-wertung der Lernergebnisse in einer Art „magischem Vieleck“ unterschiedlicher Anforderun-gen. Es ist schwierig, allen Zielen zugleich und in gleichem Maße zu entsprechen: Wer z.B.die formale Richtigkeit im Lerneroutput zu sehr betont, fördert womöglich einseitig dasMonitorlernen und wird Defizite bei der Flüssigkeit einkalkulieren müssen. Ein Fortschrittim Sinne kommunikativer Lehrziele setzt die Verbesserung in allen vier Dimensionen voraus,wenn auch nicht notwendig deren synchrone Entwicklung. Indem man den Unterricht be-wusst in den verschiedenen Dimensionen akzentuiert, lassen sich Erfahrungen mit verschie-denen Lernverläufen genauer auswerten und besser vergleichen. Ohne größeren Aufwandkann man sich zum Beispiel wie folgt eine Lernverlaufsskizze anfertigen: Schaubild 10: Lernverlauf „formale Richtigkeit“ für Kurs XY Auf der X-Achse wird der Lernstoff abgetragen; am einfachsten lektionsweise bezogen aufLehrbuch und Halbjahr. Die Y-Achse weist den mittleren Lernerfolg der Lerngruppe in Prozent-angaben aus. Am übersichtlichsten bleibt die Skizze, wenn man sich jeweils auf eine derDimensionen beschränkt, am aussagefähigsten sind Skizzen mit vier Kurven für die vierLerndimensionen. Die Lernverlaufsskizze kann bei der Optimierung des Lehrplans auf viel-fältige Weise nützlich sein: Das Anforderungsniveau kann besser dosiert werden, Defizite imUnterrichtsgeschehen, Schwächen des Lehrbuchs und Lücken im Stoffplan werden mög-licherweise deutlich, Wiederholungsphasen können gezielter in den Unterrichtsplan einge-baut werden, die Anforderungen für Lernkontrollen können besser abgestimmt werden. Obwohl die Zuverlässigkeit solcher Lernverlaufsskizzen nicht überschätzt werden sollte, er- lauben sie den Einstieg in die Lernverlaufsanalyse und das „forschende Lehren“: Alltags- beobachtungen können systematisiert, der Lehrplan kann mit vergleichsweise geringem Auf- 83wand evaluiert werden. Interessant kann auch der Vergleich mit entsprechenden Lernverläufen anderer Lehrkräfte und Lerngruppen sein, die mit dem gleichen Material arbeiten. Man darfvermuten, dass die Kurven zwar nicht die gleichen absoluten Werte, jedoch vergleichbareVerläufe in der Ausprägung von Wissensinseln und Wissenstälern zeigen („stoffabhängigerLernverlauf“). Dem würde die pädagogische Erfahrung entsprechen, dass es Lerngegenständegibt, die „immer wieder schwerfallen“. Um die Wirkung verschiedener Unterrichtsmethoden besser verstehen zu lernen, bietet sich die Analyse differenzierter Lernverläufe an: Man erfasst nicht einen gewichteten Mittelwert der Lerngruppe, sondern die Lernverläufe einzelner Lerner oder Lernergruppen (z.B. dieSchwächeren, die Mittelgruppe, die Stärkeren). Vergleicht man die Lernverläufe in Abhän-gigkeit von der gewählten Unterrichtsmethode, so wird man vielleicht feststellen, dass sichder Lernverlauf der Stärkeren kaum methodenabhängig verändert; der Lernverlauf der Mittel-gruppe ändert sich deutlich; und der Lernverlauf der Schwächeren reagiert ausgesprochensensibel. Dem entspricht die Alltagserfahrung, dass die starken Lerner nach nahezu jederMethode erfolgreich lernen, zur Not auch gegen den äußeren Lehrplan. Die Optimierung derLehrmethode in heterogenen Lerngruppen zielt also in erster Linie auf die die Schwächerenund die Mittelgruppe. Eine weniger günstige Lehrmethode führt zu einem deutlichen Scheren-effekt im Lernergebnis. Umgekehrt kann eine optimierte Methodenwahl zwar das Entstehenvon Wisseninseln und Wissenstälern auch nicht vermeiden, wohl aber den Schereneffekt mil-dern: Das Könnensniveau der Mittelgruppe und insbesondere das der Schwächeren wird deut-lich angehoben („methodenabhängige Lernverläufe“). Durch entsprechende Experimente (Veränderung/ Ergänzung des Stoffplans und Optimie- rung der Methode) könnte man in dieser Weise gezielt an der Verbesserung des Lehrplansarbeiten. Da Schleifenbildungen den pädagogischen Alltag kennzeichnen, wird schon die nächs-te Lerngruppe, die wieder mit diesem Material arbeitet, von solchen Verbesserungen profitie-ren. Außerdem liefert die explizite Darstellung von Lernverläufen und Erwartungsprofileneine nützliche Unterlage für die Metakommunikation zwischen Lehrer und Lerngruppe. Ichkomme später auf diesen Punkt zurück. Auch wenn man sich auf differenzierte Lernverlaufsanalysen nicht einlassen möchte: Die explizite Darstellung des Erwartungsprofils schärft den Blick für den prozessualen Charak-ter des Fremdsprachenlernens. Wer diskontinuierliche Lernverläufe erwartet und akzeptiert,wird für die Erkenntnis offener sein, dass Wissenstäler keine Lehr- und Lernkatastrophensind und dass Fehler unter Umständen eine nützliche und produktive Funktion im Lernpro-zess haben. Fehler signalisieren zugleich Können und Nichtkönnen abhängig von den subjek-tiv gewählten Lern- und Verarbeitungsstrategien. Aus der Sicht des Lernenden sind Fehler oftein Ausdruck der aktiven Suche nach Lösungswegen, des Testens von Lernhypothesen, derÜberbrückung von Wissenslücken. Es wäre fatal, wenn lernprozessual erwünschte Probe-handlungen und Prozesssignale dieses Typs nur auf Ablehnung stießen. Viele Pädagogen fühlen sich beim Thema „Lernkontrollen/ Ergebnisfeststellung / Leistungs- beurteilung“ ähnlich unbehaglich wie wohl die meisten Lerngruppen. Am liebsten würde manauf Zeugnisse und Leistungsbeurteilungen vollständig verzichten: „Zeugnisse und Schulab-schlüsse bedeuten Selektion. (…) Diese letzte Funktion ist der Schule von der Gesellschaftaufgebürdet, sie ist nicht eigentlicher Bestandteil des Lernprozesses.“ (BAUER 1991: 228).Eine so pauschale Gegenüberstellung pädagogischer und gesellschaftlicher Funktionen des 84Bildungswesens ist jedoch kaum haltbar. Wer das Leistungsprinzip abschaffen will, muss darlegen, welche Zugangskriterien der Arbeitswelt ihm besser gefallen: Familie und sozialeHerkunft, Besitz und Bildung des Elternhauses, Geschlecht, Konfession, der Grad einer kör-perlichen oder geistigen Behinderung, politische Patronage, Seilschaften und Korruption -der Möglichkeiten sind viele, keine ist sonderlich attraktiv. Das öffentliche Bildungssystemin einer demokratischen Gesellschaft garantiert im Idealfall Chancengleichheit und Chancen-gerechtigkeit (Ausgleich unterschiedlicher Startbedingungen und individueller Benachteili-gungen) – keineswegs die Abschaffung des Leistungsprinzips. Auch aus der Sicht des Lernsubjekts wäre der Verzicht auf eine differenzierte Beurteilung des Lernerfolgs kein Gewinn: Wie soll realistisches Orientierungswissen entstehen, wenn geeig-nete Rückmeldungen zum Stand des Lernprozesses ausbleiben? Wie sollen persönliche Stär-ken und Schwächen transparent werden, wie sollen subjektive Schwerpunkte und Akzentegesetzt werden? Ein Sportler, der nicht lernt, das eigene Leistungsvermögen differenziert undselbstkritisch zu beurteilen, ist nicht in der Lage, seine Ziele erreichbar zu formulieren undsein Training angemessen zu planen; die spätere Niederlage im Wettkampf wird ihn unerwar-tet und umso härter treffen. Jeder Lernprozess braucht neben der subjektiven Überzeugung,nach Abschluss einer Übungssequenz etwas besser zu wissen oder zu können als vorher, auchintersubjektive (Vergleich in der Gruppe) und objektive Bezugspunkte: einen bestimmten Stan- dard , den es zu erreichen gilt. Der Lehrer, der dem Lerner solche Bezugspunkte verweigert, hält ihn letztlich in Ungewissheit und Abhängigkeit. Denn wer selbstbestimmt lernen will,muss die Fähigkeit zur Selbstkritik entwickeln, er muss lernen, auch mit Misserfolgen oder„Noch-nicht-Erfolgen“ zu leben und angemessene Schlüsse zu ziehen. Ein wichtiger Aspektder Leistungsbeurteilung ist, dass der Lerner die eigene Zuständigkeit und Verantwortung fürden Lernerfolg sehen und akzeptieren lernt. Das heißt nun keineswegs, dass alles und jedes benotet werden soll. Für Diagnostiktests und informelle Lernkontrollen wäre eine Benotung fehl am Platze; denn hier sollen nicht Lern-ergebnisse, sondern Lernvoraussetzungen, Lernverläufe und Lernstrategien transparent wer-den. Wie soll sich der Lerner auf eine aktive Lernhaltung einlassen, Fehler und Korrekturbewusst in Kauf nehmen, wenn jederzeit das Damoklesschwert einer schlechten Benotungüber ihm schwebt? Wird beispielsweise im schulischen Fremdsprachenunterricht nach einemundurchsichtigen Prinzip die mündliche Leistung kontinuierlich beurteilt und benotet, so ver-hält sich nur der Schüler angemessen, der Fehler vermeidet, Unsicherheiten nicht erkennenlässt, im Zweifelsfall des Mund hält. Das Resultat hat viel mit Anpassung und Abrichtung,wenig mit produktivem Sprachenlernen zu tun. Der Lehrer, der sein rotes Büchlein ständigparat hat, darf sich über passives und defensives Lernverhalten seiner Schüler nicht wundern.Nur ein aktives und risikobereites Lernverhalten liefert brauchbare Daten für die Lernverlaufs-analyse. Lernkontrolle und Leistungsbeurteilung sollten nicht vermischt werden. Die Leistungs- beurteilung dient der Bewertung von Lernergebnissen auf der Basis geeigneter Prüfungenund Lernstandards. Prozessorientierte Lernkontrollen sollen den Lernverlauf transparentwerden lassen und optimieren: Sie sollen den Lernenden einladen und ermutigen, Lern-fortschritte realistisch zu beurteilen und aus Fehlern zu lernen. Auf die Methodik prozess-orientierter Lernkontrollen, auf Korrekturstrategien, Fehleranalyse und Evaluation gehe ichspäter ausführlich ein. 853.5.3 Der heimliche Lehrplan Dass der ganze Mensch lernt – und nicht nur der Kopf -, ist ein Gemeinplatz unter Pädago- gen. Eine positive und anregende Lernatmosphäre unterstützt den Lernprozess; ein hoherAffektivfilter, mangelnde Motivation und Versagensängste behindern ihn. Entsprechend wirdjeder Lehrer bemüht sein, auch von der affektiven und motivationalen Seite her ein förderli-ches Umfeld zu schaffen. Allerdings liegen guter Wille und praktische Tat häufig weitauseinander. Motivation lässt sich nicht anordnen, und welche Wirkung ein als „motivierend“geplantes Lernarrangement tatsächlich hat, bleibt ungewiss (siehe auch REISENER 1989).Affektive Lernprozesse sperren sich gegen direkte methodische Planung, sie gehören vielfacheher zum heimlichen Lehrplan. Der heimliche Lehrplan wirkt hinter dem Rücken der Betei-ligten, oft auch hinter dem Rücken des Lehrers. Interessant sind daher weniger die Absichts-erklärungen als die tatsächlichen Handlungsabläufe. Zunächst wieder ein authentisches Unterrichtsbeispiel. In einem Englischkurs für Erwachse- ne kommentiert der Kursleiter den Beitrag eines Teilnehmers wie folgt: KL: Das war gar nicht schlecht, Herr Müller. Aber Ihre Frau kann das sicher noch etwas besser? Mit dieser Bemerkung hat der Kursleiter die Lacher auf seiner Seite; nur der Herr Müller blickt verdrieslich drein… Kommunikative Handlungen können auf verschiedene Art analysiert werden; hier soll in Anlehnung an SCHULZ VON THUN (1981) ein vierseitiges Kommunikationsmodell be-nutzt werden. Eine Äußerung drückt eine Mitteilung aus, sie bestimmt eine Beziehung zwi-schen den Kommunikationspartnern, sie impliziert eine Selbstoffenbarung des Sprechers so-wie eine Aufforderung an den Angesprochenen, sich in bestimmter Weise zu verhalten. Hiererhält Herr Müller die Mitteilung, dass er einen Fehler gemacht hat, und seine Frau dieAufforderung, ihn zu korrigieren. Der Kursleiter definiert eine Beziehung zwischen sich undder Lerngruppe (dominant, asymmetrisch …). Allerdings scheint er sich seiner Sache nichtsicher zu sein (Selbstoffenbarung): Das Imponiergehabe, die provokante Herablassung in derWortwahl schießt weit über das Ziel einer Fehlerkorrektur hinaus und signalisiert, dass hierjemand auf Kosten anderer aktive Imagearbeit leistet (vgl. auch HOLLY 1979). Der Sprecher spricht gleichsam mit vier Zungen; im Beispiel oben hat offensichtlich die „Selbstoffenbarungszunge“ die Oberhand. Entsprechend hört der Angesprochene mit vierOhren: Hier wird er besonders mit dem „Beziehungsohr“ lauschen, den Ärger schluckenoder, je nach Ich-Stärke und Konfliktbereitschaft, sich auf ein Beziehungsgefecht mit demKursleiter einlassen: „Was bilden Sie sich eigentlich ein, in diesem Ton mit uns zu reden?“ Viel hängt davon ab, wie die Kommunikationspartner ihre Beziehung aushandeln und ob sie in der Definition ihrer Beziehung übereinstimmen. Gerade für Lehr- und Lernprozesse spie-len Probleme, die mit dem Beziehungs- und Selbstoffenbarungsaspekt der Kommunikationzusammenhängen, eine wichtige Rolle. Wer sich versuchsweise in einer fremden Spracheausdrückt, läuft immer Gefahr, etwas falsch zu machen – er offenbart Nichtwissen, gibt sichBlößen und wird angreifbar. In Schule, Familie, Beruf und Freizeit lernt man jedoch, dass eswichtig ist, keine Fehler zu machen und Kritik nach Möglichkeit zu vermeiden. Fehler inLernprozessen werden darum häufig nicht als selbstverständlicher (und notwendiger) Teildes Lernprozesses gesehen, sondern als Selbstoffenbarung: Die Korrektur gerät potenziell 86zur Blamage, Gesichtsverlust droht. Wer in diesem Sinne vorrangig mit der Selbstoffen- barungszunge spricht und mit dem Beziehungsohr lauscht, hindert sich selbst am aktivenLernen. Der Kursleiter unterstützt durch sein Verhalten eine solche Beziehungsdefinition: Ermacht Scherze auf Kosten anderer und bedient sich einer nicht reversiblen Sprache: Je klei-ner, abhängiger, infantiler die Lerngruppe, je größer die Asymmetrie der Gesprächsverläufe,desto heller leuchtet vermeintlich der Stern der eigenen Lehrautorität. Indem er das falscheBewusstsein der Lerngruppe für eigene Zwecke ausnutzt, fördert der Kursleiter auf mittlereSicht das Entstehen von Beziehungskonflikten, von Passivität (wer nichts sagt oder fragt,kann sich nicht blamieren), von übertriebenem Monitoreinsatz, die Entstehung von Ängsten,Lernblockaden, womöglich sogar Konversionsneurosen (Magenschmerzen vor dem Englisch-kurs). Viele Schüler, viele Erwachsene empfinden Angst in Lernsituationen. Solche Ängste dürfen nicht als falsches Bewusstsein übergangen werden; man kann sie nicht überspielen oder mitein paar flotten Sprüchen abtun. Negative Einstellungen zum Lernen sind selbst gelernt wor-den, sind Ergebnis der Bildungsbiographie und Sozialisation. Aus der Sicht des Lernsubjektshaben solche Ängste eine Schutzfunktion: Die Psyche wehrt sich auf diesem Wege gegenmögliche Überforderung, sie drängt das Subjekt zu Ausweich- und Vermeidungshandlungen.Angst ist also, ähnlich wie Aggression oder Konversion, eine typische Schutzreaktion zurBewahrung des seelischen Gleichgewichts in Stresssituationen. Damit befindet sich der Ler-nende allerdings in einem Teufelskreis: Seine negative Einstellung, der in früheren Lern-zusammenhängen erworbene hohe Affektivfilter, behindern ihn beim Lernen; er lernt nichteffektiv, und das Lernen macht keinen Spaß. Der geringe Lernerfolg wiederum bestätigt undverstärkt im Sinne einer self-fulfilling prophecy die negative Einstellung zum Lernen, führt in die Resignation und womöglich zur Aufgabe des Lernziels. Man kann an solchen Einstellungen wenig ändern, einen hohen Affektivfilter kaum senken, wenn man nur an den Symptomen kuriert. So sind beispielsweise Entspannungsübungen oderLernspiele zwar nicht von vornherein abzulehnen, aber ihre Wirksamkeit sollte mit Vorsichtgesehen werden. In einem älteren Englischlehrwerk für Erwachsene (die Quelle soll hier un-genannt bleiben) war das folgende Spiel vorgesehen: Arbeitsanweisung: Stellen Sie einige Hindernisse, z.B. Stühle, den Papierkorb, eine Tasche in Ihrem Klassenzimmer auf. Verbinden Sie einem Kursteilnehmer jetzt die Augenund dirigieren Sie ihn sicher von einer Ecke des Raums um die Hindernisse herum in die andere! Sie können auch mehrere Partner-Paare sich gleichzeitig von verschiedenen Seiten durch die Hindernisse dirigieren lassen.Redemittel: Straight ahead! Be careful! Turn left/ right (now)! Stop! Go on! Über den sprachlichen Lernertrag eines solchen Spiels mag man streiten: Aufwand und Nut- zen stehen wahrscheinlich in keiner günstigen Relation. Wichtiger war den Autoren darumvermutlich das heimliche Lehrziel: Das Eis soll gebrochen werden, die Teilnehmer sollen„aufgelockert“ werden, das Lernen soll „Spaß machen“. Prüft man die Voraussetzungen dieses Lernspiels, so zeigt sich jedoch, dass nur derjenige Spaß an einem solchen Spiel empfinden kann, der der impliziten Beziehungsdefinition zu-stimmt. Die Beziehungsdefinition lautet: Wer als Erwachsener eine Fremdsprache lernen will,muss zum Regress in kindliche Verhaltensformen bereit sein („Blindekuh“); seinen Anspruch,als erwachsener Mensch mit seinen Lernproblemen und Hemmungen ernstgenommen zuwerden, kann er an der Garderobe abgeben. Die Umgangs- und Verhaltensformen der Alltags- 87kultur werden außer Kraft gesetzt; wer nicht bereit ist, auf den Status des Erwachsenen zu verzichten, sieht sich einem starken Gruppendruck ausgesetzt und gilt fortan womöglich alsverklemmter Spielverderber. Viele Lerner machen daher mit ungutem Gefühl bei solchenLernspielen mit, lassen sich die Augen verbinden und folgen vertrauensvoll den Anweisungenihres „Führers“ – auch auf die Gefahr hin, bei dem Spiel keine glückliche Figur zu machen.Das Spiel entspricht in einem tieferen Sinne ihrem V or-Verständnis von Lernprozessen. DennLernprozesse haben sie allgemein mit einer mächtigen, Lob und Tadel zuteilenden Lehr-person, mit Außensteuerung, Unmündigkeit, dem Risiko von Blamagen zu assoziieren ge-lernt. Im Spiel wird dieses V or-Verständnis zugleich bestätigt und sublimiert („Es ist ja allesnur ein Spiel!“). Der heimliche Lehrplan führt in diesem Fall also vielleicht tatsächlich zueinem gewissen Integrationseffekt; die Integration beruht jedoch auf dem kollektiven Regressin die Unmündigkeit. Je stärker das spielerische Element im Lehrplan betont wird, desto deutlicher wird im Umkehr- schluss das ernsthafte Lernen abgewertet. Irgendwie schwingt immer das Vorurteil mit, ernst-haftes Lernen sei vor allem Arbeit, Mühsal und Plage; man müsse es von außen schmackhaftmachen und durch spielerische Elemente versüßen. Gegen ein solches Unterrichtskonzept istzu betonen: Ein Spiel, das für eine äußere Zwecksetzung instrumentalisiert wird, verliert vielan Attraktivität; zudem braucht der motivierte Lerner überhaupt keine Stimulanz von außen.Lernen kann ganz aus sich heraus, völlig ohne pseudo-pädagogische Tricks, als Bereiche-rung und Stimulanz empfunden werden. Deutlich beobachtbar ist das zum Beispiel im spon-tanen Lernverhalten eines Kindes oder im selbstbestimmten Lernen im Freizeit- und Hobby-bereich von Erwachsenen. Das organisierte Lernen wirkt dagegen eher fremdbestimmt bzw.entfremdet: Die Ziele sind von außen gesetzt, die Lernschritte und das Lerntempo sind vorge-schrieben, ein Aufseher misst und beurteilt die Ergebnisse, die Note ist der abstrakte Lohn fürdie geleisteten Arbeit, äußerer Zwang regelt das Verhalten am Lern(arbeits)platz. Wenn die-ses Bild eine Realität unseres Bildungswesens beschreibt, so ist diese Realität aus pädagogi-scher Sicht zu kritisieren: Entfremdetes Lernen macht keinen Spaß, es ist letztlich unproduk-tiv, es führt fast zwangsläufig zu Motivationsproblemen und Ausweichreaktionen. Es würde zu weit führen, hier die zahlreichen Methoden zu beschreiben, die praktiziert wer- den, um einen pädagogischen Alltag zu stabilisieren, der primär auf Unmündigkeit und fremd-gesteuertem Lernen beruht. Der eine glaubt, die Freude am Lernen über den heimlichen Lehr-plan in den Unterricht importieren zu können (spielerische Lernformen, Entspannungsübungen,Bilder, Musik, Film …); der andere vertraut auf flotte Sprüche und die motivierende Kraft derNotengebung; der dritte findet Befriedigung in der Verstärkung des Drucks, in Zwang undDisziplin, Infantilisierung und Unterwerfung der Lerngruppe („Lernjahre sind keine Herren-jahre“); der vierte möchte gar als Herrscher und Guru seiner gläubigen Gemeinde den „Wegdes Lichts“ weisen. Selbstverständlich sind spielerische Lernformen nicht per se abzulehnen: Sie können einen sinnvollen Platz im Unterrichtskonzept einnehmen. Die Frage ist, welche Funktion ihnen imLernprozess zukommt, ob sie Element in einem offenen, partnerschaftlichen Unterrichts-konzept sind oder Instrument im heimlichen Lehrplan einer autoritären Vermittlungspädagogik.Hierzu ein exemplarischer Blick auf eine methodische Variante, bei der die offenen Lehrzieleund der heimliche Lehrplan in heftigem Widerspruch stehen: die Suggestopädie (vgl. auch VIELAU 1990). Die Methode soll hier nicht in ihrer Gesamtheit oder ihren modischen Vari-anten ( Superlearning ) dargestellt werden. Für den aktuellen Zweck genügt eine kurze Analy- 88se der Implikationen der Lernsuggestion , denn die Lernsuggestion ist das, was der Methode den Namen gibt, was sie von anderen Methoden unterscheidet und was nach Aussagen ihresErfinders ihre Wirksamkeit ausmacht (LOZANOV 1978, etwa 254, 268 und passim). Unter Bezugnahme auf bestimmte äußere Merkmale wie Musik, Entspannungsübungen, be- queme Sitzgelegenheiten wird von Suggestopäden in bunten Prospekten gerne behauptet, eswerde leicht, angenehm, entspannt, angstfrei und obendrein sehr effektiv gelernt. Der heimli-che Lehrplan spricht allerdings eine andere Sprache. Der heimliche Lehrplan der Suggestopädieist deshalb so aufschlussreich, weil die Wirkungsmuster hier nicht erst mühsam aus denempirischen Interaktionen erschlossen werden müssen: Die Mechanismen des heimliche Lehr-plans werden vom Autor selber Schritt für Schritt beschrieben, im Detail erläutert und tiefen-psychologisch reflektiert. Niemand, der diesen Lehrplan billigt und in seinen Unterricht über-nimmt, kann sich daher auf Nichtwissen oder Missverständnisse berufen. Wichtig (und für Nicht-Suggestopäden überraschend) ist zunächst, dass dem äußerlichen Verfahren ( the external desuggestive-suggestive ritual ), mit dem die Lernsuggestion ausge- löst wird (also die Rolle von Musik, Atemtechnik, Entspannung, Phantasiereisen etc.), nachLOZANOV wenig Bedeutung zukommt. Der äußerliche Mechanismus wirkt als Placebo undist insofern fast beliebig austauschbar: „Therefore, all kinds of external desuggestive-sug- gestive rituals can be introduced into the suggestopedic educational system.“ (267) LOZANOV ist in diesem Punkt liberaler als mancher seiner Gefolgsleute.*) Es sei jeweilsder Auslösemechanismus zu wählen, gegen den aktuell der geringste Widerstand von Seitender Lerngruppe zu erwarten ist; die Bandbreite der von ihm diskutierten Möglichkeiten reichtneben der musikalisch induzierten Entspannung ( concert pseudopassiveness ) von der Yogatechnik über Autogenes Training bis hin zur meditativen Entspannung und Autosugges-tion. Wichtig sei nicht der äußerliche Mechanismus, sondern der durch diesen Mechnismusausgelöste innere Zustand der Suggestionsbereitschaft ( inner setup , vgl. 267). Für diesen inneren Zustand der Suggestionsbereitschaft gibt es mehrere Voraussetzungen. Zunächst müssen die subjektiven Vorbehalte und Bedenken der Lerngruppe gegen eine sug-gestive Beeinflussung abgebaut werden; LOZANOV nennt dies die „Desuggesion der kogni-tiven, affektiven und ethischen Suggestionsbarrieren“ ( vgl. 163 ff.). Da kaum jemand frei-willig und ohne Gegenleistung die Barrieren fallen lässt, muss ihm von Seiten des Suggesto-päden etwas Verlockendes in Aussicht gestellt werden. Die Gegenleistung besteht hier imVersprechen eines gewaltigen, vorher nie dagewesenen Lernerfolgs , der zudem ohne großen persönlichen Lernaufwand zu erreichen sei: „25fach akzelerierte Lernfortschritte durch dieStimulation der ungenutzten 96 Prozent Reservekapazität an Lernvermögen“, „ supermemory “, „super durability “, „angstfreies Lernen ohne Anstrengung“, „ personal growth “ – und was dergleichen mehr das Herz begehrt (vgl. 23 ff., 210 ff. und passim). Art, Inhalt und Akzen-tuierung der Versprechungen variieren ein wenig, ganz ohne Versprechungen jedoch geht esnicht, ein attraktiver „höherer Zweck“ muss als Rechtfertigung her, sonst kann es keineDesuggestion geben. Die zweite V oraussetzung hängt eng mit der ersten zusammen und besteht in der „positiven Suggestion“ einer unkritisch-vertrauensvollen, kindlich-gläubigen Erfolgserwartung ( infan- *) Vgl. die Suggestopädie-Kontroverse in ZIELSPRACHE ENGLISCH 4/1988 ff. mit Beiträgen von VIELAU, HOLTWISCH, SCHIFFLER, ILLY; die Argumente sind noch einmal in VIELAU 1990 zu-sammengefasst. 89tilization , vgl. 191 ff.); hierzu gehört auch die Ausstattung des Lerners mit einer neuen Identität und life story (192, 275). Nur wer sich der Suggestion völlig und vorbehaltlos öffnet, darf auf das Eintreten der versprochenen Effekte hoffen. Komplementär zurInfantilisierung der Lerngruppe wächst die Autorität der Lehrperson ( authority , vgl 187 ff.); nicht zufällig vergleicht LOZANOV die Rollen von Lehrer und Lerner mit denen von Arztund Patient; wie man sehen wird, würde der Vergleich von Priester und Gläubigem nochbesser passen. Vom Lehrer erwartet LOZANOV bedingungslose Gefolgschaft und Unterord-nung unter die Prinzipien der Suggestopädie ( „devotion to the cause of suggestopedy“ , 334); die Regeln des desuggestiv-suggestiven Prozesses seien strengstens einzuhalten und in „en-thusiastischer“ Weise praktisch umzusetzen (vgl. 275 und 334). Niemanden kann diese For-derung überraschen: Denn ein ungläubiger Priester wird keine gläubige Gemeinde haben.Auch vom Lehrer wird folglich ein Lernprozess im Sinne der Ziele der Suggestopädie erwar-tet, ein Prozess des „Wachstums“, der „Reife“, des „ personal growth “ (HOLTWISCH 1989). Ist der Boden in dieser Art bereitet, so kommt es im nächsten Schritt zur Einübung eines Auslösemechanismus. Die konkrete Form dieses Auslösers ist wie gesagt nachrangig,LOZANOV selber bevorzugt die musikalisch induzierte Entspannung ( concert pseudo- passiveness ). Wichtig sind die Ergebnisse der Lernsuggestion ( inner setup ): Die Lerngruppe muss sich unter den gegebenen Bedingungen ( „presence of impressive authority and considerable infantilization factors“ , vgl. 200) im inneren Zustand der Suggestionsbereitschaft befinden. Dazu muss der suggestive Akt in der Form eines Rituals zelebriert werden, wie man es mit ähnlicher tiefenpsychologischer Funktion nur aus religiösen Kulthandlungen kennt.Merkmale des Rituals sind eine starre Rollenverteilung, die Wahl spezifischer, sich rigidewiederholender Darbietungsformen, eine besondere V ortragstechnik ( „intonation“, „rhythm“, „double-planeness“ ) sowie das allgemeine Ambiente des „concert state“ (vgl. 193 ff.). Nicht zufällig spricht LOZANOV im Zusammenhang des desuggestiv-suggestiven Ritualsvon einer „séance“ bzw. „session“ : Die Ritualisierung verleiht dem Geschehen eine spiritu- elle Aura, die die Gläubigen zusätzlich gegen ketzerische Anfechtungen immunisiert. Überblickt man die Implikationen des heimlichen Lehrplans, der hier in aller Kürze den expli- ziten Ausführungen und Empfehlungen LOZANOVS nachgezeichnet wurde, so darf manbehaupten, dass die Fremdbestimmung des Lernens im suggestiven Lehr- und Lernritual eineneue Qualität erreicht. Verglichen mit der suggestopädischen Séance wird im HSA-Sprachla-bor mustergültig lernerorientiert gearbeitet: Der Lernende kann dort zwar auch nicht insProgramm, aber immerhin doch in den Ablauf eingreifen. In der Séance wird der Lernendevöllig zum Objekt; er hat keine Möglichkeit, den rituellen Ablauf zu unterbrechen, Fragen zustellen, sich in irgendeiner Form aktiv einzubringen. Mehr als das: im Sinne des versproche-nen höheren Zwecks (Super-Lernerfolg, Super-Behalten) hat er alle V orbehalte, alle gefühls-mäßigen Widerstände gegen die suggestive Beeinflussung, sogar seine persönliche Identitätabzulegen (Infantilisierung); er muss glauben, vertrauen, hoffen, die Autorität des „wissen-den“ Lehrers bedingungslos anerkennen. Damit wird ein raffinierter Mechanismus zur „Erklärung“ der allfälligen Misserfolge dieser Lehrmethode wirksam. Treten die versprochenen Effekte nicht ein, so war der Lerner ebennoch zu „ungläubig“, zu „kritisch“ – er hat sich nicht ausreichend vorbehaltlos auf das Ritualeingelassen. Er ist folglich selber schuld, wenn der versprochene Effekt nicht eintritt. Einer rationalen Kritik der Methode wie der Überprüfbarkeit der Effekte werden damit von vornhereinengste Grenzen gezogen: Nur der vorbehaltlos Gläubige kann den Weg des Lichts erkennen. 90Suggestopäden reagieren darum ungnädig auf Kritik von außen. HOLTWISCH (1989) ver- tritt zum Beispiel den Standpunkt, dass es nur Suggestopäden erlaubt sei, die Suggestopädiezu kritisieren. So unbegründet diese Forderung aus wissenschaftslogischer Sicht auch seinmag – sie entspricht exakt der inneren Logik der Suggestopädie: Nur wer sich infantilisierenlässt und vorbehaltlos gläubig dem Ritual öffnet, ist „reif“ und „würdig“, die Segnungen derMethode angemessen zu verstehen. Misserfolge sind insofern nicht objektiven Mängeln derMethode oder trügerischen Versprechungen anzulasten, sondern dem subjektiven „Versagen“des Lerners bzw. dem „Unwissen“ und der „mangelnden Reife“ des Kritikers. Menschenohne ausgeprägtes Selbstvertrauen geraten auf diese Weise leicht in einen Zirkel von(Über)Kompensation und fortschreitender Abhängigkeit : Um das Wunschziel doch noch zu erreichen, unterwerfen sie sich mehr und mehr, werden schließlich selber zu fanatischen Ge-folgsleuten der „Sache“. Der psychische Mechanismus an sich ist wohlbekannt: Er entsprichtbis ins Detail, sogar bis in die Wortwahl, dem heimlichen Lehrplan, mit dem religiöse Sektenihre Gefolgschaft rekrutieren. Ein heimlicher Lehrplan, der letztlich auf Entmündigung und Infantilisierung der Lerngruppe hinausläuft, steht im Widerspruch zu übergreifenden pädagogischen Zielen des Fremdsprachen-unterrichts: Selbst wenn der Zweck des Superlearning durch suggestopädische Methoden, durch schematischen Lerndrill und endloses Auswendiglernen unter Musikberieselung er-reichbar wäre, könnte dieser Zweck die Wahl der Mittel nicht rechtfertigen. Denn der päda-gogische Satz, dass der Weg das Ziel ist, gilt gerade für das Fremdsprachenlernen: Das ge-steuerte Lernen kann hier nur der erste Schritt in einem potenziell lebenslangen Lernpro-zess sein. In der institutionellen Lernphase müssen nicht nur in sachlicher, sondern auch inmotivationaler und metakognitver Hinsicht die Grundlagen für das selbstständige Weiter- lernen gelegt werden (vgl. BAUSCH, CHRIST, KRUMM 1993, WOLFF 1994b, zur Bibli-ographie MISSLER, WOLFF 1994). Der Lehrer muss daher das Lernen lehren , er muss bereit sein, sich selbst nach und nach im Lernprozess zurückzunehmen und potenziell über-flüssig zu machen, die Fremdbestimmung des Prozesses schrittweise aufzuheben und den„inneren Lehrer“ für seine Aufgaben zu qualifizieren. Die praktischen Implikationen einer solchen „Erziehung zur Mündigkeit“ sollen hier nur kurz angedeutet sein (siehe Kapitel 4.4.2). V oraussetzung ist ein partnerschaftliches Verständnis der Lehrerrolle und die Bereitschaft zum Verzicht auf einen heimlichen Lehrplan. Der Lehr-plan sollte hinsichtlich der Bestimmungsfaktoren transparent sein: Die Prozessmerkmale desUnterrichts werden schrittweise selbst zum Lerngegenstand, sie werden dargestellt, begrün-det, in Lehr-Lern-Konferenzen ausgehandelt und als Arbeitsgrundlage vereinbart. Der Ler-nende soll begreifen und akzeptieren, dass man eine Fremdsprache nicht konsumieren kann,dass ihm die Fremdsprache nicht von einem „allwissenden“ Lehrer eingetrichtert werdenkann, sondern dass er selber für seinen Lernerfolg verantwortlich ist, dass er sich die Spracheaktiv erarbeiten muss. Der äußere Lehrer hilft beim Finden des richtigen Weges; aber denWeg laufen muss man allein. In dem Maße, wie (zum Beispiel in Formen des offenen Unter-richts, vgl. BÖNSCH, SCHITTKO 1979) die äußere Steuerung nachlässt, übernimmt derinnere Lehrer die Regie: Der Lerner erwirbt die Fähigkeit, in eigener Verantwortung auchaußerhalb des institutionellen Kontextes weiterzulernen. Selbstbestimmtes Lernen kann nicht von heute auf morgen eingeführt werden – zu groß ist die Gewöhnung an das entfremdete Lernen, zu groß auch das Bedürfnis, die Verantwortung fürden Lernerfolg dem omnipotenten Lehrer zuzuweisen. Es ist für Außenstehende immer wieder 91überraschend, wie bereitwillig selbst gestandene Erwachsene den Regress in schulisch-infan- tile Verhaltensformen vollziehen, sobald sich eine Klassentür hinter ihnen schließt. Dagegenreagieren viele Lerner auf die „Zumutung“, den Lernweg eigenverantwortlich zu bestimmen,zunächst mit Unmut, Ratlosigkeit und Entzugserscheinungen. Sehr wichtig ist darum auchhier das Prinzip der kleinen Schritte, der mittleren Erreichbarkeit der jeweiligen Zwischen-ziele. Der einzelne Lerner findet eine Stütze in der Lerngruppe, sofern die Gruppenbildungkonstruktiv verläuft und ein positives und anregendes Lernklima entsteht. Dennoch kann esunter Umständen recht lange dauern, bis eine Lerngruppe zum aktiven Lernen bereit ist, bissie Initiative entfaltet und Verantwortung akzeptiert, bis sie dem Lehrer locker und selbstbe-wusst als gleichrangiger Partner begegnet, bis sie den Ausweg aus dem Teufelskreis dererworbenen Unmündigkeit gefunden hat; aber zu diesem Weg gibt es keine pädagogisch sinn-volle Alternative. 4. Wie lehrt man fremde Sprachen? Es gibt keine universal richtige Methode für den Fremdsprachenunterricht. Die Wahl derMethode hängt in der Praxis von vielen Gesichtspunkten ab; die optimale Passung des Lehr-plans muss jeweils neu nach einer Beurteilung der verschiedenen Einflussfaktoren gefundenwerden. In erster Linie ist die Methodik vom Lerner abhängig; unter den Rahmenbedingungeneiner typischen Unterrichtssituation also von den Zielen und V oraussetzungen der Lerngruppe . Der äußere Lehrplan ist auf die Erfordernisse des inneren Lehrplans der Lerngruppe abzu-stimmen; denn nicht der äußere Lehrplan, sondern der innere Lehrplan produziert den Lern-effekt. Lernen beruht letztlich nicht darauf, was der Lehrer tut, sondern darauf, was derLerner tut. Wenn der innere Lehrplan im Alleingang zu befriedigenden Ergebnissen führt, sind Lehrer, Lehrplan und Unterrichtsmethodik überflüssig: Der Lerner ist autonom lernfähig. Bei kom-plexen Lernprozessen (oder individuell ungünstigen Lernvoraussetzungen) zeigt sich jedochhäufig, dass das autonome Lernen zunächst noch zu keinen brauchbaren Resultaten führt.Der Lerner ist in diesem Fall auf seine heuristischen Fähigkeiten in einem langwierigen undmühsamen Annäherungsprozess angewiesen (Selbstregulation) – oder auf geeignete Hilfenvon außen. Je ungünstiger die Lernsituation, je schwieriger das Lernproblem, je geringer dieindividuellen Lernvoraussetzungen, desto wichtiger ist die Anleitung und Hilfestellung vonaußen. Dabei erzeugt der äußere Lehrplan nicht direkt einen Lerneffekt, sondern er wirktmittelbar – indem er dem Lerner hilft, einen brauchbaren Lernweg zu entdecken, ihn auf das Lernproblem anzuwenden und schrittweise zu optimieren. Die vorliegende Methodik des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts geht von den fol- genden Annahmen aus. Die Lerngruppe ist leistungsheterogen zusammengesetzt: V om Lerner- typ her überwiegen „Spracherlerner“, es gibt einige wenige „Spracherwerber“ in der Gruppe 92und eine größere Zahl an „Lernungewohnten“. Eine solche Zusammensetzung der Fähigkeits- profile ist typisch für wenig vorselektierte Lerngruppen, wie man sie in der Erwachsenenbil-dung oder im deutschen Schulwesen in der Grundschule, der Orientierungsstufe und in man-chen Gesamtschulen antrifft. Der Unterricht orientiert sich an kommunikativen Lernzielen,das Lehrmaterial und die Medien sind institutionell vorgegeben. Der Unterricht wird in ex-tensiver Form mit relativ geringen Stundenzahlen (zwei bis sechs Wochenstunden) erteilt; esgibt keinen lebenspraktischen Erwerbskontext außerhalb des Unterrichts (wie es der Fallwäre, wenn Deutsch als Zweitsprache zugleich im Unterricht und außerhalb gelernt wird). Wenn in einer solchen Lernkonstellation potenziell alle vom Unterricht profitieren sollen, so wird sich die Wahl der Methode am schwächsten Glied orientieren müssen; zur Förderungder Schnelleren wären im Additum geeignete binnendifferenzierende Maßnahmen zu planen(vgl. Kap. 4.4.4). Die vorrangige Ausrichtung der Methodik auf die Bedürfnisse der schwä-cheren Lerner impliziert bestimmte makro-methodische Entscheidungen für das Unterrichts-konzept. Schaubild 11 zeigt die drei großen Entscheidungsfelder des äußeren Lehrplans (In-put, Intake, Output) sowie, gleichsam quer dazu, einen heimlichen Lehrplan, der die Inter-aktionsprozesse steuert und Einfluss auf das affektive und metakognitive Lernen nimmt. In jedem dieser Entscheidungsfelder gibt es ein Spektrum möglicher Handlungsoptionen, deren Endpunkte jeweils im Schaubild angedeutet sind. Die makromethodischen Merkmale,die die Basismethode für schwächere Lerner kennzeichnen, sind besonders hervorgehoben Schaubild 11: Makromethodische Merkmale der kommunikativen Methodik imFremdsprachenunterricht für leistungsheterogene Lerngruppen 93(schattiert). Sie sollen im Folgenden noch einmal kurz zusammengefasst werden; für Einzel- heiten der Begründungszusammenhänge verweise ich auf die didaktisch-methodische Analy-se (Kapitel 3.5.2). Für die Auswahl des Lernstoffs gilt, dass der Input für die Lerngruppe in hinreichendem Maße ökologisch valide (W+1), verständlich (I+1) und lernerorientiert (L+1) zu sein hat.Während ein starker Lerner auch auf der Basis eines weniger gut aufbereiteten Input nochLernfortschritte erzielen kann, ist ein schwächerer Lerner auf eine durchdachte Stoffaus-auswahl angewiesen – zumal unter den künstlichen Rahmenbedingungen und zeitlichen Be-schränkungen der Unterrichtssituation. Von einem ungefiltert-authentischen Input profitiertder durchschnittliche Spracherlerner oder Lernungewohnte etwa so viel wie ein Asylbewer-ber, der sich zwecks Erlernung der deutschen Sprache in eine Germanistikvorlesung verirrt. Um bei schwächeren Lernern eine Überlastung der kognitiven Ressourcen durch zu komple- xe, ganzheitlich-synthetische Aufgabenstellungen zu vermeiden, ist der Lernprozess ( Intake ) in einzelne Lernphasen und Lernschritte mittlerer Erreichbarkeit zu gliedern; die Sprach-synthese in realitätsnahen Anwendungen steht am Ende einer Lernsequenz, nicht am Anfang,ist Ergebnis des Lernprozesses, nicht dessen Ausgangspunkt. Die einzelnen Schritte dieserLernsequenzen können vom Lerner zunächst nicht autonom bewältigt werden; gut geplanteLernhilfen sind daher unverzichtbar. Beim Fremdsprachenlernen unter künstlichen Bedingungen sind rasche Lernerfolge schon deshalb nicht zu erwarten, weil über den inneren Lehrplan, nach dem der Lernende seineLernersprache konstruiert, noch viel zu wenig bekannt ist. Ob der äußere Lehrplan sinnvollauf die Erfordernisse des inneren Lehrplans bezogen ist, bleibt daher unbestimmt. Entspre-chend kann der Maßstab zur Beurteilung des Output nicht einseitig aus dem äußeren Lehr- plan abgeleitet werden: Längst nicht alles, was zu einem gegebenen Zeitpunkt gelehrt werdenkann, kann nach der Logik des inneren Lehrplans gleich auch von jedem Lerner erlernt wer-den. Die Erfolgskontrolle muss daher akzeptieren, dass es schwere und leichte Lerngegenständegibt, dass Lernprozesse typischerweise nicht linear, sondern in Etappen und Schüben ablau-fen, dass die Bildung von Wissensinseln und Wissenstälern etwas völlig Normales ist. Eine indiesem Sinne verlaufsorientierte Lernkontrolle ist besonders bei der Arbeit mit schwächerenLernern wichtig; ein mechanisch von außen gesetzter Maßstab kann hier viel Schaden an-richten. Die kommunikative Methodik verzichtet auf einen heimlichen Lehrplan (nicht jedoch auf die Beeinflussung der affektiven Lerndimension, vgl. Kap. 4.4.2), da die Lerngruppe vorran-gig zum selbstständigen Lernen befähigt werden soll: Autonom handlungsfähig ist nur der,der den Prozess versteht, der ihn selbstständig steuern und kontrollieren kann und der einepositive Einstellung zum Lernen gefunden hat. Gerade für schwächere Lerner ist die meta-kognitive Lerndimension wichtig, da hier vermehrt Defizite zu erwarten sind. V on einemlehrerzentrierten Unterricht, der wenig zur Förderung von Mündigkeit und Selbständigkeittut, profitieren auf längere Sicht nur die ohnehin leistungsstarken und motivierten Lerner.Wer als Lehrender also eine weniger leistungsfähige und nur durchschnittlich interessierteLerngruppe vor sich hat, muss bereit sein, Lernziele und Lernwege auszuhandeln, Über-zeugungsarbeit zu leisten und ständig nach Übergängen zu offenen und lernerbestimmtenLernformen zu suchen. Entsprechend solcher Vorgaben wird im Folgenden eine Basismethodik dargestellt: ein 94modellhaft auf verschiedene Lernfelder und Unterrichtssituationen übertragbares Unterrichts- konzept, das sich an den Bedürfnissen von leistungsheterogenen Lerngruppen orientiert. Be-zugspunkt der Basismethode ist nicht eine bestimmte Unterrichtseinheit (Zeiteinheit), son-dern eine Lernsequenz , d.h. ein Lernabschnitt, in dem ein didaktisch vorgegebenes (Teil)- Lehrziel in eine begründete Abfolge von Lehr- und Lernschritten umgesetzt wird. Eine solcheLernsequenz kann wenige Minuten dauern, aber auch mehrere Unterrichtsstunden umfassen.Typische Verlaufsmerkmale des Unterrichts und des Unterrichtens, zeitliche, stoffliche undinstitutionelle V orgaben sowie im engeren Sinne didaktische Fragen bleiben hier ausgeklam-mert – unter Verweis auf einschlägige Handbücher des Fremdsprachenunterrichts (für dieSchule etwa BAUSCH et al. 2003, für die Erwachsenenbildung VIELAU 2001). 4.1 Lehr- und Lernphasen In der neueren fachdidaktischen Diskussion sind, angeregt bereits durch ZIMMERMANN:„Integrierungsphase und Transfer im neusprachlichen Unterricht“ (1969), die V or- und Nach-teile diverser Phasenmodelle ausgiebig diskutiert worden. Einzelheiten der Problemgeschichtesollen hier nicht interessieren, zumal die vorgeschlagenen Modelle im Prinzip sehr ähnlichsind: Die Lernsequenz wird in Teilprozesse gegliedert, die wiederum aus einer bestimmtenZahl von Lernschritten mittlerer Schwierigkeit bestehen; die Lehr- und Lernphasen greifenminizyklisch ineinander und ergänzen sich sinngemäß zu einer Lernsequenz. Jeder Lern-sequenz entspricht ein (Teil)Lehrziel des (äußeren) Lehrplans. Während die Lernsequenzalso durch eine kommunikative Zielsetzung bestimmt ist, gilt dieses nicht in gleicher Weisefür jeden der Lernschritte: Abhängig von ihrer spezifischen Funktion im Rahmen der Lern-sequenz können die einzelnen Schritte verschieden akzentuiert sein – zum Beispiel auch sprach-analytischen oder kommunikationsvorbereitenden Charakter haben. Häufig werden Begriffe wie „Präsentation“, „Bewusstmachung“, „Übung“, „Transfer“ und „Sprachanwendung“ zur Kennzeichnung der Lehr- und Lernphasen gebraucht. Schon dieWahl solcher Begriffe signalisiert jedoch, dass die Phasenmodelle eher aus der Perspektivedes Lehrers bzw. der Stoffvermittlung konzipiert sind. V or einer Festlegung auf solche oderähnliche Fachbegriffe soll der Lernprozess hier mehr aus der Sicht des Lerners analysiert undvom Ablauf der Lernschritte her genauer beschrieben werden. Da es zunächst nur um dasVerständnis eines Prinzips geht („Lernen durch aktives Konstruieren“), genügt ein einfaches,nichtsprachliches Beispiel: Der Reisende R kommt am Hauptbahnhof von Frankfurt/Main an und möchte die U-Bahn benutzen, um zu seinem Bestimmungsort zu gelangen. Sein Geschäftspartner hat ihm die passende U-Bahn-Linie und den Namen der Zielhaltestelle mitgeteilt; ansonsten ist er zwarschon anderenorts mit U-Bahnen gefahren, die Besonderheiten des hiesigen U-Bahn- Netzes sind ihm unbekannt. Der Reisende verfügt also über ein entsprechendes Wissensrezept (er kennt andere U-Bahn- Systeme), nicht jedoch über die Retuschen (die ortsüblichen Regelungen). Er weiß, dass erLösungen für eine Reihe typischer Teilprobleme finden muss, wenn er sein Ziel auf diesemWege erreichen will: •(Schritt A) Wo befindet sich die nächstgelegene U-Bahn-Haltestelle? •(Schritt B) Wo befindet sich die Zielhaltestelle? Welche Linie und welche Fahrtrichtung muss ich wählen? Muss ich umsteigen? 95•(Schritt C) Wie komme ich an eine Fahrkarte? Gibt es unterschiedliche Zahlzonen? •(Schritt D) Welches ist der richtige Bahnsteig? Wie komme ich dorthin? •(Schritt E) An der wievielten Haltestelle muss ich aussteigen? (…) In abstrahierender Form kann man einen solchen Lernprozess als Ablaufdiagramm mit meh- reren Lernschritten darstellen (Schaubild 12): Schaubild 12: Der Prozess der Wissenskonstruktion Jedes Problem muss einzeln gelöst werden; die Problemlösung wiederum bestimmt den Aus-gangspunkt für den nächsten Schritt. Jedem Lernschritt entspricht eine Unbestimmtheits-stelle im Handlungsplan, wobei es häufig verschiedene Möglichkeiten (A1, A2, A3 usw.)gibt, zu einer Lösung zu kommen (Spektrum der Handlungsoptionen). Für die Lösung desersten Teilproblems beispielsweise wird R auf sein Wissensrezept zurückgreifen ( „Es kann eigentlich nicht weit sein bis zur U-Bahn; ich muss nach Hinweisschildern Ausschau hal-ten; meistens sind das blaue Schilder mit einem weißen U.“ ); bestätigt sich diese Vermutung (top-down -Hypothese), so wird er die Hinweisschilder entsprechend auswerten ( bottom-up – Hypothese) und wenig Mühe haben, die Haltestelle zu finden. Erweist sich die ArbeitshypotheseA1 als unzutreffend (er findet kein Hinweisschild, vielleicht, weil die Farbgebung anders istals erwartet), so muss er sich für eine andere Option entscheiden, zum Beispiel jemandenfragen. Um das Teilziel trotz des anfänglichen Misserfolgs zu erreichen (Verlaufskontrolle),wird er eine neue Arbeitshypothese bilden und diese testen. In ähnlicher Weise verfährt er anden folgenden Entscheidungspunkten. Indem der Reisende die anfallenden Probleme schrittweise auf die eine oder andere Art abar- beitet, bildet er neues Wissen ; er retuschiert das bestehende Wissensrezept, indem er aus dem Spektrum der Optionen die erfolgversprechenden Lösungen herausfiltert (im Schaubild alsobeispielsweise die Optionen A3, B2, C4 / C1 usw.). Ein solcher Konstruktionsprozess nimmteine gewisse Zeit in Anspruch, selbst wenn man unterstellt, dass R ein erfahrener Reisenderist. R kann sich auf eine sehr zuverlässige und vollständige Handlungsorientierung stützenund weiß genau, was er in welcher Reihenfolge tun muss; er ist autonom lernfähig. DerAsylbewerber P, der noch nie in seinem Leben mit einer U-Bahn gefahren ist (und entspre-chend kein U-Bahn-Rezept inferieren kann), wird dagegen ohne äußere Hilfe kaum ans Zielgelangen: Ihm fehlt eine passende Orientierungsgrundlage. 96Die Schwierigkeit der einzelnen Lernschritte ist sehr verschieden. Den ersten Schritt wird der Reisende R eher beiläufig abhaken, Schritt B wird schon einiges an Aufmerksamkeit verlan-gen, Schritt C setzt bewusste Denkoperationen voraus: Der Reisende überfliegt die Gebrauchs-anweisung des Fahrkartenautomaten und handelt gemäß den Anweisungen.Um die Gebrauchs-anleitung zu verstehen, muss er einige Fachbegriffe kennen (Fahrzone, Fahrtrichtung, Umstei- gen, Verfall der Gültigkeit, Fahrkartenkontrolle …). R begegnet hier einem Paradox, das dieDiskussion um das bewusste Lernen immer begleitet: Um ein schwieriges Lernproblem lösenzu können, benötigt man oft verbale Information von dritter Seite – und fügt damit dem Aus-gangsproblem statt der Lösung eine Reihe neuer und andersartiger Probleme hinzu (Erlernungeiner Beschreibungssprache/ Terminologie, Verstehen und Umsetzen verbaler Erklärungen).Dennoch ist die verbale Information im konkreten Fall für R eine wichtige Hilfe: Die ge-schickte und knappe Formulierung, die er hier am Automaten vorfindet, erlaubt ihm ein gezieltesund kontrolliertes Handeln, das bloßem Ausprobieren weit überlegen ist. Die Frage, ob die verbale Information notwendig ist und ob sie hilfreich ist, muss also im konkreten Fall entschieden werden: Der Erklärungsbedarf hängt ab vom Grad der Unbe-stimmtheit eines Problems, seiner Schwierigkeit aus der Sicht des Lernsubjekts und demVorwissen. Je größer das Wissen in einem Lernfeld ist, desto schneller und einfacher kannneues Wissen in diesem Lernfeld erworben und in das vorhandene Wissen integriert werden.Andererseits wächst der Grad der Unbestimmtheit mit zunehmender Komplexität eines Lern-feldes. Der Grad der Komplexität einer Lernhandlung bestimmt sich durch die Zahl der Lern-schritte bzw. Unbestimmtheitsstellen (A, B, C, D usw.), durch die jeweilige Breite des Optionen-spektrums (A1, A2, A3, A4 usw.) sowie durch die Anzahl der erforderlichen Paralleloperationenin den Entscheidungspunkten (zugleich C1 und C4). Eine verbale Erklärung ist überflüssig dort, wo ein einfacher Hinweispfeil eine ausreichende Orientierung erlaubt (Schritt A/ geringe Problemtiefe). Hilfreich ist eine Erklärung, bei derAufwand und Nutzen aus subjektiver Sicht in einem günstigen Verhältnis stehen. Die Problem-tiefe bei Schritt C legt Erklärungsbedarf nahe; die kurze Bedienungsanleitung am Fahrkarten-automat ist dem Reisenden daher eine sinnvolle Handlungshilfe. Hingegen wäre eine seiten-lange, mit Fachbegriffen gespickte Darstellung des Systems des öffentlichen Nahverkehrs inFrankfurt in dieser Situation wenig nützlich. Zurück zum Beispiel. Nachdem R bei seinem Geschäftspartner angekommen ist und seinen Termin wahrgenommen hat, benutzt er wiederum die U-Bahn, um zu seinem Hotel zu gelan-gen. Obwohl er eine andere Strecke fährt, geht alles beim zweiten Mal viel schneller undeinfacher. Denn während er es bei der ersten Fahrt noch mit einem hohen Maß an Unbe-stimmtheit zu tun hatte (V orrang der bottom-up -Prozesse), kann er sich nun vermehrt auf den Abruf des vorher konstruierten Wissens stützen (V orrang der top-down -Prozesse). Nur wenn Fehler auftreten oder ein unerwartetes Ereignis eintritt (etwa ein neuer Fahrpreis, da die Fahrzeit jetzt außerhalb der Spitzenzeit liegt), wird er sein Wissensrezept durch die Aufnah-me neuer Information noch ein wenig modifizieren und ergänzen. Bei der dritten Fahrt kann er nebenbei die Zeitung lesen: Das Handlungsrezept ist fast schon zur Routine geworden; es ist erfolgreich, ausreichend optimiert (Ergebniskontrolle) und be- ansprucht daher die kognitiven Ressourcen nicht mehr in nennenswerter Weise. Dabei istunerheblich, ob er die gleiche Strecke schon einmal gefahren ist: Das Handlungsrezept ist imRahmen der Regelungen dieses U-Bahn-Netzes beliebig übertragbar . 97Dieser Lernerfolg ist nicht selbstverständlich. Der Reisende erwirbt handlungspraktisch ak- zentuiertes, übertragbares Wissen, weil er sein Wissen ausgehend von den persönlichen Lern-voraussetzungen aktiv konstruiert und praktisch einübt ( learning by doing ). Lernsituationen, die von anderen Ausgangsbedingungen ausgehen oder einem anderen Lernmodus folgen, füh-ren zu deutlich verschiedenen Ergebnissen. In der ersten dieser alternativen Lernsituationen nehmen wir an, der Gastgeber hätte seinen Geschäftspartner am Bahnhof erwartet und betätigt sich nun als Fremdenführer; beide gehenmunter plaudernd gemeinsam zur U-Bahn (Ablenkung der Aufmerksamkeit / Überlastungder kognitiven Ressourcen!) und fahren die gleiche Strecke zum gleichen Ziel. Obwohl alsoWeg und Ziel übereinstimmen, wird sich das Wissen, das der Reisende auf diese Art erwirbt,erheblich unterscheiden; vielleicht ist ihm das eine oder andere trotz der Ablenkung aufgefal-len (learning by observation ), wahrscheinlich muss er jedoch bei der anschließenden Fahrt zum Hotel mit seinem persönlichen Lernprozess noch einmal ziemlich von vorne beginnen. Noch weniger würde vermutlich der reiseunerfahrene Asylbewerber in der entsprechenden Situation profitieren: Da er die Unbestimmtheitsstellen im Prozess nicht wahrnimmt, wederProbleme noch Lösungsoptionen „sieht“, ist er am Ende des Weges praktisch so klug wie amAnfang: Mit gutem Gedächtnis könnte er allenfalls eine mehr oder weniger genaue Imitationdes Handlungsablaufs zustande bringen. Sein Wissen wäre nicht übertragbar; jeder Fehlerund jede Ungenauigkeit würde zur völligen Desorientierung führen, da eine aktive prozessu-ale Feinsteuerung und Verlaufskontrolle nicht einmal in Ansätzen existiert. Ist also der Gebrauch von Wissen ohne eine vorausgehende Phase der Wissenskonstruktion nicht möglich, so bliebe, umgekehrt betrachtet, das konstruierte Wissen ohne eine anschlie-ßende Phase des Wissensgebrauchs in analogen Anwendungen ebenfalls defizitär: Benutztder Reisende für die zweite und alle weiteren Fahrten ein Taxi, so würden ihm wesentlicheAspekte der ursprünglichen Lernsequenz entgehen (Wissensabruf, Verlaufsoptimierung, Flüs-sigkeit in der Verknüpfung der Teilhandlungen, Übertragbarkeit). Entsprechend unbefriedi-gend bliebe das Lernergebnis. Das Beispiel des U-Bahn-Reisenden erlaubt Verallgemeinerungen über die Phasen im Ver- lauf humanspezifischer Lernprozesse. Danach sind zunächst zwei große Phasen einer Lern-sequenz zu unterscheiden: eine Phase, in der die Konstruktion von Wissen im V ordergrund steht, und eine zweite, in der der Gebrauch des konstruierten Wissens gelernt wird. Schau- bild 13 zeigt den lernpsychologischen Akzent der Konstruktionsphase: Schaubild 13:Die Konstruktionsphase 98Die Lernhandlung zielt darauf, die Unbestimmtheit in den Entscheidungspunkten abzubauen und in schrittweiser Abarbeitung der Probleme ein erfolgversprechendes Handlungsrezept zukonstruieren; solange ein solches Rezept noch nicht existiert, haben die bottom-up -Prozesse Vorrang (dicke Pfeile im Schaubild: Aufnahme/ Verarbeitung/ Integration von subjektiv neuerInformation). Bestehendes Wissen kann diesen Konstruktionsprozess fördern – und zwar aufder ideationalen Ebene (Rückgriff auf Inhaltswissen, hier auf das „U-Bahn-Wissen“ des Reisenden), auf der operativen Ebene (Rückgriff auf Handlungswissen, hier auf bestimmte prozessuale Strategien) und auf der affektiven Ebene (Rückgriff auf bestehende Einstellun- gen, hier auf eine positive und erfolgsorientierte Motivationslage). Ist auf diese Art eine Arbeitshypothese entstanden, so kann der Lernende zur zweiten Phase übergehen: zum Gebrauch dieses Wissensrezeptes in analogen Handlungszusammenhängen.Schaubild 14 zeigt den lernpsychologischen Akzent der Anwendungsphase: In der Anwendungsphase rücken Abruf (dicke Pfeile im Schaubild) und Gebrauch des kon- struierten Wissens und damit die top-down -Verarbeitung in den Vordergrund: Die einzelnen Schritte des Handlungsrezeptes werden nun direkt und in verkürzter, optimierter Form durch-laufen: reduziert auf die jeweils kürzeste erfolgversprechende Handlungsoption. Während diePhase der Wissenskonstruktion je nach Schwierigkeit der einzelnen Operationen die Auf-merksamkeit des Lernenden stark beansprucht, unter Umständen längere Zeit dauern kannund vor allem dazu dient, überhaupt erst eine erfolgversprechende Handlungsgrundlage zufinden, werden in der Anwendungsphase Gesichtspunkte wie Flüssigkeit, Ökonomie und Über-tragbarkeit wichtig: Der Reisende verzichtet bei den Teilhandlungen nun mehr und mehr aufaktive Suchoperationen und den Gebrauch von Handlungshilfen; so wird er die Bedienungs-anleitung des Fahrkartenautomaten höchstens dann noch lesen, wenn er einen Fehler regist-riert oder etwas Unerwartetes eintritt. Erweist sich das Handlungsrezept in analogen Anwen-dungen als erfolgreich und kann es flüssig gebraucht werden, so beansprucht es die Aufmerk-samkeit nur mehr in geringem Maße; der Handlungsinhalt (das Reiseziel) rückt in den Vor-dergrund, das Handlungsrezept wird unbewusst gehandhabt. Konstruktionsphase und Anwendungsphase ergänzen sich also als notwendige und sich wech- selseitig bedingende Komponenten des inneren Lehrplans; sie sind in ihrer Reihenfolge nichtaustauschbar, und man kann weder die Konstruktionsphase noch die Anwendungsphase über-springen. Die bloße Beobachtung oder Nachahmung des richtigen Endverhaltens führt nichtzur Ausbildung von transferierbarem Handlungswissen: Ein äußerer Lehrplan, der die Kon-struktionsphase ausklammert oder nicht sinnvoll gestaltet, wird daher zu keinen brauchbarenErgebnissen führen (sofern der Lerner nicht von sich aus in der Lage ist, auf intuitivem Wegezu entsprechenden Lösungen zu gelangen).Schaubild 14: Die Anwendungsphase (Gebrauch von Wissen) 99Jeder Lernprozess bedarf der Steuerung und Kontrolle durch eine (interne oder externe) metakognitive Instanz. Im Idealfall übt der Lerner, wie im Beispiel der Reisende, diese Kon-trolle selber aus: R weiß genau, was er erreichen will; er kennt die wichtigen Verlaufsmerkmaledes Prozesses, weiß um Probleme und Lösungsstrategien (Orientierung); und er verfügt überMaßstäbe zur Beurteilung des Lernfortschritts (Verlaufs- und Ergebniskontrolle). Ist der in-nere Lehrer für seine Aufgaben weniger gut gerüstet (Situation des Asylbewerbers), so ist dieChance, dass ein autonomer Lernprozess Erfolg haben kann, entsprechend geringer;ungesteuertes „Herumprobieren“ nach der Logik der Ratte im Labyrinth führt bei komple-xen, vielschrittigen Lernhandlungen unter realitätsnahen Bedingungen kaum zu Erfolgen.Soll unter solchen V oraussetzungen dennoch gelernt werden, so sind geplante Steuerungs-impulse, Handlungshilfen und Kontrollhinweise eines äußeren Lehrers erforderlich. Entsprechend der hier skizzierten lerntheoretischen Position umfasst die folgende Darstel- lung der Basismethode drei große Abschnitte: Konstruktion , Gebrauch und Kontrolle der Lernersprache. 4.2 Die Konstruktion der Lernersprache Bevor von einem bestimmten sprachlichen Wissen in realitätsnahen Formen Gebrauch ge- macht werden kann, müssen die entsprechenden Wissenselemente also zunächst konstruiertund abrufbereit im Wissen verankert werden. Den Konstruktionprozess untergliedere ich indrei Abschnitte: Sprachaufnahme, Sprachverarbeitung und Integration (vgl. ZIMMERMANN1969, VIELAU 1979a). Die Darstellung ist hier sequenzieller als die Lernwirklichkeit, in dersich solche Phasen überlappen und durchdringen können. 4.2.1 Sprachaufnahme In der Sprachaufnahme nimmt der Lernende neuen Lernstoff auf: Er identifiziert die sprach-lichen Zeichen in ihrem Verwendungskontext, ordnet ihnen versuchsweise eine Interpretationzu, bildet erste Fertigkeiten bezüglich der Nachahmung des Klangeindrucks und der Zuord-nung eines Schriftbildes. Im Ergebnis der Sprachaufnahme verfügt der Lernende über be-stimmte Anfangshypothesen über den Lernstoff: Er ist beispielsweise in der Lage, neue Wörter auszusprechen, ihnen eine vorläufige Bedeutung zuzuordnen, Klangbild und Schrift-bild in Beziehung zu setzen. Im Mittelpunkt der Sprachaufnahme steht die Rezeption derSprachoberfläche . Die Fähigkeit, diese Oberfläche ansatzweise zu handhaben, bildet den Ausgangspunkt für die anschließende Lernphase, die Sprachverarbeitung. In der Sprach-verarbeitungsphase werden die Ausgangshypothesen problembezogen elaboriert; d.h. hierfindet eine erste Tiefenverarbeitung des Lernstoffs statt. Die Sprachaufnahmephase soll im Folgenden anhand einer typischen Lernsequenz aus dem Anfangsunterricht zunächst exemplarisch dargestellt und anschließend schrittweise analy-siert werden. Das Beispiel stammt aus einem älteren Lehrbuch für Erwachsene und ist belie-big austauschbar. Es stellt nicht die Präsentationstechnik vor, sondern eine der vielen unter- richtspraktischen Möglichkeiten. Die Reihenfolge und die Anzahl der Lernschritte währendder Sprachaufnahme können (und sollen) abhängig von Lerngegenstand und dem Stand derLerngruppe variieren, ein starrer Schematismus ist zu vermeiden. 100Beispiel: Quizmaster: Hello. And welcome to ‘The London Quiz’. Member: Hello. Quizmaster: Now listen. (… Geräusch …) There’s a girl. What’s she doing? 1st Member: I don’t know. Quizmaster: Well, where is she? 2nd Member: She’s in the bathroom.Quizmaster: Yes, she is. But what is she doing? 2nd Member: She’s having a shower.Quizmaster: No, she isn’t. She isn’t having a shower. 3rd Member: She’s having a bath.Quizmaster: Yes. That’s right. She’s having a bath. (…) Der Text nimmt in ironischer Brechung ein im deutschen wie im britischen Fernsehen be- kanntes und beliebtes Programm aufs Korn: ein Ratespiel, bei dem die Zuschauer, nicht aberdas Rateteam, die Lösung des Rätsels kennen. Für die Lerngruppe, leicht fortgeschritteneAnfänger, sind etwa sieben Wörter in diesem Text neu; als zentrales Lernproblem wird daspresent progressive eingeführt. Eine typische Lernsequenz zur Aufnahme des Textes könnte in Anlehnung an die Vorschläge im Lehrerhandbuch die folgenden Schritte vorsehen: •Schritt 1: Hinführung. Die Lerngruppe wird anhand des Bildes durch einfache Fragen und Antworten sowie durch Bildbeschreibung und punktuelle Übersetzungen „vom Lehrer her“ auf die Situation und den Handlungsrahmen eingestimmt; einige Schlüssel-wörter für das Textverstehen sowie die Struktur ( she is having a bath ) werden auf diese Weise auditiv vorentlastet, nachgesprochen und visuell fixiert (Tafelanschrieb). Bezugs-punkt ist das Bild im Lehrbuch (der Text wird abgedeckt) oder, besser noch, das perTageslichtschreiber projizierte Bild (Bücher geschlossenen). Am Ende dieses ersten,kurzen Lernschrittes steht eine einfache Höraufgabe (z.B.: Is she having a shower? ); die Aufgabenstellung dient der Lenkung der Aufmerksamkeit auf den folgenden Lernschritt. •Schritt 2: Hören/ Globalverstehen. Der Text wird bei geschlossenen Büchern per Tonträger vorgespielt (auf Wunsch mehrfach); dann wird die Lösung der Höraufgabe abgefragt. Die Antwort – (No, she isn’t;) she’ s having a bath – wurde anschaulich und auditiv vorentlastet und muss nicht produziert, sondern nur reproduziert werden. •Schritt 3: Hören/ Dekodieren (Detailverstehen). Anschließend spricht der Lehrende noch einmal schrittweise vor und gibt Verstehenshilfen (einsprachig oder im Bedarfsfall auch zweisprachig); die Lerngruppe kann (auch auf Deutsch) um Wiederholung bittenund Verstehensfragen stellen; die Bücher bleiben geschlossen (kein Schriftbild). •Schritt 4: Nachsprechen (Aussprache). Der Lehrende spricht den Text in kurzen Sinnabschnitten vor und lässt im Chor und einzeln nachsprechen (Echosprechen). Sätze mit schwieriger Intonation baut er ggf. auch durch backchaining auf: doing // she doing // what’ s she doing // but what’s she doing? … (gesprochen mit falling intonation ). Auch hier sind die Bücher noch geschlossen; die volle Aufmerksamkeit richtet sich auf die Nachbildung des auditiven Wahrnehmungsinhaltes. Quelle: Follow Me B1: 37 101•Schritt 5: Mitlesen (Verbindung von Lautbild und Schriftbild). Nun werden die Bücher geöffnet. Der Text wird noch einmal abschnittweise vom Tonträger aus präsen- tiert, im Buch still mitgelesen und in den Sprechpausen still nachgesprochen (subvokalesArtikulieren). •Schritt 6: Vorlesen (Reproduzieren des Lautbilds vom Schriftbild her). Der Text wird zunächst in simultaner Partnerarbeit „eingelesen“ (der Kursleiter wechselt von Gruppe zu Gruppe und hilft bei Bedarf); dann zur Kontrolle von einigen im Plenumvorgetragen; korrigiert werden vorerst nur grobe Aussprachefehler. •Schritt 7: Lückendiktat (Reproduzieren des Schriftbilds vom Klangbild her). Die neuen Wörter werden in Form eines Lückendiktats vom Kursleiter diktiert und aufge- schrieben; die Ergebnisse werden in Partnerarbeit mit dem Lehrbuchtext verglichen. •Schritt 8: Problemaufnahme. Der letzte Schritt der Aufnahmephase leitet über zur Verarbeitungsphase; durch geeignete Arbeitsanweisungen wird die Aufmerksamkeit der Lernenden auf ausgewählte Lernprobleme gelenkt, die anschließend tiefergehend zubearbeiten sein werden. Die sprachliche Kommunikation, die hier Gegenstand der Übungssequenz ist, hat die Form eines Textes. Ein Text wird durch Kommunikationsabsichten definiert, nicht durch eine be- stimmte Gestatung oder Länge: Er kann kurz sein, womöglich nur aus einem Wort bestehen,und er kann viele Seiten lang sein. Ein Text wird über die Sinnesorgane aufgenommen. Sinn-lich wahrnehmbar sind die physikalischen Erscheinungsformen der Zeichen, d.h. eine Abfol-ge von Lauten oder Schriftzeichen (Zeichenträgern), sowie textbegleitende Informationenzum Zeichengebrauch. Der kompetente Sprecher ordnet dem Input, soweit er die Informationnicht schon im Ultrakurzzeitgedächtnis als unwichtig einordnet und ausfiltert, eine Interpre-tation zu. Seine Interpretation beruht auf einer hochgradig automatisierten Zusammenfas-sung von drei Teilhandlungen; sie ist „trilateral motiviert“ (VIELAU 1983), da sie Informa-tionen auf der Ausdrucks-, der Inhalts- und der Gebrauchsebene des Zeichenprozesses fastsimultan verarbeitet und koordiniert. Der Sprachenlerner kann nicht in gleichem Maße wie der kompetente Sprecher auf gespei- chertes Wissen zugreifen. Seine Schwierigkeiten beginnen auf der Ausdrucksebene, bei derZeichenerkennung, setzen sich fort auf der Inhaltsebene, bei der Dekodierung der Zeichen,und enden auf der Gebrauchsebene, beim Einbezug des Handlungskontextes in die Zeichen-interpretation. Er muss auf jeder dieser drei Ebenen lernen, und er muss lernen, die Teil-handlungen zueinander in Beziehung zu setzen. In organisierten Lernsituationen benutzt mandaher vereinfachte Texte, die den neuen Lernstoff in didaktisch geplanter Dosierung undAufbereitung enthalten und die aus Sicht der Lerngruppe einen mittleren Schwierigkeitsgradaufweisen. Einen solchen Text werde ich im Folgenden als Filtertext bezeichnen. Filtertexte (wie oben der Beispieltext) wirken oft künstlich, da sie vorrangig als Lernhilfe gedacht sindund entsprechend auf bestimmte Lehrziele im Rahmen der Stoffprogression des Lehrwerksabgestimmt werden. Ein Filtertext wird primär sprachbezogen (in vorkommunikativen Lern-formen) erarbeitet. Im Gegensatz zum Filtertext enthalten Plateautexte kaum neuen Lernstoff. Plateautexte die- nen der Sprachanwendung; sie werden mitteilungsorientiert (in kommunikativen Lernformen)ausgewertet. Aus didaktisch-methodischer Sicht ergeben sich also, je nach Funktion und Ortim Lernprozess, unterschiedliche Anforderungen an die Machart von Texten. Die Forderung, 102dass im kommunikativen Fremdsprachenunterricht ausschließlich mit „authentischen“ Tex- ten zu arbeiten sei (oder dass ein Lehrbuchtext mehreren Ansprüchen zu genügen habe),verwechselt Weg und Ziel – und missversteht das Prinzip der Phasierung des Lernwegs. Ein zu schwieriger Text würde sich für die Sprachaufnahme im Anfangsunterricht, wie sie oben beschrieben wurde, nicht eignen. Mehr als sieben chunks (neue Wörter/ Kollokationen/ Syntagmen) können nicht sinnvoll vorentlastet werden, da dies die Behaltenskapazität desKurzzeitgedächtnisses der Lerngruppe überfordert. Ein längerer Input kann nicht simultanaufgefasst werden; er müsste in einzelnen Abschnitten nach einem anderen Präsentations-verfahren erarbeitet werden. Für die Dosierung des neuen Wortschatzes gibt es Erfahrungs-werte. Man rechnet etwa 300 Unterrichtsstunden vom Stand des Anfängers bis zum Lern-niveau des VHS-Zertifikats (Europaniveau B1/ „Kommunikationsfähigkeit in Alltagssitua-tionen“). Entspricht diesem Zielniveau grob geschätzt ein Mindestwortschatz von 3000 Wör-tern, so ergibt sich eine mittlere Lernleistung von effektiv zehn Wörtern pro Unterrichtsstun-de. Diese kleine Modellrechnung deutet an, dass es weder sinnvoll noch notwendig ist, einzel-ne Filtertexte zu sehr mit Lernschwierigkeiten zu befrachten. (Meist wird man ohnehin mehrals eine Lernsequenz pro Unterrichtsstunde durchlaufen.) Filtertexte können gesprochene oder geschriebene Form haben. Bei natürlichen Sprachen unterscheidet sich der phonische Kode oft erheblich vom graphischen Kode; problematischwird es aus der Sicht des Lerners, wenn sich der eine Kode aus dem anderen nicht regelhafterschließen lässt (wie es in Englisch der Fall ist). Dabei stellt der phonische Kode aus ver-schiedenen Gründen das größere Problem dar: Die Mehrzahl der Lerner kann visuell kodierteInformation leichter aufnehmen und besser behalten als auditiven Input („visueller Lerner-typ“). Besonders auffällig ist dieser Effekt aus Gründen, über die noch zu sprechen sein wird,bei älteren Menschen. Werden also phonischer und graphischer Kode gleichzeitig präsentiert und wird beides vom Lerner als schwierig empfunden, so werden seine kognitiven Ressourcen überlastet: Er kannnicht beide Informationen gleichzeitig verarbeiten. Die Folge ist, dass sich die Schrift als dasvermeintlich „leichtere“ Medium in den V ordergrund schiebt: Der Text wird vorrangig erle-sen und dabei womöglich mit einer privatsprachlichen Lautung in Anlehnung an die Erst-sprache ausgestattet – das zielsprachliche Lautbild tritt in den Hintergrund. Bei schwächerenLerngruppen ist es daher sinnvoll, die Übungsfolge sequenziell aufzubauen: zunächst dasLautbild einzuführen und ansatzweise zu festigen, bevor mit etwas Verzögerung das Schrift-bild hinzutritt. Der andere Weg ist wahrscheinlich weniger empfehlenswert: Eine Sprache zulesen, bevor man sie sprechen kann, führt leicht zu privatsprachlichen Lautungen (subvokalesArtikulieren beim Lesen), die – weil aktiv konstruiert – später schwer zu revidieren sind. 4.2.1.1 Hören/ Globalverstehen Bei der Aufnahme einer unbekannten Sprache liegt das erste Lernproblem in der Zeichener-kennung, im richtigen Hören (nicht zu verwechseln mit der komplexen Zielfähigkeit desHörverstehens, Kap. 4.3.1). Dieser erste Schritt ist schwieriger, als es zunächst scheinenmag. Die Sprachlaute, die wir aufnehmen, variieren über ein weites akustisches Spektrum -je nachdem, ob der gleiche Laut laut oder leise, schnell oder langsam, von Mann oder Frau,Kind oder Greis, gebildetem oder ungebildetem Sprecher, Bewohner der einen oder anderen 103Region, in dem einen oder anderen sprachlichen und außersprachlichen Kontext artikuliert wird. Der kompetente Sprecher bemerkt diese klanglichen Vielfalt kaum, weil er ein Zeichen-muster (Phonem), einen Prototyp des Zeichens, als Maßstab benutzen kann: Er inferiert einMuster, das die Interpretation der phonischen bottom-up -Information steuert. Es enthält ne- ben dem bedeutungsunterscheidenden Prototyp (Phonem) die wichtigsten Allophone diesesLautes (also z.B. die Unterscheidung zwischen dem clear-[l] in lip und dem dark-[l] in willbeim Phonem / l /). Schaubild 15 veranschaulicht den Prozess der Zeichenerkennung imZusammenwirken von top-down- und bottom-up -Verarbeitung. Wenn es auf der Erde wahrscheinlich mehr als 4000 Sprachen gibt (STÖRIG 1987), so benutzt jede dieser Sprachen ein in Teilen unterschiedliches Lautsystem. Das bedeutet für dasFremdsprachenlernen, dass es bei ähnlichklingenden Lauten zunächst oft die erstsprachlichenPrototypen sind, die die Zeichenerkennung steuern: Gerade das Lautsystem ist beim Fremd-sprachenlernen anfällig für Erstspracheninterferenz (vgl. WODE 1988: 205). Wenn die Erst-sprache zum Beispiel zwischen [r] und [l] keinen Bedeutungsunterschied macht (die Lautewerden vielleicht als Allophone des Phonems / l / interpretiert), so wird ein Lerner dieserAusgangssprache größere Mühe mit der Zeichenerkennung haben als ein zweiter, in dessenAusgangssprache die Unterscheidung der Phoneme /r/ und /l/ geläufig ist. Was für die Erken-nung einzelner Laute gilt, gilt im Prinzip ähnlich für Wortphonetik (Wortbetonung, Wort-verbindung etc.) und Satzphonetik (Rhythmus/ Pausen, Satzbetonung, Intonation). Solangenoch keine präzise Lautvorstellung gebildet ist, ist der neurophysiologische Apparat des Lernen-den (sein Hördiskriminationsvermögen) daher in besonderem Maße gefordert: Er muss Lautehören, unterscheiden und klassifizieren, für die er noch kein Muster besitzt – oder eines, dasnicht so recht passen will, wie etwa das deutsche Rachen-[r] (uvular-frikativ) bei der Perzep-tion englischer (r)-Laute. Dass Erwachsene beim Fremdsprachenlernen oft größere Probleme mit der Aussprache ha- ben, findet so eine plausible Erklärung: Die Hördiskrimination lässt altersbedingt raschernach als die kognitive Lernleistung (vgl. LÖWE 1975: 112 ff.). Der ältere Mensch hörtbestimmte phonische Merkmale der Fremdsprache nicht mehr so gut – und kann sie daher Schaubild 15: Lauterkennung 104auch nicht sprechen. Ohne geeignete Lernhilfen für die Zeichenerkennung wird er kaum Fort- schritte machen; besonders gilt das für die Auffassung der allophonischen Varianten der Fremd-sprache, weil hier weniger die Kommunikation betroffen ist als der Wohlklang der Sprache. Solange ein brauchbares Gerüst des zielsprachlichen Lautsystems nicht erworben ist, sind komplexere Hörverstehensleistungen kaum möglich: Der Lernende ist vollauf mit der Zeichen-erkennung beschäftigt und ausgelastet (Lauterkennung, Bildung von Hör- chunks und bottom- up-Interpretation der Zeicheninhalte). In der didaktischen Literatur wird oft nicht klar genug zwischen dem bottom-up -Hören in der Sprachaufnahmephase und dem kommunikativen Hören in der Anwendungsphase ( top-down -Verarbeitung) unterschieden. Hörverstehen setzt das rich- tige Hören voraus: den flüssigen Abruf der passenden Lautmuster. Wer verlangt, dass die Fremdsprache „von Anfang an in normaler Sprechgeschwindigkeit“ (vgl. BURGSCHMIDTu.a. 1975: 118) und mit allen prosodischen Merkmalen der gesprochenen Standardsprache zupräsentieren sei, diese Präsentation gleich auch als Hörverstehensaufgabe anlegt, überfordertdie Lerngruppe, zumal die schwächeren Lerner. Eine zentrale Erkenntnis der Spracherwerbs-forschung lautet, dass nur comprehensible input lernwirksam ist: Der Input muss ausgehend vom Stand der Lernersprache „dekomponierbar“ (WODE) sein. Das sinnfassende Global-verstehen von authentischer Sprache ist, wie man sehen wird, eine der anspruchsvollstenZielfähigkeiten, die der kommunikative Fremdsprachenunterricht zu bieten hat; der erste Schritteiner Lernsequenz ist dafür kaum der richtige Ort. Im Gegensatz dazu führen aktuelle Lehrwerke oft schon im Anfangsunterricht den neuen Lernstoff in Form anspruchsvoller Hörverstehensübungen ein – anhand schnell gesprochener,semi-authentischer Texte. Im Lehrerhandbuch liest man dann, die Gruppe solle sich „ein-hören“, es reiche aus, wenn der Text in groben Umrissen verstanden werde ( listening for gist). Wenn sich Lerngruppen gegen eine solche Präsentation sträuben, weil sie kaum etwas verstehen und in dem sinnlosen Ratespiel rasch ermüden, so hat dies wenig mit „falschenLernerwartungen“ oder „fehlendem Selbstvertrauen“ zu tun – wie zuweilen unterstellt wird.Selbst der lerngeübte Spracherwerber hat mit unangepasstem Input große Probleme; derdurchschnittliche Spracherlerner wird trotz häufiger Wiederholungen solche Texte kaum ver-stehen: Ein spontaner Gewöhnungseffekt ist nicht zu erwarten. Der Einwand, dass auch beim kindlichen Erstsprachenerwerb ausschließlich authentische Sprache aufzunehmen sei, trifft nicht zu. Auch Kinder verarbeiten von einem gegebenenInput immer nur das, wofür sie vom Stand ihrer kognitiven und sprachlichen Entwicklungbereit sind; in der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern entwickelt sich daher ganzvon selber ein spezieller Anpassungskode (NEWPORT 1977). Erwachsene sprechen mit Kin-dern unbewusst anders als mit ihresgleichen: Sie stellen sich auf ihr Gegenüber ein und „han-deln Verstehen aus“. Wenn also selbst der natürliche Spracherwerb auf angepasstem Inputberuht – viel weniger kann unter Unterrichtsbedingungen auf Input-Anpassung und eine sinn-volle Abfolge der Lernschritte verzichtet werden. Wichtig für die Verbesserung der Mustererkennung ist ein ausreichendes Maß an akustischer Variation im auditiven Input. Wenn die Stimme des Lehrers die einzige Informationsquellebleibt, kann mangels einer ausreichend breiten Datenbasis das neue Phonem-Inventar nichtkonstruiert werden. Zwar wird man sich im Anfangsunterricht mit dialektalen oder soziolektalenVarianten zurückhalten; die Präsenz mehrerer Stimmen ist jedoch ein Muss für den kommu-nikativen Fremdsprachenunterricht. Da oft mit Dialogen gearbeitet wird, reicht die Lehrer- 105stimme für eine sinnvolle Präsentation ohnehin nicht aus. Zu allen modernen Lehrwerken gibt es Tonmaterial, das mittels eines tragbaren Wiedergabegeräts (CD-Player, Cassettenrecorder,Laptop etc.) ohne viel Aufwand in den Unterricht einbezogen werden kann. Zur Auswahl undzum Einsatz des Recorders hier einige praktische Empfehlungen: •Der Recorder sollte klein, leicht und handlich sein; Stereoausstattung sowie eine Schnitt- stelle für ein externes Stereomikrophon sind günstig, eine hohe Ausgangsleistung ist nicht erforderlich (verzerrungsfreie Ausgabe entsprechend der Sprechlautstärke derLehrerstimme ist völlig ausreichend). •Das Gerät sollte eine Pausentaste und ein Zählwerk haben. Höhen und Tiefen sollten regelbar sein; akustisch günstiger ist meistens eine deutlich höhenbetonte Einstellung. Der Lautsprecher zielt nicht an die Decke, sondern auf die Klasse. Den Anfang derHörsequenz stellt man vor Unterrichtsbeginn ein; das Zählwerk wird dabei auf Nullgestellt (um den Hörtext ohne langes Suchen wiederholen zu können). CD-Playererleichtern das rasche Auffinden der richtigen Stelle, haben jedoch andere Nachteile(keine Aufnahmefunktion). Optimal ist die Kombination von Laptop und Stereo-lautsprechern; mit einem der gängigen Mediaplayer (IPod) ist man auch im Unterricht bestens ausgestattet. •Das Tonoriginal bleibt im Archiv; um Verlust oder Beschädigung der teuren Originale zu vermeiden, benutzt man für den Unterricht besser eine Kopie. Wenn man ohne Genehmigung für die Lerngruppe Kopien des Tonmaterials anfertigt, so verstößt dasgegen das Copyright der Lehrmittelverlage. •Fehlt geeignetes Tonmaterial oder erweist es sich als ungeeignet (zu schnell/ undeutlich besprochen?), so kann man sich ein didaktisiertes Band mit Hilfe der Kolleg/inn/en leicht selber herstellen; eine Transkription der Hörtexte findet sich meist im Lehrer-handbuch. Erforderlich sind mehrere Sprecher/innen, ein gutes Stereomikrophon und einpaar Stunden Freizeit; Studioqualität ist ebenso verzichtbar wie phonetische Authentizi-tät (es kann nicht schaden, wenn auch Muttersprachler in der Runde sind). Selbstproduzierte Hörtexte dürfen beliebig als Lernmaterial kopiert und verteilt werden. •Der häufigste methodische Fehler, der beim Einsatz von Tonmaterialien gemacht wird, betrifft die Lautstärke . Der Recorder sollte nicht lauter eingestellt werden als entspre- chend der Lehrerstimme. Die Lerngruppe interpretiert mangelndes Verstehen eher als einakustisches Problem denn als ein auditives; oft wird daher eine zu hohe Lautstärkeverlangt. Aus methodischer Sicht ist jedoch keine höhere Lautstärke erforderlich,sondern ein sinnvoll angepasster und vorentlasteter Hör-Inhalt sowie gezielte Übungenzur Verbesserung der auditiven Wahrnehmung. Bei Spracherwerbern kann man darauf vertrauen, dass das Lautsystem der Fremdsprache bei ausreichend variablem Input fast von allein, weitgehend intuitiv und meist auch recht schnellgelernt wird. Weniger Lerngeübte (und ältere Menschen!) haben es hier nicht so einfach:Meist entstehen von allein nur grobe Differenzierungen, der Einfluss der Erstsprache bleibtlange spürbar. Ohne gezielte Hilfen zur Tiefenverarbeitung kommt der Lernprozess früheroder später ganz zum Stillstand: Lautsysteme sind sehr anfällig für die Bildung von Hör-Gewohnheiten (Fossilisierungen). Entsprechend führt der natürliche Zweitsprachenerwerbälterer Jugendlicher und Erwachsener nur in Ausnahmen zu einer akzentfreien Aussprache. 106Bei den üblichen Nachsprechübungen im Klassenunterricht ist kaum zu entscheiden, ob eine schlechte Aussprache auf artikulatorische, akustische oder auditive Probleme hinweist. Gutkonnte man Probleme bei der Hördiskrimination früher im Sprachlabor beobachten: ImKorrekturdurchgang gelang es vielen Lernenden selbst im direkten Vergleich von richtigerund falscher Sprechweise nicht, die eigenen Fehler zu identifizieren. Erst nach einer Fremd-korrektur und mehrfachem Anhören der betreffenden Stelle wurde der Unterschied dann auf-gefasst. Nachsprechübungen sind für sich genommen daher weniger geeignet, das Hören zuüben und die Aussprache zu verbessern. Das Problem liegt darin, dass der Lernende von sichaus zu wenig auf die kritischen Laute fokussiert. Zunächst sollte man der Lerngruppe bei der Sprachaufnahme ein wenig Zeit lassen, sich „einzuhören“ und das Gehörte zu dekodieren, bevor man zum Nachsprechen kommt. VieleLerner reagieren gehemmt auf die Forderung, schon beim ersten Hören nachzusprechen; siebrauchen vorher eine silent period , um ihre Hör-Eindrücke zu verarbeiten. Sinnfassend spre- chen kann man nur das, was man inhaltlich verstanden hat. Die Verstehenssicherung solltedem Nachsprechen also vorangehen. Das Textverstehen beim Hören kann durch V orentlastungangebahnt, durch eine Globalfrage gesteuert und durch angemessene Sprechweise unterstütztwerden. Hierzu kurz im Einzelnen. Die Art der Hinführung ist im Lehrbuch meist nicht vorgegeben. Das wäre wenig sinnvoll, denn hier liegt eine der wichtigen Aufgaben des Fremdsprachenlehrers: aus seiner Kenntnisder Lerngruppe heraus zu entscheiden, wie er Interesse wecken, V orwissen aktivieren, Neuesin geeigneter Weise vorentlasten kann. Zu der (oben beschriebenen) audiovisuellen Technikder Hinführung gibt es viele Varianten, zum Beispiel •eine kurze Anekdote (Lehrer-Selbstgespräch); •ein Assoziationskern plus Stoffsammlung, vielleicht in Form eines mind-map ; •eine Beschreibung der Situation „vom Lehrer her“; •eine Umfrage zum Thema. Wichtig ist, dass das Neue nicht heimlich schon vorausgesetzt wird: Wer nach neuen Wörtern fragt, fordert die Lerngruppe indirekt zum Vorauslernen auf. Alles, was wirklich neu ist (undnicht aktiv erschlossen werden kann?), sollte daher „vom Lehrer her“ eingeführt werden. Die Gestaltung der Hinführung ist ein Lieblingsthema in Lehrerausbildung und Fremdsprachen- didaktik: Viel Energie, Phantasie, V orbereitungszeit (Requisiten) wird in diese Phase inves-tiert. Darum eine Warnung. In der Hinführungsphase spricht vor allem der Lehrer; die Auf-nahmekapazität ist begrenzt (auf etwa sieben chunks an neuem Lernstoff); und mehr als eine erste Oberflächenverarbeitung mit Einstimmung auf den Lernstoff ist ohnehin nicht mög- lich. Darum sollte die Hinführungsphase kurz gehalten werden: je kürzer, desto besser! Nach-haltige Lern- und Behaltenseffekte entstehen nicht bei der Sprachaufnahme, sondern erst inder Sprachverarbeitungsphase und besonders bei der kommunikativen Sprachanwendung. Oft ist es sinnvoll, die erste Darbietung des Filtertextes mit einer Globalfrage einzuleiten, die als advance organizer wirkt: Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das Sinnverstehen und unter- stützt so die chunking -Operationen beim Hören. Da primär bottom-up verarbeitet wird, muss die Antwort ohne langes Überlegen direkt aus dem Text heraus möglich sein. Günstig sindhier auch Aufgabenstellungen, bei denen eine nicht-verbale Antwort verlangt wird (z.B. Zu-ordnung von Dialogteilen und Bildern). Das Globalverstehen beim Hören kann durch eine 107prosodisch angemessene Darbietung des Hörtextes unterstützt werden: durch Sprechrhythmus, Satzbetonung und Sprechmelodie, die sich bewusst an Inhalt und Aussageintention des Tex-tes orientieren. Der Filtertext darf jedoch nicht übertrieben schnell oder undeutlich gespro-chen werden. Auch hinsichtlich der prosodischen Merkmale ist die Perzeption erstsprachlich vorbelastet. Sprachen mit voll ausgebildeter Flexion und freier Wortstellung (wie Deutsch) machen meistsparsameren Gebrauch von prosodischen Mitteln; die gewünschten rhetorischen Wirkungenkönnen hier einfacher durch Stellungseffekte erreicht werden. Dagegen müssen Sprachen mitfester Wortstellung (Englisch) satzphonetische Mittel in stärkerem Umfang nutzen, umKommunikationsabsichten zu unterstreichen. Für Deutsche ist es daher nicht ganz einfach,die viel „beweglichere“ Prosodie der englischen Sprache zu hören und nachzubilden (vgl.etwa fall-rise intonation oder falling intonation bei bestimmten Fragestrukturen). Gelingt es jedoch, das Ohr entsprechend zu schulen (siehe im Folgenden), so erweisen sich die prosodi-schen Merkmale als wichtige Verstehenshilfe. Die prosodisch angemessene Darbietung er-leichtert das chunking – die Zusammenfassung von Lautsequenzen zu Sinnkomplexen (Wör- tern, Kollokationen, Syntagmen), die von der Hinführung her wiedererkannt werden. Diesenchunks kann er so leichter eine vorläufige Interpretation zuordnen: Hören und Verstehenergänzen sich also bereits bei der ersten Darbietung eines fremdsprachlichen Textes. 4.2.1.2 Dekodieren/ Detailverstehen Die Frage, auf welche Art die Bedeutung des neuen Lernstoffs bei der Sprachaufnahme zuvermitteln sei und welche Rolle dabei der Erstsprache zukommt, wird in der Fremdsprachen-didaktik sehr wichtig genommen. Begriffe wie „Übersetzungsmethode“, „Einsprachigkeit“,„aufgeklärte Einsprachigkeit“, „bilinguale Methode“ signalisieren, dass sich ganze Lehr-methoden von diesem Problem her definieren. Entsprechend reichhaltig ist die Literatur zudieser Frage; es würde hier den Rahmen sprengen, auch nur die Konturen dieser kontroversgeführten Diskussion nachvollziehen zu wollen (vgl. schon VIELAU 1975). Aus der Sicht der kommunikativen Methodik ist die Form der Bedeutungsvermittlung wäh- rend der Sprachaufnahme eher nachrangig. Zum einen kann man Bedeutungen ohnehin nicht„vermitteln“: Nach den lerntheoretischen Annahmen der kommunikativen Methodik werdenBedeutungen aktiv konstruiert – von jedem Lerner für sich relativ zum vorhandenen Wissen.Dabei kommt es darauf an, welche Informationen der Lerner aufnimmt, welche Strategien ereinsetzt und welche Ressourcen er ins Spiel bringen kann. Zum anderen hängt das Ergebnisdieses Lernschrittes weniger von der Präsentationstechnik ab als vielfach angenommen wird:Wie man sehen wird, ist in der Sprachaufnahme nicht mehr als ein vorläufiges Dekodieren möglich: die Bildung von Arbeitshypothesen (Bedeutungsvermutungen), die weiterer Elabora-tion bedürfen. Wichtiger als die Form der Sprachaufnahme ist daher auch hier eine sinnvolleAusgestaltung der anschließenden Phase der Sprachverarbeitung und -anwendung; in derPräsentationsphase sollte man vorrangig auf Zeitökonomie achten. „Dekodieren“ heißt, einer Zeichenfolge eine Interpretation zuzuordnen. Was in dieser Formu- lierung einfach klingt, erweist sich in der Analyse als ein sehr komplexer V organg. VieleFremdsprachenlerner (und manche Didaktiker) gehen von der Vermutung aus, dass die Wör-ter einer Sprache „für die Dinge stehen“, für die Gegebenheiten der materiellen Welt. Um eine 108Zeichenfolge interpretieren zu können, müsse man nur das „Ding“ (im weitesten Sinne) iden- tifizieren, das durch diese Zeichenfolge repräsentiert wird. Da alle Menschen und alle Sprach-gemeinschaften im Prinzip in der gleichen materiellen Dingwelt leben, hätte man so einengesicherten Bezugspunkt für die Interpretation der Zeichen; Fremdsprachenlernen hätte nichtmehr und nicht weniger zum Inhalt als den Austausch zweier arbiträrer (konventioneller)Zeichenkonventionen zur Repräsentation der materiell gleichen Sache. Man lernt Fremdspra-chen, indem man die Etiketten der Dinge auswechselt: Die Vokabelgleichung „ spade = Spa- ten“ ist der reinste Ausdruck dieser Lerntheorie (siehe auch JUNGBLUT 1990). Dabei können aus dem gleichen Denkansatz zwei völlig gegensätzliche Konsequenzen abge- leitet werden: eine naive Übersetzungstheorie und eine ebenso naive Theorie der Einspra-chigkeit. Beide Theorien sind problematisch, weil die Prämisse nicht stimmt. Zunächst dahereinige Begriffsklärungen. Die Wörter zweier Sprachen lassen sich zwar tatsächlich irgendwieauf die gleiche Dingwelt beziehen (denn alle natürlichen Sprachen erlauben universale Refe-renz), sie drücken jedoch jede für sich eine kulturspezifisch unterschiedliche Konzeption dieser Dingwelt aus. Wörter stehen also nicht für die Dinge, sondern sie repräsentieren be-stimmte (einzelsprachlich gebundene) „Sehweisen“, verallgemeinerte und konventionalisierteVorstellungen von den Dingen: nämlich das, was eine Sprachgemeinschaft im Prozess derErschließung und Aneignung der Dingwelt auf Basis der konkreten Lebensumstände für öko-logisch valide befunden hat. Diese konventionellen Vorstellungen wiederum regeln im weites-ten Sinne den Gebrauch, der von den Wörtern innerhalb der jeweiligen Sprachgemeinschaftgemacht werden kann, um auf die Dingwelt Bezug zu nehmen (um zu referieren). Die Wörter einer Sprache repräsentieren also nicht auf direktem Wege irgendwelche Dinge und Relationen der materiellen Welt, sondern sie stehen für kulturspezifische (einfache und komplexe) Notionen ; mit dem Terminus „Notion“ folge ich dem im englischen Sprachraum üblichen Sprachgebrauch. Notionen sind Bausteine des sprachgebundenen Denkens in einemdoppelten Sinn: Sie sind Werkzeuge des Denkens und des kommunikativen Handelns in einerSprachgemeinschaft, aber sie beeinflussen in gewissem Umfang auch unser Denken und Tun.Unser Denken wird durch die Sprache zwar nicht determiniert (es gibt auch vorsprachlicheund nichtsprachliche Denkprozesse), aber doch in bestimmtem Umfange motiviert. Einzel-heiten dieser Problematik (Relativität der Sprachwelten, Art und Umfang der sprachlichenMotivation des Denkens) sollen hier nicht interessieren (vgl. etwa ZIMMER 1986). Auf dieBeeinflussung des Denkens durch die Sprache bauen alle, die versuchen, den Sprachgebraucheiner Sprachgemeinschaft in ihrem Sinne zu regeln – ob es sich dabei um ORWELLs newspeak handelte oder heute um so schöne Sprachschöpfungen wie „Restrisiko“, „Atomarer Entsor-gungspark“ oder „Diätenanpassung“. Die Wörter einer Sprache rufen beim kompetenten Sprecher die Notionen ab, die ihrer inter- subjektiven Bedeutung innerhalb der Sprachgemeinschaft entsprechen. Wer eine Sprache aufnatürlichem Wege erlernt, lernt die Bedeutungen aus dem Gebrauch, der in lebenspraktischenZusammenhängen von den Wörtern gemacht wird: Die Notionen, die er auf diesem Wegebildet und speichert, sind also eigentlich Handlungsabstraktionen bzw. (aus kognitions-psychologischer Sicht) Handlungsrezepte, die durch die Art ihrer Genese völlig selbstver-ständlich die kulturspezifischen Merkmale ihres Gebrauchs enthalten. Der kompetente Spre-cher dekodiert eine Zeichenfolge, versteht Bedeutung, indem er zu der Zeichenfolge top- down aus seinem Wissen jeweils die passenden Notionen abruft und zuordnet. 109Wörter, deren Gebrauch wir aus irgendeinem Grunde nicht nachvollziehen können, denen wir folglich keine Notion (V orstellung) zuordnen können, sind für uns leere Worthülsen; die Be-deutung dieser Wörter bleibt uns verschlossen selbst dann, wenn wir eine Definition im Wör-terbuch lesen oder wenn sich jemand um eine Erklärung bemüht. Den „Halbedelstein mit achtBuchstaben“ können wir dann zwar vielleicht wie im Kreuzworträtsel benennen, aber wirverbinden mit dem Namen keine V orstellung. Bedeutungen kann man nur begrenzt „von außen“vermitteln: Die der Bedeutung entsprechende Notion muss (falls sie im Wissen nicht existiert)aktiv aus typischen Gebrauchs- und Erfahrungszusammenhängen herausgefiltert werden. Erstwenn die richtige Notion zugeordnet werden kann, gewinnt ein Wort auch subjektiv „Sinn“und wird damit zum persönlichen Sprachbesitz. Die Bedeutungen einer Sprache haben den Status von Konventionen mit intersubjektiver Gültigkeit. Man kann Bedeutungen daher fixieren, beschreiben, im Wörterbuch festhalten.Ihre intersubjektive Gültigkeit erlaubt uns den Austausch von Mitteilungen: Für die Kommu-nikation benutzen wir Wörter, deren Bedeutungen und deren Gebrauch für alle Sprecher derSprachgemeinschaft mehr oder weniger festliegen. Die den Bedeutungen entsprechendenNotionen haben dagegen nur psychologische Realität; sie existieren „in den Köpfen der Men-schen“ (oder auch nicht). Was das Wort „Tisch“ bedeutet, wissen wir als kompetente Spre-cher der deutschen Sprache; wir können die Definition notfalls im Wörterbuch nachlesen.Aber woran denken wir, wenn jemand das Wort „Tisch“ gebraucht? Die Notion „Tisch“deckt offensichtlich einen sehr breiten Anwendungsbereich ab; es gibt so etwas wie einen„gedachten Mittelwert“, eine prototypische V orstellung von dem, was ein „Tisch“ in unsererLebenswelt üblicherweise ist. Eine prototypische Vorstellung besitzt keine scharfen Konturen(was kann man in unserer Lebenswelt gerade noch so als „Tisch“ ansprechen?). Insofernverhalten sich die V orstellungen, die wir im Akt des Verstehens mit den Wortbedeutungenverknüpfen, viel flexibler als die Sprache, an die sie letztlich gebunden sind. Kulturanthropologische Untersuchungen und Kulturvergleiche konnten zeigen, dass die Konzeptualisierung der gegenständlichen Welt keineswegs willkürlich erfolgt (ROSCH 1978):Die Ordnung der Konzepte entspricht den objektiven Strukturen der Realität; Notionen wer-den dort gebildet, wo im Laufe des kulturellen Prozesses eine ökologische Validität entsteht.Insofern ist auch der Grad der Abstraktion nicht willkürlich: Engere, präziser bestimmteNotionen weisen darauf hin, dass in der kulturellen Evolution ein entsprechend differenzier-ter lebenspraktischer Bedarf existiert. Daher sind die Sprachwelten ähnlich entwickelter Kul-turen durchaus vergleichbar: Wer eine neue Sprache lernen will, muss nicht wie ein Kleinkindganz von vorne beginnen, er muss nicht „neu denken“ lernen. (Das wäre schon eher der Fall,wenn wir versuchen würden, nicht Englisch oder Französisch, sondern die Sprache einerfernliegenden, primitiven Kultur zu erlernen.) Aber im Detail wird man dennoch an vielen Stellen „umdenken“ müssen, wird lernen müssen, zwischen kulturspezifischen V orstellungsinhalten zu differenzieren; denn wenn die konzeptuelleOrdnung zweier Sprachen vergleichbarer Kulturkreise in den großen Linien durchaus ähn-lich ist, so gilt dieses leider nicht auch im Detail. Wortweise Übersetzungen sind darummeistens wenig brauchbar. Die Erstsprache liefert zwar häufig eine praktikable Anfangs- hypothese , aber eine verlässliche Konstruktion der entsprechenden fremdsprachigen Notion ist damit noch lange nicht geleistet (KIELHÖFER 1993). Für den Lernschritt „Dekodieren/Detailverstehen“ bei der Sprachaufnahme stellt sich vor 110dem Hintergrund der hier skizzierten Überlegungen eine zweifache Aufgabe: •Der Lerner soll (unter Rückgriff auf vorhandenes Wissen) eine brauchbare Anfangs- hypothese zur Bedeutung des fremdsprachlichen Wortes bilden. •Er soll lernen, die Bedeutungen von Ausgangs- und Zielsprache (entgegen dem ersten,naiven Impuls) bezüglich der ihnen verknüpften V orstellungsinhalte nicht miteinander zu identifizieren. Im Fremdsprachenunterricht können mangels lebenspraktischer Erfahrungszusammenhänge keine neuen Notionen gebildet werden. Zunächst müssen daher immer die vorhandenen (erst-sprachlichen) Notionen zur Interpretation der neuen (fremdsprachlichen) Wörter genutztwerden. Streng genommen reduziert sich der Expertenstreit darum, ob die Dekodierungshilfeneinsprachig oder zweisprachig gegeben werden sollen, auf die Frage, welches Verfahren imkonkreten Fall praktikabler und ökonomischer ist; der Effekt der Unterrichtsprozedur iststets der gleiche. Dabei sollte man alles vermeiden, was die Analogstrategie und das naive Identifizieren zweier Sprachen fördert. Man kann die erstsprachlich geprägten Vorstellungsinhalte zwar nicht ausdem Unterricht heraushalten – aber man sollte die spontane Tendenz zur Gleichsetzung derSprachen nicht noch durch vermehrt zweisprachiges Üben verstärken. Das Übersetzen vomLerner her, die zweisprachige V okabelgleichung und das zweisprachige Vokabellernen sindaus dieser Sicht so ziemlich das sinnloseste, was der Fremdsprachenunterricht heute immernoch zu bieten hat. Wie also könnte man methodisch vorgehen bei der Bedeutungsvermittlung im Rahmen der Sprachaufnahme? Um den Gebrauch der Erstsprache zu vermeiden, versucht man üblicher-weise, die Bedeutung einer Lautfolge durch den Einsatz von „Mittlern“ zu erhellen: durchden Verweis auf Dinge, auf Bilder oder durch Simulation typischer Handlungen in Formeiner szenischen Darstellung. Das V orgehen ist vom Prinzip her ähnlich; ich beschränke michhier auf eine exemplarische Analyse der Rolle des Bildes als Dekodierhilfe . Ein typischer Übungsablauf könnte die folgenden Schritte vorsehen (L = Lehrer/ S = Lerner): •L präsentiert am Tageslichtschreiber ein Bild (Foto eines Baumes) und lenkt die Auf- merksamkeit darauf (zeigt auf Baum); •S nimmt bildhafte Information auf und versucht zu verstehen, was gemeint ist (interpre-tiert bildhafte Information); •L spricht Lautfolge [tri:] vor und deutet zugleich auf das Bild am Tageslichtschreiber; •S konstruiert Lautfolge (Zeichenerkennung und chunking ) und überträgt die gefundene Bildbedeutung auf die Lautfolge; •L prüft, ob die gefundene Assoziation von Lautfolge und Bedeutung richtig ist: stellt Verstehensfragen. Die Beschreibung der Arbeitsschritte zeigt, dass hier aus einem Lernproblem (Dekodierung der fremdsprachlichen Lautfolge) in der mediengestützten Vermittlung zwei geworden sind:Die visuell vermittelte Information muss interpretiert werden ( „Das Bild soll einen Baum darstellen“ ), und die gefundene Bedeutung muss auf eine fremdsprachliche Lautfolge über- tragen werden ( „/tri/ bedeutet so viel wie Baum“ ). Die Aufgabe des Lernenden ist dabei weniger einfach, als es zunächst scheinen mag. 111Sprachliche Zeichen haben konventionelle, intersubjektiv gültige Bedeutungen. Gleiches gilt nicht für Bilder. Bilder sind vieldeutig, der Betrachter muss ihnen eine der möglichen Bedeu-tungen aktiv zugeordnen. Jede Bedeutung eines Bildes, die uns in dieser Weise explizit be-wusst wird, wird uns in den Kategorien bewusst, in denen wir gelernt haben, unsere Umweltzu sehen: im Rahmen der erstsprachlich geprägten Notionen. Da die natürlichen Methodender Bedeutungskonstruktion in der Unterrichtssituation nicht gegeben sind, tritt die Erst-sprache als kognitiver Mittler auf: Tatsächlich werden im Beispiel also eine zielsprachliche Lautfolge und eine erstsprachliche Notion assoziiert; die Erstsprache ist in dieser (meta-sprachlich-interpretativen) Funktion nicht-hintergehbar, auch wenn sie nicht laut ausgespro-chen wird. Insofern hätten wir es hier lediglich mit einem Umweg zu tun: an die Stelle der lauten Anwesenheit der Erstsprache tritt ihre stille Präsenz. Aber wie ein genauerer Vergleich des Informationsgehalts symbolisch und ikonisch kodierter Botschaften am Beispiel des Wortes „Baum“ zeigt (Schaubild 16), ist das Verfahren auch ausanderen Gründen problematisch. Der symbolische Kode (Sprache) und der ikonische Kode(Bild) sind nicht gut ineinander übersetzbar: Abstraktions- Vorstellungsinhalt Symbolischer Ikonischerstufe Kode Kode 0 Ding (bestimmter, ? Foto eines Baumes einzelner Baum) 1 Klasse 1. Ordnung „Eiche“ Skizze einer Eiche, (Eiche) Blatt schema o.ä. 2 Klasse 2. Ordnung „Laubbaum“ ? (V erwechslung mit (Laubbaum) S tufe 1) 3 Klasse 3. Ordnung „Baum“ ? (Baum) Der ikonische Kode ist am besten geeignet, um auf etwas Einzelnes zu referieren; dagegenrepräsentiert der symbolische Kode (abgesehen vom Sonderfall der Eigennamen) verallge- meinerte V orstellungen, wobei verschiedene Abstraktionsstufen gewählt werden können. Je abstrakter der Vorstellungsinhalt, desto schwieriger und missverständlicher wird die Reprä-sentation dieser V orstellung in ikonischer Form. Am einfachsten vergleichbar sind schwachverallgemeinerte V orstellungsinhalte (Klassen 1.Ordnung), sofern für die ikonische Reprä-sentation eine abstrahierende Form (Schema, Strichzeichnung o.ä.) gewählt wird. Ein Bild ist als Dekodierhilfe vor allem deshalb wenig geeignet, weil es den Lernenden im Unklaren über die intendierte Abstraktionsstufe lässt. Der Umweg über die „Bildbedeutung“erweist sich bei genauerer Betrachtung also eher als Dornenpfad. Entsprechend unklar ver-hält sich der Kursleiter, der sein Esperanto-Lehrbuch hochhält und „libro“ sagt: Die Lern- gruppe kann nun raten, welche Vorstellung gemeint ist: Esperanto-Lehrbuch, Sprachlehrbuch,Lehrbuch, broschiertes Taschenbuch, Buch …. Ohne Zusatzinformationen ist eine Vermu-tung fast so gut wie die andere; leicht ist die Aufgabe nur aus der Sicht des Wissenden. DerSchaubild 16: Vorstellungsinhalte und Kodierungsformen 112Requisitenkoffer, der in der Referendarausbildung früher vielerorts Pflicht war, bleibt daher besser zu Hause. Um Verstehensprobleme dieser Art auszuschließen, wird oft empfohlen (QUETZ 1990), die Dekodierhilfe direkt in der Zielsprache zu geben, etwa in Form einer Definition oder Para- phrase ( „a department store is a big shop where you can get all the things you need …“ ), einer semantischen Relation (Gegensatzpaar, sinnverwandte Wörter, über-/untergeordnete Begriffe, Ort im semantischen Differential, Ort im Wortfeld etc.), eines typischen Kontextes („It’ s raining. Don’t forget your – umbrella -“ ) oder einer logischen Relation (man : mouth verhalten sich wie bird : ? ). Dass auch solche Lernhilfen nicht leicht zu verstehen sind, liegt allerdings auf der Hand. Häufig setzt die Erklärung das Verstehen voraus, das durch sie erstentstehen soll; oft impliziert die Erklärungssprache ein weitergehendes Sprachverstehen alsdie Objektsprache. Wenn ich mit einem Wort nichts verbinde, wird mir die Einordnung in einsemantisches Differential (hot – ? – cold) nicht viel sagen, so sinnvoll diese Technik grund- sätzlich auch sein mag. Außerdem muss ich hier nicht nur eine bestimmte Lautfolge interpre-tieren, sondern vorher zusätzlich die vom Kursleiter intendierte logisch-semantische Operati-on erkennen, verstehen und nachvollziehen. Für lernungewohnte Teilnehmer sind solche „Hilfen“ daher wenig geeignet.Die einfachste Dekodierhilfe ist eine punktuelle Übersetzung „vom Lehrer her“: Sie ruft den intendierten Vorstellungsinhalt ohne Umwege auf, vermeidet alle zusätzlichen Interpretationsproblemeund Missverständnisse, ist universell anwendbar (auch auf abstrakte Begriffe und Funktions-wörter) und außerdem sehr zeitsparend. Die Technik ist als „Aufgeklärte Einsprachigkeit“von BUTZKAMM in vielen Arbeiten umfassend beschrieben und begründet worden (vgl.besonders 1973, 1980, 1989; auch LÜBKE 1979); im Prinzip folge ich seiner Analyse undkann mich daher kurz fassen. Nachteilig bei solchen Übersetzungen ist zum einen das code switching in einer ansonsten zielsprachlich gehaltenen Lern- und Übungssequenz; die Technik könnte obendrein, wennkeine Tiefenverarbeitung folgt, der Analogstrategie Vorschub leisten. Zum anderen verhin-dert die direkte Übersetzung die Such- und Erschließungsoperationen, die unter der V oraus-setzung, dass das fragliche Wort einem „potenziellen Wortschatz“ angehört (DENNINGHAUS1976), auch in der Sprachaufnahmephase möglich sind: •Manche Wörter können als Internationalismen oder Lehnwörter direkt erschlossen werden. •Die Bedeutung vieler Wörter ergibt sich durch Anwendung einfacher Wortbildungs-gesetze (in ESPERANTO bedeutet sana so viel wie „gesund“; die Vorsilbe mal- drückt regelmäßig einen Gegensatz aus; was also bedeutet malsana ?). •In einigen Fällen mag ein Drittsprachentransfer brauchbare Ausgangshypothesen liefern (was bedeutet libro in ESPERANTO?). Auch in solchen Erschließungsoperationen werden lediglich Hypothesen gebildet, die weite- rer Überprüfung und Elaboration bedürfen. Denn zum einen kann eine subjektiv gut begrün-dete Hypothese durchaus falsch sein (vgl. etwa die Problematik der false friends wie in sensible/ sensibel ); zum anderen liefert die Dekodierung stets nur die (Teil-)Bedeutung, die in den aktuell gegebenen Zusammenhang passt. Die fremdsprachliche Notion, die den Ge-brauch dieses Wortes in anderen Verwendungszusammenhängen steuert, ist damit nicht ge- 113funden: Die Informationsbasis ist noch zu eng; für eine angemessene Bedeutungskonstruktion ist mehr Vielfalt und Variation im Input erforderlich. Vergleicht man die V or- und Nachteile der skizzierten Lehrverfahren, so wird deutlich, dass sich das Thema kaum für methodische Grundsatzdebatten eignet: Die stille Präsenz der Erst-sprache ist nicht zu vermeiden, der Effekt der Lehrbemühungen ist in allen Fällen ähnlich(Bildung einer mehr oder weniger gut angenäherten Bedeutungsvermutung in Anlehnung andie Erstsprache); der erste Schritt zum Verstehen der Fremdsprache kann daher nur ein Aus-gangspunkt für vertiefende und weiterführende Lernprozesse sein. Wenn sich der Lerneffektohne Zeitverlust, ohne viel Unbestimmtheit und ohne Überforderung der Lerngruppe durcheinen einsprachig gehaltenen Lernschritt erreichen lässt, so ist dies fraglos der beste Weg – und sei es auch nur, um unnötiges code switching zu vermeiden. Einem mühevollen Ratespiel mit unsicherem Ausgang ist die rasche Übersetzung vom Lehrer her allemal vorzuziehen. Fragwürdig ist der hohe Zeit- und Medienaufwand (Requisiten, Bilder, szenische Darstellun-gen etc.), der vielfach noch um die Dekodierung neuer Wörter in der Sprachaufnahmephasegetrieben wird: Dieser Aufwand ist methodisch nicht zu begründen, er wäre in den anschlie-ßenden Lernphasen ungleich besser aufgehoben. In der künstlichen Umwelt des Unterrichts bleibt eine wichtige Bedeutungsdimension oft ausgeschlossen: der Handlungskontext (die Personen, ihre Beziehung zueinander und ihre Sprechabsichten; ihr Verhalten beim Sprechen und ihre Körpersprache; das Zusammenspielvon sprachlichem und außersprachlichem Handeln; die Handlungsergebnisse). Wissen dieserArt wird im transaktionalen Sprachgebrauch implizit stets vorausgesetzt. Ein Dialog wie imBeispiel oben müsste ohne geeignete Hinführung und ohne Vorwissen über solche Fernseh-Ratespiele unverständlich bleiben. Aber auch, wenn er Situationen dieser Art kennt, aktiviertder Lerner kein zielkulturell authentisches Vorwissen, sondern eigene Kenntnisse aus ähnli-chen Handlungszusammenhängen; manches davon mag übertragbar sein, vieles wird zu Miss-verständnissen Anlass geben. Verbessern ließe sich die Informationsbasis durch eine Video-Präsentation – wie sie zum Beispiel das Lehrsystem FOLLOW ME vorsah. Wenn eine solchePräsentation realitätsnah und informativ gehalten ist, so kann das zwar das praktisches Erle-ben nicht ersetzen, aber immerhin ein Lernen durch Beobachtung ( learning by observation ) ermöglichen – und so dem Lernprozess eine reichere Informationsbasis bieten. 4.2.1.3 Nachsprechen/ Echosprechen Ein Lernschritt, in dem die Artikulation des Filtertextes durch Echosprechen geübt wird, istnicht in jedem Fall erforderlich. Ob ein solcher Schritt sinnvoll ist und welches Gewicht ihmzukommt, richtet sich nach der Zusammensetzung und dem Stand der Lerngruppe, nach derSchwierigkeit des Filtertextes, nicht zuletzt auch danach, welche Sprache man unterrichtet(ob es für diese Zielsprache verlässliche Ausspracheregeln gibt, nach denen die Lautungautonom konstruiert werden kann). Unter günstigen V oraussetzungen (fortgeschrittene Lern-gruppe, phonetisch „leichte“ Zielsprache, einfacher Text) wird man nur bestimmte Text-stellen üben oder ganz auf diesen Schritt verzichten; bei lernungewohnten Erwachsene imEnglisch-Anfangsunterricht ist ein methodisch gut durchdachter Lernschritt zur Schulungder Artikulationsmuster dagegen fast unverzichtbar. 114Die Fähigkeit, die Zielsprache angemessen artikulieren zu können, entsteht nicht von selber, etwa durch Zuhören und mechanisches Imitieren. Aus kognitionspsychologischer Sicht mussauch hier primär praktisch gelernt werden: Der Lerner muss Artikulationshypothesen bilden, sie testen und auf Basis des gegebenen Feedback elaborieren; ist das richtige Muster gefun-den, so muss es durch Übung gefestigt werden, bis sich die entsprechenden Routinen für denflüssigen Abruf gebildet haben. Unter günstigen V oraussetzungen wird die Aussprache spontan und intuitiv erworben: Lern- hilfen sind nicht erforderlich, mancher begabte Schüler spricht nach einer gewissen Zeit bes-ser als der Lehrer. Auch weniger begabte Lerner nehmen manches intuitiv auf; aber ihr Wegzu einer passablen Aussprache ist erfahrungsgemäß wesentlich mühsamer. Ohne geeigneteLernhilfen wird bald ein persönliches Lernplateau erreicht; defizitäre Artikulationsmusterverfestigen sich und werden zur Gewohnheit. Bei Erwachsenen kommt hinzu, dass die Fähig-keit zur Hördiskrimination und die Beweglichkeit der Artikulation rascher nachlässt als zumBeispiel die kognitiven Leistungen (SINGLETON 1989, EDMONDSON/ HOUSE 1993, zueiner Übersicht vgl. auch QUETZ 1995). Im Anfangsunterricht mit heterogenen Lerngruppen,zumal in der Erwachsenenbildung, sollte daher die Aussprache besonders geübt werden. Ent-sprechend sehen moderne Lehrwerke oft ein eigenes, langfristig angelegtes Teil-Curriculumzur Schulung der Aussprache vor. Die erste und einfachste Form, in der die Aussprache geübt werden kann, ist das Nachspre- chen fremdsprachlicher Lautgruppen. Richtiges Nachsprechen setzt Detailverstehen voraus; eine Nachsprechphase ist daher erst sinnvoll, wenn das Detailverstehen gesichert ist. Sindgrößere Interferenzen vom Schriftbild her zu erwarten (Englisch-Anfangsunterricht!), so solltebeim Nachsprechen zunächst auf das Mitlesen verzichtet werden; die Bücher bleiben ge-schlossen. Dadurch wird die Aufgabe zwar vordergründig schwieriger, aber es ist sicherge-stellt, dass die volle Aufmerksamkeit der auditiven Wahrnehmung gilt. Das folgende Fallbeispiel aus dem Anfangsunterricht Englisch für Erwachsene zeigt, dass auch bei einer vermeintlich einfachen Übung noch einiges schief laufen kann. Die Lern-gruppe sitzt in U-Form, der Kursleiter wandert der Reihe nach von einem zum anderen undspricht laut und deutlich vor; der jeweils Angesprochene bemüht sich um ein angemessenesEcho und wird so lange korrigiert, bis es nach Ansicht des Kursleiters einigermaßen klappt.Der Rest der Lerngruppe verfolgt die Prozedur mit einer Mischung von Amüsement undUnbehagen (denn man ist ja selber auch bald „dran“): Kursleiter (spricht vor): Now listen./ There’s a girl. / What’s she doing? // ( / = kurze Sprechpause; // = Nachsprechpause) Teilnehmer (spricht nach): Now / listen / there’s / a / girl … (?) … Die Aussprache ist nicht exakt, aber in der Wiedergabe einzelner Laute durchaus passabel; wortphonetische (Bindung) und satzphonetische Merkmale (Rhythmus, Pausen, Intonation)fehlen: Der Teilnehmer spricht etwas leiernd und betont gleichmäßig jedes einzelne Wort.Nach etwa sieben Silben ist Schluss… Kursleiter (tritt direkt vor den Lerner und wiederholt, etwas lauter und langsamer als vorher, mit weniger ausgeprägter Intonation und leicht gequältem Unterton): Now listen./ There’s a girl. / What’s she doing? // Teilnehmer (spricht nach): Now listen / there is a girl / what is she doing? Jetzt ist die Information vollständig, auch Tempo, Sprechrhythmus und Intonation stimmen 115so leidlich (allerdings wird am Ende die Stimme zur deutschen Frage-Intonation gehoben); aber die Artikulation der einzelnen Laute ist nun fehlerhaft (zum Beispiel sind jetzt ein /t/ inlisten und ein /r/ in girl hörbar, was vorher nicht der Fall war; die beiden Wörter stehen an der Tafel). Kursleiter (beugt sich dicht über den Teilnehmer, wird noch etwas lauter und spricht die Wörter einzeln vor, die besonders falsch klangen): listen / there’s / girl / what’s // (Leises Kichern in der Runde; der Teilnehmer bekommt rote Ohren und wird zunehmend hektisch.) Teilnehmer (spricht nach): listen / there’s / … ? … Was er sagt, klingt segmental-phonetisch besser – nur leider kommt er nicht über die ersten beiden Wörter hinaus; nun ist schon nach sieben Lauten Schluss.Der Kursleiter resigniertdemonstrativ und wendet sich zum nächsten Lerner … Aus Lernersicht ist die Aussprache die erste und augenfälligste Hürde beim Fremdsprachen- lernen; geheime Versagensängste, Hemmungen, image -Probleme finden (zumindest im An- fangsunterricht) hier ihren Bezugspunkt. Um Lernblockaden durch einen zu hohen Affektiv-filter zu vermeiden, sollte man einzelne Lerner also nicht in die Verlegenheit bringen, sichunvorbereitet mit ihren Ausspracheproblemen vor der Gesamtgruppe produzieren zu müssen.Das „Tigerspiel“ des Kursleiters (ruheloses Herumlaufen und direkte Konfrontation) sowieeine wenig partnerschaftliche Lernatmosphäre verstärken in dem Beispiel den Druck so sehr,dass erfolgreiches Lernen kaum möglich ist. Immerhin war der Kursleiter so einsichtig, denLehrversuch nach drei vergeblichen Anläufen abzubrechen – wenn er sich auch nicht verknei-fen konnte, durch seine Körpersprache dem Lerner die Verantwortung für den Misserfolgzuzuweisen. Aus dem Beispiel lassen sich interessante Vermutungen zur Rolle der Aufmerksamkeit und zu typischen Lernstrategien ableiten. Im ersten Versuch konzentriert sich der Lernende im Bestreben, die Laute korrekt nachzubilden, primär auf die bottom-up -Information: Die chunking -Operationen beziehen sich direkt auf die gehörten Lautfolgen; er imitiert subjektiv sinnlose Silben (leiernde Sprechweise, geringes Sprechvolumen). Im zweiten Versuch ändert der Lernende die erfolglose Strategie: Er versucht nun, den Inhalt aufzunehmen und wiederzugeben. Das chunking orientiert sich an Bedeutung und Mitteilung (angemessene Prosodie, weiteres Sprechvolumen); dabei wird jedoch die bottom-up -Infor- mation weitgehend ausgeblendet (Überlastung der kognitiven Ressourcen durch Parallelver-arbeitung ohne abrufbereite Handlungsroutinen). Die Aussprache im zweiten Versuch gibtdaher nicht den Hör-Eindruck wieder, es wird nicht oberflächenorientiert reproduziert, son-dern die Aussprache wird vom Lerner top-down konstruiert. Sie gibt eher den aktuell unzu- länglichen Stand der Lernersprache als den tatsächlichen Hör-Eindruck wieder (aktive Bil-dung von Sprech-Hypothesen mit vielen Interferenzfehlern). Im dritten Versuch ändert der Teilnehmer im hektischen Bemühen, es dem Kursleiter doch noch recht zu machen und den drohenden Gesichtsverlust in der Lerngruppe zu vermeiden,ein drittes Mal seine Strategie: Er verzichtet nun völlig auf chunking -Operationen und ver- sucht, die einzelnen Laute streng sequenziell zu identifizieren und nachzubilden – was ihm imRahmen der Möglichkeiten des Kurzzeitgedächtnisses durchaus gelingt (lautrichtige Aus-sprache, geringes Sprechvolumen). 116Wenn man Probleme wie in dem Fallbeispiel vermeiden will – worauf wäre daher bei der Planung von Nachsprechübungen zu achten? Um affektive Lernblockaden zu vermeiden,sollten einzelne Lerner nicht unvorbereitet vor der Gruppe sprechen müssen. Zur Gewöh-nung an die neuen Sprechmuster bietet sich eine kurze Simultanphase an – entweder in Formdes leisen Echosprechens (subvokales Artikulieren) oder des lauten Chorsprechens . Chor- sprechen wird als sinnvolle Lernform auch von Erwachsenen akzeptiert, wenn man den Zweckdieses Lernschritts kurz erläutert und das Einverständnis entsprechend aushandelt. Was im Fallbeispiel den Lehrversuch scheitern ließ – beim V orsprechen ist die Spanne des Kurzzeitgedächtnisses (sieben chunks ) zu beachten. Schwierige Wörter werden zunächst oberflächenorientiert aufgebaut; die bottom-up -Verarbeitungsrichtung hat V orrang. Entspre- chend kurz ist im ersten Schritt die Sprechsequenz (sieben Silben); die Vorgabe wird deutlich,präzise und gemäß standardsprachlichen Konventionen artikuliert, um dem Lerner die seg-mentale Analyse und Lauterkennung zu erleichtern. Im zweiten Schritt wird die Sprech-geschwindigkeit erhöht und die Satzlänge erweitert: Das zwingt die Lerngruppe zu „tieferen“chunking -Operationen, denn eine etwas längere Sequenz (sieben Wörter/ Kollokationen) kann nicht mehr bloß mechanisch nachgesprochen werden; man muss sie inhaltlich verstehen. Supra-segmentale Merkmale wie Bindung, Rhythmus, Satzbetonung und Sprechmelodie rückenjetzt in den V ordergrund und unterstützen die semantische Reorganisation des Input beimNachsprechen. Um fehlerträchtige Sequenzen intensiver zu üben, ist unter Umständen die Technik des backchaining sinnvoll: Durch den Aufbau „von hinten nach vorn“ wird das, was im Satz schwierig und wichtig ist, am häufigsten gesprochen, häufiger jedenfalls als der Satzanfangmit der tendenziell bekannten und eher unwichtigen Information („funktionale Satzper-spektive“). Eine Lernsequenz wie oben im Beispiel könnte nach dieser Technik etwa wie folgtaufgebaut werden: (1) listen // now listen // a girl // there’s a girl // now listen/ there’s a girl // (2) doing // she doing // what’s she doing // what’s she doing?// (3) now listen / there’s a girl / what’s she doing? // Wenn auf diese Weise eine erste Geläufigkeit erreicht ist, könnte sich eine kurze Individual- phase anschließen, die dann weniger der Übung als der Lernkontrolle dient. Das individuelleEchosprechen (bei dem neben dem Lehrer immer nur einer der Teilnehmer sinnvoll beschäf-tigt ist) sollte nicht zu lange ausgedehnt werden, bei Bedarf wird dezent und eher beiläufigkorrigiert. Übungssequenzen dieser Art können besser ins Sprachlabor ausgelagert werden (sofern heute noch eine dieser Anlagen zur Verfügung steht): Das HSA-Labor kombiniert die Vorteile derSimultanphase und der Individualphase. Das Simultansprechen wird aufgezeichnet, und danachkann der Lernende seine Performanz in der anschließenden Individualphase in aller Ruhenachvollziehen, am Muster überprüfen und gegebenenfalls gezielt elaborieren (was im Klassen-unterricht mangels ausreichender Individualisierung der Übungsprozesse längst nicht so ef-fektiv möglich ist). Bei sinnvoller Nutzung bietet das Sprachlabor dem Fremdsprachenunter-richt daher nach wie vor interessante Möglichkeiten. Allerdings kann man im Sprachlabor gut auch die Grenzen dessen beobachten, was sich allein mit Nachsprechübungen erreichen lässt. Schwächere Lerner verfallen hier eher in diePassivstrategie: Sie imitieren mechanisch das, was sie zu hören glauben; Fehler in der eige- 117nen Performanz werden auch im direkten, kleinschrittigen Vergleich mit der richtigen Sprech- weise nicht registriert. Sie profitieren daher kaum vom Nachsprechen, von Korrekturen ausaffektiven Gründen (siehe Fallbeispiel) oft noch weniger. Daher sollten schon hier, währendder Sprachaufnahme, bestimmte Lernhilfen angeboten werden, die die Aufmerksamkeit ge- zielt auf die Lernschwierigkeiten lenken. Die wichtigste Lernhilfe für die Schulung der Aussprache ist die Lautschrift . Da die Mehr- zahl der Menschen visuelle Information besser aufnehmen kann als auditive („visuellerWahrnehmungstyp“), hilft die Lautschrift weniger beim Sprechen als beim Hören; sie hilft,bestimmte Besonderheiten des zielsprachlichen Klangbildes wahrzunehmen, die wir vorherschlicht überhört haben (weil das passende zielsprachliche Hörmuster noch nicht gebildetwar). Je unregelmäßiger die Beziehung von phonischem und graphischem Kode, je schwieri-ger und ferner das Lautsystem der Zielsprache, desto wichtiger die Rolle der Lautschrift. Nun könnte man einwenden, dass die Lautschrift mit ihren fast fünfzig Symbolen für die Phoneme der englischen Sprache so viele neue und eigene Hürden aufrichtet, dass von einerLernhilfe im Anfangsunterricht wohl kaum die Rede sein könne. Dieser Einwand ist nichtberechtigt, sofern bestimmte V oraussetzungen gegeben sind. Die Lautschrift darf nicht alsbekannt vorausgesetzt werden; auch mit dem Hinweis auf die „Lautschrift-Seite“ der An-fangslehrbücher ist es nicht getan. Die Lautschrift wird selektiv nach und nach eingeführt:jedes Symbol jeweils als Aufmerksamkeitssignal für ein schwieriges Phonem der Zielspra- che. Bei dieser Technik der signalphonetischen Darstellung werden nicht gleich ganze Wörterin der Umschrift dargestellt, sondern es erscheinen gezielt jeweils nur ein oder zwei Symbolean der Tafel – eben das, worauf in der Lautfolge besondes zu achten ist (VIELAU 1983c). Zudem Wort listen würde also vielleicht [sn] an die Tafel geschrieben, zu there’s vielleicht nur [z], wenn aktuell beim Nachsprechen auf diesen Laut fokussiert werden soll. Erreicht wird mit dieser Technik zweierlei: Der Lerner wird auch visuell, über seinen primä- ren Wahrnehmungskanal, angesprochen; er ist nicht allein auf die auditiven Eindrücke ange-wiesen. Da simultan Symbol und Klangbild eingeführt werden, kann die Lautschrift außer-dem auf diese Art fast nebenbei erlernt werden – eben in der Abfolge, in der die Aufmerksam-keit der Lerngruppe auf schwierige Phoneme der Zielsprache gelenkt wird. Selbstverständ-lich genügt aus der Sicht des Lerners die passive Beherrschung der Lautschrift. Das Lautsystem, das die Lerngruppe auf diese Weise aufnimmt und aktiv artikuliert, sollte einer Standardvariante der englischen Sprache, also zum Beispiel beim British English der Received Pronunciation (RP) entsprechen. Für die Bildung dieser Laute kann (neben dem bloßen V orsprechen) eine einfache Beschreibung der wichtigsten Merkmale der Artikulation(Artikulationsort, Stellung der Zunge, Stimme, Öffnung, ev. Angabe eines bekannten „Aus-gangslautes“ etc.) erfahrungsgemäß hilfreich sein: „Um ein [w] zu sprechen, runden Sie IhreLippen wie beim [u]; probieren Sie mal, und sagen Sie what’ s …“. Erklärungen dieser Art werden selbstverständlich auf Deutsch und so einfach wie möglich gegeben. Das Symbolsystem (die Lautschrift), mit dem das Lautinventar einer natürlichen Sprache beschrieben wird, ist willkürlich. Insofern ist es falsch zu sagen, eine Lautschrift höre sichbesser an als die andere, denn beide Schreibkonventionen beziehen sich auf dasselbe Laut-inventar. Gleich wie ich den Vokal in word phonetisch umschreibe – ich muss das entspre- chende Phonem der englischen Sprache nach Lautqualität und Lautquantität, sofern es in derErstsprache der Lerngruppe nicht vorkommt, im Unterricht erst ausbilden. Die Frage, ob die 118eine oder andere Schreibkonvention „besser“ oder „schlechter“ ist, ist daher objektiv kaum zu entscheiden; die Wahl der Schreibkonvention orientiert sich am Verwendungszweck(VIELAU 1983c). Für einen Lautatlas oder für Sprachvergleiche bietet sich eine andereSchreibkonvention an ( phonetic transcription ) als für ein phonetisches Wörterbuch ( narrow phonemic ) oder für ein zweisprachiges Fremdsprachenwörterbuch ( broad phonemic ). Für den Fremdsprachenunterricht hätte sich die Wahl der Lautschrift primär didaktisch-metho-disch zu begründen: Es kommt nur eine phonemische Lautschrift in Betracht, sie muss ein-fach und ökonomisch sein und vor allem leicht erlernbar. Eine visuelle Lernhilfe mit Signalcharakter ist eines der wichtigsten Instrumente für die Aus- spracheschulung; beim Unterricht mit schwächeren Lernern und in der Erwachsenenbildungist die Lautschrift nahezu unverzichtbar. Eine entsprechende phonetische Qualifikation (akti-ve Beherrschung der Lautschrift) muss bei phonetisch schwierigen Sprachen daher vom Leh-rer verlangt werden. Besonders wichtig ist die Lautschrift bei der Korrektur: Gerade hierkommt es auf die Lenkung und Modellierung der Aufmerksamkeit an: Ein Feedback, das derLernende nicht versteht und nicht „auf den Punkt bringen kann“, wirkt eher beunruhigendund verwirrend. Trotz gut geplanter Lernhilfen sollte man nicht zu viel erwarten: Mehr als eine leidlich ange- näherte „Sprechhypothese“ ist im ersten Lernschritt meist nicht zu erreichen. Auch die Aus-sprache bedarf der gezielten Elaboration und Tiefenverarbeitung (siehe unten, Kap. 4.2.2.1Ausspracheübungen). 4.2.1.4 Die Einführung der Schrift Bei phonetisch schwierigen Sprachen sollte die Schrift mit Verzögerung erst dann eingeführtwerden, wenn das Klangbild durch Echosprechen bei geschlossenen Büchern leidlich gesi-chert ist. Ist die Distanz von Klangbild und Schriftbild groß, so könnte man zunächst einekurze Mitlese-Phase folgen lassen. Dabei wird der Text noch einmal vom Lehrer vorgespro- chen (oder per Tonträger präsentiert), bei geöffneten Büchern simultan mitgelesen und stillgesprochen. Die Aufmerksamkeit soll sich dabei ganz auf die Aufnahme und Zuordnung derSchreibkonvention konzentrieren. Ginge man vom Echosprechen direkt zum V orlesen über, müsste der Lernende mehrere Auf- gaben zugleich bewältigen: das Schriftbild auffassen, es dem Klangbild zuordnen und gleich-zeitig aktiv artikulieren. Schwächere Lerner reagieren überfordert auf diese Mehrfach-beanspruchung: Sie „vergessen“ das Klangbild und konstruieren die Aussprache top-down vom Schriftbild her mit Hilfe erstsprachlicher Lesestrategien (siehe auch Fallbeispiel oben). Um solche Interferenzen auszuschließen, ist gelegentlich vorgeschlagen worden, die Schrift zunächst ganz aus dem Anfangsunterricht herauszuhalten (audiolingual/ audiovisueller Vor-kurs). Angesichts der wichtigen Funktion, die der Schrift in künstlichen Lernsituationen zu-kommt, halte ich das für keine gute Idee (vgl. auch MINDT/ MISCHKE 1985): Zum einenverlagert man die Probleme nur auf einen späteren Zeitpunkt, zum anderen nimmt man zu-sätzlich das Entstehen privatsprachlicher Kodierungen in Kauf. Denn die meisten Menschenkönnen sich Sprache leichter in visueller Form einprägen: Das Schriftbild dient ihnen zurdauerhaften Verankerung und Fixierung des auditiven Wahrnehmungsinhalts. Steht kein Schrift-bild zur Verfügung, so wird es eben autonom, notfalls als „innere Schrift“, erzeugt – immer 119auf der Basis erstsprachlicher Schreibstrategien. Diese autonom gebildete Schreibweise kon- kurriert später mit den entsprechenden zielsprachlichen Schreibkonventionen: Das Resultatist leicht vorstellbar. Die Verbindung von phonischem und graphischem Kode sollte daherschon während der Sprachaufnahme hergestellt werden. 4.2.1.5 Vorlesen Hat das vorkommunikativ akzentuierte Vorlesen methodisch überhaupt noch eine Berechti-gung? Müsste dieses „merkwürdige Tun“ (DIDAKTILUS 1991: 246), wie gelegentlich ge-fordert wird, nicht durch das gestaltende V orlesen/V ortragen ersetzt werden? DIDAKTILUSbegründet seinen Standpunkt damit, dass das laute Vorlesen aus pragmatischer Sicht alleinbei der Übermittlung von subjektiv neuer Information seine Berechtigung habe (vgl. auchMÖHLE 1988), dass das laute Vorlesen in seinem Effekt nicht mit dem Leseverstehen ver-wechselt werden dürfe (was sicherlich kaum jemand tut) und schließt mit einer wenig praxis-nahen Forderung: „ Eigentliches Lesetraining um der Aussprache willen vollzieht sich zu Hause. Das Ergebnis [im Unterricht] kann nur das sinngestaltende Lesen sein.“ (247) Der Gedanke, dass es für alles, was im kommunikativen Fremdsprachenunterricht geschieht, eine pragmatische Begründung geben müsse, ist ebenso verbreitet wie unrichtig. Er ist etwaso logisch wie die Behauptung, dass der Nichtschwimmer dann am schnellsten das Schwim-men erlernt, wenn man ihn ohne Schwimmhilfen ins tiefe Wasser wirft. Komplexe kommuni-kative Fähigkeiten – wozu das sinngestaltende V orlesen allemal gehört – können nur schrittweiseaufgebaut werden. Man darf hier Weg und Ziel nicht verwechseln, die erforderlichen Teil-Routinen nicht als gegeben voraussetzen oder in Eigenarbeit auslagern. Ein guter Vortragverlangt gesichertes Textverstehen, eine weitgehend automatisierte Aussprache und die Kenntnisprosodisch-rhetorischer Mittel (um sich angemessen auf die Hörer einstellen zu können).Fehlen solche V oraussetzungen, ist eine Überlastung der kognitiven Ressourcen des Lernen-den bereits in der Aufgabenstellung angelegt. Wie schwierig das sinngestaltende Lesen/ V or-tragen sogar in der Erstsprache ist, wird bei öffentlichen V orträgen oft genug demonstriert. In der Phase der Sprachaufnahme (im ersten Schritt des Sprachlernprozesses!) geht es zunächst um die aktive Rekonstruktion des Klangbildes vom Schriftbild her, wobei das Textverstehenvorausgesetzt wird und das Klangbild vom vorhergehenden Lernschritt, dem Echosprechen,noch präsent sein sollte. Im Gegensatz zum Echosprechen, bei dem das bottom-up -Prinzip dominiert, dient das V orlesen der Einübung der top-down -Aussprache, damit zugleich der Lernkontrolle und Problemaufnahme für ein gezieltes Aussprachetraining in der anschließen-den Phase der Sprachverarbeitung (vgl. Kapitel 4.2.2.1). Der Lernende steht beim Vorlesen vor einer doppelten Aufgabe: Er soll die lautrichtige Arti- kulation (re)produzieren und den Lesetext zumindest in Ansätzen prosodisch gestalten (alsonicht leiernd gleichförmig, sondern sinn- und ausdrucksorientiert lesen). Der zweite Teil die-ser Aufgabe fällt leichter, wenn in Sinnabschnitten gelesen wird bzw. wenn die Leserollen denDialogrollen entsprechen. Das V orlesen übt man trivialerweise nur durch Tätigkeit, nicht durch Zuhören. Das beliebte „Reihenlesen“ (der Reihe nach jeder einen Satz) ist aus methodischer Sicht fragwürdig,langweilig für alle, die nichts zu tun haben, „stressig“ für die, die an der Reihe sind, undobendrein sehr zeitraubend, wenn der Kursleiter den Ehrgeiz entwickelt, dass zum Schluss 120alle etwas gesagt haben sollen.Viel effektiver ist eine kurze Partner- oder Gruppenarbeit. Am einfachsten erfolgt die Gruppenbildung entsprechend der Sitzordnung. Als Lernarrangementhat sich ein „Dreierschritt“ bewährt: •Der Text wird im Plenum exemplarisch „angeübt“. Damit ein brauchbares Muster entsteht, lesen hier eher die Stärkeren vor. •Im zweiten Schritt wird der Text je nach Zahl der Dialogrollen in Partner- oderGruppenarbeit eingeübt . Die Gruppen arbeiten parallel, jeder liest jede Rolle mehrfach; die Mitglieder korrigieren sich wechselseitig. Der Kursleiter wandert von Gruppe zuGruppe, hört besonders bei den Schwächeren zu, mischt sich jedoch nicht ein. •Im dritten Schritt wird das Ergebnis von ein oder zwei (schwächeren) Gruppen zur Kontrolle für alle im Plenum vorgetragen: Dabei werden verbliebene Fehler korrigiert und offene Fragen behandelt. Das Lesen in Partner- oder Gruppenarbeit hat viele Vorteile: Alle haben die Chance, prak- tisch zu üben ( learning by doing ), Sprechhypothesen aktiv bilden und testen zu können; man kann affektiv entlastet üben und muss nicht unvorbereitet vor der Großgruppe sprechen; manübt, selbstständig und kooperativ zu arbeiten; bei der Korrektur des Partners tut man etwasfür die Ausbildung der metakognitiven Fähigkeiten und des „inneren Lehrers“. Wenn dabeiein paar Fehler unkorrigiert durchgehen, wiegt das angesichts der Vorteile gering. Denn dieAussprache muss im weiteren Verlauf ohnehin weiter verbessert werden. Für das Gelingendieses Lernschritts ist jedoch wichtig, dass der Zweck des Partnerlesens vorher kurz darge-stellt, begründet und von der Lerngruppe akzeptiert wird; bei lernungewohnten Teilnehmernist dabei einiges an Überzeugungsarbeit erforderlich. Schwächere Lerner neigen dazu, nicht sinndarstellend, sondern „leiernd“ zu lesen. Wer die Aufgabe als schwierig empfindet, konzentriert seine Aufmerksamkeit spontan zu sehr auf dielokale Planung von Lautbildung und Artikulation; die simultane Globalplanung (sinndar-stellender Ausdruck) tritt in den Hintergrund. Die Forderung, beides zugleich zu beachten,überlastet die kognitiven Ressourcen. Wird der Lesevortrag nun noch bei jedem Fehler unter-brochen und direkt an Ort und Stelle korrigiert, so verstärkt sich die Neigung zur Lokal-planung: Die Augen eilen der Artikulation nicht mehr voraus, der V ortrag stockt und „hol-pert“. Der Tipp, die Augen vorauseilen zu lassen, erst den Satz zu denken und dann zusprechen, wirkt hier manchmal Wunder. Der Lesevortrag sollte nicht unterbrochen werden;korrigiert wird erst nach Abschluss des V ortrags, eventuell unterstützt durch ein kurzes Echo-sprechen. Die Fehlererkennung kann man am besten im Sprachlabor trainieren; ersatzweisekann man den Mitschnitt einer Gruppenphase gemeinsam auswerten. Um die Wichtigkeit des sinndarstellenden Lesens zu demonstrieren, bietet sich eine Selbster- fahrung in der Rolle des Zuhörers an (vgl. auch MÖHLE 1988). Ein unbekannter Plateautextwird von einem der Lerner vorgelesen; die Zuhörer sollen eine inhaltsbezogene Aufgabe lö-sen, sie dürfen den Text nicht mitlesen. Die Lerngruppe wird dabei feststellen, wie schwierigdie Sinnentnahme aus einem unvorbereitet-leiernden V ortrag ist – auch wenn der Text an sichnichts Neues enthält. Einen nachhaltigen Könnensfortschritt wird man trotz solcher Selbsterfahrung allein durch Hören, Imitieren und anschließende V orlese-Übungen bei schwächeren Lernern kaum errei-chen. Auch die Empfehlung, den Filtertext samt angemessener Prosodie auswendig lernen zu 121lassen (vgl. vanishing-technique , WALTER 1981), ist problematisch. Das Auswendiglernen bindet viel Lernkapazität für einen begrenzten Lernertrag: Nur dieser eine Text kann dannvielleicht angemessen vorgetragen werden (häufig wird das Leiern durch das Auswendig-lernen eher noch verstärkt). Aktive Sinndarstellung beim Lesen ist erst möglich, wenn derLernende in der Lage ist, vorrangig global zu planen. Das wiederum setzt eine (über dassimple Dekodieren weit hinausgehende) semantische Reorganisation des Input, Tiefenverar-beitung und Sinnverstehen voraus – und außerdem flüssige lokale Prozesse beim Artikulie-ren. Man kann den sinndarstellenden Ausdruck nicht oberflächenorientiert „andressieren“;wer das versucht, verwechselt Fremdsprachenunterricht und Schauspielschule. Er vergeudetkostbare Unterrichtszeit und Lernkapazität. Man sollte daher akzeptieren, dass dem V orlesen während der Sprachaufnahme ein ebenso wichtiger wie begrenzter Zweck zukommt – die Verbindung von Lautbild und Schriftbild,wobei hier die lautrichtige Artikulation noch ganz im Vordergrund steht. Wenn es dabei ein-zelnen Lernern gelingt, mit etwas mehr Ausdruck zu lesen – umso besser! Die Mehrzahl derLerngruppe wird ohne mehrere Zwischenschritte, die der gezielten Elaboration der Ausspra-che dienen, zu sprachsynthetischen Leistungen dieser Art (noch) nicht in der Lage sein. 4.2.1.6 Schreiben als Fertigkeit und Lernhilfe In einem letzten, fakultativen Schritt der Sprachaufnahme könnte noch einmal gesondert dasSchriftbild geübt werden. Dazu werden die Bücher geschlossen (und die Tafel ggf. zuge-klappt). Dann werden die kritischen Wörter zum Beispiel in Form eines Lückendiktats vorge-geben und aufgeschrieben. Das Lückendiktat hat dem Langdiktat gegenüber den V orteil, dasses Zeit spart und eine mechanische Wiederholung von Bekanntem vermeidet: Nur das, wasneu, wichtig oder fehleranfällig ist, wird aufgeschrieben. V orgelesen wird immer der ganzeText, damit die schwierigen Wörter aus ihrem Zusammenhang besser verstanden werdenkönnen. Ein vereinbartes Signal (oder eine Wiederholung) markiert die Wörter, die aufzu-schreiben sind. Anschließend wird die Tafel wieder aufgeklappt, wo die meisten Wörter vonder Einführung her noch stehen dürften, und das Ergebnis (in Partnerarbeit?) verglichen undkorrigiert. Die Aufgabe der Lerngruppe ist bei einer Sprache, die zwischen graphischem und phoni- schem Kode deutlich unterscheidet, keineswegs einfach. V orausgesetzt wird, dass die Zuord-nung von Klangbild und Schriftbild leidlich gesichert ist; denn die Aufgabe verlangt eineexakte Rekonstruktion des Schriftbildes vom Klangbild her, wobei sich der Lerner nicht aufdie gewohnten erstsprachlichen Schreibstrategien stützen kann. Er muss das jeweilige Schrift-bild daher viel präziser als beim V orlesen vor Augen haben: Das Schreiben zwingt mehr alsjede andere Arbeitsform zu Konzentration und Genauigkeit. Unter dem Einfluss einseitiger Methoden („schriftfreier Unterricht“, verzögerte Einführung der Schrift, Schrift als „sekundärer Kode“ etc.) ist das Schreiben im Fremdsprachenunterrichtetwas in eine Randstellung geraten. Dabei sind die gängigen Begründungen für die Margi-nalisierung des Schreibens bei näherer Prüfung kaum haltbar. Für den kommunikativenFremdsprachenunterricht ist das Schreiben ein Lernziel neben anderen; über die Wichtigkeitsollte der Bedarf der Lerngruppe entscheiden. Das gilt sowohl für das sprachbezogene (Recht-schreibung) wie für das kommunikative Schreiben. Dabei ist das eine die V oraussetzung des 122anderen. Wieder gilt das Prinzip: Die lokale Planung (Rechtschreibung) muss in geeigneter Weise vorentlastet werden, damit der Kopf beim mitteilungsorientierten Schreiben für dieGlobalplanung frei ist. Wer schon über die Schreibweise jedes zweiten Wortes stolpert, wirdkaum einen längeren Gedankenzug in geordneter Weise zu Papier bringen können … Obendrein ist das Schreiben für visuell veranlagte Menschen eine wichtige Lernhilfe: Es lenkt die Aufmerksamkeit, zwingt zur Konzentration, die Lernfortschritte sind direkt am Er-gebnis erfahrbar (die ja nicht flüchtig sind wie die Ergebnisse des Sprechens). AffektiveBlockaden wie beim Sprechen vor der Gruppe spielen kaum eine Rolle. Und schließlich hilftdas Schreiben in nachhaltiger Weise beim Einprägen und bei der Verankerung des neuenLernstoffs. Daher sollte beim Fremdsprachenlernen, auch wenn ein entsprechender Lern-schritt nicht vorgesehen ist, immer ein Lernprotokoll geführt werden; auf Form und Funkti- on dieses Lernprotokolls komme ich später zurück. Abhängig vom Stellenwert, den der Lehrplan der Rechtschreibung einräumt, sind Schreib- übungen mit unterschiedlichem „Tiefgang“ vorstellbar. In der einfachsten Form wird dasSchriftbild ohne Fokussierung auf mögliche Probleme und Fehlerquellen durch learning by doing (Lückendiktat, Lernprotokoll etc.) und gelegentliche Lernkontrollen gleichsam beiläu- fig erworben. Der Nachteil dieses Vorgehens ist, dass im Ergebnis mit deutlichen Scheren-effekten zu rechnen ist: Spracherwerber kommen schon durch das implizite Mitlernen zubrauchbaren Ergebnissen, Spracherlerner und Lernungewohnte werden auf diesem Weg eineeher dürftige Schreibfertigkeit ausbilden. In einem Kurs, in dem zum Beispiel nur kurzfristigein wenig Englisch für den Urlaub gelernt werden soll, würde man das wohl in Kauf nehmen. Wird der Schreibfertigkeit ein höherer Stellenwert zugewiesen (systematische Erlernung der Zielsprache in schulischen oder abschlussorientierten Lernzusammenhängen), so sind, ähn-lich wie im erstsprachlichen Unterricht, gezielte Rechtschreibübungen erforderlich. Man würdehier also zum Beispiel bestimmte gesetzmäßige Zusammenhänge von Wortbildung und Recht-schreibung (Morphem-Methode) erarbeiten und praktisch einüben. Kommt es sehr auf Präzi-sion und äußeres Erscheinungsbild geschriebener Texte an (Englisch in beruflichen Anwen-dungen/ Kurse für Sekretärinnen und Fremdsprachenkorrespondenten), müsste man sich tiefer-gehend mit typischen Fehlerquellen und Rechtschreibproblemen befassen (Homophonie undÄhnlichkeit, Lehn- und Fremdwörter, Getrennt- und Zusammenschreibung, Ausnahmen/schwierige Graphemkombinationen, interferenzanfällige Schreibungen etc.). Es würde zu weit führen, die Methodik des „vertieften“ Rechtschreibunterrichts hier darstel- len zu wollen: Das wäre Thema einer eigenen Publikation. Sicher liegt hier eines der (zahlrei-chen) Desiderate der Fremdsprachendidaktik. 1234.2.2. Sprachverarbeitung Während der Phase der Sprachaufnahme findet eine erste Oberflächenverarbeitung des Input statt: Neue Wörter und Strukturen können nun von ihrem Schriftbild und ihrer Ausspracheher als Exponenten der Zielsprache identifiziert und angesprochen werden, und es kann ihneneine erste Interpretation in Form einer (mehr oder weniger gut angenäherten) Bedeutungs-hypothese zugeordnet werden. Dieser Stand des Lernprozesses ist Voraussetzung und Aus-gangspunkt der anschließenden Lernphase, die der Tiefenverarbeitung des Input dient. Was ist mit „Tiefenverarbeitung“ gemeint? Der physikalische Datenfluss beim Input wird als lineare Abfolge von Lauten oder Schriftzeichen wahrgenommen; durch chunking -Operatio- nen identifiziert das Bewusstsein die Bedeutungsträger (Exponenten) im Datenfluss. Mit derIdentifikation der Exponenten ist aber noch nicht viel für das Verstehen geleistet, denn dieInterpretation einer sprachlichen Äußerung ergibt sich nicht schon aus der wahrgenommenenWortfolge beim Hören oder Lesen. Hierzu ein einfaches Beispiel in ESPERANTO: •Mano manon lavas. Die sequenziell-oberflächenorientierte Interpretation, wie sie vielleicht ein einfaches Wort-übersetzungsprogramm eines Computers auswerfen würde, hieße „Hand Hand waschen“ -was zunächst nicht sonderlich aufschlussreich sein dürfte. Eine sprachliche Information wirdim Bewusstsein des kompetenten Sprechers nicht sequenziell ausgewertet, sondern sie wirdeiner Tiefenverbeitung unterworfen und dabei semantisch reorganisiert : Die aufgenomme- nen Daten werden in bestimmter Weise analysiert und zu einer zusammenfassenden Interpre-tation synthetisiert. Sprachliche Exponenten haben in mehreren Dimensionen Bedeutung. DieInterpretation auf Basis der lexikalischen Bedeutungen wird durch die Analyse der relationalen(syntaktisch-semantischen) Bedeutungen erweitert: •Mano mit Null-Artikel steht für unbestimmte Referenz; • -n signalisiert den Objekt-Kasus; •die Verb-Endung -as bezeichnet ein Präsens mit faktischem Aspekt. Unter Einbezug dieser Information und entsprechender Reorganisation der Wortstellung ge-winnt die Interpretation des Satzes deutlichere Konturen; auf Deutsch könnte man sagen: •„Eine [unbestimmte] Hand wäscht eine [unbestimmte] Hand“ [faktische Aussage]. Bezieht man nun die funktionale Bedeutungsdimension (zum Beispiel die Absichten des Spre-chers) und den Gebrauchskontext in die Interpretation des Satzes ein ( „der Sprecher kom- mentiert abfällig die Besetzungspraxis einer Stelle im öffentlichen Dienst“ ), so ergibt sich in der Zusammenfassung (Synthese) der drei Bedeutungsdimensionen eine Interpretation, dieman auf Deutsch üblicherweise wie folgt ausdrückt: •„Eine Hand wäscht die andere“. Die Interpretation beruht auf der semantischen Reorganisation der linearen Information. Be-deutung wird aktiv konstruiert – und zwar nicht analog dem Leseakt durch linear-additiveOperationen vom Teil zum Ganzen hin ( bottom-up ), sondern durch analytisch-synthetische Prozesse vom Ganzen zum Teil ( top-down ): Die aktuelle Bedeutung einzelner Wörter er- schließt sich erst aus ihrem Sinnzusammenhang im relationalen Gefüge des Satzes; die aktu-elle Bedeutung des Satzes erst aus der Funktion dieses Satzes im kommunikativen Kontext.Zuständig für die Tiefenverarbeitung ist der mentale „Sprachverarbeiter“ im Arbeitsgedächtnis(KLEIN 1986), der wiederum fast simultan auf gespeicherte Wissensbestände zugreift, dabeieingehende Daten und vorhandenes Wissen in Beziehung setzt (Schaubild 17): 124Wie die hier beschriebenen mentalen Prozesse tatsächlich ablaufen, wissen wir nicht; denn die V orgänge in der black box sind nicht direkt beobachtbar oder simulierbar, sie müssen erschlossen werden. In Kapitel 3.3 wurden die wichtigsten Annahmen zusammengestellt unddiskutiert, die sich aus der kognitiv-konstruktivistischen Lerntheorie für den Fremdsprachen-unterricht ergeben. Eine der zentralen lerntheoretischen Annahmen lautet, dass Sprachlern-prozesse nicht widerspruchsfrei als Ergebnis von (wie immer intensiv betriebener) Ober-flächenverarbeitung verstanden werden können: Sprachen werden aktiv konstruiert, man kannsie nicht „andressieren“. Das ESPERANTO-Beispiel zeigt die Grenzen des mechanischen Auswendiglernens. Werden die morphosyntaktischen Bedeutungsträger nicht identifiziert und in ihrer Bedeutung erfasst,so ist ein Buchstabe so wichtig wie der andere, nichts in der Zeichenfolge kann inferiertwerden. Das Einprägen wird dann sehr aufwendig; selbst kleinste Ungenauigkeiten könnenalles verderben. Wird zum Beispiel „mano mano lavat“ reproduziert, so ist dieser Satz auf ESPERANTO unverständlich, obwohl nur zwei Buchstaben falsch sind. Das so gebildeteWissen steht starr und unflexibel nur in den Formen zur Verfügung, die mechanisch memo-riert wurden; denn Variationen sind erst möglich, wenn die bedeutungsmotivierenden Merk-male der Zeichenfolge tiefergehend erfasst sind und die semantische Reorganisation wenigstensin Ansätzen gelingt. Wenn in der didaktischen Literatur über Lerner berichtet wird, die mit dem Auswendig- lernen dennoch gute Erfolge erzielen (Methode Schliemann, asiatische Lernmethoden etc.), so spricht das weniger für die Methode als für die Lerner – für ein bewundernswertes Maß anZähigkeit, Selbstdisziplin und schöpferischer Kreativität in der autonomen Verarbeitung desInput. Das normale Lernvermögen wird durch die geistlose Lerntechnik und den extremenLernaufwand beim mechanischen Auswendiglernen überfordert. Dass viele Hauptschüler,die nach der „hauptschulgemäßen Methode“ (GUTSCHOW 1968) unterrichtet wurden, nachfünf Jahren dieses Unterrichts fast noch dort stehen, wo sie angefangen haben, kann auskognitionspsychologischer Sicht nicht überraschen; denn die hauptschulgemäße Methodeversteht Fremdsprachenunterricht wesentlich als Oberflächenverarbeitung.Schaubild 17: Semantische Reorganisation des Input und Tiefenverarbeitung 125Entsprechend problematisch sind die vielen assoziationspsychologisch, neurophysiologisch oder neuerdings auch „hirngeographisch“ motivierten Varianten zur Verbesserung der Per-zeption und des mechanischen Behaltens. Die assoziative Anreicherung des Input („Lernenmit allen Sinnen“, Verbindung von Wörtern mit subjektiven Anschauungsbildern, Lernen vonEselsbrücken, suggestopädisches Lernritual etc.) verknüpft den Lernstoff mit willkürlichenSekundärassoziationen, fördert damit allenfalls das mechanische Reproduzieren, nicht aberdie semantische Reorganisation des Input (AITCHISON 1997). Analytische und synthetische Prozesse verlaufen beim kompetenten Sprecher fast simultan; der Sprecher wird sich der analytischen Vorgänge nur bewusst, wenn es zu Verständnis-problemen kommt. Dennoch ist wichtig zu verstehen, dass die Sprachsynthese die erfolgrei-che Analyse voraussetzt: Ein Schlüsselwort, das wir nicht verstehen, ein Schachtelsatz, denwir trotz guter Sprachbeherrschung grammatisch nicht durchschauen, eine Sprechabsicht,die wir falsch deuten, kann die erfolgreiche Sprachsynthese unmöglich machen. Ganzheitlich-synthetische Lehrmethoden unterstellen, dass die sprachanalytischen Leis- tungen wie beim natürlichen Spracherwerb vom Lerner selbstständig und intuitiv erbrachtwerden können – mehr noch, dass die entsprechenden analytischen Fähigkeiten fertig vorhan-den sind. Wenn eine Lerngruppe nicht ausschließlich aus sehr guten Lernern (Lerntyp „Sprach-erwerber“) besteht, sollte man sich jedoch auf das autonome, natürliche Lernvermögen unterden künstlichen Lernbedingungen des Fremdsprachenunterrichts nicht zu sehr verlassen. Auchder natürliche Zweitsprachenerwerb führt trotz intensiver Übungsmöglichkeiten oft nur zuunbefriedigenden Ergebnissen. Der durchschnittliche Fremdsprachenlerner scheitert im Un-terricht ohne geeignete Hilfen und ohne analytisch akzentuierte Übungsprozesse häufig schonan den einfachsten Problemen, im Englischunterricht etwa an der Fragebildung. Im Unterricht für leistungsheterogene Lerngruppen ist es daher erforderlich, den Prozess der Analyse und Synthese nicht dem Selbstlauf zu überlassen, sondern ihn in geeigneter Weiseanzuregen, zu steuern und zu kontrollieren. Nach dem methodischen Prinzip der mittlerenErreichbarkeit der Teilziele wird der Lernweg dabei in einzelne Schritte zerlegt: In der Phaseder Sprachverarbeitung steht die Analyse der verschiedenen Bedeutungsdimensionen im Vordergrund, und in der anschließenden Phase der Integration ist es entsprechend die Zu- sammenfassung dieser Bedeutungsdimensionen zur Synthese. Um das Verstehen zu erleich-tern, werde ich die Dimensionen der Sprachanalyse im Folgenden mit bekannten Fachbegriffenbenennen: Aussprache, Wortschatz, Grammatik, Sprachfunktion. Anders als in der Fremd-sprachendidaktik üblich, geht es dabei um Tiefenverarbeitung , um die subjektive Konstruk- tion zielsprachenspezifischer V orstellungsinhalte und die Bildung entsprechender Routinen. Während der Sprachaufnahme kann kaum mehr als eine Anfangshypothese auf Basis der Erstsprache entstehen. Der erstsprachliche V orstellungsinhalt füllt anfangs die kognitive Leer-stelle beim Versuch des Lerners, die zielsprachlichen Exponenten zu verstehen: Exponent L1 Exponent L2 Exponent L2 ——————— ——> ———————— ——> ——————— Notion L1 (??) Notion L1 Anders ausgedrückt: die erstsprachliche Notion dient zunächst als kognitiver Mittler für die Interpretation der zielsprachlichen Exponenten. Es liegt auf der Hand, dass dieser Stand desLernprozesses unbefriedigend ist, da Übungen auf dieser Grundlage (zum Beispiel das zwei-sprachige V okabellernen) lediglich die unproduktive Assoziation von zielsprachlichen Expo- 126nenten und erstsprachlichen Vorstellungsinhalten stärken können. Für die Sprachverarbeitung gibt es daher in allen Dimensionen (Aussprache, Wortschatz, Grammatik, Funktion) jeweilszwei Ziele: die Konstruktion der zielsprachlichen Notion sowie deren Einübung als ziel-sprachliche Verbindung von Exponent und Notion: Exponent L1 Exponent L2 Exponent L2 ——————— (Aufnahme) ———————— (Verarbeitung) ——————— Notion L1 (Notion L1) Notion L2 Sprachanalytische Übungen haben haben den Zweck, jeweils kleine „Wissensinseln“ bzw. Handlungsroutinen zu erzeugen, in denen die spontane Erstsprachenanalogie abgelöst wirddurch zielsprachenspezifische Vorstellungsinhalte. Schaubild 18 zeigt den didaktischen Ortder Sprachanalyse im Lernprozess: Die Sprachanalyse ist Teil des äußeren Lehrplans. Es ist leider nicht möglich, dem Lerner zielsprachliche Vorstellungsinhalte in direkter Weise vorzugeben oder zu „vermitteln“. Zwi-schen den Gegenständen des äußeren Lehrplans und den subjektiven Konstruktionen desinneren Lehrplans gibt es keine direkten Verbindungen. Jeder Lerner muss diesen Vorstellungs-inhalt (auf Basis dessen, was im äußeren Lehrplan geschieht) „für sich“ finden und in seinensubjektiven Sprachbesitz integrieren. Eine grammatische Deskription des äußeren Lehrplansbildet nicht schon das mentale Handlungsrezept ab: Die äußere Grammatik kann daher nichtauf direktem Weg „verinnerlicht“ und in die interlanguage übernommen werden.*) Man kann auch sagen: Die äußere Grammatik hat keine „mentale Realität“. Wer sich eine Gram-matik vorwiegend theoretisch erarbeitet, erwirbt im günstigsten Fall ein explizites Sprach-wissen; ob er von diesem Wissen praktischen Gebrauch beim Sprechen machen kann, stehtauf einem anderen Blatt. So wenig das Lesen der Bedienungsanleitung eines Fahrzeugs diepraktischen Fahrkünste verbessert, so wenig bewirkt das Studium einer Grammatik alleinschon für das Fremdsprachenkönnen. *) Insofern ist die „Interiorisierungstheorie“ GALPERINS auf Sprachlernprozesse nur bedingt an- wendbar (vgl. GALPERIN, LEONTJEW 1974); die „innere Sprache“ ist nicht widerspruchsfrei als „verinnerlichte äußere Sprache“ vorstellbar. Hier muss ich eigene frühere Positionen korrigieren.Schaubild 18: Sprachanalyse und Tiefenverarbeitung 127Die Gegenüberstellung von Wissen und Können ist nicht unproblematisch, da sie durch die Annahme prinzipiell getrennter Wissensbereiche vorbelastet ist ( Non-Interface -Hypothese). Wie vorne dargestellt, gehe ich von kontinuierlichen Übergängen sowohl des expliziten undimpliziten wie auch des ideationalen und operativen Wissens aus: Die konkrete Akzentuierungdes Wissens ist abhängig vor allem vom Handlungsmodus beim Lernen. Wer primär theore- tisch lernt, erwirbt ein eher explizites Wissen; wer vorrangig praktisch lernt, erwirbt ein eheroperatives, implizites Wissen. Kommt der Lerner auf dem einen Weg nicht weiter, so wird ermöglicherweise den Akzent verlagern: Auch der überzeugte Praktiker stellt zuweilen fest,dass ihm ein wenig Theorie als Lernhilfe nützlich sein kann – und umgekehrt. Das Lernziel „Kommunikationsfähigkeit“ verlangt vorrangig praktische Lernprozesse; die Ausbildung des Sprachkönnens rangiert vor dem Sprachwissen. Insofern stellt die Sprach-analyse als Teil des äußeren Lehrplans, wie das Schaubild andeutet, zunächst immer einenUmweg bei der subjektiven Konstruktion der interlanguage dar – allerdings, wie man sehen wird, einen für die meisten Lerner ab und zu notwendigen Umweg.Ein Umweg ist die Sprach-analyse noch aus einem weiteren Grund. Für die Analyse ist ein sekundäres Zeichensystem(eine Metasprache) erforderlich zur Deskription des primären Zeichensystems (der Objekt-sprache). Bei geringer Schwierigkeit können einfache Signale, Markierungen im Text, einerstsprachliches Äquivalent o.ä. die Funktion der Metasprache übernehmen; bei größererProblemtiefe sind eigens eingeführte Fachbegriffe (Terminologien) fast unvermeidlich. Der Umweg über die explizite Sprachanalyse belastet den Lernprozess mit zusätzlichen Proble-men; jede Metasprache will ihrerseits passend ausgewählt, geschickt eingesetzt und vomLernenden verstanden sein, bevor sie tatsächlich als Lernhilfe dienen kann. Am Beispiel der Lautschrift (die ja nichts anderes ist als eine spezifische Form der meta- sprachliche Analyse der zu erlernenden Sprache) lassen sich die Gründe gut zusammenstel-len, die trotz des zusätzlichen Aufwandes oft für eine explizite Analyse sprechen: Die analy-tische Metasprache ist Lernhilfe für den inneren Konstruktionsprozess insofern, als sie beischwierigen Lerngegenständen bei der Problemauffassung und Bündelung der Aufmerksam-keit hilft ( „Welches ist hier der kritische Laut?“ ), beim Hypothesenbilden ( „Worauf muss ich achten? / Wie unterscheidet sich dieser Laut von denen, die ich kenne?“ ) und beim Hypothesentesten ( „Habe ich das jetzt richtig getroffen?“ ) wie natürlich auch bei der Elaborat- ion und Lernkontrolle. Obendrein bietet die metasprachliche Analyse die Möglichkeit desgezielten Sprechens über Sprache, damit der Reflexion über Sprache und des Sprachvergleichs.Dennoch ist ein systematisches Erlernen der Lautschrift nicht erforderlich: Der Sprachanalysekommt aus der Sicht der kommunikativen Methodik keine eigenständige Bedeutung zu. Siehat dienende Funktion bei der Vermittlung von äußerem und innerem Lehrplan und erhebtdaher auch keinen Anspruch auf Geschlossenheit und Systematik in ihrer Darstellung. Wereine Sprache lernen will, bedient sich selektiv und punktuell der nötigen Hilfen, er muss kein„kleiner Linguist“ sein. Aus ihrer didaktischen Funktion für die Sprachverarbeitung ergebensich vier übergreifende methodische Regeln für die Sprachanalyse : •Der analytische Aufwand ist so gering wie möglich zu halten, denn jede Form der expliziten Sprachanalyse stellt aus der Sicht des inneren Lehrplans einen Umweg dar. •Der analytische Aufwand hängt ab von der Komplexität des Lerngegenstands und derProblemtiefe. Je schwieriger der Lerngegenstand, desto wichtiger ist eine explizite Lernhilfe. 128•Ein Lernproblem kann objektiv und/ oder subjektiv schwierig sein. Gute Lerner benöti- gen weniger Lernhilfen als schwächere Lerner. •Der Lerneffekt im Sinne kommunikativer Lernziele entsteht nicht durch die Sprach- analyse, sondern erst durch die aktiven Übungsprozesse, die durch die Lernhilfe ange- regt und ermöglicht werden. Als Faustregel gilt daher, dass in expliziten Formen nur dort gelernt werden sollte, wo Lern- schwierigkeiten auftreten, die der Lerner von seinem autonomen Lernvermögen her nichtselbst bewältigen kann. Je geringer das autonome Lernvermögen, desto wichtiger die Lern-hilfe: Schwächere Lerner müssen verstärkt nach expliziten Methoden lernen, stärkere Lernerkönnen eher nach impliziten und ganzheitlichen Methoden unterrichtet werden. (In der Praxiswird häufig genau umgekehrt verfahren.) Bei Problemen geringer Schwierigkeit steht daspraktische Üben im V ordergrund, Erklärungen sind überflüssig. Wenn sprachanalytische Lernprozesse ihren Platz also durchaus auch im kommunikativen Fremdsprachenunterricht haben, so stellt sich die Frage, wie und wann die sprachanalytischen Momente in den äußeren Lehrplan einfließen sollen (siehe auch VIELAU 1985): nach derEinübung (induktive Methode), vor der Einübung (deduktive Methode) – oder auf einemdritten Weg? Über die induktive Methode könnte man als Motto die Lehrerfragen schreiben: „Wer weiß, was ich meine?“- „Wer möchte es als erster probieren?“ Das Problem dieser Methode liegt darin, dass sie die Lerngruppe einem Handlungsdruck aussetzt, obwohl noch keine tragfähi-ge Arbeitshypothese gebildet ist. Bei geringer Problemtiefe ist das durchaus in Ordnung; wasaber, wenn es um ein komplexes Lernproblem geht, das trotz sinnvoller Aufbereitung von derMehrzahl der Lerngruppe im ersten Anlauf nicht selbstständig entschlüsselt werden kann?Wenn Image -Probleme in der Lerngruppe, Versagensängste und Zensurendruck hinzukom- men? Für schwächere Lerner kann die induktive Methode sehr entmutigend sein: Man mussauch dann „irgendwie“ reagieren, wenn man etwas noch nicht verstanden hat, notfalls mitblindem Raten. An die Stelle des beabsichtigten learning by doing tritt damit ein (ineffektives und subjektiv unbefriedigendes) trial-and-error learning . Entsprechend könnte man die deduktive Methode mit den Lehrerfragen überschreiben: „Wer versteht, was ich sage?“- „Wer kann das schon richtig anwenden?“ Eine verbale Erklärung ist sinnvoll nur in dem Umfang, wie sie verstanden wird und vom Lernenden in „gerichtete“Übungshandlungen umgesetzt werden kann. Steht die Erklärung am Anfang der Sprach-verarbeitung, so fehlt dem Lerner häufig noch die Erfahrungsgrundlage und das Problem-verständnis; viele in der Lerngruppe werden daher mit dem Erklärungsversuch zunächst nichtsverbinden können. Je geringer das Vorwissen, desto hoffnungsloser der Versuch, allein mitverbaler Erklärung etwas zu bewirken. Wer noch nie einen Fahrkartenautomaten benutzt hat(vgl. die Situation des Asylbewerbers in der Frankfurter U-Bahn), dem wird die Bedienungs-anleitung nichts sagen; dem routinierten Reisenden dagegen ist sie eine sinnvolle Hilfe. Ver-bale Erklärungen setzen neben dem Verständnis der Erklärungssprache implizit stets Teiledes Wissens voraus, das durch die Erklärung erst entstehen soll. Wer zu einem Problem nochkeinen Zugang gefunden hat, kann meist auch keine sinnvollen Fragen zu diesem Problemstellen: Die beliebte Lehrerfloskel, man könne ja fragen, wenn man etwas nicht verstandenhabe, verfehlt den Kern des Problems. (Der Asylbewerber, der noch nie eine U-Bahn gesehenhat, das System der Fahrberechtigung nicht kennt, kann sich nicht sinnvoll nach der Bedie- 129nung des Fahrkartenautomaten erkundigen.) Verbale Erklärungen sind erfolgversprechend dann, wenn die Lösung des Problems im Vorwissen schon angelegt ist. Ein deduktiver Ansatz stellt schwache Lerner daher doppelt auf die Probe: hinsichtlich des Verständnisses der Erklärungssprache und hinsichtlich des zu verstehenden Sachverhalts.Aus der Sicht des Lernungewohnten können Dinge schwierig sein, die aus der Sicht desLehrers oder anderer Lerner selbstverständlich sind. Wenn aus Erklärungen dieser Art prak-tische Konsequenzen abgeleitet werden sollen, entsteht eine ähnliche Lernkonstellation wiebei der induktiven Methode: Der Lernende wird einem Handlungsdruck ausgesetzt, obwohler subjektiv noch keine Handlungsgrundlage besitzt. Dass er diese Handlungsgrundlage nichtbesitzt, obwohl sich der Kursleiter mit der Erklärung viel Mühe gegeben hat (und die ande-ren es vielleicht schon „gepackt“ haben?), wird ihn hier noch zusätzlich in Verlegenheitbringen. Reagiert der Lehrer auf Verstehensprobleme dann noch ungeduldig, unsicher, vielleichtgar gereizt und abwertend ( „Ich habe das hundertmal erklärt, und Ihr könnt es immer noch nicht“ … ), so ist der Misserfolg schwächerer Lerner schon in der Wahl der Methode angelegt. Die kurze Gegenüberstellung zeigt, dass im Unterricht mit leistungsheterogenen Lerngruppen weder für ein induktives noch für ein deduktives Modell der Sprachanalyse plädiert werdenkann: Bei einfachen Lernproblemen ist der Umweg über die Explikation so oder so überflüs-sig, es kann direkt geübt werden; und bei schwierigen Lernproblemen verspricht weder derinduktive noch der deduktive Ansatz größeren Erfolg, denn bei beiden Methoden dominierteinseitig der äußere Lehrplan. Das Zauberwort zur Vermittlung von äußerem und innerem Lehrplan heißt „ entdeckendes Lernen “: Der Lerner soll in die Lage versetzt werden, ähnlich wie in natürlichen Lern- situationen seine Handlungsgrundlage selber zu finden. Eine Handlungsgrundlage, die selbstgefunden wird, bietet die Gewähr produktiver Lernprozesse selbst dann, wenn die Arbeits-hypothese noch Fehler aufweist. Denn trotz der Unterrichtssituation bestimmt bei dieserMethode nicht der äußere, sondern der innere Lehrplan den Lernprozess. Der V orteil einerEntdeckungsprozedur im Unterricht liegt darin, dass sie nicht (wie beim natürlichen Erwerb)auf intuitiver und zufälliger Basis stattfindet, sondern dass sie in geeigneter Weise prozess-orientiert angeleitet und kontrolliert werden kann. Auch selbstständiges Lernen will zuersterlernt sein. Entdeckendes Lernen hat nichts mit laissez faire zu tun. Die V oraussetzung für jede Form des selbstständigen Lernens ist ein gewisses Maß an Offenheit und Interesse der Lerngruppesowie ein niedriger Affektivfilter. Auf Basis eines gut ausgewählten Inputs wird ein Lern-problem in kleine Schritte zerlegt und selbstständig erarbeitet nach dem Schema „Problem auffassen, Exponenten isolieren, Beispiele sammeln/ ordnen, Exponenten vergleichen/ ana-lysieren, Lösung suchen (Arbeitshypothese), Lösung ggf. benennen (Terminologie?), Arbeits-hypothese testen, Ergebnis bewerten/ elaborieren, Ergebnis einüben/automatisieren (Ge-läufigkeit, Abbau der bewussten Kontrolle), Ergebnis übertragen/ anwenden“ . Nicht alle diese Schritte müssen in eine Lernsequenz fallen; wo immer möglich, werden Abkürzungengewählt. Lernhilfen sind erforderlich an den folgenden Schnittstellen des Lernprozesses: beider Problemauffassung , beim Finden des Lösungswegs und bei der Verlaufskontrolle . Solange der Lerner ein Problem nicht „sieht“, kann er sich trivialerweise mit der Lösung dieses Problems nicht befassen. Streng genommen beruht schon der erste Schritt auf einemlogischen Zirkel: Die Problemauffassung setzt ein Problembewusstsein voraus, das eigent- 1314.2.2.1 Aussprache Akzentuierte Übungen zur Verbesserung der Aussprache werden nicht in jedem Falle erfor- derlich sein: Die Aussprache ist ständig gefordert, wird implizit bei jedem Lernschritt mit-geübt und häufig auch zwischendurch (direkt oder indirekt) korrigiert, obwohl das Übungs-ziel vielleicht ein ganz anderes ist. Bei guten Lernvoraussetzungen sind gezielte Übungen zurTiefenverarbeitung der phonischen Information daher nicht notwendig. Anders die Situation bei schwächeren Lerngruppen – wozu aus Gründen, die vorne darge- stellt wurden, auch die meisten älteren Fremdsprachenlerner gehören. Lerner dieses Typserreichen ohne gezielte Hilfen zur Tiefenverarbeitung häufig recht bald ihr persönliches Lern-plateau: Ihre Aussprache verfestigt sich, Korrekturen „verpuffen“ fast wirkungslos, weitererLernfortschritt bleibt aus. Dieser Stillstand tritt ein, obwohl eine gute Aussprache aus Lerner-sicht erfahrungsgemäß als wichtig eingestuft wird. Ein bloßes „Mitüben“ der Aussprachereicht unter solchen Voraussetzungen nicht aus: Ein aufwendigeres Lernarrangement ist er-forderlich. Die Lernschwierigkeiten können, wie bereits dargestellt wurde, viele Ursachen haben: Der eine mag Probleme beim Hören und bei der Hördiskrimination haben, der andere bei derZuordnung von Lautbild und Schriftbild, der dritte mit der Sensumotorik der Artikulation(„schwere Zunge“); ein vierter hat vielleicht in besonderem Maße mit Hemmungen und ei-nem hohen Affektivfilter zu kämpfen, wenn er sich in der Fremdsprache ausdrücken will. Besonders schwierig sind dabei erfahrungsgemäß Laute und Lautkombinationen, die in der Erstsprache nicht oder nur in gewisser Ähnlichkeit vorkommen. Bei den englischen Konso-nanten wären das zum Beispiel die Phoneme / Z /, /w/, / D /, / T /, / r /, / l / sowie / b /, / d /, /g /, / v / und / z / im Auslaut; bei den Vokalen vor allem die „a“- und „e“-Laute ( bed, bad, but, carpet ), der unbetonte Gleitlaut, der „o“-Laut in long sowie auch die Diphthonge in name, coat, chair, here. Schwierig ist dabei nicht nur die korrekte Aufnahme und Wiedergabe von Lautqualität und Lautquantität isolierter Phoneme, sondern auch die Auffassung wort-phonetischer (/haus/ für house , aber /hauziz/ für houses ; linking-r , Bindung statt glottal stop bei here is ) und satzphonetischer Merkmale (vgl. auch GERMER 1980). Aus lernpsychologischer Sicht werden Lautvorstellungen (phonemische Notionen) ähnlich wie lexikalische oder grammatische Notionen gebildet: Sie werden subjektiv im Netz desLautsystems der Zielsprache approximiert; d.h. der Lerner bildet Hör-/Sprech-Hypothesenund testet und elaboriert sie schrittweise. Im Ergebnis entsteht ein bestimmtes subjektivesHör-Sprech-Muster, ein Prototyp mit unscharfen Rändern, der im Idealfall dem intersubjek-tiven Lautstand der received pronunciation weitgehend angenähert ist; dieser Prototyp er- laubt dann die phonische Analyse und Mustererkennung auch bei größerer phonischer Vari-anz im Input (unterschiedliche Stimmlagen, Sprechweisen, dialektale und soziolektale Ein-flüsse, Spracherkennung trotz fehlerhafter Aussprache etc.) – und ist Voraussetzung derphonemisch korrekten Aussprache einschließlich der wichtigsten Allophone und prosodischenMerkmale. Eine gute Aussprache im beschriebenen Sinne ist bei ungünstigen Lernvoraussetzungen schwie- rig zu erreichen. Massiertes Üben der Aussprache im Sinne der früher recht beliebten „pho-netischen Vorkurse“ verspricht wenig Lernerfolg: Das Lernproblem ist zu komplex, als dasses sich im Schnellverfahren der Spracherlernung vorschalten ließe. Der subjektive An- 132näherungsprozess zieht sich häufig über einen längeren Zeitraum hin; er lässt sich durch den äußeren Lehrplan nicht erzwingen oder beliebig beschleunigen. Der massive Aussprachedrillsolcher Vorkurse führt eher dazu, dass nur der eine, ausgiebig trainierte Satz leidlich korrektausgesprochen wird, die Aussprache insgesamt verbessert sich kaum. Auch bei der Erarbeitung der Aussprache ist daher ein gewisser „Mut zur Lücke“ aus lern- psychologischer Sicht sinnvoll. Laute werden im Kontext wahrgenommen und gesprochen:Vieles, was in der Isolation bestimmter Lautoppositionen ( bed / bad ) fürchterlich klingt und unbedingt zu Missverständnissen führen müsste, wird im kommunikativen Kontext verständ-lich bleiben. Auch sollte man prüfen, welches Lernziel man hier für sinnvoll hält: Near native- ness wird sich auch langfristig in vielen Fällen kaum erreichen lassen. Warum soll sich der Ausländer eines BBC-English bedienen, das faktisch von kaum fünf Prozent der Mutter-sprachler aktiv gesprochen wird? Der Effekt solcher Über-Anpassung im alltäglichen Mitein-ander muss nicht der günstigste sein. Andererseits kommen die meisten Lerner von sich ausrecht bald auf ihr persönliches Ausspracheplateau. Soll sich die Aussprache weiter verbes-sern, so muss der äußere Lehrplan geeignete Herausforderungen, Anstöße und Lernhilfenvorsehen, um der stets drohenden Stagnation des phonetischen Lernprozesses vorzubeugen. Die meisten neueren Lehrbücher bieten solche Herausforderungen kaum an. Die Hilfen im Lehrerhandbuch beschränken sich auf pauschale Ratschläge des Typs, der Lehrer möge „daraufachten, dass …“, sowie auf Hinweise zur Aussprachekorrektur. Fremdkorrekturen sindallerdings nur in dem Maße wirksam, wie lernerseitig genügend Wissen existiert, um dieKorrektur (als sekundären Input) aktiv auswerten und weiterverarbeiten zu können. Eineunverständliche Korrektur ist keine Hilfe, sondern wirkt eher beunruhigend und einschüch-ternd. Die Fremdkorrektur kann mangelnde Tiefenverarbeitung also niemals ersetzen; siemuss sie ergänzen und begleiten . Aus methodischer Sicht gibt es für die Schulung der Aussprache drei Lernfelder, die sich wechselseitig bedingen: die Verbesserung der auditiven Wahrnehmung, die Stabilisierung derAssoziation von graphischem und phonischem Kode und die Ausbildung der Artikulation.Das richtige Hören die Voraussetzung für das richtige Sprechen. Richtiges Hören ist keineswegs selbstverständlich. Auch eine sehr klare, akzentuierte und phonetisch einwandfreie Vorgabedes Lehrers (die in den Begleitmaterialien zu modernen kommunikativen Lehrwerken kaumnoch vorkommt) führt keinesfalls dazu, dass schwierige Merkmale des zielsprachlichen Laut-systems richtig aufgenommen werden: Wer als Lerner kein feines Gehör besitzt, wird diephonische Information zunächst immer top-down nach den phonemischen Mustern auswer- ten, die ihm geläufig sind – und diese Wahrnehmung steuert dann auch die Artikulation. Dieser Zirkel von falschem Hören und falschem Sprechen kann in vielen Fällen nicht über Nachsprechübungen durchbrochen werden, denn zunächst muss die Aufmerksamkeit in ge-eigneter Weise „auf den Punkt“ gebracht werden (Differenzierung der auditiven Wahrneh-mung). Da die Mehrzahl der Lerner über das Auge leichter lernt als über das Ohr, sindvisuelle Hilfen, allem voran die Lautschrift , das geeignete Mittel zur Lenkung und Modellie- rung der Aufmerksamkeit. Eine systematische Schulung der Aussprache im Fremdsprachen-unterricht beginnt daher erst, wenn visuelle Hilfen ins Spiel kommen. Am besten werden solche Hilfen bereits in der Sprachaufnahmephase gegeben. Ich wiederho- le kurz. Die Schreibkonvention sollte nach pädagogischen Erfordernissen ausgewählt werden(Übertragbares mit bekannten Schriftzeichen abrufen, Neues mit Sonderzeichen heraushe- 133ben); die Lautschrift wird selektiv im Sinne einer Signalphonetik eingesetzt (jeweils nur der kritische Laut wird umschrieben). Auch zur Markierung wort- und satzphonetischer Merk-male sollte man visuelle Hilfen einführen (Zeichen für Betonung, Bindung, Pausen, Satz-betonung/Rhythmus sowie Intonationskurven für die wichtigsten Intonationsmuster). Ist auf diese Art geklärt, um welchen Laut es geht, so kann der eigentliche Lernprozess beginnen: die Approximation der Lautvorstellung im Netz des phonischen Systems der Ziel-sprache. Eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Übung könnte etwa darin bestehen, einenÜbungstext sehr langsam, deutlich und akzentuiert vorzusprechen (oder per Tonträger zupräsentieren), während die Lerngruppe mitliest und ein bestimmtes Merkmal (z.B. ein kritschesPhonem, die Schwachtonformen, die Satzbetonung etc.) im Text markiert ; anschließend wer- den die Markierungen verglichen, ausgewertet und aktiv nachgebildet. Ansätze dieses Übungs-typs finden sich vereinzelt schon in älteren Lehrwerken: Stressed or not?- Underline WAS and WERE where they are stressed. Then read the sentences to another student. 1. Were any of the children there? Kevin and Matthew were, but the others weren’t.2. Ann wasn’t at home when I got there. 3. (…) Quelle: Cambridge English Course, C.U.P. 1984: 65 Die Phoneme einer Sprache bilden ein System. Die einzelnen Phoneme lassen sich bezüglich ihrer typischen Merkmale beschreiben, werden jedoch auch durch ihre relative Position im Lautsystem bestimmt (ihr phonetischer Ort bestimmt sich durch Existenz und Reichweiteihrer „Nachbarlaute“ im phonetischen System der Zielsprache): das stimmhafte / D/ also zum Beispiel durch das stimmlose / T/, durch /d/, /z/ und so weiter. Unsere Lautvorstellung wird präziser in dem Maße, wie es uns gelingt, den einzelnen Laut hinreichend zuverlässig imOptionenspektrum dieser Nachbarlaute zu unterscheiden. Die relative Position eines Pho-nems im Lautsystem lässt sich am einfachsten durch Lautdiskriminationsübungen einkrei-sen, etwa auf folgende Art: Which TH is different? 1. think, that, three, thanks 2. brother, they, the, think 3. …Quelle: The New Cambridge English Course, Bd. 1, 1991: 23 Spricht man die Wörter vor, so ist es eine Übung zur Hördiskrimination; wird die Aufgabe so bearbeitet, wie sie im Lehrbuch steht, hat sie eher Testcharakter. Gut geeignet sind auchGruppierungsübungen wie etwa die folgende: Which stress? Listen and decide: thirty Canada engineer married chemist hello thirteen Chinese (…) o O O o O o o o o O ———— ————— ————— ————— hello thirty Canada engineer (…) (…) (…) (…) Quelle: Cambridge English Course, Bd. 1, 1984: 11 134Durch Gruppierung lassen sich auch die Unterschiede von Schreibung und Lautung auf ein- fache Weise darstellen und üben. So könnte man etwa für die o-Graphe je nach Ausspracheverschiedene Gruppen bilden ( stop – home – money ), entsprechend für u-Graphe ( bus – true – purple ): Es würden dann jeweils Wörter gleicher Schreibweise vorgesprochen und gemäß ihrer Aussprache gruppiert und aufgeschrieben. Allerdings ist nicht jede Hör-Diskriminationsübung als solche schon sinnvoll. Eher unge- schickt ist zum Beispiel das folgende Übungsdesign: Listen and repeat: [ f ] and [ v ] 1. coFFee – cup oF tea 2. PHoto – Video 3. Fine – neVer mind4. I’m From Germany – I’Ve got a camera. Quelle: Network Starter, 1991: 29 Zum einen vermengt diese Übung mehrere Lernziele: Hördiskrimination, Schreibung, Arti- kulation (Teilung der Aufmerksamkeit!). Zum anderen ist die phonetische V orgabe stets diegleiche, erst [f], dann [v]; sobald dieses Muster erfasst ist, kann das Ohr eine Pause einlegen- es wird nicht ausreichend gefordert, eine Wahl im Optionenspektrum zu treffen. Zum drittenhaben die Autoren (obwohl sie ihr Buch speziell für den deutschen Markt geschrieben haben)offensichtlich den teaching point nicht verstanden: Für den deutschen Lerner ist die Opposi- tion der Phoneme /f / und /v/ unproblematisch, da diese Phoneme in gleicher Weise im Deut-schen unterschieden werden; problematisch ist /v/ im Auslaut (!), ein Laut also, den die deut-sche Sprache nicht (oder nur in Lehn- und Fremdwörtern) kennt und der daher falsch gehörtund falsch gesprochen wird. Außerdem ist die Zahl der Übungs -items zu niedrig: Bei nur vier items kann von einem sinnvollen Übungseffekt nicht die Rede sein. Das folgende Übungsbeispiel aus dem gleichen Lehrwerk (vgl. S. 71) behandelt ein wichtiges phonetisches Lernproblem, allerdings wiederum wenig geschickt: Listen and repeat: [ r ] Der Buchstabe ‘r’ wird im Englischen nicht immer ausgesprochen, besonders im britischen Englisch. In diesen Wortpaaren wird das ‘r’ im zweiten Wort jeweils nicht ausgesprochen. Austria German very early tourist first drink beer (…) Now say this: Here’s your beer. Cheers!The early morning train arrives at four thirty. (…) Zur Kritik gilt das oben Gesagte: Wenn jedes zweite /r / stumm ist, so muss ich mir als Lerner keine Gedanken mehr darum machen, warum das jeweils der Fall ist. Der Lerneffekt beruhtauf punktuellem mechanischem Auswendiglernen. Hier kommt ein weiteres Problem hinzu:Der zweite Teil der Übung folgt nicht aus dem ersten – oder doch nur für Menschen mit sehrgut entwickeltem Sprachgefühl ( here und Cheers sind vorher nicht geübt worden). Wer die- ses Sprachgefühl nicht besitzt, muss sich durch blindes Raten an die richtige Aussprache derÜbungssätze heranarbeiten. 135Interessanter und tiefenwirksam hätte diese Übung wie folgt als Entdeckungsprozedur auf- gebaut werden können: 1Der Buchstabe „r“ wird im Englischen manchmal nicht ausgesprochen. Unterstreichen Sie (_) in den folgenden Wörtern jedes ‘r’, das Sie deutlich hören können, und streichen Sie jedes ‘r’ durch (/), das Sie nicht deutlich hören. (Vorgabe einer Wortliste, buntgemischt, als Hörtext und in Schriftform.Übungsziel: Hördiskrimination.) 2Bilden Sie nun zwei Listen: Wörter, in denen man das ‘r’ ausspricht, und Wörter, in denen das ‘r’ stumm bleibt. Schreiben Sie die Wörter untereinander. (Übungsziel: Analyse) 3Vergleichen Sie die Wörter, in denen das ‘r’ stumm bleibt: Haben diese Wörter bestimm- te Merkmale gemeinsam? Achten Sie besonders auf die Nachbarlaute des stummen ‘r’! (Übungsziel: Analyse.) 4Einigen Sie sich mit Ihrem Nachbarn auf eine Faustregel: In welchen Fällen wird das ‘r’ nicht ausgesprochen? (Übungsziel: Entdecken der Faustregel „‘r’ verstummt vor Konso- nant und im Auslaut“.) 5Betrachten Sie nun die Liste der Wörter, in denen das ‘r’ gut zu hören ist: Können Sie auch dafür eine Regel finden? (Faustregel: „‘r’ vor Vokalen wird ausgesprochen“.) 6Lesen Sie die folgenden Wörter und markieren Sie in gleicher Weise wie oben, ob Siedas ‘r’ aussprechen würden oder ob es stumm bleibt. (Wortliste, bunt gemischt; keine Hör-V orgabe. Übungsziel: Einüben) 7Wie sprechen Sie die folgenden Sätze aus? Lesen Sie Ihrem Nachbarn vor und korrigie- ren Sie sich gegenseitig: Sprechen Sie langsam und deutlich! The early morning train arrives at four thirty. I never read newspapers in the afternoon. (…) (Übungsziel: Synthese, Automatisierung.) Einer guten Lerngruppe könnte man in diesem Zusammenhang gleich noch das linking-’r’ anbieten – das ja keineswegs eine „Ausnahme“ ist, sondern nur die konsequente Anwendungder Regel, dass Englisch gebunden zu sprechen ist und dass daher auch hier die Regel „‘r’ vorVokalen“ gilt. Phonetische Regeln werden, wie hier skizziert, selektiv nur dort eingeführt, wo ein schwieri- ges Lernproblem häufige Fehler erwarten lässt und die Chance gering ist, dass der Lerner vonselber eine brauchbare Handlungsorientierung findet. Der Lerneffekt entsteht nicht durch dieEntdeckung der „Faustregel“, sondern erst durch die gerichtete Übung auf der Basis dieserRegel. Die Faustregel ist eine „Krücke“, die dem Lerner das kontrollierte Üben ermöglicht,die ihn zur Selbstkorrektur befähigt und die ihm hilft, eine Fremdkorrektur nutzbringendverarbeiten zu können. Auf der Basis des richtigen Hörens wird die Artikulation durch wiederholendes Üben gefes- tigt. Der Lerner erarbeitet sich dabei nach und nach die spezifisch englische Artikulations-basis (Merkmale: laxity / no tension, economy of movement, tongue-tip focus etc. , vgl. etwa JENNER, BRADFORD 1982), die richtige Artikulation der Phoneme und wichtiger Allo-phone, die richtige Prosodie – und damit die Voraussetzung für ausdrucksvolles und rheto- 136risch wirksames Sprechen. Das Ergebnis dieser individuellen Bemühungen wird unterschied- lich ausfallen – aber das ist unvermeidbar. Es ist zweifelhaft, ob explizite Artikulationsbeschreibungen dem Lerner wirklich helfen (Be- schreibung der Zungenstellung, der Stimmführung, des Artikulationsortes, der Öffnung derLippen; Angabe von Ausgangs- und Nachbarlauten etc.). Dennoch würde ich solche Lern-hilfen schon aus psychologischen Gründen nicht ablehnen, wenn jemand einen Laut überhauptnicht herausbringt Wenn der Lerner eine klare Vorstellung des Lautes besitzt, den er spre-chen will, wird er durch Übung und „Zungengymnastik“ nach und nach von selber seineSprechmotorik anpassen. Den inneren Zusammenhang von Lernertyp, Methodenwahl und Verarbeitungstiefe zeigt die folgende Übersicht: Lernertyp Aussprache: Methodenwahl Verarbeitungstiefe 100 0 1. Input phonisch variant Oberflächen- verarbeitung Spracherwerber 2. Nachsprechübungen und phonetische Korrektur Spracherlerner 3. systematische Ausspracheübungen: – visuelle Hilfen, Lautschrift – Approximation im Spektrum der Nachbarlaute – Prosodie, rhetorische Gestaltung Lernungewohnte 4. Bewusstmachung von phonetischen Regeln Tiefenverarbeitung Lernbehinderte 5. Logopädische Verfahren 0 100 Je geringer (auch altersbedingt) die Lernvoraussetzungen, desto größer ist die jeweils erfor-derliche Verarbeitungstiefe. Die Schulung der Aussprache begleitet den Lernprozess übereinen langen Zeitraum, da die Anpassung und Eingewöhnung der Sprechmotorik viel Zeitverlangt. Insbesondere die prosodischen Merkmale setzen ein tieferes Eindringen in die Spra-che voraus. Satzphonetik, kommunikative Intention und rhetorische Wirkungen bilden eineEinheit: Erst wenn der inhaltliche Lernprozess so weit fortgeschritten ist, dass Sprechabsichtenvariabel ausgedrückt werden können, ist auch die Verbesserung der entsprechenden Aus-drucksmittel möglich. Da man bei komplexen Lernproblemen nicht alles zugleich üben kann, empfiehlt es sich, für den äußeren Lehrplan bestimmte Übungsreliefs vorzusehen: Dabei werden einzelne phoneti- sche Merkmale der Zielsprache in den Vordergrund gerückt, vom Hören her abgesichert und artikulatorisch eingeübt, andere treten vorübergehend in den Hintergrund . Die Planung sol- cher Übungsreliefs ist Sache der mittelfristigen Unterrichtsvorbereitung.Schaubild 19: Fähigkeitsprofil, Aussprachemethoden und Verarbeitungstiefe 1374.2.2.2 Wortschatz In der kommunikativen Fremdsprachendidaktik bleiben die Positionen zum Wortschatzlernen oft unklar. In vielen Fällen fehlen vertiefende Übungsformen. In manchen Lehrwerken mussman akzentuierte Wortschatzübungen mit der Lupe suchen; es gibt sie praktisch nicht, derWortschatz soll nebenbei mitgelernt werden. Da das zur angemessenen Verankerung erkenn-bar nicht ausreicht, beruht das Wortschatzlernen vieler kommunikativer Lehrwerke vorran-gig immer noch auf dem Memorieren zweisprachiger Vokabellisten . Nicht interessiert dabei der Widerspruch zwischen einsprachiger Wortschatzeinführung und anschließendem zwei-sprachigen Üben. Selbst überzeugten Anhängern des „Prinzips Einsprachigkeit“ fiel in derVergangenheit zu diesem Widerspruch wenig ein (vgl. GUTSCHOW 1978: 76 f.), allenfallswurde vor isolierten Wortgleichungen gewarnt (BURGSCHMIDT 1974: 136 f.). Solche Po-sitionen in aktuellen kommunikativen Lehrwerken zu finden, muss umso mehr überraschen,als das V okabellernen in zahlreichen Abhandlungen seit langem als Irrweg der Fremdsprachen-didaktik bezeichnet wird (vgl. DOYÉ 1971: 71; VIELAU 1977; LÜBKE 1978). Analysiert man typische Begründungen für das zweisprachige Vokabellernen, so stellen sich aus methodischer Sicht zwei Fragen: •Wie und an welcher Stelle des Lernprozesses entsteht die zielsprachige Notion , die durch die Übungshandlung gefestigt und im Gedächtnis verankert werden soll? •Was kann das Vokabellernen vom Handlungsmodus her für den Lerner leisten? Einen zielsprachlichen V orstellungsinhalt kann man mit Erfolgsaussicht nur dann durch erst- sprachliche Analogie oder metasprachliche Deskription abrufen, wenn dieser Vorstellungs-inhalt bereits im Kopf existiert – wenn das Fremdwort also nur neues Etikett für einen schonvorhandenen Vorstellungsinhalt wäre. Genau hier liegt aber das Problem: Abgesehen vonbestimmten Fachbegriffen und Internationalismen ist Fremdsprachenlernen stets mehr alsbloßer Etikettentausch (vgl. auch Kapitel 4.2.1.2). Existiert die fremdsprachige Notion also nicht schon im Lernerbewusstsein, so kann das Memorieren von Wortgleichungen nicht mehr bewirken als eine Einbindung unzureichendsemantisierter zweitsprachiger Worthülsen in das lexikalisch-semantische Netz der Erstsprache.Im Zweifel steuert also weiter die Erstsprache den Sprachgebrauch; eine erstsprachig ko- dierte Notion erhält gleichsam ein zweites Etikett (QUETZ 1981: 92 ff.). Der äußere Lehr-plan suggeriert und verfestigt auf diese Weise ein ebenso naives wie fehlerträchtiges Ver-ständnis des Fremdsprachenlernens (Analogstrategie). Auch die Übungshandlung als solche verspricht wenig Erfolg: Die Lernliste ist zufällig auf- gebaut, vom Handlungsmodus her (eine Seite abdecken, Lernliste der Reihe nach durchgehenund mechanisch memorieren) sind Prozesse der aktiven semantischen Reorganisation desLernstoffs (ordnen, gliedern, Neues und Bekanntes verbinden …) nahezu ausgeschlossen. Esentstehen keine semantisch-innersprachlichen Verknüpfungen, sondern punktuelle Bezüge zurErstsprache sowie zufällig-assoziative Positionseffekte bedingt durch Nähe und Ferne dereinzelnen Wörter in der Lernliste. Versuche ich später ein so gelerntes Wort abzurufen, soweist, entsprechend dem Handlungsmodus beim Lernen, die stärkste Assoziation zur Erst-sprache und die zweitstärkste zum Nachbarwort auf der Liste – ein methodisch erwünschtesErgebnis? Die Übungshandlung ist unökonomisch, da immer die ganze Liste in immer dergleichen Abfolge geübt werden muss – egal ob die einzelnen Wörter dieser Liste schwer oder 138leicht zu behalten sind. Nach kurzer Zeit dürfte daher der Lernballast überwiegen. Nicht zuletzt deshalb wird das V okabellernen oft als unnütz und dröge empfunden – und hat aufdiese Weise zahllosen Schülergenerationen die anfängliche Freude am Fremdsprachenlernenverdorben („V okabelpauken“). Es gibt vieleV orschläge zur Verbesserung des V okabellernens (V okabellernen per Lernkartei/ Computer / Kreuzworträtsel / Eselsbrücken; Vokabellernen anhand von Bildern, anhand drei-spaltig-kontextualisierter Listen; Lernen im Entspannungszustand / Sitalearning / Super- learning ; Lernen mit allen Sinnen etc.). V orschläge dieser Art haben aus methodischer Sicht eines gemeinsam: Sie kurieren am unerfreulichen Symptom, ohne den unerfreulichen Inhaltdieser Lerntechnik anzutasten: Es bleibt beim assoziativen Lernen, die wichtigste Verbindungweist zur Erstsprache, die Konstruktion des fremdsprachlichen V orstellungsinhalts wird eherbehindert als gefördert. Was ist Ziel der Wortschatzarbeit in der Phase der Sprachverarbeitung? Ausgehend von der erstsprachigen Bedeutungsvermutung, die während der Sprachaufnahme gebildet wurde, wäreder spezifische Vorstellungsinhalt , der dem Wort in der Zielsprache konventionell zugeord- net ist, subjektiv zu konstruieren und durch Übungshandlungen zu festigen. Dabei liegt diemethodische Schwierigkeit darin, dass die natürlichen, lebenspraktischen Verfahren der Be-griffsbildung in der künstlichen Lernsituation des Fremdsprachenunterrichts nicht zur Verfü-gung stehen. Wenig verlockend ist auch der Weg der metasprachlichen Deskription oder De-finition: Auf einen noch nicht hinreichend geklärten, subjektiv neuen V orstellungsinhalt kannman nicht erklärend Bezug nehmen – es sei denn, dieser V orstellungsinhalt existiert in ähnli-cher Form im lexikalisch-semantischen Netz von Erst- und Zweitsprache (Etikettentausch).Existieren keine entsprechenden Anknüpfungspunkte, so läuft die Erklärung ins Leere. Um das methodische Problem klarer fassen zu können, ist ein Blick in die Sprachtheorie nützlich. Der Wortschatz einer Sprache wird meist in alphabetischer Form dargestellt. Ineiner langen Liste folgt ein Wort dem anderen; jedes steht für sich allein, und keines scheintmit dem anderen viel zu tun zu haben. Analysiert man den Wortschatz einer Sprache jedochgenauer, so verfliegt der erste Eindruck einer additiv-zufälligen Liste lexikalischer Monaden:„Sicher ist, dass unser mentales Lexikon nicht alphabetisch angelegt ist“. (KIELHÖFER1994: 211, siehe auch AITCHISON 1997). Die Bedeutung eines Wortes ist durch semanti-sche Bezüge motiviert; sie ergibt sich aus dem Bedeutungskern und dem relativen Ort derNotion im lexikalisch-semantischen Netz der Zielsprache (Schaubild 20, S. 139). Viele Wörter haben nicht eine, sondern mehrere Bedeutungen (Polysemie); die aktuell ge- meinte ergibt sich aus dem Gebrauch im kommunikativen Kontext. Man kann die aktuelleBedeutung eines Lexems hinsichtlich des Bedeutungskerns (der Denotation) beschreiben,häufig schwingen jedoch außerdem assoziative Bezüge, Nebenbedeutungen und Gefühlswer-te mit (Konnotationen). In vielen Fällen lässt sich die denotative Bedeutung eines Wortessinnvoll erst unter Berücksichtigung seiner relativen Position im Netz der sinnverwandtenWörter bestimmen. Dieses Netz der Sinnverwandschaft kann hierarchisch (Überordnung,Unterordnung) und/oder linear strukturiert sein. Die denotative Bedeutung des Wortes cool bestimmt sich zum Beispiel durch seine relative Position auf dem semantischen Differentialder Temperaturqualifikatoren; in einfachster Form also etwa: cold – cool – warm – hot . Jede Sprache verfügt über ein solches semantisches Differential der Temperaturwörter. Dennochist die Übersetzung nicht problemlos, weil dieses Differential von Sprache zu Sprache mit 139Notionen unterschiedlicher Reichweite belegt ist. In the morning meint in der englischen Sprache einen anderen Zeitraum als „am Morgen“ im Deutschen. Die Reichweite einer Not-ion bestimmt sich also immer auch durch Existenz und Reichweite von „benachbarten“ Not-ionen im semantischen Netz. Vor dem Hintergrund ähnlicher Überlegungen stellt DOYÉ (1971: 72) schematisch verein- facht zwei semantische Differentiale gegenüber: Ordnung der _______ _______ ________ _______ englischen Sprache / high / / tall / / big / / fat / ===================================================== Ordnung der _______ _______ ________ deutschen Sprache / hoch / / groß / / dick / Die V orstellung hoch im Deutschen wird im Englischen teils durch high, teils durch tall ausgedrückt; umgekehrt überschneiden sich beim englischen tall die deutschen V orstellungs- inhalte von hoch (a tall building ) und groß (a tall person ). Ein Sonderfall solcher linearen Strukturen sind die geschlossenen Wortgruppen (Zahlen, Wochentage, Monate, grammati-sche Funktionswörter wie etwa die Präpositionen etc.); der V orstellungsinhalt des WortesThursday ist ohne Bezugnahme auf die betreffende Wortgruppe kaum sinnvoll darstellbar. Wichtige bedeutungsmotivierende Impulse leiten sich auch von der Wortgestalt und von der Herkunft des Wortes ab (Morphologie und Etymologie). Die meisten Wörter gehören Wortfa-milien an ( invest – investor – investment etc.). Wer sich in den Wortfamilien und den Konven- tionen der Wortbildung ein wenig auskennt, kann daher seinen potenziellen Wortschatz mitgeringem Aufwand deutlich erweitern (DENNINGHAUS 1976). Die künstliche SpracheESPERANTO lebt beispielsweise hinsichtlich ihres Wortschatzes von einer begrenzten An-Schaubild 20: Bedeutungsmotivation im lexikalisch-semantischen Netz 140zahl von Lexemen, wobei produktive und streng logisch gehandhabte Wortbildungsregeln trotzdem differenzierte Ausdrucksmöglichkeiten erschließen. Bei den Temperaturqualifikatorenerlaubt das Lexem varm- in Kombination mit zwei Wortbildungsregeln so immerhin den Ausdruck sechs verschiedener Konzepte: malvarmega (eiskalt) – malvarma (kalt) – malvarmeta (kühl) – varmeta (lauwarm) – varma (warm) – varmega (heiß). Die Herkunft des Lexems und die Wortbildungsregeln aus diesem Beispiel heraus aufzufassen, dürfte nicht schwerfallen. Für die Wortbildung in ESPERANTO gilt das Prinzip, dass alles, was logisch sinnvoll und konzeptuell möglich ist, auch linguistisch erlaubt sein muss: Jeder Esperantosprecher kannden Wortschatz im Rahmen der bestehenden Wortfamilien also nach Belieben ausweiten,wenn er sich an die Wortbildungsregeln hält. Natürliche Sprachen können aufgrund ihrerlebendigen Sprachgeschichte, der Sprachmischung etc. solche Regelmäßigkeit nicht aufwei-sen (und privatsprachliche Erweiterungen des Wortschatzes nicht akzeptieren). Viele Ver-wandschaften sind daher nur partiell hilfreich (deutsch „bringen“ / englisch bring) , und es bleibt aus Sicht des Lernenden in vielen Fällen unbestimmt, ob Ableitungen, die logisch undkonzeptuell an sich möglich wären, in der lebendigen Realität der Sprache tatsächlich so oderähnlich gebildet wurden. Die Bedeutung eines Lexems wird weiterhin durch seine Kombinationsmöglichkeiten moti- viert. Diese Kombinationen können sprachimmanenter Art sein, von der lexikalischen Kollo-kation ( watch TV ) zur idiomatischen Wendung ( property ‘changes hands’ ) bis hin zur obli- gatorischen syntaktischen Verbindung reichen (z.B. ing-Form nach phrasal verbs ). Die Kom- binationen können jedoch auch im weitesten Sinne thematischer Art sein (zum Beispiel„Fußballwörter“: Spieler, Ball, Tor, Schiedsrichter, Stürmer, abseits …). Jedes Inhaltswortverweist auf thematische Zusammenhänge, deren Kenntnis es den Sprechern ermöglicht, sichin einem bestimmten Lebensbereich erfolgreich zu verständigen. Überblickt man die Komplexität des lexikalisch-semantischen Netzes einer natürlichen Spra- che (die hier nur kurz angedeutet werden konnte), ergeben sich bestimmte Folgerungen fürdie Methodik des Wortschatzlernens. Da ein Wort hinsichtlich des Bedeutungskerns und derlexikalisch-semantischen Bezüge im Vergleich zweier natürlicher Sprachen nur in Ausnah-mefällen einen analogen Ort einnimmt, muss das zweisprachig-analogisierende Wortschatz-lernen vom Prinzip her irreführend und fehlerträchtig sein. Denn für den richtigen Gebrauchmuss nicht nur eine denotative Bedeutung gelernt werden, sondern auch die möglichen Ver-bindungen dieses Wortes im lexikalisch-semantischen Netz der Zielsprache. Wenn die meis-ten Fehler fortgeschrittener Fremdsprachenlerner im lexikalischen Bereich liegen (HECHT,GREEN 1991b), so zeigt dieses, dass die Maschen des lexikalischen Netzes in der Lerner-sprache oft noch zu grob geknüpft sind und dass beim Sprechen mit unzureichend semantisiertenWorthülsen operiert wird. Semantische Bezüge der hier beschriebenen Art können nur im Ausnahmefall durch Beschrei- bung und Erklärung erlernt werden. Der Übungsprozess ist daher so zu planen, dass für dasimplizite Lernen sinnvolle Informationen und Übungsformen bereit stehen. Da die natürli- chen Wege der Begriffsbildung versperrt sind, muss die zielsprachige Notion sprachimmanentaus typischen Gebrauchszusammenhängen heraus konstruiert werden. Semantisch orientier-te Übungen zur Tiefenverarbeitung des Wortschatzes sind vor allem in drei Dimensionendenkbar: •Übungen zur Wortbildung und zum Auffassen von Wortfamilien (Erweiterung des 141potenziellen Wortschatzes); Arbeit mit Wörterbüchern; •Übungen zur Approximation des V orstellungsinhalts im Netz der Sinnverwandschaften (Konstruktion der zielsprachigen Notion); •Übungen zu den Kombinationsmöglichkeiten des Wortes (Bezüge im semantischenNetz). Im Folgenden sollen exemplarisch einige Wortschatzübungen aus älteren und jüngeren Englischlehrwerken herausgegriffen und aus der Sicht der kommunikativen Methodik kom-mentiert werden. In NETWORK 1 (1991) liest man unter „Lerntipps/ Wortschatz“ folgendeLernhilfe (80): Das gute, alte Vokabelheft hat zur Sammlung weiterer Wörter, die nicht im Kursbuch enthalten sind, noch nicht ausgedient. Versuchen Sie, die neuen Wörter in einem Umfeldzu sammeln und aufzuschreiben. „Tote“, d.h. zusammenhanglose Listen prägen sich Ihnen in der Regel weniger gut ein. Sie können neuen Wortschatz u.a. nach folgenden Gesichts- punkten zusammenstellen:* Wortfeld, z.B. father, mother, husband, wife, child, son … * Wortbildung, z.B. friend/ friendly/ unfriendly * Wörter mit ähnlicher Bedeutung, z.B. beautiful, lovely, nice* Gegensätze, z.B. small – big. Der Tipp ist sinnvoll und methodisch begründet. An gleicher Stelle (80) liest man dann allerdings: Wir können Wörter und ihre Bedeutung übrigens besser behalten, wenn sie durch Bilder gestützt werden. Legen Sie sich ruhig eine eigene Sammlung von Bildern, Fotos und Zeichnungen an, in die Sie Wörter und Wendungen schreiben. (…) Entsprechend finden sich im Lehrbuch viele matching -Übungen, in denen Wörter und Bilder wechselseitig zuzuordnen sind. Dieser Lerntipp ist aus methodischer Sicht fragwürdig. V onmöglichen Missverständnissen bei der Bildinterpretation abgesehen, wird das Bild stets aufder kognitiven Basis der Erstsprache semantisiert; auch hinsichtlich der semantischen Bezü-ge des Wortes ist diese Lernform unproduktiv. Eine einfach und sinnvoll aufgebaute Wortschatz-übung zeigt dagegen das folgende Beispiel aus dem gleichen Lehrwerk (1991: 83): Hotel information Frau Benson möchte ein paar Tage in Rom verbringen. Tragen Sie in die nachfolgendeAntwort des Hotelmanagers die Wörter aus dem Kasten ein, so dass sich sinnvolle Infor- mationen ergeben. bath breakfast centre comfortable dinner excellent (…) Dear Mrs Benson, Thank you very much for your letter. The Extraverganza Hotel is in the …….. of Rome. From all the …….. you have a wonderful …… of the river. Near the hotel there are dozens of small ………. and boutiques. (…) Die Lernwörter werden hier in Formen geübt, die den inneren Such- und Abrufoperationen beim kommunikativen Sprachgebrauch ähnlich sind. Das innere Übersetzen wird zwar nichtausgeschlossen, durch den Übungsaufbau aber auch nicht ermutigt. Der Lerner muss bei derLösung sowohl die Options- wie die Kombinationsregeln im semantischen Netz beachten; dieintrasprachlichen semantischen Relationen werden implizit also ständig mitgeübt. Man kanndie Übung variieren, indem man gar keine, nur wenige oder zu viele Wörter als Hilfe vorgibt; 142je kürzer der Abstand zwischen den Lücken, desto anspruchsvoller ist die Übung. Lücken- texte dieser Art sind universell einsetzbar und aus methodischer Sicht sehr lernwirksam. Man kann solche Lückentexte mit wenig Mühe selber herstellen (auch ohne Computer, Scan- ner und OCR -Programm): Ein Plateautext wird kopiert, ausgeschnitten und auf den Arbeits- bogen aufgeklebt. Dann löscht man mit Tipp-Ex die Lernwörter im Text, ersetzt sie durcheine Ziffer und schreibt ggf. eine Vorgabe; das Arbeitsblatt wird in Klassenstärke kopiert -fertig! V orteil solcher selbstgemachten Wortschatzübungen: Man kann die Übungsgegenständegezielt nach dem Bedarf der Lerngruppe auswählen und die Schwierigkeit gut dosieren. Anagramme/Buchstabenversetzrätsel ( ssdeert – wie lautet das Wort richtig?), Buchstaben- quadrate („Hier sind waagerecht, senkrecht und diagonal zehn englische Wörter versteckt…“) und Kreuzworträtsel der traditionellen Machart (Suchwort wird per Definition abgeru-fen) sind allenfalls als (sehr zeitaufwendige!) Rechtschreibübung wirksam und daher gele-gentlich als Lückenfüller einsetzbar. Methodisch interessanter sind Kreuzworträtsel mitkontextualisierten V orgaben, möglichst aus einem thematisch einheitlichen Wortfeld: The text helps you to complete the crossword: John and Wendy would like to go (6) t… Edinburgh (4) n…. weekend. They’d like to go by (3) t….. . It (1) l….. London at 9.00 am and arrives (7) i… Edinburgh at 5.00 pm. John would like to go to a (2) h… near the (8) s… but Wendy would like to go to a bed-and-breakfast. This is their first (5) h….. in Scotland! Quelle: English Network Starter, 1991: 73 Die Aufgabenstellung entspricht hier im Prinzip der des Lückentextes, allerdings wird viel stärker auf die Schreibung fokussiert. Übungen dieser Art sind nicht zu schwer und werdenerfahrungsgemäß gerne bearbeitet. Einfache Kreuzworträtsel wie das hier vorgestellte sindebenfalls selbst herzustellen (man beschränke sich auf nur ein senkrechtes Kontrollwort, dieWörter in der Waagerechten werden entsprechend aus- und eingerückt). Semantische Kombinationsmöglichkeiten lassen sich gut mit den verschiedenen Varianten der matching -Übung erfassen. Alle Übungstypen, die den Lernenden dazu bringen, den Wort- schatz zu ordnen, zu gruppieren, zu skalieren, sind im Prinzip geeignet, die Tiefenverarbeitungzu fördern; sie helfen dem Lerner, Struktur und Ordnung in sein neues semantisches Netz zubringen. Je feiner diese Strukturen, desto differenzierter später die Ausdrucksmöglichkeiten.Hierher gehört auch die Sammlung von Synonymen ( very rich / wealthy ) und Antonymen (old / young ) oder die beliebte odd-man-out -Übung ( camera – television – video – hairdryer ). 143Wenig Aufmerksamkeit wird in den meisten Lehrwerken der Arbeit mit dem Wörterbuch geschenkt: Die Wörterverzeichnisse hinten im Lehrbuch sind auf das Vokabellernen hin ange-legt und haben kaum propädeutischen Wert. Zunächst sollten die wichtigsten Darstellungs-konventionen in zweisprachigen Wörterbüchern geübt werden, später die entsprechendenKonventionen in weiteren wichtigen Wörterbuchtypen wie dem einsprachigen Wörterbuch,dem Thesaurus, thematischen Wortschatzsammlungen und dem idiomatischen Wörterbuch.Thematische Zusammenhänge im lexikalisch-semantischen Netz lassen sich gut visuell auf-bereiten; man gibt die Struktur des Wortfeldes (Oberbegriff, wichtige Unterbegriffe) und eineWortliste vor: The following are all electrical household goods. Use your dictionaries to check the meaning (…) of any you do not know, then fill in the spaces. Some are already filled to help you. air-conditioning, cooker, dishwasher, mirowave oven, spotlight fan, freezer, fridge, food mixer, home computer, iron, kettle, lamp, hi-fi system, vacuum cleaner, walkman, video,washing machine (…) In dieser Weise kann bei der Wortschatzeinführung ganz „unauffällig“ der bekannte Wort- schatz wiederholt und durch Mitschreiben auf Tafel oder Tageslichtprojektor systematisiertwerden; der neue Wortschatz verbindet sich dabei direkt mit dem bereits bekannten – einlernpsychologisch wie lexikalisch-semantisch erwünschter Effekt. Das Diagramm muss nichtso aufwendig gezeichnet werden wie hier im Beispiel (statt der Kreise können an den End-punkten auch einfache Wortlisten stehen). Gut kann übrigens auch ein Bild als Assoziations-kern für thematische Wortfelder (nicht als Semantisierungshilfe!) benutzt werden. Hier muss ausgeklammert bleiben, nach welchen Gesichtspunkten der Lernwortschatz aus- zuwählen ist, denn das wäre die Problemstellung einer Didaktik. Aus der Sicht des Unter- Quelle: HEADWAY, Pre-Intermediate,1991: 17 144richts ist mit der Wahl des Lehrwerks ohnehin eine Vorentscheidung gefallen. Wichtig aus methodischer Sicht ist jedoch die Unterscheidung nach aktivem und passivem Lernwortschatz. Nicht jedes Wort im Lehrbuch ist für jeden Lerner gleich schwierig und gleich wichtig, undnicht jedes Wort muss sofort abrufbereit zur Verfügung stehen. Die Lerner sollten daherermutigt werden, den Lernwortschatz nach seiner ökologischen Validität zu beurteilen undentsprechend auszuwählen und zu gewichten. Eine gute Lerntechnik in diesem Zusammenhang besteht darin, regelmäßig ein persönliches Lernprotokoll zu führen (siehe auch Kapitel 4.4.4). Das Lernprotokoll hat die Form eines Ringbuches (DIN A4). Ein Ringbuch ist flexibel; nach Belieben können Blätter eingefügt undentnommen werden (Arbeitsbögen zur Aufnahme ins Lernprotokoll werden daher mit pas-sender Lochung verteilt), das Material kann so nach Bedarf immer wieder neu organisiertund aktualisiert werden. Das Lernprotokoll enthält verschiedene Abteilungen, einen Teil mitLehrbuchfunktion (Zusatztexte, Arbeitsblätter etc.), einen Teil als Kladde zum Mitschreiben,einen Evaluationsteil (dazu später) und eine individuelle „Datenbank“ mit mehreren Unterab-teilungen. Die Wortschatzabteilung wird, entsprechend der Dominanz der Sachnetze im mentalen Lexi- kon (KIELHÖFER 1994), am besten thematisch und in enger Anlehnung an das Lehrwerk angelegt ( at the restaurant … ); sie enthält eine subjektive Auswahl dessen, was an diesem Thema in der Lebenswelt des Lerners als wichtig empfunden wird (auf lobster wird man vielleicht verzichten) – und vor allem das, was aktiv gekonnt sein will. Die Wörter werdennach semantischen Prinzipien gesammelt (Kladde) und in organisierter Form in die persönli-che Datenbank übernommen (Reinschrift). Wörter, die für mehrere Themenfelder wichtigsind, können sich öfter wiederholen. Es werden ggf. signalphonetische Merkmale, jedochkeine Übersetzungen aufgeschrieben; die Bedeutung ergibt sich aus den semantischen Bezü-gen und aus Gebrauchsbeispielen, im Notfall muss bei späteren Wiederholungen das Wörter-buch bemüht werden. Gewisse Hilfen wird der Kursleiter am Anfang geben müssen – vielleicht in Form eines Arbeits- blattes zum Abheften, das die wichtigsten Bezüge und einige Beispiele enthält. Das ersteBlatt der Wortschatzabteilung wird als Index geführt. Kommt das Thema später im Lehrbuchnoch einmal vor (gute Lehrbücher sind zyklisch angelegt), so blättert man zu dem Themazurück und ergänzt relevante neue Informationen dort, wo sie am besten ins Netz der seman-tischen Bezüge passen. Die semantischen Bezüge werden fortlaufend verfeinert: Bei Wiederholungen spielt man „für sich“ die Situation neu durch und überprüft, festigt und ergänzt dabei gezielt die vorhandenenAusdrucksmöglichkeiten. Der Lerner baut sich so in eigener Verantwortung nach und nacheine kleine Datenbank auf, die im Idealfall weitgehend seinen persönlichen Kommunikations-bedürfnissen entspricht. Es gibt empirische Hinweise dafür, dass autonome Lernprozessedieser Art nicht nur motivierend, sondern auch sehr lernwirksam sind (LEGENHAUSEN1994). Das Lernprotokoll dient insofern als zentrales Medium für das offene Weiterlernen imlexikalischen Bereich: Die Leistungsfähigkeit der Datenbank wird durch Bildung lernereigenerTexte fortlaufend überprüft; semantische Leerstellen regen das selbstständige Entdecken an. Für die Auswahl der Lernmethoden beim Wortschatzlernen ergibt sich ein ähnlicher Zusam- menhang zwischen Fähigkeitsprofil und Verarbeitungstiefe wie vorne bei der Aussprache: 145Lernertyp Wortschatzlernen: Methodenwahl V erarbeitungstiefe 100 0 1. Wortschatz „nebenbei lernen“ Oberflächen- verarbeitung Spracherwerber 2. Zweisprachiges Vokabellernen, assoziative Lernformen, bildgesteuerte Verfahren Spracherlerner 3. systematische Wortschatzübungen: – paradigmatisch – kombinatorisch (Wortfamilien, thematische Felder etc.) 4. persönliches Lernprotokoll, Arbeit mit Wörterbüchern Tiefenverarbeitung Lernungewohnte 5. Explizite semantische Analyse 0 100 Schaubild 21: Fähigkeitsprofil, Verarbeitungstiefe und Methoden des Wortschatzlernens Bei ungünstigen Lernvoraussetzungen (das Lebensalter spielt hier keine negative Rolle, Älte- re lernen oft sogar besser als Jüngere) ist eine größere Verarbeitungstiefe erforderlich; me-chanische Lernformen sind allenfalls bei guten Lernern vertretbar (aber auch dort nicht zuempfehlen). Der aktive Lernwortschatz sollte regelmäßig wiederholt werden. Falls das Lehr-werk nicht genügend Wiederholungsübungen vorsieht, sind Lückentexte sowie die Zusam-menstellung von Sachfeldern während der Sprachaufnahme bestens für Wiederholungszweckegeeignet, ohne dass viel zusätzlicher Aufwand entsteht. 4.2.2.3 Grammatik Die Fähigkeit, grammatisch richtige Sätze zu bilden, befähigt noch nicht zum sprechnatürlichenund kommunikativ angemessenen Sprachgebrauch. Aber die grammatische Kompetenz, wennauch vielleicht in einem frühen Entwicklungsstadium, ist zweifelsfrei eine der wichtigstenV oraussetzungen jeder Kommunikationsfähigkeit. Sprachverstehen im eigentlichen Sinne beginnt erst dort, wo auch relationale (syntaktisch- semantische) Bedeutungen erfasst werden können: Das wortweise arbeitende Übersetzungs-programm eines Computers liefert, zumal bei Sprachen mit freier Wortstellung, kaum brauch-bare Ergebnisse. Und dem bloßen Auswendiglernen von Holophrasen sind, schon aus Grün-den der begrenzten Gedächtniskapazität für mechanisch Gelerntes, enge Grenzen gesetzt.Sinnvolles Sprachlernen impliziert daher, dass die sprachlichen Exponenten nicht nuroberflächenorientiert gelernt werden, sondern dass ihr grammatischer Aufbau verstanden wirdund nach Bedarf variiert werden kann (vgl. ZIMMERMANN 1990, WOLFF 1992, LITTLE-WOOD 1994). 146Zur Rolle der Grammatik in der kommunikativen Methode Wenn die grammatische Kompetenz eine der wesentlichen Voraussetzungen der Kommu- nikationsfähigkeit ist, so liegt es nahe, dass die Fremdsprachendidaktik diesem ebenso schwie-rigen wie wichtigen Gegenstand stets besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, häufig auchVorrang vor allen anderen Lernzielen: Spracherwerb wurde in manchen Konzepten einseitigmit dem Grammatiklernen identifiziert. Die „kommunikative Methode“ entstand in Oppositi-on zu solchen einseitig grammatikorientierten Unterrichtskonzepten; im V orwort eines damalssehr bekannten Lehrwerks wenden sich die Autoren wie folgt an den Lerner: As you work through this book you will notice that you are learning not simply rules of grammar, but how to use the rules in a large number of different situations where you yourself have something to say. The more you say the better, and the more successful you will be in learning English. Quelle: STRATEGIES – Integrated English Materials, London: Longman, 1975: 2 Im Zusammenhang dieses didaktischen Gegenentwurfs verschwanden grammatische Regeln und monofunktional grammatikorientierte Übungen fast völlig aus den Lehrbüchern – nichtaber der Anspruch, grammatisches (Handlungs-)Wissen zu vermitteln. Erst im Natural Ap- proach ist diesbezüglich eine Extremposition erreicht: Grammatisches Wissen soll nur noch implizit und gleichsam auf natürlichem Wege wie beim Erstsprachenerwerb entstehen – ohne Lernhilfen von außen oder Erklärungen von Seiten eines Lehrers. Angesichts der Problemtiefe des grammatischen Lernstoffs war diesem extremen didakti- schen Konzept in der Praxis wenig Erfolg beschieden. Selbst für viele Muttersprachler (nichtnur Analphabeten) bleibt die Grammatik eine lebenslange Hürde und lästige Fehlerquelle -trotz eines normalen Erstsprachenerwerbs und trotz ausgedehnter Lernprozesse in der Schu-le. Unter den zeitlichen und praktischen Beschränkungen des Fremdsprachenunterrichts reichtdas implizite Lernen bei durchschnittlichen Lernvoraussetzungen nicht aus, um die für dieKommunikation notwendige grammatische Kompetenz zu bilden. In Lernerbefragungen er-weist sich nicht zufällig „die Grammatik“ als die größte subjektive Hürde beim Fremdsprachen-lernen. Während es bei Aussprache und Wortschatz geteilte Ansichten gibt, ob gezieltereFormen der Tiefenverarbeitung notwendig sind (QUETZ 1995), gibt es heute kaum ein Lehr-werk, das bezüglich der Vertiefung des grammatischen Lernstoffs nicht zumindest Kompromiss-positionen bezöge. Der grammatische Lernstoff erscheint daher auch wieder explizit im Lehr- buch, als Regelgrammatik im Anhang oder in Form von Übersichten, Zusammenfassungenund Tabellen am Lektionsende. Wie Befragungen von Fremdsprachenlehrern zeigen, hat die Praxis der Grammatikvermittlung mehr oder weniger unbeschadet solche Paradigmenwechsel im didaktisch-methodischen Denkenüberdauert (KUMMER-HUDABIUNIGG 1983, ZIMMERMANN 1984). Viele Praktikersind überzeugt, dass das Sprachkönnen ein Ergebnis sowohl impliziter wie expliziter Lern-und Übungsprozesse ist. Gerade der grammatische Lernstoff werde nur von wenigen gutenLernern vorrangig auf implizite Art erlernt; für die meisten anderen seien explizite, gramma-tisch akzentuierte Lern- und Übungsprozesse unverzichtbar. Nach den Angaben der von ZIM-MERMANN befragten Lehrer nimmt der explizite Grammatikunterricht daher etwa 40 – 60Prozent der Gesamtunterrichtszeit ein; 80 Prozent der Befragten halten diesen Anteil fürangemessen; auch bei den Hausarbeiten, bei Tests und Notengebung spielt die Grammatikeine große Rolle. 80 Prozent der befragten Lehrer tendieren obendrein zu einer systemati- 147schen Darbietung der Grammatik. Man muss folgern, dass die Grammatik in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts faktisch weniger eine dienende als eine beherrschende Positioneinnimmt (ZIMMERMANN 1984: 40 f.) – auch wenn dieser unter kommunikativen Vorzei-chen erteilt wird. Der Didaktiker wird sich an dieser Stelle fragen, ob eine richtige Diagnose (Unverzichtbarkeit der grammatischen Kompetenz auch im kommunikativen Fremdsprachenunterricht) nichtzur falschen Therapie geworden ist. Die explizite, systematische Grammatikvermittlung, vonder so viele Praktiker nach wie vor überzeugt sind, beruht letztlich wohl auf einer Überschät-zung der Möglichkeiten des äußeren Lehrplans. Die äußere Systematik bietet keine Gewährfür eine analoge innere Systematik: Die innere Grammatik entsteht nicht als „Verinnerli-chung“ der äußeren Grammatik, sondern sie wird vom Lernenden individuell nach Maßgabeder ihm verfügbaren kognitiven Ressourcen nach einem inneren Lehrplan aktiv konstruiert.Den Vermittlungs- und Verinnerlichungstheorien, wie ich sie hier nennen will, fehlt daher auslerntheoretischer Sicht die Begründung. Die äußere Grammatik bleibt ein Umweg , der me- thodisch nur insoweit zu rechtfertigen ist, wie er dem Lernenden Information und Lernhilfenfür seinen inneren Konstruktionsprozess liefert, ihm Probleme verdeutlicht und Brücken zumgerichteten, selbstkontrollierten Üben baut. Bescheidenheit ist angesagt: Denn längst nichtalles, was wir in den äußeren Lehrplan schreiben können, wird vom Lerner auf dem gegebe-nen Stand seines inneren Konstruktionsprozesses verwertet und in mentale Anweisungenumgesetzt werden können. Im Idealfall stellt der äußere Lehrplan kein verpflichtendes Lern-pensum dar, sondern nur ein Angebot, aus dem sich der Lerner abhängig vom Stand undBedarf seines inneren Konstruktionsprozesses bedient. Grammatische Übersichten und Erklärungen, die nicht in aktive Übung einmünden, sind pro- blematisch: Die Kenntnis einer Regel bietet keine Garantie für ihren richtigen Gebrauch.Theoretisches und praktisches Wissen können unter ungünstigen Voraussetzungen getrenntbleiben; unter günstigeren Bedingungen können sie sich wechselseitig durchdringen und be-fruchten (siehe auch GLOVER, RONNING, BRUNING 1990). In der richtigen Verbindungunterstützt das theoretische Wissen den praktischen Lernprozess nachhaltig (KAHL 1990,HECHT/ GREEN 1992). Das methodische Problem liegt daher weniger in der Frage, ob das Grammatiklernen überhaupt einen Platz im kommunikativen Fremdsprachenunterricht haben soll, sondern eher in dersinnvollen Einbettung analytischer Lernphasen in den äußeren Lehrplan, in der Genese desgrammatischen Wissens und seiner Integration in praktische Handlungsabläufe. Laufen prak-tisches Tennisspiel und die theoretische Lektüre eines Tennislehrbuchs unverbunden neben-einander her (etwa so wie ganzheitliche Übung und grammatischer Anhang in manchen Lehr-büchern), so ist von dieser Art Theorie nicht viel Hilfe zu erwarten. Anders beim gezieltenTraining, in dem eine bestimmte Schlagtechnik vom Trainer nach Bedarf aufgegriffen, ingeeigneter Weise herausgestellt, theoretisch analysiert und in akzentuierter Form praktischeingeübt wird: Bei einem solchen Zugang darf auch der weniger begabte Spieler auf Fort-schritte hoffen. In ganzheitlich-synthetischen Methoden bleiben grammatische Explikationen letztlich ein Fremdkörper; das grammatische Summary am Ende der Lektion oder im Anhang des Lehr- buchs ist kaum mehr als ein didaktisches Alibi für Lehrbuchautoren und Verlage. Wirksamegrammatische Lernprozesse erfordern ein prozessorientiertes Unterrichtskonzept, das den 148individuellen Grammatikerwerb gezielt und kleinschrittig unterstützt: hinsichtlich der Problem- auffassung, bei Bildung, Test und Elaboration der Arbeitshypothesen, bei der Verallgemeine-rung und Symbolisierung des V orstellungsinhalts bis hin zur kommunikativen Anwendung.Ich skizziere im Folgenden die methodischen Schritte beim Grammatikerwerb, spreche diewichtigsten Probleme an und kommentiere anschließend ausgewählte Übungsformen für dasGrammatiklernen in kommunikativ orientierten Lehrwerken. Grammatische Lernprozesse (1): Bildung von Hypothesen Grundlage des Lernprozesses ist ein Filtertext, in dem das grammatische Problem mehrfachvorkommt. (Eine Regularität ist trivialerweise nur erkennbar, wenn im Input mehrere Expo-nenten der jeweils zu erlernenden Struktur enthalten sind.) Die sprachlichen Exponenten imFiltertext sollen eine kommunikativ stimmige Anwendung der Struktur repräsentieren undeine möglichst breite und umfassende Information erlauben – also Merkmale der äußerenForm, der Notion sowie typischer Gebrauchszusammenhänge aufweisen. Bei der Einführungdes simple past könnte man sich zum Beispiel den Ausschnitt aus einem Brief denken, der vom letzten Urlaub erzählt; einen Ausschnitt aus einer Autobiographie; eine Reportage; einenMinidialog, in dem nach Kindheitserlebnissen gefragt wird. Isolierte Beispielsätze oder künst-liche classroom situations sind fast immer ungeeignet, da sie dem Lernprozess eine unzurei- chende Datenbasis bieten. Von kommunikativen Lehrwerken ist zu verlangen, dass sie die grammatischen Lerninhalte nicht formorientiert präsentieren, sondern nach Merkmalen des Sprachgebrauchs (WILKINS1976). Entsprechend sollte das Lernziel im hier gewählten Beispiel nicht formal („Heutelernen wir das simple past “), sondern gebrauchsorientiert beschrieben werden („Heute lernen Sie, wie Sie auf Englisch über Erlebnisse berichten können“). Dabei geht es um folgendeFeinziele: •Notion: Handlung/Ereignis abgeschlossen in der Vergangenheit, faktischer Aspekt; •Gebrauch: Textsorte narration ; Gebrauch strikter als im Deutschen (auch in der gespro- chenen Sprache und beim informal use ); •Form: regelmäßige und unregelmäßige Bildungen des past (wanted / went ), Aussprache (rained / washed / wanted ), Schreibung ( travelled / occurred / ordered ); Satzbildung in Aussage, Frage, Negation; Kurzantworten. Angenommen im Lehrbuch steht ein gut ausgewählter Filtertext zur Verfügung. Angesichts der Zahl der Probleme und der Problemtiefe wird man kaum erwarten, dass brauchbare Lern-ergebnisse von selbst entstehen. Spätestens sobald sich vermehrt Fehler einstellen, wird mandaher akzentuiert grammatische Lernprozesse einschalten müssen – aus bekannten Gründenam besten in Form einer Entdeckungsprozedur . Die Entdeckungsprozedur besteht aus zwei größeren Schritten, die sich wieder in verschiedene kleinere Schritte aufteilen: aus der Kon- struktion des grammatischen Bedeutungsgehalts und der Einübung des gefundenen Handlungsrezeptes. Im ersten Schritt der Entdeckungsprozedur wird die Aufmerksamkeit auf die Exponenten der grammatischen Struktur im Filtertext gelenkt: Die Exponenten werden „angesprochen“, imFiltertext aufgesucht und markiert. Formale Merkmale der betreffenden Struktur (Wortform,Aussprache, Schreibung, Satzbildung) sind nun direkt erkennbar. Indem man die Beispiele 149nach bestimmten Merkmalen der sprachlichen Oberfläche ordnet (hier regelmäßige und unre- gelmäßige Bildungen des past) und die Bildungsmorpheme entsprechend kennzeichnet, sind brauchbare Arbeitshypothesen allein schon durch Vergleich und Klassifizierung zu bilden(„In welche Gruppe muss ich diesen Satz schreiben? – Warum?“): Gruppe 1 (enthält unregelmäßige Vergangenheitsformen) I got up early every morning.You found a lot of good shops in London. They had no money. (…) Gruppe 2 (enthält Ableitungen mit -ed) I liv | ed | near Hyde Park.He lik | ed | this place very much. They arriv | ed | late. It rain | ed | a lot.(…) Arbeitshypothesen zu Merkmalen, die nicht an der sprachlichen Oberfläche ablesbar sind, sind schwieriger zu bilden. Aber auch solche Hypothesen werden unter den künstlichen Lern-bedingungen letztlich auf der Grundlage von Vergleichsoperationen gebildet. Soweit mög-lich, sollte innersprachlich verglichen werden: Wenn das present perfect schon bekannt ist, können die wichtigsten Gebrauchsmerkmale des simple past aus einer Gegenüberstellung typischer Anwendungen beider Strukturen gewonnen werden; notfalls muss zur ersten Orien-tierung der Vergleich mit der Erstsprache ausreichen. Arbeitshypothesen, die auf der Basis von Vergleichsoperationen gefunden werden, können zunächst nur teil-richtig und teil-vollständig sein, da sie zum einen lediglich das enthalten,was die Datenbasis tatsächlich an Informationen hergibt (Qualität des Filtertextes!) und zumanderen eine Grenze im gegebenen Stand der Lernersprache finden. Existiert zu einem be-stimmten grammatischen Problem noch wenig V orwissen, so wird die Ausgangshypothesenicht sonderlich differenziert ausfallen können. Je differenzierter das Optionenspektrum imVorwissen, desto genauer und präziser kann aus der Sicht der Lerngruppe die Arbeitshypothesesein. Wird das simple past daher als erste Zeitstufe der Vergangenheit eingeführt, wird man sich bei der Beschreibung der Gebrauchsmerkmale mit einer groben Arbeitshypothese abfindenmüssen (Kontrastfolie: Gebrauch des Präteritum im Deutschen). Wird das simple past dage- gen vor der Folie von present perfect, past progressive, past perfect, used to etc. erarbeitet, ist eine wesentlich differenziertere Konzeptualisierung möglich. Ohne Bezug auf benachbar-te Notionen im Tempussystem der Zielsprache kann der V orstellungsinhalt des simple past nicht hinreichend deutlich bestimmt und abgegrenzt werden. Bleibt der Vorstellungsinhaltmangels Einsicht in die Alternativen undifferenziert und vage, so ist der selbstständiger Ge-brauch dieser grammatischen Struktur nur eingeschränkt möglich: Dem Lerner fehlt mangelsEinblick in die Alternativen zunächst noch die Information, in welchen Zusammenhängen diegelernte Struktur korrekt gebraucht werden kann, er wird sie vielleicht zunächst generalisie-ren oder analog der deutschen Sprache anwenden. Die Antwort auf dieses lerntheoretische Problem kann nicht in vermehrtem Drill, nicht im Verweis auf Signalwörter und nicht in insistierender Fehlerkorrektur liegen. Auch im kindli-chen Spracherwerb werden viele grammatische Probleme nicht gleich im ersten Zugriff ge- 150meistert, da die Wissensbasis für eine differenzierte Konzeptualisierung zunächst noch fehlt; ein massives Sprachtraining würde und könnte an diesem Lernverlauf nichts ändern: DerSchüler wird mit dem Lerndrill in Sprechmuster gedrängt, für die seine Kompetenz nochnicht ausreicht (vgl. auch BAHNS 1985). Der Drill produziert zwar vielleicht die an dieserStelle oberflächlich angemessene Reaktion, aber der innere Lehrplan bleibt unberührt; wirdein Transfer erwartet, soll auf dieser Basis selbstständig produziert (statt nur mechanischreproduziert) werden, so kann die Struktur nicht korrekt gebildet werden. Erst die Verbreite-rung der Wissensbasis, die weitergehende Einbettung des Lernproblems (Approximation dersyntaktisch-semantischen Notion im Netz der grammatischen Bezüge) bewirkt einen nach-haltigen Zuwachs an grammatischer Kompetenz in der Lernersprache. Zurück zur Methodik des entdeckenden Lernens. Ein Lernproblem wird subjektiv als Defizit im Handlungsplan erfahren: Der Lernende weiß nicht, wie er sich in dem konkreten Anwen-dungsfall begründet entscheiden soll. Unter entsprechendem Handlungsdruck wird zunächstauf intuitiver Basis eine Arbeitshypothese gebildet: Meist stützt sich der Lerner dabei auf erstsprachliche Analogien (am Anfang eines fremdsprachlichen Lernprozesses sind daherInterferenzfehler recht häufig), manchmal unbewusst auch auf tiefere kognitive Strategien(logisch-heuristische Operationen), nur im Notfall auf blindes Raten (vgl. typische Vermei-dungsreaktionen im Unterricht, silent period in natürlichen Lernprozessen). Die Qualität einer intuitiv gebildeten Arbeitshypothese kann verschieden sein. In vielen Fällen werdenHypothesen dieser Genese durchaus ihren Zweck erfüllen. Die meisten Lernprozesse im All-tag, nicht zuletzt auch der natürliche Spracherwerb, funktionieren nach diesem Muster. Un-bewusste, implizite Lernprozesse haben den V orteil, dass sie die individuellen kognitiven Ressourcen kaum belasten; vieles im Leben wird auf diese Art „nebenbei“ erlernt (und wiedervergessen), aus der Sicht des Lernenden ebenso bequem wie effektiv. Erweist sich diese Art der Hypothesenbildung unter den gegebenen Lernvoraussetzungen (geringe ökologische Validität des Lerngegenstands, künstliche Lernumgebung, unzureichen-der Input, fehlende Übungs- und Anwendungsmöglichkeiten) und/oder bei größerer Problem-tiefe als ungeeignet, so sind aufwendigere Lernstrategien erforderlich: Die Aufmerksamkeitmuss gebündelt, alle Systemressourcen müssen auf das Entdecken der Lösung konzentriertwerden; explizites theoretisches Wissen, bewusste Analyse und linguistische Phantasie kom- men ins Spiel. Der Lernprozess wird damit vorübergehend auf eine bewusste Ebene angeho- ben – was den Vorteil größerer Erfolgschancen bietet, jedoch den Nachteil hat, dass die kog-nitiven Ressourcen in hohem Maße belastet werden und dass anspruchsvolle Parallelhandlungenkaum noch möglich sind. Obwohl sich der Lerner nun bewusst und konzentriert um eine Lösung bemüht, kann es ungünstig sein, wenn diese Lösung von außen kommt (ZIMMERMANN 1992), etwa indem ein grammatisches Handbuch befragt wird oder indem ein Experte sich belehrend einmischt.Denn die Lösung, die von außen kommt, hat zunächst keine „organische“ Verbindung zumvorhandenen Wissen: Sie muss immer erst verstanden, in den inneren Kode übersetzt, internmit bestehendem Wissen verbunden und in dieses eingeordnet werden – eine Aufgabe, dieauch deshalb nicht leichtfällt, weil die äußere Lösung meistens eine metasprachliche Formhat. Viel produktiver aus der Sicht des inneren Lehrplans ist daher eine Lösung, die von innen kommt, die vom Lerner selber entdeckt wird. Die Entdeckungsprozedur „vom Lerner her“ beruht auf der expliziten Anwendung logisch-semantischer Operationen. Das klingt kom-plizierter, als es ist. Meistens wird dabei etwas verglichen, Exponenten werden ausgewählt, 151klassifiziert und geordnet, Unterscheidungsmerkmale werden versuchsweise abstrahiert, am gegebenen Material auf ihre Tragfähigkeit getestet und schließlich generalisiert. Bei schwierigen Lerngegenständen kann es nötig sein, den heuristischen Prozess durch geeig- nete V orgaben in Form von Beispielmaterial oder Lösungshilfen („Achten Sie besonders auf…“) zu lenken und zu erleichtern. Dabei handelt es sich um prozessorientierte Hilfen , nicht um die V orgabe fertiger Handlungsanweisungen oder Teillösungen. Im Grad der Einflussnah-me gibt es ein breites Spektrum: Das Bestreben der Entdeckungsmethode geht dahin, denGrad der Außensteuerung so weit als möglich zu reduzieren – ohne jedoch, wie das bei deninduktiven Methoden oft der Fall ist, auf geeignete Handlungshilfen und prozessuale Erleich-terungen zu verzichten. Ein Beispiel für eine solche Entdeckungsprozedur mit geeignetenLernhilfen ist oben anhand eines Lernproblems aus der Phonetik dargestellt worden (sieheKap. 4.2.2.1). Um die gefundene Lösung auf den Punkt zu bringen, ist es häufig sinnvoll, diese Lösung zu benennen. Die Benennung erfolgt zunächst vom Lerner her: Er beschreibt in eigenen Worten die aus seiner Sicht wichtigen Merkmale der gefundenen Lösung (in Form einer „Faustre-gel“). Erst wenn in dieser Form ein vorläufiges Konzept gebildet ist, tritt ein Etikett von außen hinzu. Das subjektive Konzept wird mit einem grammatischen Terminus gekennzeich-net; dieser Terminus kommt von außen, vom Lehrer, oder er wird dem grammatischen Hand-buch entnommen. Die grammatische Terminologie soll bei diesem V orgehen nicht das Verste-hen erzeugen, sondern sie dient der präziseren Referenz und der Sicherung des Verstehens. Verstehensprozess und metasprachliche Benennung verlaufen ungleichzeitig; die Benennung bewirkt aus methodischer Sicht keinen Verstehenszuwachs. Dass das temporäre Lernerkonzeptnun den Namen simple past trägt, bedeutet also keinesfalls, dass die subjektive Verstehens- leistung gleich auch auf dem Stand der objektiven Sprachanalyse wäre, die durch diesenTerminus repräsentiert wird. Streng genommen operieren Lehrende und Lernende zunächstalso mit „terminologischen Hülsen“, die sich aus Lernersicht erst nach und nach mit sprach-licher Substanz füllen – in dem Maße, in dem der Lehrplan komplementäre Information liefertund die subjektive Verstehensleistung entsprechende Fortschritte macht. Aus der Sicht desinneren Lehrplans besitzt die grammatische Metasprache keinen Erklärungswert – es sei denn,der Lerner verfügt (als Sprachstudent zum Beispiel) aus anderen Lernzusammenhängen überanalytisch-linguistisches Wissen, das er hier nutzbar machen kann. Aus dieser Rolle der Metasprache ergibt sich zum einen, dass eine äußere Systematik und Vollständigkeit in der Vermittlung der Terminologie nicht erforderlich ist (zumindest sofernder äußere Lehrplan auf Sprachvergleiche und Sprachreflexion verzichtet), und zum ande-ren, dass die einfachste und verständlichste Form der metasprachlichen Benennung ausunterrichtspraktischer Sicht meistens auch die beste ist. Bei Lerngegenständen der grammatischen Form, die an der Oberfläche abzulesen sind, genü- gen daher einfache visuelle Hilfen (Markierungen im Text, Gruppierung der Exponentennach bestimmten Merkmalen, Hervorhebung durch Farbe, Rasterung etc.) oder auch Signale(Pfeile, Ausrufungszeichen) und bildhafte Abstraktionen (Diagramme; Bilder mit vereinbar-ter Bedeutung, z.B. eine Fliege für den stimmhaften Laut [z z z], eine Schlange für stimmlos[s s s]). Man spricht in diesem Zusammenhang daher oft von einer signalgrammatischen Darstellung (ZIMMERMANN 1977). 152Bei Problemen, die an der Oberfläche nicht ablesbar sind, reicht eine signalgrammatische Darstellung allein häufig nicht aus. So ist der Gebrauch des simple past nur begrenzt an Signalwörtern ( yesterday, last week …) festzumachen, da diese Zeitbestimmungen im Text- zusammenhang natürlich nicht ständig wiederholt werden; wer sich hier allein an den Signal-wörtern orientiert, hätte ein stark unzureichendes Konzept gebildet. Feinere semantische Un-terscheidungen wie unterschiedliche Tempusreliefs werden durch Oberflächenmerkmaleohnehin nicht signalisiert ( He crossed the road when he saw me / He was crossing the road when he saw me ). Für komplexere Lernprobleme ist eine explizit-metasprachliche Beschrei- bung daher kaum zu umgehen. Die Faustregel, die der Lerner selbst findet, wird sinnvollerweise in der Erstsprache gebildet; denn das hier erforderliche Aushandeln von Problemen und Lösungsmöglichkeiten wird daszielsprachliche Ausdrucksvermögen der Lerngruppe zunächst noch überfordern. Die Vermei-dung von Kommunikationsbarrieren hat hier Vorrang vor den erwünschten Übungseffektendes einsprachigen Lernens. Sobald die Lerngruppe das Problem in einem späteren Stadiumzielsprachlich bewältigen kann, sollte auf die Erstsprache verzichtet werden. Im V orgriffdarauf ist es sinnvoll, wenn man für die grammatischen Fachbegriffe der äußeren Grammatikvon Anfang an eine zielsprachliche Beschreibungskonvention wählt; auch das Nachschlagenin grammatischen Handbüchern fällt dann leichter. Eine allzu lernernahe Terminologie („Ver-gangenheit“, „Hauptwort“, „Tätigkeitswort“ etc.) kann hier sogar nachteilig sein, da sie denProzess der Annäherung an die fremdsprachliche Notion womöglich irreleitet. Für die Terminologie ist mit der Auswahl eines bestimmten Lehrwerks eine V orentscheidung gefallen. Gegen die diesbezügliche Konzeption des Lehrwerks zu unterrichten ist zwar nichtunmöglich, aber es bringt für alle Beteiligten zahlreiche praktische Probleme und viel Mehr-arbeit mit sich. Auch für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht bleibt daher ein wich-tiges Kriterium für die Auswahl und Beurteilung der Lehrmaterialien, ob man mit derGrammatikkonzeption und der Terminologie eines Lehrwerks leben kann. Die essentials ei- ner pädagogischen Grammatik sind oft beschrieben worden (GESTER 1976; BAUSCH 1979;LEHMANN 1979; MINDT 1987; KLEINEIDAM 1982, 1986; VIELAU 1983a, 1983b undviele andere). Da didaktische Fragen hier weniger interessieren, fasse ich nur kurz die wich-tigsten Aspekte zusammen.Wie es keine objektiv beste Lautschrift gibt, gibt es keine objektivbeste Grammatik. Entscheidend sind Zweck und Gebrauchszusammenhang. PädagogischeGrammatiken sollen vor allem Lernhilfe sein: Sie wählen den Stoff nach didaktischen Krite- rien lernstufenbezogen aus und bieten ihn in vereinfachter, verständlicher, lernerorientierterAufbereitung dar. Der pädagogischen Grammatik sollte im Idealfall ein trilaterales Sprach-beschreibungsmodell (Notion/ Gebrauch/ Form) zugrunde liegen, wenigstens jedoch ein bila-terales (Notion/ Form) nach Art der traditionellen Schulgrammatik. Eine kontrastive Akzen-tuierung ist dabei zwecks Hervorhebung typischer Lernprobleme und Fehlerquellen nützlich.Unilaterale (formale) Beschreibungsmodelle, wie sie in der theoretischen Linguistik früherüblich waren, sind für den Fremdsprachenunterricht ungeeignet. Grammatische Lernprozesse (2): Test und Elaboration der Hypothese Die gefundene (und ggf. metasprachlich etikettierte) Lösung wird im nächsten Schritt derEntdeckungsprozedur am gegebenen Material getestet und weiter verfeinert. Im Zuge dieserElaboration verdichtet sich die Arbeitshypothese aus der Sicht des Lernenden zu einem 153Handlungsrezept, das es ihm ermöglicht, sich in analogen Anwendungsfällen subjektiv be- gründet für eine der Handlungsoptionen zu entscheiden. Problematisch ist die Frage, wie weitdie gefundene Lösung generalisiert werden kann. Spontan neigen viele Lerner dazu, ihremLerngegenstand ein hohes Maß an Logik und Ökonomie zu unterstellen: Die temporäre Lö-sung, die faktisch nur von einer schmalen Datenbasis abgeleitet ist, wird daher zu starkverallgemeinert. Entsprechend liegt hier eine der wichtigsten Fehlerquellen sowohl im natür- lichen Spracherwerb wie im Fremdsprachenunterricht. Sieht der äußere Lehrplan zum Bei-spiel zunächst nur die Einführung der regelmäßigen Vergangenheitsformen vor ( -ed), so braucht man auf Fehler des Typs *goed meist nicht lange zu warten. Viele Fehler, die vom Lerner in diesem Lernstadium produziert werden, sind Generalisierungsfehler . Die Testphase erfüllt aus Lernersicht einen doppelten Zweck: Sie dient der Überprüfung und Elaboration der Arbeitshypothese, und sie dient der Festigung und Automatisierung des ge-fundenen Handlungsrezeptes. Während der Testphase werden die kognitiven Ressourcen desLernenden zur Lösung der anstehenden Probleme gebündelt und ausgelastet; der Versuch,gleichzeitig noch anderes zu tun, führt zur kognitiven Überlastung. Hat sich die Wissensinselgebildet und zu einer mentalen Routine stabilisiert, so werden die gebundenen Ressourcensukzessive wieder frei; auch komplexere Parallelhandlungen sind nun wieder möglich. Dieser lernpsychologische Zusammenhang der Bindung und sukzessiven Freisetzung kogni- tiver Ressourcen begründet zum einen, warum grammatische Erklärungen ohne eine anschlie-ßende Test- und Übungsphase wirkungslos verpuffen: Der Lernende erhält keine Chance,mentale Routinen zu bilden; er erwirbt theoretisches Wissen statt praktischen Könnens. Die bewusste Anwendung einer solchen (äußeren) Regel bindet zu viel kognitive Energie, diedann für Parallelhandlungen wie inhaltliche Sprechplanung oder phonetische Kodierung fehlt.Insofern ist es aus methodischer Sicht ein Kunstfehler, wenn langatmig erklärt und kurzatmiggeübt wird. Weiter wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass es nicht gleichgültig ist, auf welche Art geübt wird. Jeder sprachliche Input, der dem Lerner verständlich ist und in dem das aktuelleLernproblem „irgendwie“ vorkommt, impliziert eine Übungsmöglichkeit; aber ungerichteteÜbungsmöglichkeiten dieser Art sind wenig lernwirksam – sonst könnte man allein durchregelmäßige Lektüre sprachlich angepasster Texte die eigene grammatische Kompetenz ver-bessern. Die Schwierigkeit liegt in der fehlenden Akzentuierung , in der fehlenden Aufforde- rung zu aktivem Probieren: Das in dem Input versteckte Problem wird allenfalls am Randebemerkt, andere Herausforderungen wie inhaltliches Textverstehen oder Sprechplanung ste-hen im Vordergrund der Aufmerksamkeit. Wenn ungerichteter Input schon unter natürlichenLernbedingungen den Zuwachs an grammatischer Kompetenz nicht erklären kann (Fossili-sierung!), so sind unter den Beschränkungen der künstlichen Lernsituation von einemungerichteter Input kaum Übungsfortschritte zu erwarten (BAHNS, SIBILIS 1992). Bei vielSprachkontakt, leichten Lerngegenständen und guten Lernvoraussetzungen mag ungerichtetes„Nebenbei-Lernen“ hier und da zu Erfolgen führen. Solche Erfolge haben aber nichts mitLehrmethodik zu tun: Sie sind Produkte des natürlichen, autonomen Spracherwerbs (derabhängig vom Lernertyp durchaus auch im Klassenzimmer möglich ist). Bei schwierigenLernproblemen wollen Lerneffekte methodisch geplant sein: Die Übung muss dem Lernerunter Berücksichtigung seines subjektiven Standes gerichtete Lernhandlungen in Bezug auf das Lernproblem ermöglichen und nahelegen. 154Im ersten Schritt geht es um Konstruktion und Elaboration einer Wissensinsel im Kopf des Lernenden; die Übungshandlung hat primär analytischen Charakter ( sprachbezogene Übung ). Im zweiten Schritt wird das neue Wissen mit dem vorhandenen Wissen verbunden und ver-netzt; der Gebrauch der Struktur, um etwas mitzuteilen, und entsprechend die synthetischeÜbungshandlung rücken in den V ordergrund ( mitteilungsbezogene Übung ). Im dritten Schritt schließlich erfolgt die Einbettung der Sprachhandlung in sprechnatürliche kommunikativeZusammenhänge, Sprechabsichten und Wirkungen kommen ins Spiel ( kommunikative Übung ).Die Reihenfolge der Übungstypen „überlappt“ zwar immer ein wenig, ist vom Prin- zip her jedoch nicht austauschbar (BUTZKAMM 1989: 211 ff.): Die Sprachsynthese setztdas Ergebnis sprachanalytischer Lernprozesse voraus; die kommunikative Übung verlangtdie Fähigkeit, Mitteilungen situationsgerecht zu versprachlichen. Der Fremdsprachenlehrer,der seiner Lerngruppe direkt im Anschluss an die Erstpräsentation eines schwierigen gram-matischen Problems ein anspruchsvolles Rollenspiel als Übung zumutet, zeigt eigentlich nur,dass er von Lernverläufen wenig versteht. Anspruchsvolle grammatische Lernspiele (FRANK, RINVOLUCRI 1983) sind daher erst in Wiederholungsphasen sinnvoll, denn sie setzen gelingende Sprachsynthese und komplexeparallele Planungsoperationen auf inhaltlicher, sprachlicher und affektiver Ebene voraus – infrühen Phasen des Lernprozesses für schwächere Lerner eine hoffnungslose Überforderung.Ähnlich unbegründet ist das Postulat mancher Didaktiker, dass jede Übung im kommunika-tiven Fremdsprachenunterricht gleich auch schon „performanzgültig“ oder „dialogähnlich“zu sein habe. Für verschiedene Übungsziele gibt es verschiedene Übungstypen; das Übungs-design orientiert sich am jeweiligen Lehrziel. Je schwieriger das Problem, je geringer dasautonome Lernvermögen der Gruppe, desto kleinschrittiger, monofunktionaler, enger sprach-bezogen im Anfang der Übungsaufbau. Grammatische Lernprozesse (3): Merkmale sprachbezogener Übungen Für die Konstruktion sprachbezogener Übungen (auf mitteilungsbezogene und kommunikati-ve Übungstypen gehe ich im späteren Zusammenhang ein) gelten bestimmte übergreifendePrinzipien, die ich im Folgenden kurz darstellen will. Die hier genannten Prinzipien beziehensich nicht nur auf Grammatikübungen, sondern analog auf Übungen zur Phonetik, zu Wort-schatz und Sprachfunktion. Sprachbezogene Übungen sollten monofunktional auf ein Übungsziel hin angelegt sein, sie sollten jeweils nur ein bestimmtes Problem zum Gegenstand haben, um dem Lernenden imersten Schritt ein gerichtetes und voll konzentriertes Üben zu ermöglichen. Geht es zum Bei-spiel um ein grammatisches Problem, so ist es ungünstig, wenn die Übung zugleich neueLexik beinhaltet oder starke Anforderungen an die inhaltliche Sprechplanung stellt. Das heißtnicht, dass die Übung von vornherein mechanisch oder langweilig angelegt sein muss. Dazuzunächst ein kleiner Rückblick. Mechanische Übungsformen sind eine der wichtigsten Hinterlassenschaften der behavioris- tisch orientierten Fremdsprachendidaktik ( pattern drill ): Impuls und Reaktion sind als Mus- ter vorgegeben; die Struktur soll durch wiederholte Anwendung „eingeschliffen“ und habitu-alisiert werden. Mechanische Drills dieser Art gibt es in vielen Variationen, als Umform-,Einsetz-, Ergänzungsübung mit oder ohne dialogähnliche Einbettung. Trotz solcher Vielfalt 155sind Übungen dieses Typs inzwischen etwas aus der Mode gekommen: Der Lernertrag ist erfahrungsgemäß eher gering, die Übung wird als langweilig und stupide empfunden – selbstwenn sich die Lehrbuchautoren um zusätzliche Stimulanz auf der inhaltlichen Schiene bemü-hen. Das Problem liegt in der Eindimensionalität dieser Übungen (Bindung an die Sprach-oberfläche) und im Prinzip der Antwortsteuerung auf jeweils nur eine Option hin: Ist das betreffende Schema aufgefasst, so genügt eine formale Reaktion, um die richtige Lösung zuproduzieren. Im Extremfall kann man die richtige Lösung bilden, ohne auch nur ein Wort zuverstehen: Conteste Vd. que sí, según el modelo: Carmen tiene un paquete. ¿Qué es? ¿Es un regalo? # Sí, es un regalo. ¿Qué día es hoy? ¿Es martes? # Sí, es martes. a. ¿Qué hora es? ¿Es la una? b. Montserrat dice que tenemos trabajo. ¿Cuánto es? ¿Es mucho? c. Ha llegado un telegrama. ¿De quién es? ¿Es del señor Peralta? (… bis k.) Quelle: Spanisch für Sie, Bd. 1, 1973: 16 Nach genauem Studium der Beispiele wird man wenig Mühe haben, die Antworten formal richtig zu bilden – auch wenn man kein Wort Spanisch spricht. Übungen dieser Art fordernnicht zur Tiefenverarbeitung heraus: Das Schema liegt an der Oberfläche, der Lerner muss,sobald er das Prinzip solcher Übungen kennt, sich nicht aktiv um Verstehen und Tiefen-verarbeitung, um Bildung, Test und Elaboration von Hypothesen bemühen – er kann direktund oberflächlich-schematisch reagieren. Entsprechend gering ist der Aufforderungscharaktersolcher Übungen und der Lernertrag. Es besteht immer die Gefahr, dass lediglich Worthülsenmanipuliert werden. Zu rechtfertigen sind pattern drills aus heutiger Sicht daher allenfalls noch, wenn es um die Einübung der sprachlichen Oberfläche geht (um die Wortstellung, umdie Bildung bestimmter Frageformen etc.). Letztlich sind Übungsformen dieser Art etwa sosinnvoll wie Aufgabenstellungen im Mathematikunterricht, in denen lediglich das korrekteErgebnis auswendig gelernt wird – ohne dass man sich Gedanken über die Prozedur macht,nach der das Ergebnis rechnerisch zustandekommt. Die Grenzen mechanischer Übungsformenwerden an dem folgenden Beispiel deutlich: Change these sentences: I’ve been there. (last year) # I was there last year. a. We’ve answered their letter. (yesterday) b. They’ve arrested him. (this morning) c. The Lucky Stars have arrived. (an hour ago) … (bis o. …) Quelle: Englisch für Sie, Bd. 1, 1968: 100. Der Gebrauch des simple past wird hier an Merkmalen der Sprachoberfläche festgemacht (Impuls durch Zeitbestimmungen mit Signalfunktion) – als ob dieser Zusammenhang in allenAnwendungsfällen obligatorisch wäre. Statt die Tiefenverarbeitung und eine differenzierteKonzeptualisierung anzuregen, transportiert diese Übung das Problem an die Oberfläche(Signalwörter) – und nimmt ihm obendrein noch den Problemcharakter (Antwortsteuerung).Zur Bildung und Festigung eines adäquaten grammatischen V orstellungsinhaltes ist dieseÜbung daher wenig geeignet: Ohne Anregung der Tiefenverarbeitung sind in diesem Zusam-menhang keine Fortschritte in der grammatischen Kompetenz möglich. Das Übungsziel wäre 156besser mit einer simplen Einsetzübung nach folgendem Muster zu erreichen (adaptiert nach ALLAN 1974): Supply the correct form of the verb: a. I … my old car last week. (sell) b. … you … anything from your brother yet? (hear) c. We … John’s new car. (just see)d. So you’re back at last? Where … you …? (be) e. Excuse me! I think you … this purse a moment ago. (drop) … (bis j.) Übungen dieser Art laden ein zum Hypothesentesten: Die Antwort ist nicht vorgegeben, mal ist die eine, mal die andere Zeitstufe verlangt. Der Lernende muss also zwischen verschiede-nen Optionen wählen , er muss sich entscheiden, er muss die richtige Lösung aus dem Optionen- spektrum (das auch wesentlich breiter und differenzierter sein kann als hier) herausfiltern.Jede dieser Entscheidungen impliziert eine kleine Problemlösung, in der die Tragfähigkeit derHypothese auf dem Prüfstand steht. Dabei wird auf einen Fehler nicht pauschal mit derVorgabe der richtigen Lösung reagiert, sondern mit einer prozessualen Hilfe, die bei Fehlernverschiedener Genese ( *I selled my old car last week / *I have sold my car last week ) ent- sprechend verschieden ausfällt. In einem frühen Stadium des Lernprozesses wird der Lernen-de etwas mehr Zeit brauchen, um durch konzentriertes Denken die Lösung zu finden; ineinem späteren Stadium (wenn sich die Hypothese zu einer Wissensinsel in der Lernersprachekonsolidiert hat) sollte er fast ohne Verzögerung zur richtigen Lösung gelangen. Entscheidungsübungen haben aus der Sicht der Lerngruppe einen hohen Aufforderungs- wert; sie sind „spannend“ und werden daher gern bearbeitet. Nachteilig ist im Beispiel allerdingsdie Beschränkung auf isolierte Einzelsätze: Dem Lernenden bleiben auf diese Art kontextuel-le Informationen, die für eine schlüssige Konzeptualisierung an sich unverzichtbar sind, vor-enthalten. Ein Lückentext (mit oder ohne V orgaben) wäre daher hier wie bei den Wortschatz-übungen die klar bessere Lösung. Put in the verbs: Craig: HAVE YOU HEARD the news about Cathy? Nicola: No, what ……. (happen) Craig: She …… an accident. She was running (have) for a bus when she …… down and (fall) ……… her leg. (break) Nicola: Oh, how awful! When ……? (this happen) Craig: (…) Quelle: Oxford Practice Grammar, 1992: 23 Wissen kann nur auf individueller Basis gebildet werden. Ein Lernertrag entsteht für den einzelnen Lerner in der Gruppe also nur, wenn genügend Möglichkeiten zum individuellenÜben angeboten werden. Ein Übungsdesign, bei dem mal eben reihum die richtige Lösungvorgetragen wird, verfehlt dieses Ziel ganz offensichtlich, selbst wenn die Übung an sichgeschickt und lernzielorientiert konzipiert ist: Die Hypothese kann aus individueller Sichtnicht gebildet werden, wenn der Schnellste auf eine offene Lehrerfrage hin die richtige Lö-sung gleich herausposaunt; und der Übungswert von vielleicht 30 Sekunden individuellemSprachkontakt beim Reihenlesen ist zur Bildung mentaler Routinen viel zu gering. Für daspassive Mitüben gilt ähnlich wie für das ungerichtete Nebenbei-Lernen: Gute Lerner mögen 157auch so vorankommen (autonomer Erwerb), schwächere Lerner „schalten ab“ und profitie- ren erfahrungsgemäß kaum. Die Vorstellung, dass allein schon das Zuhören oder Nachspre-chen einen sinnvollen Lernertrag bewirkt, ist eine weitere schädliche Hinterlassenschaft desBehaviorismus in der Pädagogik – zuständig für Frustration und endlose Langeweile vielerSchülergenerationen. Optimaler Lernertrag entsteht nur dort, wo sich der einzelne Lerner mitsubjektiv begründeten Hypothesen aktiv um eine Lösung bemüht, wo er auf individuellerBasis brauchbaren Feedback erhält – und wo die Übungsdichte ausreicht, um mentale Routinenzu bilden. Sinnvoll konzipierte Untersuchungen dazu, welche Übungsdichte aus individueller Sicht beim Fremdsprachenlernen erforderlich ist, sind mir nicht bekannt. Erfahrungswerte besa-gen, dass abhängig von Schwierigkeitsgrad und Lernbefähigung ein Problem wohl wenigstenszehnmal aktiv gelöst sein will (am besten verteilt über einen längeren Zeitraum), bevor ansatz-weise von Routinebildung gesprochen werden kann. Effektiv ist ein Übungsprozess also erstdann, wenn durch geschickte Auswahl der Lernformen ein ausreichendes Maß an Individu- alisierung und Multiplikation der Sprachkontakte erreicht wird. In größeren Lerngruppen ist die methodisch erwünschte Zahl an individuellen Sprachkontakten eigentlich nur auf tech-nischem Wege (Sprachlabor) oder durch vermehrte Partner- und Gruppenarbeit erreichbar:Jeder Teilnehmer der Gruppe muss Gelegenheit erhalten, eine Übungsfolge individuell zudurchlaufen, bevor jeweils für alle das korrekte Ergebnis verkündet wird. Das Üben in Part-ner- und Gruppenarbeit wird entsprechend vor- und nachbereitet: Während der V orbereitungentsteht anhand einiger Beispiele eine tragfähige Handlungsorientierung; die dabei gebildetenHypothesen werden anschließend anhand neuer Aufgaben subjektiv getestet, elaboriert undeingeübt (Selbstkorrektur bzw. wechselseitige Korrektur), die Lösungen in der anschließen-den Nachbereitung im Plenum noch einmal für alle verglichen und ausgewertet. Oft werden Arbeitsformen wie die parallele Partnerarbeit mit dem Hinweis abgelehnt, dass eine ausreichende Kontrolle fehle (der Lehrer könne nicht überall zugleich sein), so dass aufdiese Weise womöglich etwas Falsches eingeübt werde. Unrichtig und lernpsychologisch unbe-gründet ist hier allerdings schon die Prämisse – nämlich dass Fehler im Übungsprozess tunlichstzu vermeiden seien. Erst der Fehler (der erkannt und berichtigt wird) erlaubt die gezielteElaboration der subjektiven Lernhypothesen. Insofern sind aktive Probierbewegungen undsubjektive Grenzüberschreitungen (Fehler) während der Übungsphase methodisch eher er-wünscht als unerwünscht. Um in diesem Punkt nicht missverstanden zu werden: Während der sprachbezogenen Übungs- phasen gilt das Prinzip der Korrektheit . Fehler sind in geeigneter Form zu korrigieren (siehe Kapitel 4.4.3.1); die Korrektur wirkt als sekundärer Input und ermöglicht die weitergehendeElaboration der Arbeitshypothese. Ähnlich wie beim natürlichen Erwerb könnten sich abeiner bestimmten Stufe des Übungsprozesses, in der lernwirksamer Feedback ausbleibt,lediglich bestehende Fehlbildungen weiter verfestigen. Aber zwischen Antwortsteuerung undvorgreifender Fehlervermeidung im behavioristischen Sinn und der aktiven Elaboration vonArbeitshypothesen durch sekundären Input liegen pädagogische Welten. Individualisierende Arbeitsformen können nur Erfolg haben, wenn sich in der Lerngruppe eine bestimmte Lernkultur etabliert. Zunächst muss der Sinn des aktiven Übens verstanden,im Zweifel also zwischen Lehrendem und Lernenden ausgehandelt werden. Wer nicht ver-steht, warum und wie er eigentlich üben soll, was ihm die Übungstätigkeit „bringt“, wird zu 158freiwilligen Wiederholungen kaum geneigt sein, wird immer den einfachsten und schnellsten Weg zur Lösung suchen (im Lösungsschlüssel nachsehen, beim Nachbarn abschreiben etc.),wird anderen nicht ausreichend Zeit lassen, vielleicht die Lösung vorsagen, bei Fehlernwomöglich ungeduldig oder abwertend reagieren … Zur Lernkultur gehört also, dass Sinn und Funktion einzelner Lernschritte verstanden wer- den, dass man sich auf bestimmte Spielregeln für das gemeinsame Lernen einigt – und dassdie Lehrperson über die Einhaltung der Spielregeln wacht. Eine solche Spielregel könnteetwa festlegen, auf welche Weise man seine Bereitschaft zur Beteiligung signalisiert (Hand-zeichen?) und wie man anzeigt, dass man sich im Augenblick noch nicht beteiligen möchte.Werden solche Dinge nicht vereinbart, so dominiert der Schnellste den Unterricht, indem ernach Lust und Laune losplappert oder gar andere kommentiert und korrigiert; Chancen-gleichheit könnte dann allenfalls durch ebenso dröge wie ineffektive Reihenübungen oderdurch autoritäres „Drannehmen“ und „Bremsen“ erzeugt werden. Umgekehrt sollte man alsLerner die Möglichkeit haben zu signalisieren, dass man eine silent period braucht, weil man subjektiv noch keine sinnvolle Arbeitshypothese gefunden hat und beim Sprechen auf blindesRaten angewiesen wäre. Eine Gruppe, die sich an Außensteuerung, an vorwiegend frontale Lehr- und Lernformen und an vorgreifende Fehlervermeidung des Unterrichtenden gewöhnt hat, ist für individualisie-rende Arbeitsformen denkbar schlecht gerüstet; der Versuch, „auch mal ab und zu individuelloder in Gruppen zu arbeiten“, scheitert dann meist kläglich an allgemeinem Desinteresseund/oder an mangelnder Lernkultur („Disziplinlosigkeit“). Übrigens liegt hier auch einer dertieferen Gründe, warum das Sprachlabor (das in der Individualphase eigengesteuertes Lernendurch aktive Probierbewegungen und Selbstkorrektur voraussetzt) im typischen Schulalltageher ein Schattendasein gefristet hat, warum die zahlreiche Versuche, das Sprachlabor auchfür den kommunikativen Unterricht nutzbar zu machen (BEIER u.a. 1977, DAKIN 1977),letztlich gescheitert sind. An sich simulieren die technischen Merkmale des HSA-Labors,Individualisierung und Multiplikation, die Anforderungen an ein effektives Übungsdesign infast perfekter Weise. Gut lässt sich im HSA-Labor auch ein weiteres Merkmal des sprachbezogenen Übens be- rücksichtigen: Das Übungsdesign sollte den Lernenden veranlassen, nach und nach schneller,flüssiger zu reagieren. Beim typischen Monitorlerner verändert sich von selber in Sachen Flüssigkeit nämlich kaum etwas: Auch bei der zehnten Wiederholung wird er sich in allerRuhe vergewissern, ob er die richtige Hypothese richtig angewendet hat – sofern man ihmauch dann noch entsprechend Zeit lässt. Das Sprachlabor kennt eine technische Antwort aufdieses methodische Problem: Mit fortschreitender Übung wird der Impuls flüssiger gespro-chen und die Denk- und Antwortpause verkürzt; das zwingt den Lernenden, auf überflüssigeinnere Kontrollhandlungen zu verzichten (denn sonst schafft er die Antwortpause nicht). Steht für das Flüssigkeitstraining kein Sprachlabor zur Verfügung, so kann man die Übung mit ein wenig zusätzlicher Stimulanz umgeben (z.B. durch V orgabe eines bestimmten Hand-lungsziels); oder man könnte durch sukzessive Hinzunahme paralleler Anforderungen auf derinhaltlichen Ebene das Übermaß an kognitiven Ressourcen ablenken, das sonst in die innereKontrollhandlung fließt (durch Ausdünnen der Übungsimpulse oder die Aufforderung, selberpassende Sätze zu bilden). Zur weiteren Festigung sollte eine Übungssequenz gelegentlich wiederholt werden (was na- 159türlich voraussetzt, dass die Lösung nicht ins Buch geschrieben wird). Explizite Wiederho- lungen dieser Art haben gegenüber impliziten Wiederholungen, bei denen das betreffende Problem nebenbei mitgeübt wird, mehrere V orteile. V or allem wirkt es aus der Sicht derschwächeren Lerner vertrauensbildend, wenn sie sicher sein dürfen, dass schwierige Übun-gen nicht „abgehakt“ und später vorausgesetzt werden. Es ist methodisch nicht ganz einfach, das wiederholende Üben zugleich effektiv und anregend zu gestalten: Erst durch Wiederholung können sich mentale Routinen bilden – aber die Wie-derholung darf sich nicht in oberflächlicher Schematik und Routine erschöpfen. Sehr vielhängt hier von einer geschickten Wahl der Übungsimpulse ab. Im folgenden Beispiel schließtsich an eine gelenkte Entdeckungsprozedur zum Gebrauch des simple past und des past progressive die folgende Übungsphase an: Now put the verbs into either the PAST SIMPLE or PROGRESSIVE and give a reason for your choice: 1. When I met him yesterday he ……………(wear) a wig. Reason: ……………………………………….. 2. While we ….. (watch) TV, my father ……. (read) a book. Reason: ………………………………………..3. The telephone …. (still + ring) when she ……. (hear) a knock at the door. Reason: ……………………………………….. (… 14 Beispiele in gleicher Form ….) Quelle: Tasks. Resources Book, 1990: 20 ff. Die Lernaktivität wird durch die Vorgabe isolierter Einzelsätze stark „formalisiert“, und das ständige Pendeln zwischen Objekt- und Metasprache bewirkt eher eine Einübung ins Monitor-lernen als eine Verbesserung des grammatischen Könnens. Das Problem liegt in der Art derÜbungsimpulse und in der völligen Gleichförmigkeit und Redundanz der Lernhandlung; diemetasprachliche Vergewisserung ist ja lernpsychologisch nur dann angesagt und sinnvoll,wenn im Übungsprozess tatsächlich Fehler auftreten … Übungsimpulse in der Zielsprache sind, wie man an dem Beispiel sieht, oft weniger günstig, weil sie immer schon große Teile der gewünschten Lösung vorwegnehmen. Übungsimpulse inder Erstsprache haben den Nachteil, dass die stärkste Assoziation beim Üben eher zur Erst-sprache weist; der Übungsprozess festigt implizit die enge Verbindung von Erstsprache undFremdsprache, wobei die Erstsprache letztlich die Produktion steuert. Zweisprachiges Übenfördert die (lernbehindernde) Analogstrategie, günstigenfalls das Übersetzen und Dolmet-schen, kaum jedoch die fremdsprachliche Kommunikationsfähigkeit. Andere Auffassungenvertreten in diesem Punkt übrigens die Vertreter der bilingual method , in Deutschland vor allem BUTZKAMM (vgl. etwa 1989: 216 ff.). Das sprachbezogene Üben sollte daher in der Zielsprache und möglichst ohne erstsprachliche Unterbrechungen oder Erklärungen ablaufen. Die Metakommunikation kann nach Bedarfzweisprachig erfolgen, am besten aber zeitlich versetzt vor und nach dem eigentlichen Üben.Während gute sprachliche (symbolische) Impulse für die Übungshandlung nicht leicht zufinden sind, erlauben bildhafte (ikonische) Impulse oft recht interessante Übungsdesigns. Soproblematisch das Bild bei der Semantisierung ist, so wichtig ist die Rolle des Bildes in derÜbungsphase. Das folgende Beispiel kommt aus dem elementaren Spanischunterricht(SCHAUF 1992: 16): 160In der Übung geht es um den korrekten Gebrauch von hay und está/n . Es werden Gruppen von je acht Teilnehmern gebildet. Jeder erhält eines der Bilder. Die Bilder werden verdecktgehalten, nur zwei davon sind genau identisch; die Aufgabe besteht darin, durch Frage undAntwort herauszufinden, wer diese zwei identischen Bilder besitzt. Im Übungsverlauf könntees etwa zu den folgenden Dialogen kommen: – ¿Hay una mesa en tu habitación? # Sí. – ¿Hay también una silla? # No, hay dos. Womit der Fragende weiß, dass dieses nicht der gesuchte Partner ist. Würde die Frage bejaht, könnte es nun zur genaueren Bestimmung wie folgt weitergehen: – ¿Está a la derecha de la mesa? # No, está a la izquierda. – (…) Erst wenn durch Frage und Antwort mit wechselnden Partnern die zwei Bilder mit gleichem Inhalt gefunden sind, dürfen die Bilder in der Lerngruppe aufgedeckt und verglichen werden. An diesem Übungsdesign lassen sich wichtige Strukturmerkmale des sprachbezogenen Übens verdeutlichen. Der bildhafte Impuls fordert eine vollständige Sprechhandlung , von der in- haltlichen Planung der Äußerung über die sprachliche Enkodierung bis hin zur phonetischenRealisierung. Bezüglich des Übungsziels (Gebrauch von hay und está/n ) werden die Rede- 161mittel nicht mechanisch vorgegeben, sondern es ist jeweils eine Entscheidung für eine be- stimmte Handlungsoption in einem genau definierten Alternativenspektrum zu treffen. Dadas Übungsdesign ein Handlungsziel vorgibt (das identische Bild finden) und die jeweiligenAntworten dem Fragenden nicht schon vorher bekannt sind (die Bilder werden verdeckt ge-halten), muss jede Antwort im Blick auf das Handlungsziel eigens geprüft und ausgewertetwerden (Feedback); die Fragen werden so oft, und nur so oft, wiederholt, bis das Handlungs-ziel erreicht ist. Das Motiv zur Wiederholung der im Prinzip gleichen Sprachhandlung (Bil-dung mentaler Routinen) ergibt sich damit fast selbstverständlich aus dem Handlungsziel;das Üben ist auf diese Weise interessanter, als es eine mechanische Reihenübung jemals seinkönnte. Auf die Konstruktionsprinzipien des hier vorgestellten Übungsdesigns (Unbestimmt-heit und Entscheidung für eine bestimmte Option innerhalb eines Alternativenspektrums,Informationsverteilung, Zielorientierung, Feedback, Wiederholung, Flüssigkeit im Ablauf)gehe ich später noch genauer ein. Für die Auswahl der bildhaften Impulse beim sprachbezogenen Üben gilt das Prinzip der Abstraktion; fotorealistische oder künstlerische Darstellungen wären hier fehl am Platze.Wenn Bilder strukturell vieldeutig sind (VIELAU 1975b), so kann diese Vieldeutigkeit durchein Übermaß an Bildinhalt, an Bilddetails oder an Farbgebung nur noch verstärkt werden.Solche Vieldeutigkeit ist beim Übungsimpuls jedoch eher ablenkend und störend: der Bild-impuls soll ja nur als Handlungsgeländer dienen, soll die gewünschte Sprechtätigkeit zugleichsteuern und inhaltlich entlasten. Ähnlich wie im Beispiel sind einfache Strichzeichnungen daher meistens die beste Lösung. Einzelheiten sollen hier ausgespart werden; viele anregendeBeispiele nebst einer Zeichenanleitung für Strichzeichnungen bieten zum Beispiel ZIEGESAR/ZIEGESAR (1981). Wenn man in den Übungsphasen öfter mit Bildern arbeiten möchte, so stellt sich die Frage, wie man solche Bilder am besten in den Unterricht einbringen kann. Bilder gleichsam ausdem Handgelenk an die Tafel zu zaubern ist, trotz praktikabler Zeichenanleitungen, nichtjedermanns Sache. Für den Einsatz als Lernmittel bietet sich die Fotokopie an; für den Ein-satz als Lehrmittel eignet sich die Projektion geeigneter V orlagen mit dem Tageslichtprojek- tor (TLP) oft am besten. Interessant ist ein Vergleich der V or- und Nachteile alternativerDemonstrationsverfahren: Tafel TLP DiaProjektor ___________________________________________________________________________ einfache Handhabung + + – Blickkontakt mit der Lerngruppe – + -Verdunkelung nicht erforderlich + + -sauber in der Handhabung – + +häusliche Vorbereitung möglich – + +mehrfarbige Darstellung (-) + +Darstellungsqualität – + +Darstellung manipulierbar + + -Darstellung rasch wechselbar – + +Arbeitsfläche horizontal – + -Materialkosten + + – Wie die Zusammenstellung wichtiger Merkmale der verschiedenen Medien ausweist, bietetder Tageslichtprojektor im direkten Vergleich mit Diaprojektor und Tafel so viele Vorteile, 162dass er heute aus einem zeitgemäßen Fremdsprachenunterricht kaum noch wegzudenken ist, wenn visuelle Information zeitsparend und in ansprechender Qualität eingebracht werdensoll. Da man beim Einsatz dieses an sich sehr unkomplizierten Mediums dennoch vielesfalsch machen kann, sei ein kleiner Exkurs gestattet. EXKURS: Tipps zum Einsatz des Tageslichtprojektors •Die Funktionstüchtigkeit des TLP sollte man vor Unterrichtsbeginn kurz testen; dabei wählt man auch gleich den richtigen Abstand in Relation zur Abbildung und stellt Ränder und Schärfe passend ein. Muss ein weiter Abstand gewählt werden (um eineVorlage mit kleiner Schrift auf lesbare Größe zu bringen oder um schnell ein einzelnesDia zu projizieren), so schneidet man sich am besten eine Blende , um den Ausschnitt passend zu begrenzen. Ein längliches Herumprobieren mit Abstand, Lesbarkeit, Schärfeund Bildkonvergenz wirkt störend. •Auch wenn häufiges Ein- und Ausschalten der Lebensdauer der Halogenbirne nicht dienlich ist: Das Gerät bleibt ausgeschaltet, bis es tatsächlich gebraucht wird, und wird anschließend sofort wieder abgeschaltet. Das Gerät heizt sich sonst unnötig auf, unterUmständen können sogar die Folien beschädigt werden. Lüftergeräusch, Zugluft undnatürlich auch die (Leer-)Projektion wirken störend und ablenkend. Umgekehrt wecktdas gezielte Einschalten der Projektion die Aufmerksamkeit. •Die Folie wird vor dem Einschalten aufgelegt und der gewünschte Ausschnitt einge- grenzt, notfalls mit einfachen Papierblenden, die gegeneinander verschoben werden. Während der Projektion sollte man möglichst nicht zu viel an der Folie herumzupfen:Für den Betrachter ist es eine Zumutung, wenn die Darstellung unnötig wackelt. Dage-gen stört bei „stehender“ Projektion die Bewegung der Blende kaum, wenn man nur denAusschnitt verändern will. •Demonstriert wird nicht mit dem „dicken Wackelfinger“ unmittelbar auf der Folie, sondern per Zeigestock auf der Projektion. Ist das unpraktikabel, so kann man einen Kugelschreiber als Zeiger passend auf die Folie legen (die Betonung liegt auf „legen“,denn in der Projektion wird das leiseste Zittern dieses Zeigers zum visuellen Erdbeben).V ornehme Menschen können auch einen Laserpointer verwenden. •Obwohl hier und da empfohlen, sollte man den Projektor nicht als Tafel missbrauchen: Das Beschriften der Folie ist anstrengend für den Betrachter und potenziell augen- schädlich für den Schreibenden (schwenkbaren Grünfilter benutzen!); Arbeitsfläche undFolie heizen sich auf, so dass der Stift schnell eintrocknet; Fehler sind schlecht zukorrigieren; da man rasch schreibt, lässt die Darstellungsqualität häufig zu wünschenübrig; und schließlich sollte man bei dieser Anwendung auch an die vergleichsweisehohen Kosten der Tageslichtprojektion denken. Insofern ist die Folienrolle meist ziem-lich überflüssig: Bei laufendem Projektor sollten sich die Änderungen auf ein Minimumbeschränken. •Der eigentliche V orzug des Tageslichtprojektors gegenüber der Tafel liegt darin, dass man die Vorlagen passend vorbereiten kann. Zu den gängigen Lehrwerken gibt es meistens einen mehr oder weniger gelungenen Foliensatz fertig zu kaufen. Diese Folien-sätze sind oft teuer und daher in den Schulen nur in wenigen Exemplaren vorhanden. 163Das muss jedoch kein Hindernis sein. Für die häusliche Vorbereitung kopiert man sich diese Folien auf Papier; und für den Unterricht holt man sich nur die aktuell benötigteFolie aus dem Medienarchiv und stellt sie anschließend mit Rücksicht auf die geschätz-ten Kollegen sofort zurück. •Anspruchslose „Gelegenheitsfolien“ sind ansonsten leicht auch selber handschriftlich herzustellen (saubere Druckbuchstaben in gleichbleibender Größe!). Man verwendet dazu hitzefeste DIN A4-Folien und nach Bedarf verschiedenfarbige Stifte (permanentund/oder abwaschbar). •Aber auch anspruchsvollere Folien stellen heutzutage kein Problem mehr dar. Künstleri- sche Fähigkeiten sind nicht erforderlich, eher schon ein Computer plus Textverarbei- tungsprogramm; zur Not tut es auch eine Schreibmaschine. Für brauchbare Bildvor-lagen gibt es viele Quellen: Lehrbücher, Magazine oder eigens für diesen Zweck zusam-mengestellte „Schnippelbücher“ diverser pädagogischer Verlage. Wer gut ausgestattetist, benutzt den Computer nebst desktop publishing Programm, scannt die Bildvorlage ein und druckt das Ergebnis per Laserdrucker direkt auf die Präsentationsfolie. •Ein kostengünstiges und praktikables Mischverfahren für die Eigenproduktion von anspruchsvoll gestalteten Präsentationsfolien könnte wie folgt aussehen. Man plant die Folie und zeichnet einen groben Entwurf. Nach diesem Entwurf stellt man sich perKlebeumbruch auf DIN A4- Papier eine Kopiervorlage zusammen, die man nach Bedarfbeschriftet und mit (im Kopierverfahren verkleinerten/ vergrößerten) Bildern beklebt; istalles passend arrangiert, so wird von dieser Papiervorlage im Kopierer eine Foliegenommen – fertig. Dieser Aufwand lohnt sich natürlich nur, wenn man die Folie ingeeigneter Form inventarisiert und zu gegebener Zeit weiter verwendet. •Bei der Gestaltung der Folie sollte man berücksichtigen, dass bei visuellen Informatio- nen weniger oft mehr bedeutet. Konzentration auf das Wesentliche ist angesagt, Farbe ist z.B. meistens verzichtbar, Details haben oft nur dekorative Funktion und wirken imErgebnis eher ablenkend. Viele der Folien, die heute lehrbuchbegleitend angebotenwerden, sind visuell hoffnungslos überfrachtet und damit aus methodischer Sicht fastunbrauchbar. Manchmal kann man sich in solchen Fällen jedoch helfen, indem manpassende Blenden schneidet und gezielt nur immer bestimmte Ausschnitte projiziert. •Bei jeder neuen Projektion muss man dem Betrachter zunächst ein wenig Zeit lassen, damit er sich in die Darstellung „eindenken“ kann. Will man auf der Folie etwas verän- dern (z.B. auf einer Lageskizze einen Weg markieren oder etwas in eine Sprechblaseschreiben), so kann man einen wasserlöslichen Schreiber verwenden, sofern es sich umeine Permanentfolie handelt; einfacher und besser ist ein overlay , das fix und fertig mitgebracht werden kann und nur noch passgenau aufgelegt wird (Passkreuze anbrin-gen!). Durch mehrere overlays lässt sich die visuelle Information auf einfache Weise verändern; man kann dazu auch Schiebeelemente oder ausgeschnittene Konturen alsSchattenbilder verwenden. Für weitergehende Ideen und Anregungen konsultiere maneine der zahlreichen Spezialpublikationen (z.B. HINZ 1979). •Jedes technische Gerät, das man im Unterricht verwendet, hinterlässt man in einwand- frei funktionstüchtigem Zustand und mit praktikablen Standardeinstellungen. Sollte ein Fehler aufgetreten sein, so kommt ein Zettel an das Gerät und ein weiterer in das Fachdes Hausmeisters. 1644.2.2.4 Sprachfunktion Ein Exkurs in Sprachtheorie und Didaktik ist fast unvermeidlich, wenn das Lehren und Ler- nen von Sprachfunktionen thematisiert werden soll. Zunächst – was eigentlich ist unter „Sprach-funktion“ zu verstehen? Der Chef öffnet die Tür, erblickt seine Sekretärin, die in ein offen-kundig privates Telefongespräch vertieft ist, und spricht sie wie folgt an: Oh, Mrs Dickinson … mm … Could you write a letter for me, please? … It’s urgent. In der gegebenen Situation hat die an sich durchaus höflich formulierte Frage zweifellos diekommunikative Funktion einer „Anweisung“, vielleicht sogar die einer „Zurechtweisung“. In der kommunikativen Praxis benutzen wir Sprache, um in einer bestimmten Redekonstellationetwas zu tun, etwas zu bewirken. Die Situation, die Sprechabsichten der handelnden Perso-nen und die Redemittel, für die sich die Personen entscheiden, ergänzen und beeinflussen sichauf komplexe Weise. Man wird verstanden, weil der Gesprächspartner nicht wie ein Compu-ter allein die lexikalische und syntaktisch-semantische Bedeutungsebene berücksichtigt, son-dern auch den außersprachlichen Zusammenhang: Er aktualisiert ein passendes Rezept ausseinem Weltwissen und zieht es zur weitergehenden Interpretation der sprachlichen Informa-tion heran ( „Was meint X, wenn er im Kontext Y den Satz Z sagt?“ ). Im Beispiel wird die Sekretärin also möglicherweise schuldbewusst reagieren und ihr Privatgespräch rasch beenden. Im kommunikativen Gebrauch ist die Bedeutung einer sprachlich kodierten Botschaft mehr- fach motiviert : lexikalisch, grammatisch und funktional. Die verschiedenen Bedeutungs- schichten sind simultan wirksam: Erst ihre Synthese ermöglicht unter natürlichen Kommu-nikationsbedingungen Sprachverstehen. Der Satz „It’ s hot“ kann im praktischen Handlungs- zusammenhang eine Warnung, eine Feststellung, eine Aufforderung (und vieles mehr) inten-dieren; was tatsächlich gemeint ist, ist sprachimmanent oder durch Rückgriff auf Wahrschein-lichkeitsmodelle kaum zu klären. Would kann im Rahmen von Anweisungen, Ratschlägen, Einladungen, Wünschen, Vermutungen gebraucht werden; die aktuelle Intention des Spre-chers ergibt sich erst aus dem Handlungskontext. Insofern stellt die kommunikative Funktioneines Satzes gleichsam die „Schnittstelle“ zwischen Sprache und Sprachgebrauch dar, denPunkt, an dem das Weltwissen der Sprecher ins Spiel kommt. Das Weltwissen der Kommunikationspartner ist intern in Form von Wissensrezepten reprä- sentiert. Die Kommunikation gelingt, weil beide Sprecher von ähnlichen Rezepten ausgehen,die auf Gemeinsamkeiten ihrer Lebenspraxis beruhen. Die verbale Handlung ist ein Bausteinim übergreifenden Rezept, eine „Unbestimmtheitsstelle“, die so oder anders überbrückt wer-den kann. Sinnverstehen setzt den Aufruf des richtigen Wissensrezeptes voraus; der Inhaltder Mitteilung ergibt sich aus dem Zusammenspiel von übergreifendem Handlungsrezept undverbaler Information. Je schneller es in einer gegebenen Kommunikationssituation den Akteuren gelingt, das vom Gesprächspartner intendierte Rezept zu identifizieren, desto besser gelingt die Verständi-gung. Ein falscher Rezeptaufruf führt unweigerlich zum Missverstehen auch der verbalenBotschaft. Interpretiert die Sekretärin die Äußerung ihres Vorgesetzten als Zurechtweisung,wird sie anders reagieren als beim Aufruf des Rezepts „höflich formulierte dringende Bitte“.Häufig wird der Rezeptaufruf daher noch zusätzlich durch para- und extralinguale Signale(Intonation, Stimmlage, Betonung bzw. Gesichtsausdruck, Gestik, Körperhaltung) gelenkt -im Beispiel also vielleicht durch den gequälten Gesichtsausdruck und Tonfall des V orgesetz- 165ten, der Privatgespräche im Dienst nicht gerne sieht. Jeder Mensch verfügt über eine große Zahl solcher Handlungsmuster und Denkschablonen: Sie sind Teil seiner Sozialkompetenz und bilden sein Weltwissen . Viele dieser Rezepte haben konventionellen Charakter; sie sind im Rahmen einer Kultur (manchmal auch mehrerer Kul-turen) intersubjektiv gültig. Bestimmte Rezepte sind dagegen eher gruppenspezifisch (wernicht zur betreffenden Gruppe gehört, kann mit dem Handlungsmuster wenig oder nichtsanfangen); wieder andere spiegeln vielleicht auch nur die individuelle Eigenart einer einzel-nen Person (wer diese Person und ihre Ausdrucksmuster nicht kennt, missversteht womöglichdie intendierte Botschaft). Insofern ist es soziolinguistisch wenig akzeptabel, wenn von derkommunikativen Kompetenz des Muttersprachlers gesprochen wird; auch innerhalb eines Kulturzusammenhangs gibt es verschiedene Verstehenshorizonte und verschiedene „Spra-chen“. In der Wahl der Redemittel neigt die kommunikative Praxis zur Bildung von Stereotypen : Zum Ausdruck bestimmter Sprechabsichten wählt man in einer gegebenen Lebenswelt nichtirgendwelche, sondern ganz bestimmte Ausdrucksmittel. Die gelegentliche Verwendung sol-cher Modewörter und kurzlebigen Floskeln erleichtert unter „Eingeweihten“ den Rezeptauf-ruf; zudem wirkt das Stereotyp als soziales Bindemittel und Erkennungssignal der Gruppen-zugehörigkeit. Die Gesprächspartner haben Teil am gleichen „Sprachspiel“ (WITTGENSTEIN1971), dem eine entsprechende Gemeinsamkeit ihrer Lebenswelten korrespondiert (vgl. etwadie Sprache der Jugendlichen einer bestimmten Altersgruppe und Sozialschicht); die Wahlder passenden Redemittel ist der kommunikative Ausweis der Gruppenzugehörigkeit. So wie der Mensch über viele Handlungsmuster verfügt, partizipiert er an vielen Sprach- spielen: Der kompetente Sprecher spricht soziolingual kohärent in verschiedenen Sprachen,er spricht mit Freunden anders als mit Vorgesetzten, anders in der Familie, anders im Sport-verein, anders als Angeklagter vor Gericht, wieder anders in seiner Rolle als vortragenderFachmann für ein bestimmtes Sachgebiet. Eine analoge Sprechabsicht wird in den verschie-denen Sprachspielen zur Wahl sehr unterschiedlicher Ausdrucksmittel führen: im Freundes-kreis, im Betrieb gegenüber dem Untergebenen, vor Gericht gegenüber dem Angeklagten.Und umgekehrt hat die formal höfliche Bitte, die der Chef an seine Sekretärin richtet, in derLebenswelt dieser beiden Menschen eine andere kommunikative Funktion, als der gleicheSatz sie in einem anderen Kontext hätte, etwa im Gespräch zwischen zwei sozial gleichge-stellten Personen. Die Redemittel, derer sich ein (in einer bestimmten Lebenswelt) kompetenter Sprecher in der kommunikativen Praxis bedient, sind in verschiedenem Maß lebensweltlich markiert (sozio- lektal, regiolektal, fachsprachlich, ideolektal): Je nach Kommunikationsabsicht und Gesprächs-partner wird der Sprecher stärker oder weniger stark markierte Ausdrucksmittel wählen.Gehört der Gesprächspartner keiner gemeinsamen Lebenswelt an, so wird man auf starklebensweltlich markierte Redemittel verzichten (der Lehrer im Elterngespräch also vielleichtauf sein „Pädagogenchinesisch“). Auf einer neutraleren, verkehrssprachlichen Ausdrucks-ebene gelingt die Verständigung über die Grenzen verschiedener Lebenswelten hinweg – wennauch unter Verzicht auf die spezifischen Leistungen der markierten Sprache (die höhere Prä-zision der Fachsprache, die affektiven Wirkungen eines gemeinsamen Soziolekts etc.). ZuKommunikationsstörungen kommt es, wenn lebensweltlich markierte Redemittel gegenüberAußenstehenden gebraucht werden oder umgekehrt, wenn solche Redemittel von Außenste- 166henden „usurpiert“ werden (wenn der Großvater sich mit Redemitteln aus der Jugendsprache bei seinen Enkeln einschmeicheln will). Der Außenstehende benutzt sozusagen einen gefälschtenAusweis; er spricht eine Sprache, die ihm soziolingual nicht zusteht. Solches Verhalten führtleicht zu Abwehrreaktionen; übrigens selbst dann, wenn man dem Sprecher durchaus wohl-gesonnen ist. Zurück zum Fremdsprachenunterricht. In vielen neueren Lehrwerken finden sich Listen mit einer Gegenüberstellung von „Sprechabsichten“ (Sprachfunktionen) und „Redemitteln“ (Ex-ponenten). Solche Redemittelkataloge sind aus sprachdidaktischer Sicht nicht unproblema- tisch, weil die ausgewählten Exponenten in bestimmter Weise lebensweltlich markiert seinkönnen. Dabei bleibt für den Lernenden unklar, welchem Sprachspiel die vom Autor gewähl-te Zuordnung von Sprechabsicht und Exponenten angehört. Wenn es den Lerner später nichtin die passende Lebenswelt verschlägt, so wird er um die frustrierende Erfahrung kaum her-umkommen: „So spricht im wirklichen Leben doch kein Mensch!“ Irgendwie ist er in der Rolle des Großvaters, der gegenüber seinen Enkeln Versatzstücke aus der Jugendsprachebenutzt. Hinzu kommt, dass die Redemittel nicht kohärent gebraucht werden können: Einigesoziolektale Schwalben aus dem Redemittelkatalog machen noch keinen kommunikativenSommer. Im Gegenteil: Der Außenstehende, der sich lebensweltlich markierte Versatzstückeeiner ihm fremden Sprache aneignet, sich in Floskeln artikuliert, die ihm als identitätsstiftendesSprachspiel erkennbar nicht zustehen, wird schnell als anbiedernd und aufdringlich empfun-den: Er sendet die falschen Erkennungssignale. Aus einem weiteren Grund sind die Redemittelkataloge problematisch. Sie legen nahe, dass nur die Redemittel, die der Autor hier ausgewählt hat, die angegebene Intention angemessenversprachlichen. Das wiederum impliziert ein zu statisches Verständnis der Beziehung vonFunktion und Redemitteln. Im lebendigen Sprachgebrauch sind die Funktionen obligatorisch,nicht die Redemittel: Im Rezeptaufruf wird eine bestimmte Handlung erwartet, nicht einebestimmte Redewendung (also zum Beispiel eine „Entschuldigungshandlung“, nicht ein be-stimmter Exponent, der diese Entschuldigung ausdrückt). Tatsächlich werden stereotypeWendungen im Alltag nicht so häufig benutzt, wie es manche Lehrbücher nahelegen. Lebens-weltlich stark markierte Redemittel sind außerdem eher kurzlebig; nur wer dieser Lebensweltangehört, wird auf dem Laufenden darüber sein, was sprachlich gerade „in“ ist. Der kompe- tente Sprecher produziert die Redemittel, die seine Handlungsintention im gegebenen Kon-text angemessen ausdrücken. Das Auswendiglernen von Redemittellisten führt nicht zu au-thentischem Sprachgebrauch, sondern in der Mehrzahl der Fälle zum ahnungslosen Nach-plappern einer toten Floskelsprache. Ob die gelernte Wendung ins aktuelle Sprachspiel passtund ob sie beim Gesprächspartner „ankommt“, bleibt eher Glückssache. Für den Fremdsprachenunterricht kann das nur heißen, dass man bei der Übernahme sozio- lingual markierter Redemittel der Zielkultur vorsichtig sein sollte: Stimmigkeit des Ausdrucksdürfte unter künstlichen Lernbedingungen kaum zu erreichen sein. Und auch aus übergreifen-der Sicht bleibt fragwürdig, ob die Ziele des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts durchwörtliche Übernahme bestimmter Sprechweisen der Zielkultur erreicht werden können: Werlernt heute noch Englisch, um sich in England mit englischen Muttersprachlern verständigenzu können? Wenn Fremdsprachen heute vermehrt unter interkulturellem Aspekt gelernt werden (THÜRMANN 1994, VIELAU 1994), liegt es näher, zunächst lebensweltlich weniger mar-kierte Ausdrucksmittel für den Fremdsprachenunterricht auszuwählen: Denn die neutrale,verkehrssprachliche Verständigungsebene erlaubt nicht nur innerhalb einer Sprachgemeinschaft 167den (intrakulturellen) Dialog zwischen den Angehörigen verschiedener Lebenswelten, son- dern auch eine bessere (interkulturelle) Verständigung über die Grenzen der Kulturen hinweg. Der interkulturelle Dialog beruht nicht auf einseitiger Imitation und Anpassung (KNAPP, KNAPP-POTTHOFF 1990), sondern auf der Akzeptanz der Eigenständigkeit der Kulturen,auf Toleranz und Empathie, (vor allem) auf der wechselseitigen Bereitschaft zum immerneuen Aushandeln der Verständigungsbasis . Beide Seiten müssen bereit sein, mit den all- fälligen Missverständnissen und Ausdrucksproblemen konstruktiv umzugehen. In diesem Sinneist es wirksamer, als Ausländer eigenes Nichtverstehen oder teilweises Verstehen angemessenkommunizieren zu können, dabei Offenheit und Verständigungsbereitschaft zu signalisieren,als womöglich durch rasche Wahl einer pseudo-authentischen Wendung die falschen Signalezu senden. Schwierig wird die interkulturelle Verständigung immer dann, wenn der eine Partner eine bestimmte Handlung erwartet, die im kulturellen Rezept des anderen nicht vorkommt. Wennman weiß, unter welchen Umständen der Gesprächspartner eine „Entschuldigungshandlung“erwartet, ist die Wahl der Ausdrucksmittel fast nebensächlich. Selbst eine bedauernde Geste(so sie interkulturell analog interpretiert wird) mag ausreichen, wenn die richtigen Wortefehlen, einer der Gesprächspartner als Ausländer identifiziert ist und emotional die Bereit-schaft zur Verständigung gegeben ist. Umgekehrt braucht es mehr als das übliche Maß anToleranz, ein Verhalten zu akzeptieren, in dem eine erwartete Entschuldigung ausbleibt. Werden Fremdsprachen mehr aus interkulturellen, weniger aus einzelkulturell-landeskundlichen Motiven erlernt, so rücken die pragmatischen Lernziele (Befähigung zu interkultureller Kom-munikation) in den V ordergrund, die klassischen Bildungsziele verlieren an Interesse (vgl.DETHLOFF 1992, THÜRMANN 1994). Das gilt für die Landeskunde Englands, mehr nochfür die Zeugnisse der „hohen Kultur“ (Literatur, Theater, Musik, Kunst, Architektur etc.).Englisch wird heute vermehrt (vorrangig?) als lingua franca erlernt. Zwei Nichtmutter- sprachler des Englischen, die Englisch als quasi-neutrale Verständigungsebene wählen, wer-den sich vorzugsweise solcher Redemittel bedienen, die herkunftskulturell schwach markiertsind; sie werden ihr Gespräch nicht als „kleine Engländer“ führen können oder wollen. Nichtdie englische Kultur liefert ihnen die Handlungsbasis ihrer Verständigung: Die Handlungs-basis ist unbestimmt, sie wird im Dialog zwischen den Beteiligten ausgehandelt. Trotz solcher Akzentverschiebungen bleibt es wichtig, Sprache im Prozess des Lehrens und Lernens ganzheitlich als Handlungsinstrument zu begreifen. Denn auch im nichtmarkierten Gebrauch beruht das Verständnis der verbalen Information letztlich auf der richtigen Zuord-nung der (zielkulturellen/ herkunftskulturellen/ interkulturell übertragbaren?) Handlungs-rezepte, in die die verbale Information eingebettet ist. Auch beim interkulturellen Sprachge-brauch stellen sich aus der Sicht der Gesprächspartner Fragen wie: •Welche handlungspraktische Funktion haben die vom Partner benutzten Redemittel? •Was tut er, indem er XY sagt? Welche Absichten verfolgt er? •Welche Reaktion erwartet er von mir? •Was will ich/ was kann ich in meiner Rolle als Ausländer in dieser Situation sagen, um XY zu tun? •Was erreiche ich beim Gesprächspartner? Wie kann ich die Wirkung meiner Worte verbessern? 168Nach diesem Exkurs in die Didaktik nun zurück zu der hier eigentlich interessierenden Frage: Sind Sprachfunktionen unter den künstlichen Lernbedingungen des Fremdsprachenunterrichtslehr- und lernbar? Welche Lernarrangements bieten sich an? Die Frage wird leichter, wenn man zunächst einen Blick auf gängige Wege in der Vermittlung von Sprechabsichten wirft. In vielen Lehrbüchern finden sich im Anhang die bereits ange-sprochenen Redemittelkataloge. Zu der Funktion „Um Verzeihung bitten, sich entschuldi- gen“ stehen im NEW CAMBRIDGE ENGLISH COURSE (Workbook, Bd. 1: 133) zum Beispiel die folgenden Einträge: – EXCUSE ME, is your name …? – No, I’M SORRY, it’s not. It’s …. – PARDON?- Oh, I’M SORRY. – THAT’S ALL RIGHT. Dass die meisten der hervorgehobenen Exponenten mit der angegebenen Sprachfunktion allenfalls indirekt zu tun haben (Funktionen: „eine unbekannte Person ansprechen“, „um Wiederholung von etwas Nichtverstandenem bitten“, „auf eine Entschuldigung reagieren“ ), sei hier nur am Rande vermerkt. Die Auflistung der Exponenten lässt kaum Rückschlüsse aufden Gebrauch zu (der bekanntlich für Deutsche nicht ganz einfach zu verstehen ist und daherhäufig zu Interferenzen des Typs excuse me oder pardon statt I’m sorry führt). Das Aus- wendiglernen von Funktion und möglichen Exponenten wird hier also kaum zu sinnvollenErgebnissen führen. Der Lernende erfährt aus solchen Aufstellungen nichts über die entsprechenden Sprachspiele, sondern er erhält eine mehr oder weniger abstrakte, mehr oder weniger terminologisch ver-klausulierte Beschreibung des Gebrauchs; diese Beschreibung soll im Kopf des Lernendendie V orstellung einschlägiger Kontexte und Anwendungssituationen abrufen. Sie kann jedochimmer nur solche V orstellungen abrufen, die dort bereits vorhanden sind – und zwar alsherkunftskulturell geprägte V orstellungen bestimmter Handlungsverläufe (was sonst?). Einersolchen herkunftskulturell geprägten V orstellung von typischen Entschuldigungshandlungenwerden im günstigsten Lernverlauf wahllos (was sonst?) die aufgelisteten Redemittel assozi-iert. Dass von einem solchen Lernarrangement kaum sinnvolle Resultate zu erwarten sind,bedarf keiner weiteren Erörterung. Auch die Form der Präsentation, der methodische Weg von der Abstraktion zur Konkretion, scheint hier wenig erfolgversprechend. Vielen Lernenden wird es nicht möglich sein, voneiner metasprachlichen Deskription der Sprachfunktion ( expressing possibility ) die V orstel- lung eines typischen Handlungszusammenhangs abzuleiten; die entsprechenden Exponenten(I might …/ I may …/ Perhaps I’ll …/ I’ll probably …/ ) können dann erst recht nicht zugeord- net werden (NETWORK 2: 11). In solchen Anleitungen ist die Metasprache, obwohl sie jaeigentlich hinführen, erklären, anleiten soll, oft komplexer als die zu erlernende Objektspra-che. Zumal wenn sie zielsprachlich präsentiert wird, wirkt die funktionale Terminologie we-nig erhellend: Das offenkundige Missverhältnis von trivialer Objektsprache ( sorry! ) und auf- geblasener Erklärungssprache ( how to apologize in an informal context ) fällt jedermann auf, so scheint es – nur nicht den Lehrbuchautoren. Auch im Übungsteil der Lehrwerke sieht es nicht besser aus. Ein nicht untypisches Lern- arrangement (Lernstufe: pre-intermediate ) ergibt sich aus dem folgenden Filtertext: 169Dialogue R1: Good morning. Can I help you? P1: Hello. My name’s Mrs Garrard. Can I speak to Dr Smith, please? R2: I’m sorry, but he’s talking to someone at the moment. P2: Oh. Well, can I make an appointment to see him, please? R3: Yes. How about Friday, at four? P3: Oh, Friday’s not very good, I’m afraid. I’m working full-time this week, you see. R4: Well, how about next Tuesday at eleven-thirty? P4: I’d prefer the afternoon if possible. I always work in the mornings. R5: Okay. Tuesday at three. And what’s the problem? P5: I often have terrible backache, and then I can’t sleep. R6: I see. So next Tuesday, that’s the 24th, at three. Is that okay? P6: Yes, that’s fine. Thank you very much. Goodbye. R7: Goodbye. Quelle: Network 2: 21; ein Bild im Lehrbuch zeigt die Arzthelferin im weißen Kittel und mit Telefon; R= receptionist, P = patient Der Text ist durchaus brauchbar, obwohl er aus funktionaler Sicht einige Unstimmigkeiten aufweist: Die Arzthelferin würde sich wahrscheinlich anders am Telefon melden (R1); auchbei R2 würde man erwarten, dass die Ablehnung, das Gespräch durchzustellen, in einHandlungsangebot einmündet. Entsprechend kommt der Strategiewechsel der Patientin ziem-lich unvermittelt: Erst verlangt sie den Arzt am Telefon (P1), dann, ab P2, ist sie trotz „schreck- licher Rückenschmerzen“ mit einem Behandlungstermin in der folgenden Woche einverstan- den. Das Handlungsrezept an sich ( „einen Behandlungstermin beim Arzt vereinbaren“ ) ist lernökologisch valide und interkulturell weitgehend übertragbar. Wie soll die Sprachfunktion ( making appointments ) nach der V orstellung der Autoren unterrichtspraktisch erarbeitet werden? Nach einer kurzen Hörverstehensübung ( true / false ) geht es im Lehrbuch wie folgt weiter: How to say it: Making appointments (a) People often use these expressions when they want to make an appointment. Find the expressions in the dialogue and underline the sentences. 1. Can I speak to …? 2. I’m sorry, …3. Can I make …? 4. How about … ? 5. Friday’s not very good …6. How about … ? 7. I’d prefer … 8. Is that … ?9. Yes, that’s … (b) Read the underlined parts of the dialogue as a mini-dialogue with a partner. (c) Now read it again with this information. 170AB 1. Mrs Jones 2. speaking to her husband 3. her 4. this Wednesday, 11 o’clock 5. staying with my daughter this week 6. next Wednesday, 3 o’clock this week 7. morning, tennis on Wednesday afternoons 8. good time for you 9. very good Übungsschritt (a) dient nur dazu, den Filtertext vom „kommunikativen Ballast“ der Einlei- tungen, Füllwörter, Verzögerungen und Redundanzen zu befreien und auf das traditionelleFormat eines audiolingualen Mini-Dialogs zu bringen. Die hervorgehobenen Exponenten sindfunktional heterogen und haben nur indirekt Bezug zur übergreifenden Sprachfunktion, diehier eingeübt werden soll. Eine methodische Absicht hinter Schritt (b) ist nicht erkennbar: Wozu soll der „gereinigte“ Text nun noch einmal gelesen werden? Ginge es um die Einübung der passenden Intonation,wäre eine Leseübung anhand des Originaltextes einfacher und besser (kein Springen im Text;Tonbandvorlage noch im Ohr von der Hörverstehensübung her). In Schritt (c), einer „waschechten“ Substitutionsübung unseligen Angedenkens, erkennt man das methodische Credo der Autoren: Es geht überhaupt nicht um die Erarbeitung von Sprach-funktionen, sondern um oberflächenorientiertes Auswendiglernen einzelner Floskeln, um Va-riation der Oberfläche ( slot-and-filler Substitution) und den Drill von Musterdialogen im Stil des behavioristischen Fremdsprachenunterrichts. Die Verbeugung vor der funktionalen Sprach-analyse erweist sich als Etikettenschwindel. Brauchbare Lerneffekte für eine funktional stim-mige Gestaltung eines analogen Gesprächsanlasses sind von diesem Lernarrangement nichtzu erwarten. Wie kann man es besser machen?- In dem Bereich, in dem Sprechstrategien und Handlungs- modelle interkulturell übertragbar sind, könnte man auf akzentuierte Lern- und Übungsprozessezur Sprachfunktion wohl ganz verzichten; gut ausgewählte, funktional stimmige Filtertexteund ganzheitliches learning-dy-doing sollten hier ausreichen. Eine Auswahl verkehrssprach- licher (soziolingual wenig markierter) Floskeln und Wendungen könnte man wortschatzmäßiglernen – in Formen, wie sie vorne dargestellt wurden (Aufnahme ins Lernprotokoll); die Me-tasprache ist hier überflüssiger Lernballast. Methodisch aufwendiger wird es dort, wo die herkunftskulturellen Handlungsmodelle und Sprechstrategien nicht übertragbar sind. Ein ungerichtetes Nebenbei-Lernen wird unter künst- lichen Lernbedingungen hier kaum etwas bewirken, noch weniger explizite Erklärungen. Diebetreffende Funktion, so sie denn im Lehrplan unverzichtbar ist, muss akzentuiert erarbeitetund eingeübt werden. Einer der möglichen Wege dazu soll im Folgenden skizziert und anhandeiniger Übungen exemplifiziert werden; Abkürzungen des vorgeschlagenen Lernwegs sindmöglich. Ausgangspunkt ist ein funktional stimmiger Filtertext. Im einfachsten Fall würde man einen Filtertext zugrunde legen, der hinsichtlich der sprachlichen Einzelheiten (Aussprache, Gram-matik, Wortschatz) bereits erarbeitet ist. Dieser Filtertext wird nun hinsichtlich seiner funkti-onalen Bedeutung, in Umkehr der V orgehensweise bei der sprachbezogenen Analyse, vom 171Ganzen zum Teil hin analysiert: bezüglich Gesamtintention und Wirkung, Gliederung und Kohärenz, der Kohäsionsmerkmale, der expressiven Mittel. Nehmen wir als Beispiel denLehrbuchtext oben: •Zunächst wäre die Globalfunktion des Textes zu ermitteln und in eigenen Worten zu beschreiben ( „Was möchte die Anruferin erreichen?“ ). •Im zweiten Schritt wären die obligatorischen ( „auf einen Anruf reagieren und höflich nach den Wünschen fragen“, „einen Termin vorschlagen“ etc .) und fakultativen Teile des Handlungsrezeptes ( „kurz unterbrechen, um den Terminkalender zu suchen“ etc .) zu identifizieren. Dafür könnte man zunächst das entsprechende herkunftskulturelleRezept entwickeln ( „Sie möchten einen Termin beim Arzt vereinbaren und rufen dort an. Wie läuft ein solches Telefongespräch denn üblicherweise bei uns ab?“ ). •Diese Beschreibung, vielleicht in Form eines einfachen Flussdiagramms, dient im folgenden Schritt als Folie zur funktionalen Analyse des fremdsprachlichen Textes. Eventuelle Abweichungen in den ziel- und herkunftskulturellen Handlungsplänen fallenjetzt sofort auf; hier könnte und müsste gegebenenfalls landeskundliche Informationeinfließen. •Erst wenn in diesem Sinne die Handlungsstruktur identifiziert ist, lässt sich der folge- richtige Aufbau des Filtertextes ( Kohärenz ) beurteilen. Authentische Texte sind per se kohärent (denn in der kommunikativen Praxis beruht der Dialog auf übereinstimmendenHandlungsrezepten; die Sprecher vermeiden Unbestimmtheit und klären Missverständ-nisse). Im Gegensatz dazu mangelt es typischen Lehrbuchtexten oft an der erforderli-chen Kohärenz (unmotivierte Strategiewechsel, Versprachlichung von Selbstverständ-lichkeiten, mangelnde Aufklärung von Unbestimmtheit in den Entscheidungspunkten, zuwenig Redundanz etc.). Im Unterricht für Fortgeschrittene wäre hier der didaktische Orteiner tiefergehenden Gesprächsanalyse (Auffassen der rhetorischen Merkmale typischerDialogstrukturen, etwa der eines reaktiven Dialogs). •Hat man in groben Zügen erarbeitet, was der Text als ganzer leistet und wie die Textteile zu dieser Leistung beitragen, so kann man im nächsten Schritt Handlungsfunktion und Redemittel begründet zuordnen. Zur Beschreibung der Handlungsfunktionen benutztman die Eintragungen im Flussdiagramm. Die entsprechenden Exponenten werden imText aufgesucht, markiert, exzerpiert und tabellarisch geordnet. Dabei wird sich erge-ben, dass die Wahl der Redemittel verschieden stark durch den Kontext motiviert ist.Für die Gesprächseröffnung am Telefon oder die Aufforderung, einen Augenblick zuwarten ( hang on .. ), ist die Auswahl begrenzt; hier würde man eher die Reproduktion fester Wendungen erwarten. Für den Austausch der inhaltlichen Information ist dieBandbreite der sprachlichen Optionen größer. Hier bedienen sich die Gesprächspartnernicht mehr fester Wendungen, sondern sie produzieren ihre Redemittel, indem sie sich bestmöglich auf Handlungsintention, Gesprächspartner und Gesprächsverlauf einstellen.Redemittel der zweiten Kategorie sind für den Gesprächsverlauf wichtiger. •Die Wahl der Redemittel hängt auch von der sprachlichen Umgebung ab: Zum Beispiel fängt man nicht jeden Satz gleich an, vermeidet Wiederholungen, gebraucht vielleicht Abkürzungen, Ellipsen, Verzögerungslaute, bezieht sich im Satzbau auf den sprachli-chen Kontext (z.B. durch Wahl der Pronominalformen). Ein Text, der in diesem SinnKohäsion des sprachlichen Ausdrucks aufweist, ist mehr als die Abfolge fester Wendun- 172gen: Jeder Teil des Textes ist mit dem vorangehenden und nachfolgenden verflochten. Reduziert man einen authentischen Text auf seine „Kernaussagen“ (wie es die Arbeits-anweisung im Beispiel oben vorsieht), so beraubt man ihn seiner Kohäsion. Da manman bei der Analyse unmöglich auf alle Kohäsionsmerkmale zugleich achten kann(vieles muss dem intuitiven Erwerb und Erstsprachentransfer überlassen bleiben), würdeman vielleicht zunächst nur eines dieser Merkmale herausgreifen – oder diesen Schrittganz auslassen. •Wichtig für die funktionale Analyse ist außerdem die Wahl der expressiven Mittel, der paralingual (Intonation, Betonung, Lautstärke, Stimmlage etc.) und extralingual (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Nähe etc.) übermittelten Botschaften. Da eine solcheAnalyse authentische Ton- und Videomaterialien voraussetzt, wird man auf Fortschrittedes Fremdsprachenunterrichts hier noch warten müssen. Die funktionale Analyse setzt sprachliches und außersprachliches Handeln, Intentionen und Wirkungen in Beziehung. Da sie recht komplex ist, wird man ohne ein gehöriges Maß andidaktischer Reduktion viel Verwirrung stiften. Am besten wählt man für die funktionaleAnalyse daher immer nur einen oder zwei Aspekte aus. Wenn alles richtig läuft, versteht derLerner nun die kommunikative Funktion bestimmter Redemittel im gegebenen Gebrauchs-zusammenhang. Dieses Wissen ist jedoch nicht identisch mit entsprechendem Können in ana-logen Handlungskontexten. Unverzichtbar ist darum auch hier der Schritt hin zum prakti-schen Üben. Im Folgenden eine kurze Auswahl aus der Palette möglicher Übungsformen;kaum etwas davon findet sich bisher in kommunikativen Lehrwerken: •Eine der wichtigsten Übungen besteht darin, die Exponenten, die zu den erarbeiteten Funktionen passen, im Filtertext suchen zu lassen (vgl. auch BAHNS, SIBILIS 1992): „Was sagt man auf Englisch, um den Gesprächspartner zu unterbrechen?- Suchen Siedrei Beispiele.“ •Man gibt das Gesprächsrezept metasprachlich etwa in Form eines Flussdiagramms vor sowie eine ungeordnete Liste mit Redemitteln. Aus dieser Liste sind jeweils die passen- den Exponenten auszuwählen ( matching practice ) und in das Flussdiagramm einzufü- gen (Dialogrekonstruktion). Statt des Flussdiagramms mit der Dialogstruktur könnteman hier auch eine gut strukturierte Bildergeschichte benutzen. •Wesentlich schwieriger wird diese Übung, wenn man nicht das fertige Rezept, sondern lediglich Situation, handelnde Personen, die Globalintention und die Liste der Exponen- ten vorgibt; die Aufgabe bestünde wiederum darin, einen sinnvollen Dialog zu rekonst-ruieren. Um die Aufgabe lösen zu können, muss man sich das Handlungsrezept verge-genwärtigen (Flussdiagramm!), die Handlungsoptionen passend auswählen und dann dieentsprechenden Exponenten zuordnen. •Wenn man im gleichen Übungsdesign pro Handlungsoption mehrere Exponenten zur Auswahl anbietet und die Lerngruppe auffordert, jeweils die vermeintlich wirksamste Ausdrucksform in den Dialog zu importieren, so hat man ein ebenso einfaches wieeffektives Lernarrangement zur Schulung des „Sprachgefühls“. Die Lösungen werdenindividuell oder in Kleingruppen erarbeitet, anschließend verglichen und hinsichtlichihrer Wirkung in der gegebenen Gesprächssituation beurteilt. Die Gruppe entscheidetsich für die beste Gesamtlösung (Montagetechnik); der Kursleiter hält sich zurück undfungiert als Schiedsrichter. Durch die Montagetechnik wird der Lerner von den Proble- 173men der Sprachproduktion entlastet (inhaltliche Planung, Wortfindung, Versprach- lichung etc.); er kann sich ganz auf die Wahl der besten Exponenten im Spektrum dervorgegebenen Alternativen konzentrieren. Ohne eine solche Entlastung von Formu-lierungsproblemen ist der Lerner meistens schon zufrieden, wenn er die Informationüberhaupt irgendwie „rüberbringt“. •Durch die Montagetechnik entsteht zwar ein kohärenter Text, aber meistens erhält man zunächst kaum mehr als eine Addition unverbundener Textbausteine: Es fehlt an sprach- licher Kohäsion. In einem zweiten Bearbeitungsdurchgang wäre der gefundene Dialogdaher im Hinblick auf wichtige Kohäsionsmerkmale zu optimieren (Pronominalformen,Gestaltung der Sprecherwechsel, Satzanfänge, Wiederholung, Redundanz, Verkürzungetc.). Es versteht sich, dass die Messlatte hierbei nicht zu hoch liegen darf. DieKohäsionsmerkmale, auf die die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll, werden zunächstim Filtertext gesucht und anhand einiger Beispiele analysiert. Zur weiteren Einübungeignet sich eine matching practice (Verbindung zweier Satzhälften) oder, deutlich anspruchsvoller, ein Lückentext. •Im nächsten Schritt der Übungsfolge könnte man bei der V orgabe des Handlungs- rezeptes die Liste der Redemittel ein wenig „ausdünnen“ oder auch einzelne Exponenten nur in Teilformulierung vorgeben. Der Lernende findet damit zwar noch ein Handlungs-geländer vor, er kann sich jedoch nicht mehr auf reine Textmontage beschränken, mussvon sich aus einiges beisteuern, selbst Formulierungen finden oder vorgegebene Formu-lierungen durch eigene, bessere ersetzen. Eine Variante dieser Übungskonstellationfindet sich in den Testformen der Prüfung zum VHS-Zertifikat ( questions on everyday situations ): A man steps on your foot and apologizes. What do you say to him? Die V orgabe beschränkt sich auf die Beschreibung der Handlungssituation; die passende Reaktion muss selbst gefunden werden. Es sind Minimalantworten in Form einer festen Wendung denkbar ( that’ s all right ), aber natürlich auch ausführlichere, eigenständige Formulierungen mit gleicher Funktion. Durch entsprechende Anweisungen kann mandas Formulierungsproblem leichter oder schwieriger gestalten. ( „Jemand fragt Sie nach dem Weg nach … . Geben Sie eine kurze Beschreibung, machen dabei aber deutlich,dass Sie nicht sicher sind.“ ) Ist die Übung in dieser Form zu schwer, könnte man zur Vorentlastung einige Satzbeispiele in der gewünschten Weise umformulieren lassen(expressing uncertainty ). Kann bei der Formulierung nicht mehr auf feste Wendungen zurückgegriffen werden, so wird hier die Grenze von der sprachbezogenen zur inhaltsbezogenen Übungsform überschritten. Die Lösung der Aufgabe verlangt die Synthese verschiedener Teilhandlungen, wobei die ein-zelnen Teilhandlungen die kognitiven Ressourcen nicht zu stark binden dürfen; mit anderenWorten: der Wortschatz, die notwendige Grammatik, die Aussprache müssen hier bereits inhinreichend automatisierter Form zur Verfügung stehen, sonst wird aus der Suche nach derpassenden Formulierung ein quälendes Puzzlespiel. Dazu abschließend ein Übungsbeispiel, das im Grenzbereich von Sprachbezug und Inhalts- bezug liegt: 174Context practice: In einem Telefongespräch beschreibt Mr Thomsen einem Geschäftsfreund aus dem Ausland, wie man mit dem Zug von London aus zu seinem Wohnort kommt. Orientieren Sie sich an den folgenden Vorgaben und sprechen Sie den Dialog: Geschäftsfreund Mr Thomsen Bahnhof Where can I …. ? You can get a train from … Bahnsteig Which platform …? Trains leave from … Häufigkeit How many trains …? There’s one train an hour/ a day. // There are … Abfahrt When …? Trains leave … at … Ankunft What time … ? … arrive in … at … Zugtyp What kind of …? There’s a fast/ slow train at … Fahrpreise How much …? A first class single/ return ticket costs Fahrzeit How long …? The journey usually takes .. Speisewagen … buffet/ restaurant car? … on the train … Umsteigen (Where) do I have to change? You have to change at … to get to … (…) (…) (…) Quelle: adaptiert nach Follow me, B2: 13 Wortschatz und Grammatik sollten hier keine größeren Hürden mehr sein. Das Übungsziel besteht darin, das Handlungsgerüst mit passenden Redemitteln „abzuarbeiten“. Der Sprecher-rollen werden aufgeteilt; die Vorgaben des Gesprächspartners im Lehrbuch werden abge-deckt (damit man gezwungen ist, auf die Antwort zu achten). Stärkere Lerner können dieÜbung bei geschlossenen Büchern bearbeiten (das Handlungsgeländer steht dann an der Ta-fel), schwächere Lerner bedienen sich beim Sprechen ihrer Rolle nach Bedarf aus der Listeder Redemittel. 4.2.3 Integration und Sprachsynthese Die Integrationsphase ist der dritte Lernschritt zur Konstruktion der Lernersprache. Ich wie-derhole kurz. Der erste Schritt (Sprachaufnahme) dient der Auffassung des Sprachinput undder Bildung erster Arbeitshypothesen, wobei vielfach noch die Erstsprache den Bezugsrahmenliefert. In der anschließenden Phase der Sprachverarbeitung wird der Input analysiert, mitvorhandenem zielsprachlichem Wissen in Beziehung gesetzt und für den Intake in das subjek-tive Modell der Zweitsprache aufbereitet (Tiefenverarbeitung). Oft erfordert dieser Lern-schritt eine gewisse Isolation der Fragestellungen, zum Beispiel die Fokussierung auf einsubjektiv schwieriges grammatisches oder funktionales Problem, und entsprechend könnendie praktischen Übungen nur der Bildung von Wissensinseln und Teilroutinen dienen. Daherspricht man hier von „sprachbezogenen“ bzw. „vorkommunikativen“ Lern- und Übungs-formen ( LITTLEWOOD 1992, 1994b). In der anschließenden Lernphase (Integration) werden die sprachlichen Teilbedeutungen zu einer synthetischen Gesamtbedeutung zusammengeführt (vgl. KLEIN 1986). Die Gesamt-bedeutung ergibt sich nicht aus der Abfolge der Teilbedeutungen im Satzgefüge; sie entstehtnicht linear, analog dem Leseakt vom Teil zum Ganzen, sondern sie wird holistisch gebildet vom Ganzen zum Teil durch semantische Reorganisation und sinnverstehende „Zusammen-schau“ aller Teilbedeutungen. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit des kompetenten Spre-chers nicht mehr auf die Sprache, sondern vorrangig auf den durch Sprache transportierten 175Ideengehalt, den er zum vorhandenen Wissen top-down in Beziehung setzt. Entsprechend entnimmt der kompetente Sprecher dem Sprechakt im Normalfall nicht bottom-up die Einzel- heiten der sprachlichen Aufbereitung und „Verpackung“ des Ideengehalts, sondern nur denIdeengehalt selbst, die Mitteilung . Schwierig zu verstehen ist dabei, dass man den Ideengehalt nicht an einzelnen Sprachmerkmalen oder Bedeutungsdimensionen festmachen kann, an Schlüsselwörtern, syntaktischen Struktu-ren oder dem außersprachlichen Kontext. Jede dieser Bedeutungsdimensionen kann in derSynthese führend sein. Zum Beispiel kann die funktionale Bedeutung die verbale Aussage soüberlagern, dass eine neue Gesamtbedeutung entsteht: Der Sprecher sagt, „it’ s hot“ , und meint, „open the window“ . Bei der Synthese der Teilbedeutungen wechselt der Lerner die Perspektive: Die Aufmerksamkeit gilt nicht länger den Merkmalen des sprachlichen Kode,sondern vorrangig dem Inhalt der Mitteilung. Sprache ist nicht länger Objekt und Lern-gegenstand, sondern wird zum Instrument . Die sprachliche Form der Mitteilung verblasst beim Sprechen schon wenige Sätze weiter. Das erklärt auch, warum alle Versuche, eine Spra-che en passant durch Sprechen, Buchlektüre oder Fernsehen lernen zu wollen, nur begrenz- ten Erfolg haben: Die Aufmerksamkeit des Sprachbenutzers richtet sich primär auf den Ideen-gehalt, nicht auf die Redemittel. Auch der Muttersprachler verbessert seine Sprachkompetenzallein durch Sprech- oder Lesepraxis kaum. Der ältere Fremdsprachenunterricht schenkte den Problemen der Umsetzung von Sprache in Denken (Dekodierung) bzw. von Denken in Sprache (Enkodierung) viel zu wenig Beachtung.Er überließ die Planung entsprechender Lernschritte („Transferphase“) mehr oder wenigerdem Problembewusstsein und der Improvisationskunst des Lehrenden. Ein Stichwort „Integra-tion(sphase)“ fehlt sowohl in dem älteren Reallexikon der englischen Fachdidaktik (SCHRÖ-DER, FINKENSTAEDT 1977) wie auch in dem neueren Handbuch Fremdsprachenunterricht(BAUSCH u.a. 1989). In letzterem kommt der Terminus „Synthese“ nicht einmal im Schlag-wortverzeichnis vor; der entsprechende Sachverhalt wird unter einem anderen Stichwort eherkurz und unsystematisch behandelt (PAUELS 1989). Während es viele Publikationen zurPräsentationsphase oder zur Grammatikvermittlung gibt, muss man qualifizierte Darstellun-gen der Sprachsynthese quasi mit der Lupe suchen. Auch in der Unterrichtspraxis wird viel Wert auf die Präsentation gelegt, eine Flut von Bildern, Realien, szenischen Darstellungen,Entspannungstechniken kommt ins Spiel, aber der ungleich wichtigere Schritt zur Integrationder einzelnen Sprachbausteine und Wissensinseln im Lernerbewusstsein bleibt eher zufällig. Mit dem Problem der Synthese alleingelassen, sind schwächere Lerner von sich aus kaum in der Lage, integratives Sprachkönnen zu entwickeln; sie verharren dort, wo die Methode stehen-bleibt, in analytisch-vorkommunikativen Lernstadien. Gerade hier liegt einer der wichtigstenUnterschiede zwischen dem Fremdsprachenunterricht und dem natürlichem Spracherwerb.Im natürlichen Spracherwerb dominieren von vornherein die synthetisch-ganzheitlichen Lern-formen, denn im praktischen Leben ist Sprache vorrangig ein Instrument der Mitteilung,Sprachbetrachtung bleibt eher die Ausnahme. Wer Sprachen auf natürlichem Wege lernt,wird daher mit der Synthese nie Probleme haben, eher wird er mit bestimmten Defizitenseiner Grammatik, Lexik und Phonetik leben müssen. Wer Sprachen auf künstlichem Wegelernt, hat das umgekehrte Problem: Er erwirbt brauchbare Grammatikkenntnisse, aber mitseinen Fähigkeiten zu intentionalem Sprachgebrauch ist oft wenig anzufangen.UnterUnterrichtsbedingungen ist daher unverzichtbar, dass die Fähigkeiten des Lernenden zurSprachsynthese nicht zufällig entstehen, sondern dass sie geplant und methodisch entwickelt 176werden. Für die Praxis heißt das: Man arbeitet nicht nur „sprachbezogen“ an bestimmten Merkmalen des zielsprachlichen Kode, sondern man übt stets auch unter Verwendung bereitsangeeigneter Elemente dieses Kode die Umsetzung von Ideen in Sprache (und umgekehrt vonSprache in Ideen) anhand geeigneter mitteilungsbezogener Aufgabenstellungen (vgl. schon BLACK/BUTZKAMM 1977, VIELAU 1979a). Damit mitteilungsbezogen gelernt werden kann, gibt es einige V oraussetzungen. Bevor sprach- liches Wissen genutzt werden kann, muss es intern konstruiert und in Teilroutinen gefestigtwerden. Erst wenn ich ein Werkzeug besitze und seine Handhabung zumindest leidlich ver-standen habe, kann ich es für praktische Zwecke benutzen. Treten aus der Sicht des Lernen-den im Übungsaufbau zu viele Probleme zugleich auf (neue Grammatik, neue V okabeln,Ausspracheprobleme), so kommt es schnell zu einer Überlastung der kognitiven Ressourcen:Die Synthese der Teilhandlungen stockt, bevor sie richtig begonnen hat. Die Integration kannnur gelingen, wenn die sprachlichen Teilhandlungen einigermaßen flüssig (verkürzt um be- wusste Komponenten) ablaufen. Außerdem sollten die sprachlichen Elemente schon einengewissen Grad der Verallgemeinerung erreicht haben. Nur wenn ich bei dem Wort table nicht mehr mehr das Anschauungsbild eines einzelnen, speziellen Tisches im Kopf habe, kannich mit dem Begriff frei operieren und ihn auf auf potenziell jeden Tisch anwenden. Insofern sind Lernformen wenig sinnvoll, die zu enge Assoziationen zwischen Signifikant und anschaulicher V orstellung begünstigen (z.B. bildgesteuertes V okabellernen). Schließlichsollte ein gewisses Maß an innerer Organisation in der Lernersprache erreicht sein; sie muss intern zu einem (wenn auch vorläufigen und fehlerhaften) System verknüpft sein. Nur sokann die Mitteilung aktiv gestaltet und verändert werden – also z.B. eine verneinte Antwortnicht nur in der ersten, sondern auch in der dritten Person gegeben werden. Schon ein gerin-ger Umfang der Lernersprache, gut ausgewählt, intern gut organisiert und vernetzt, inTeilroutinen aktiv verfügbar, erlaubt eine Vielzahl von Mitteilungen; man vergleiche dasAusdruckspotenzial von Zwei-Wort-Sätzen beim Erstsprachenerwerb des Kindes. Wie also ist der Wechsel der Arbeitsperspektive vom sprachbezogenen Lernen hin zum mittei- lungsbezogenen Anwenden unterrichtspraktisch zu bewerkstelligen? Ist eine mitteilungs-bezogene Übung bereits identisch mit kommunikativem Sprachgebrauch? Während in derPraxis hier sicher manches überlappt und ineinander übergeht, ist es aus methodischer Sichtzweckmäßig, die einzelnen Lernschritte zu trennen und auch terminologisch klar voneinanderzu unterscheiden. Bei der mitteilungsbezogenen Übung steht das Problem der Sprachsynthese im Zentrum: Es geht um die angemessene Versprachlichung einer Mitteilung und damit zunächst um die loka-le Integration der sprachlichen Teilprozesse (Wortfindung, Satzbau, Aussprache, Sprachfunk- tion). Typischerweise werden in Übungen dieser Art die Inhalte vorentlastet: Der Lerner kannsich bei der Sprechplanung auf V orgaben stützen, die für ihn die Funktion eines Hand-lungsgeländers haben. Bei kommunikativen Übungen liegt der Akzent dann mehr auf dem Zusammenspiel von globaler und lokaler Planung, auf dem Erreichen bestimmter Handlungsziele unter realitäts-nahen Bedingungen und der Optimierung der Verständigung. Die Übungstypologie für dasFremdsprachenlernen im Unterricht baut sich daher wie folgt auf: 177Funktion im Lernprozess Übungstyp/ Tätigkeit Wissen bilden: 1. Problem auffassen (Beispiele sammeln, Exponenten markieren) Ziel: aktive Konstruktion 2. Problem isolieren/ analysieren von Wissensinseln (Exponenten ordnen, vergleichen, Merkmale bestimmen) Übungsform: 3. Arbeitshypothese bilden/ benennen/ sprachbezogene „Fachetikett“ zuordnen Übungen 4. Arbeitshypothese testen 5. Lösung elaborieren/ einüben/ automatisieren Wissen verbinden: 6. Teilroutinen aus verschiedenen Bereichen (Aussprache, Wortschatz, Ziel: Synthese der Grammatik, Funktion) zusammenführen Wissensinseln zurInterlanguage 7. Wissen integrieren / Vorrang der lokalen Planung Übungsform: mitteilungsbezogeneÜbungen Wissen anwenden: 8. Sprachanwendung in kommunikativen Zusammenhängen/ Vorrang der Ziel: Sprachgebrauch globalen Planung: flüssig, korrekt, – Hörverstehenangemessen, expressiv – Sprechen – Leseverstehen Übungsform: – Schreiben kommunikativeÜbungen 9. Sekundäre kommunikative Fertigkeiten: Übersetzen, Vortragen etc. Die mitteilungsbezogene Übung bildet somit eine Brücke zwischen dem sprachbezogenenund dem kommunikativen Lernen; nur gute Lerner können ohne diese Brücke auskommen.Bei schwächeren Gruppen sollten Aufgaben dieser Art einfach und überschaubar gehaltenwerden (bekannte, ökologisch valide Situationen, kein Zeitdruck). Um das Prinzip zu verdeut-lichen, zunächst ein Beispiel aus einem älteren Lehrwerk: Improvisation/ About you: Erzählen Sie jemandem von Ihrer letzten Zugreise. Ihr Sprechpartner kann Sie unter- brechen, um Fragen zu stellen. Anschließend tauschen Sie die Rollen. Berichten Sie, a) wohin Sie gefahren sind und wann das war; b) von wo Sie abgefahren sind; c) wann der Zug abgefahren ist und von welchem Bahnsteig; d) ob es ein Schnellzug oder ein Personenzug war;e) ob Sie 1. oder 2. Klasse gefahren sind; 178f) wieviel die Fahrt gekostet hat; g) wie lange die Fahrt gedauert hat; h) ob Sie umsteigen mussten (und wo);i) wann Sie angekommen sind. Quelle: nach Follow me, B2: 13 Das Übungsdesign (Handlungsgeländer auf Deutsch?) soll hier weniger interessieren. Wich- tig ist der Übungsinhalt: Die Lerner operieren mit vorgegebenen Ideen; sie können sich ganzauf das Problem der Enkodierung/Dekodierung der entsprechenden Äußerungen konzentrie-ren. Das Handlungsgeländer ist noch sehr kleinschrittig; das hat den V orteil, dass die Rede-mittel, die zur Lösung der Aufgabe erforderlich sind, überschaubar bleiben. So ist sicherge-stellt, dass die Aufgabe im Rahmen der Möglichkeiten der Lernersprache zu bewältigen ist. Die Schwierigkeit der Übung kann verändert werden, indem man inhaltlich weniger vorgibt und mehr Spielräume für aktive Ergänzungen öffnet (gut geeignet ist hier zum Beispiel dieVersprachlichung von Bildergeschichten). Bewährt haben sich auch einfache Flussdiagram-me zur Veranschaulichung der Dialogrollen; schwächere Lerner haben sonst oft Problememit dem Sprecherwechsel: Mrs Miller, where from? \ Bristol, England. / now, live? \ know, not. (sorry) 4.3. Der Gebrauch der Lernersprache Während vorkommunikative Lernschritte und Übungsformen immer schon Gegenstand fach- didaktischer Betrachtung waren und vergleichsweise leicht zu beschreiben sind, fehlt es inder fachdidaktischen Literatur häufig an einer klaren V orstellung dessen, was unter kommu-nikativen Handlungen – und entsprechend unter kommunikativen Lernformen – zu verstehenist. Dass Wortschatz- und Grammatikkenntnisse, selbst die Fähigkeit zur integrativen Ver-sprachlichung von Mitteilungen, noch nicht identisch sind mit „Kommunikationsfähigkeit“,ist inzwischen zwar fast ein Gemeinplatz – aber was folgt praktisch daraus? Wo liegt die neueQualität „kommunikativer“ Lernformen? Aus der Sicht des Lerners dient die erste Makrophase vorrangig der Konstruktion einer Wissens- basis. Entsprechend wird primär datenorientiert ( bottom-up ) gelernt. In der zweiten Makro- phase wird nun der Gebrauch dieser Wissensbasis für kommunikative Zwecke eingeübt:Wissensabruf und -anwendung ( top-down ) rücken in den V ordergrund. Insofern sind die Lern- phasen logisch aufeinander bezogen und ergänzen sich; wichtig ist der Wechsel der Verarbei-tungsrichtung, der Vorrang der Globalplanung beim kommunikativen Lernen: Der Lernpro- zess kann sich auf diese Weise der realen kommunikativen Handlung annähern. Aus derProzessanalyse kommunikativer Handlungen lassen sich weitere Merkmale für kommunika-tive Lernformen ableiten. Hier zunächst wieder ein Beispiel: 179(Gespräch an der Hotelrezeption …) – Messieurs-Dames. + Bonsoir, Monsieur. Nous avons reservé deux chambres. – C’est à quel nom, s’il vous plaît? + Nodier et Scholz. – Merci, Madame. Ah, voilà, j’ai trouvé. Alors, vous avez une chambre avec un grand lit avec salle de bains et une chambre à un lit avec douche. + Euh …, nous avons réservé les deux chambres avec douche. – Je suis désolé, Madame. Nos chambres avec un grand lit sont avec salle de bains. + Bon, ça ne fait rien. Quel est le prix du petit déjeuner? – 30 francs. Vous restez combien de temps? Ce n’est pas noté ici. + Deux nuits. – Parfait. Voilà vos clés. La chambre 23 donne sur la rue et la 25 donne sur la cour. + Merci bien. – (…)- Euh … je regrette, ce n’est pas possible, l’ascenseur est en panne. + C’est embêtant, mais les escaliers c’est bon pour la santé, n’est-ce pas? Quelle: Rendez-vous 1 (Cornelsen), Neue Ausgabe, 9, A1a Um als Lernender einen solchen Kurzdialog an einer Hotelrezeption führen zu können, sind über das Sprachwissen hinaus bestimmte kommunikative Fähigkeiten erforderlich. Offen-sichtlich ist zunächst der Aspekt der Flüssigkeit : Kommunikative Handlungen laufen in „Echt- zeit“ ab, ohne allzu lange Denkpausen, Verzögerungen oder Rückgriffe auf eine Metaspra-che. Wer die Information nicht simultan aufnehmen kann, scheitert an der Aufgabe. Ein sol-cher Grad der Flüssigkeit ist nur durch ein akzentuiertes Training der angestrebten Fertigkeitzu erreichen: Wer beim Hörverstehen Probleme hat, muss gezielt das Hörverstehen schulen;und eine Verbesserung der Sprechgeschwindigkeit impliziert nicht automatisch auch eineVerbesserung des Leseverstehens. Schon unter diesem Gesichtspunkt ist es daher erforder-lich, dass die Fertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben und ggf. Übersetzen gezieltund akzentuiert unterrichtet werden. Jede kommunikative Handlung findet in einem spezifischen Kontext statt: Handlungsort (Hotel- rezeption), Handlungszeit, handelnde Personen (Gäste / Hotelangestellte). In vielen Fällenmotiviert der Kontext das Handlungsrezept (hier: Belegung der gebuchten Zimmer), damitdie Sprechstrategien und die wechselseitigen Erwartungen an den Gesprächsverlauf. DieÄußerungen müssen nicht nur sprachlich korrekt sein, sondern sich angemessen in den Handlungskontext einfügen und hinreichend expressiv sein, um die Verständigung zu si- chern. In einer authentischen Gesprächssituation gehen die handelnden Personen unbewusstvon einem bestimmten metakommunikativen V orverständnis aus: Es wird erwartet, dass sichder Gesprächspartner symmetrisch, kooperativ, kompetent und intentional verhält. Das heißt, •dass er nicht nach Dominanz trachtet; •dass er auf den anderen eingeht; •dass er meint, was er sagt, nicht täuscht oder hintergeht; •dass er ausdrücken kann, was er sagen will, und dass er weiß, wovon er redet; •dass er im Gespräch in transparenter Weise Ziele verfolgt und legitime rhetorische Mittel einsetzt, um die Handlungsziele zu erreichen. 181keine Rolle mehr spielt. Aus methodischer Sicht am besten geeignet sind authentische Plateau- texte : Ein solcher Text liegt auf dem Wissensplateau (oder nach dem übergreifenden Input- Prinzip „I + 1“ geringfügig darüber), das dem aktuellen Stand der Lerngruppe entspricht. Inder kommunikativen Lernphase steht der Gebrauch des Wissens im V ordergrund, nicht dasDazulernen im Sinne einer Erweiterung der stofflichen Wissensbasis. Eine erleichternde Be-arbeitung authentischer Texte ist daher kein Sakrileg, sondern durchaus zweckmäßig undempfehlenswert. Sinnvoll ist auch die Arbeit mit lernereigenen Texten , die ja quasi von selber die Merkmale eines Plateautextes haben. Wenig geeignet sind auch unter diesem Ge-sichtspunkt literarische Texte, da diese Textsorte durch jeden Eingriff wesentlich an Authen-tizität einbüßt. Hier noch einmal in einer Zusammenschau die wichtigsten Anforderungen an die Material- basis und das Lernarrangement. Kommunikatives Lernen setzt voraus, •dass ein kontextuell stimmiges Handlungsrezept und eine entsprechende Globalplanung des Gesprächsverlaufs existiert; •dass sich die Beteiligten über ihre Handlungsabsichten klar sind; •dass sie V orstellungen vom Handlungsablauf und den Unbestimmtheitsstellen(information gaps) haben; •dass die Beteiligten vorher nicht wissen, was der Gesprächspartner sagen wird; •dass die Beteiligten den Gesprächsverlauf ständig im Blick auf die gewünschten Ergeb- nisse evaluieren (also zum Beispiel nachfragen, wenn die erhaltene Information nicht ausreicht, die Unbestimmtheit im Handlungsplan aufzulösen), den Gesprächsfortschrittbeurteilen, ggf. ihre Gesprächsstrategien überprüfen und im Blick auf die Handlungs-ziele optimieren; •dass die kommunikative Handlung flüssig, kohärent und ergebnisorientiert abläuft; •dass die gewählte Sprachebene (formell/ informell) zum Kontext passt; •und dass die metakommunikativen Konventionen der Gesprächsführung beachtet werden. In dieser abstrakten Form klingt das vielleicht schwierig. Man wird sich jedoch überzeugen können, dass der Beispieldialog oben (wie jeder authentische Text) Punkt für Punkt solchenAnforderungen entspricht. Im Gegensatz dazu hält vieles, was im Fremdsprachenunterricht als „Kommunikationsübung“ bezeichnet wird, einer solchen didaktisch-methodischen Analyse nicht ansatzweise stand. ImVerlagsprospekt zu dem Lehrwerk „ Face à face , Materialien zur Partnerarbeit“ (Klett) wird das Übungskonzept dieses Lehrwerks wie folgt beschrieben: Die häufigsten Übungstypen sind Tandem- und Partnerbögen; sie sind so angelegt, dass immer ein Gespräch geführt wird, wobei der eine Partner die Impulse, der andere die Antworten gibt, oder es wird wechselseitig verfahren. Dabei kontrollieren sich die Schüler-innen und Schüler selbst, da die erwartete Antwort bzw. der korrekte Impuls dem jeweiligen Partner vorliegt. Der Vorteil dieses Verfahrens: alle Schülerinnen und Schüler arbeiten gleichzeitig. Ohne die Gefahr unkontrollierter Fehlerproduktion erhöht sich damit diesprachliche Aktivität jedes Einzelnen um ein Vielfaches. (o.O.) Dass ein dumpfes Nachplappern vorgegebener Dialoge, bei dem der Fragende die Antwort jeweils fertig vorliegen hat, vom Ergebnis her zwar etwas entfernt Kommunikationsähnliches 182hervorbringt, aus prozessualer Sicht für die Übung kommunikativer Fertigkeiten jedoch nichts leistet (und obendrein tödlich langweilig ist), scheint den Autoren nicht bewusst zu sein. Diewichtigsten Fehler im Übungsdesign: Es fehlt an Kontextualisierung, Globalplanung undErgebnisorientierung; nur wenn die Information verteilt ist, entsteht ein Motiv zu fragen undein Interesse an der Antwort; die Evaluation bezieht sich nicht auf den Gesprächsfortschritt(also auf den Inhalt der kommunikativen Handlung), sondern allein auf die korrekte Imitationder vorgegebenen sprachlichen Oberfläche; Übungsaktivität im Sinne einer realitätsnahenund selbstständigen Interaktion findet nicht statt, nicht einmal übrigens im Sinne einer ver-nünftigen vorkommunikativen Übungshandlung. Ein Übungsdesign also, wie es katastropha-ler kaum sein könnte – aber leider keineswegs untypisch für vieles, was unter kommunikativerFlagge publikationswürdig dahinsegelt. Lehrmaterialien dieser Art lassen sich mit vertretbarem Aufwand verbessern, wenn man kei- ne fertigen Dialoge vorgibt, sondern nur die Situation und komplementäre (sich ergänzende)Aufgabenstellungen , die im Rahmen der sprachlichen Möglichkeiten der Lerngruppe bewäl- tigt werden können ( task orientation ). Denn wenn für Informationsverteilung und Ergebnis- orientierung gesorgt ist, entsteht fast von selber ein kommunikatives Lernarrangement. Druck-technisch bewerkstelligt man das am einfachsten, indem die komplementären Aufgaben anverschiedenen Stellen im Lehrbuch (zum Beispiel vorne und im Anhang) abgedruckt werden. Während die vorkommunikativen Übungen in höherem Maße vom Lehrer her kontrolliert und gesteuert werden (müssen), dürfen kommunikative Übungen im Ablauf nicht unterbro-chen oder gestört werden: Die Feinsteuerung des Gesprächsablaufs im Zusammenspiel vonGlobal- und Lokalplanung ist ja genau das, was in dieser Phase erlernt werden soll. Insofernsoll der Lernende hier keine festen, fertig vorgegebenen Muster fehlerfrei reproduzieren, son-dern er soll innerhalb eines gegebenen Gesprächsrahmens und innerhalb der Möglichkeitenseiner Lernersprache selbstständig kommunikativ handeln. Dabei soll er auch lernen, •dass man sprachliche Klippen umschiffen kann (Gebrauch von Dekodierungs- und Enkodierungsstrategien, Umwegformulierungen, Strategien der Verzögerung, Vergewisserung, Reparatur etc.), •dass sprachliche Fehler die Kommunikation kaum behindern (Fehlertoleranz), •dass es verschiedene und verschieden wirksame Wege geben kann, an das Handlungsziel zu gelangen, •dass die Verständigung leichter fällt, wenn alle sich aktiv um Kooperation bemühen. Kommunikationsübungen sind produktiv in dem Sinne, dass innerhalb des gesetzten Rah- mens neue, eigenständige Lernertexte und -lesarten entstehen. Der Begriff „kreativ“ (GENZ-LINGER 1980), in der Fachliteratur inflationär für jede nur ansatzweise selbstständige Lerner-tätigkeit missbraucht, sollte hier nicht verwendet werden. Eine kreative Leistung geht überdas hinaus, was in Aufgabenstellung und Lernarrangement angelegt ist: Kreative Leistungensind (zumindest subjektiv) innovativ und originell. Wer hier nicht unterscheidet, verwirrtnicht nur die Begriffe, sondern womöglich auch die Ziele des Fremdsprachenunterrichts:Ohne die Fähigkeit des Lerners zu denkend-produktivem (oder denkend-rezeptivem) Sprach-gebrauch wäre der kommunikative Fremdsprachenunterricht in seinem Kern gescheitert.Kreativität geht über diesen Anspruch hinaus; es ist ein sehr erwünschtes, aber eher zusätzli-ches, fachübergreifendes Unterrichtsziel. 183Echte Kommunikation (der produktiven Art) ist nicht abhängig vom Lernniveau. Sie ist auch mit sehr reduzierten Sprachmitteln möglich: Man denke an die Sprache von Kleinkindern, andie Kommunikation in einer Pidginsprache oder in Esperanto. Unterschiede gibt es in derKomplexität und im Grad der Elaboration der Sprechpläne, in der Expressivität und in denrhetorischen Mitteln; „echte“ kommunikative Lernformen sind jedoch von Anfang an mög-lich und sinnvoll. Nach einer kurzen vorkommunikativen Übungsphase könnte in der erstenUnterrichtsstunde eines Englischkurses der Auftrag etwa so lauten: „Wir bilden jetzt Arbeits- gruppen. Bitte erkundigen Sie sich auf Englisch nach dem Namen und dem Wohnort deranderen, und fertigen Sie einen Sitzplan Ihrer Arbeitsgruppe an.“ Allerdings stellt sich bei Kommunikationsübungen oft das Problem der Ungleichzeitigkeit von Sprechplanung und sprachlicher Ausdrucksfähigkeit: Der Lernende kann sich in derFremdsprache nicht so zu artikulieren, wie es seinem intellektuellen Anspruch und Selbstbildentspricht. Jede selbstständige Äußerung impliziert, stärker als die vorkommunikative Übung,ein Stück Selbstoffenbarung; und bevor man sich durch einen „anspruchslosen“ Beitrag bla-miert oder ein falsches Selbstbild transportiert, schweigt man lieber. Erwachsene haben hiergrößere Probleme als Jugendliche (höherer Affektivfilter!). Auch deshalb ist ein methodischreflektiertes Lernarrangement erforderlich, wenn erfolgreich in kommunikativen Formen ge-lernt werden soll. 4.3.1. Hörverstehen Dass das Hörverstehen eine der wichtigsten Zielfähigkeiten im kommunikativen Fremd-sprachenunterricht ist, steht außer Frage. Was man selber sagen will, kann man sich in Ruhezurechtlegen, man kann verzögern, Umwege wählen, Hände und Füße zu Hilfe nehmen, zurNot aus einem Sprachführer ablesen; dialogfähig ist jedoch nur, wer auch versteht, was derGesprächspartner antwortet. Die von vielen Lernern benutzte Strategie des stillen wortweisenMitübersetzens scheitert unter natürlichen Gesprächsbedingungen meist schon nach wenigenWörtern oder Sätzen: Es geht alles zu schnell, der innere „Datenpuffer“ läuft über und manverliert den Anschluss – selbst wenn alle Wörter bekannt sind. Allerdings ist auch das bei authentischen Hörtexten eher die Ausnahme: In einer natürlichen Gesprächssituation ist es nicht möglich, Art, Inhalt, Umfang oder Schwierigkeit der Hör-information zu beeinflussen. Man muss also wohl oder übel mit dem fertig werden, was dakommt, und zwar in Echtzeit: Der Input wird nicht wiederholt, und visuelle Hilfen gibt eskaum. Insofern ist Hörverstehen ein spontaner, simultaner Akt; einen authentischen Hörtextversteht man sofort – oder gar nicht. Erwachsene reagieren im Fremdsprachenunterricht auf authentische Hörtexte auch nach vie- len Lernjahren oft abwehrend, ratlos, manchmal sogar aggressiv („Müssen die denn so schnell sprechen?“) . Ein besonderes Problem sind längere Texte: Der Hörverstehensteil in den Zertifikatprüfungen ist für viele die schwierigste Klippe in der gesamten Prüfung, sowohlsubjektiv, im eigenen Urteil, wie objektiv, vom erreichten Ergebnis her. Angesichts solcher Erfahrungen muss es überraschen, wenn in der fachdidaktischen Litera- tur immer noch die These vom „rezeptiven Fremdsprachenlernen“ gepflegt wird, wenn sichglobale sprachenpolitische Zielvorstellungen („rezeptive Mehrsprachigkeit“) um die Annah-me ranken, dass das Verstehen leichter und schneller zu erlernen sei als das Sprechen einer 184Fremdsprache (vgl. etwa SCHRÖDER 1992). Was für das Leseverstehen vielleicht gelten mag – hier gibt es positive Erfahrungen im universitären Fremdsprachenunterricht -, trifft aufdas Hörverstehen gewiss nicht zu. Aus unterrichtspraktischer Sicht ist es eine der anspruchs-vollsten und am schwierigsten zu unterrichtenden Zielfertigkeiten überhaupt. Entsprechendgibt es eine umfangreiche didaktisch-methodische Literatur zu diesem Thema; aus Platz-gründen muss die Problemgeschichte hier jedoch ausgeklammert bleiben (vgl. etwa UR 1984;ANDERSON, LYNCH 1989). Was macht das Hörverstehen so schwierig? Warum entsteht Hörverstehen nicht automatisch als Nebenprodukt des einsprachigen Unterrichts? Warum wird die Schwierigkeit dieser Fer-tigkeit von kompetenten Sprechern (wozu auch die Fremdsprachenlehrer gehören) häufignicht wahrgenommen oder unterschätzt? Vom physikalischen Ereignis her wird Information stets linear und additiv aufgenommen: Wir erlesen zum Beispiel ein Wort, einen Satz, einen Text stets von links nach rechts, vonoben nach unten, vom Teil zum Ganzen – wie auch sonst? Entsprechendes gilt für einenHörtext. In diesem Verständnis würde die Gesamtbedeutung vorrangig bottom-up durch die Verknüpfung lokaler Operationen gebildet; die nachträgliche Zusammenschau dieser Lokal-informationen ergäbe dann die Gesamtinformation. Tatsächlich darf man diesen physikalischen Akt der additiv vom Teil zum Ganzen fortschrei- tenden Informationsaufnahme nicht mit dem hermeneutischen Akt des Sinnverstehens gleich-setzen. Den hermeneutischen Akt kann man sich am besten als fortlaufende Bildung von „Semantisierungsschleifen“ beim Hören oder Lesen vorstellen, als ein sinngebendes Pendelnzwischen Teilinformation und Globalinformation. Die geistige Verarbeitung der Informationstützt sich von Beginn an auf Vorinformationen, Vermutungen und Informationsmotive. Mankann das überprüfen, indem man verschiedene Vorinformationen zum gleichen Text gibt: Inder Praxis führt das fast unweigerlich zu unterschiedlicher Sinnentnahme. Diese subjektiveHör-Hypothese steuert top-down die Interpretation der Daten: das Sprachverstehen im enge- ren Sinn (zum Beispiel die Interpretation mehrdeutiger Wörter oder Strukturen beim Hören),die „Plausibilisierung“ der Information (aktives Schließen von Informationslücken durchInferenz) und letztlich auch das übergreifende, globale Sinnverstehen . Im Verstehensakt überlagern sich daher zwei Verarbeitungsrichtungen: die lokale (physika- lisch-serielle) und die globale (holistisch-hermeneutische). Die lokale Verarbeitung verläuft datenorientiert „vom Teil zum Ganzen“ ( bottom up ), die globale Verarbeitung rezeptorientiert „vom Ganzen zum Teil“ ( top down ). Während der Informationsaufnahme bestätigt oder kor- rigiert der kompetente Sprecher seine Ausgangshypothese, indem er fortschreitend die lokaleund globale Information abgleicht; die Ausgangshypothese verdichtet sich dabei nach undnach zum subjektiven Sinnverstehen. Jeder Hörer/Leser entnimmt einem Text insofern etwasVerschiedenes; abhängig vom subjektiven Zugriff konstruiert er seine persönliche „ Lesart “ des Textes. Die beschriebene Hörstrategie ist hochgradig automatisiert und läuft unbewusst ab: Der Verste- hensprozess ist aus der Sicht des kompetenten Sprechers etwas Triviales, Selbstverständli-ches, das für ihn spontan und ohne Mühe abläuft, wenn er nur die Aufmerksamkeit auf einenText richtet. Insofern bringen wir wenig Verständnis auf für unterschiedliche subjektive Les-arten eines Textes (viele Probleme in der Alltagskommunikation haben hier ihre Wurzel) undinterpretieren Nichtverstehen eher als akustisches Problem: Wir erwarten einfach, dass auch 185der andere in gleicher Weise versteht, wie wir selber verstehen; bei Verständigungsproblemen wiederholen wir, sprechen lauter und/oder langsamer, um auf diese Weise das Verstehen zusichern. Die „Selbstverständlichkeit“ des Verstehens verfliegt erst, wenn der Prozess nichtmehr ungestört ablaufen kann – zum Beispiel, wenn man es mit einem Dialektsprecher, einempoetischen Text oder einem unbekannten Gesprächsritual zu tun bekommt. Noch schwierigerist das Verstehen einer Fremdsprache . Wo liegen hier die Probleme? Das offensichtliche und aus Lernersicht vorrangige Problem liegt in der lokalen Dekodierung. Wer nur die Stimme des Lehrers kennt, die breitere Varianz der gesprochenen Sprache nichtgewohnt ist, wird authentische, von unbekannten Sprechern flüssig und natürlich gesproche-ne Texte schwierig finden. Oft kommt hinzu, dass solche Hörtexte unbekannte Redemittelenthalten, dass flüchtig gesprochen wird und dass der Hörtext obendrein „nackt und bloß“vom Tonträger in den Unterricht kommt, unter Ausblendung der Kontextinformation. Fak-tisch wird die Aufgabe des Lerners auf diese Weise sehr erschwert: Es wird datenorientiertgelauscht, die Aufmerksamkeit richtet sich ganz auf die lokalen Operationen. Das bedeutetaber, dass das aktive Konstruieren der Hörinformation (Überbrücken von Verstehenslückendurch Inferenz von Rezeptwissen) und die geistige Auseinandersetzung mit den Hörinhalten(Wissensabgleich top down ) zu kurz kommen. Auch von einem V ortrag in der Erstsprache, bei dem wir zu sehr auf die Sprechweise des Vortragenden achten, werden wir inhaltlichwenig verstehen: Die Konzentration auf die Sprachoberfläche blockiert sozusagen das Mit-denken. Genau hier liegt das typische Problem des Fremdsprachenlerners beim Hörverstehen. Die vom Fremdsprachenlerner unbewusst eingesetzte Strategie des „oberflächenorientierten Lauschens“ ist schon deshalb wenig erfolgversprechend, weil die primär datenorientierteWeiterverarbeitung der Hörinformation in Echtzeit nur möglich ist, wenn für jedes Elementdieser Oberfläche auf hochgradig automatisiertes Interpretationswissen zurückgegriffen werdenkönnte. Klappt der serielle Informationsabbau im Hörpuffer nicht entsprechend zügig, weilbestimmte Interpretationen fehlen oder so schnell nicht abgerufen werden können, so wird dieKapazität des Kurzzeitgedächtnisses (7 +/- 2 Informationskomplexe) überlastet: Man kanndem Datenfluss nicht folgen. Der Lerner ist in einem Teufelskreis: Je schwieriger es subjektivist, dem Hörtext zu folgen, desto mehr konzentriert er sich auf die Textoberfläche – und destoweniger versteht er tatsächlich. Was bleibt, sind zufällige Bruchstücke ohne inneren Zusam-menhang. Bei keiner anderen Lernaktivität im Fremdsprachenunterricht wird der Lerner so massiv mit seinen Defiziten konfrontiert wie bei dem Versuch, einem authentischen Hörtext datenorientiertzu folgen. Solange diese Strategie beibehalten wird, sind keine Lernfortschritte zu erwarten:Jeder neue Hörtext scheint gleich schwierig; selbst breites Sprachwissen hilft kaum weiter.Das oft zitierte Beispiel des konventionell unterrichteten Schülers, der nach acht JahrenEnglischunterricht zwar komplexe literarische Texte lesen kann, aber ein einfaches Alltags-gespräch nicht versteht, ist daher keineswegs untypisch. Auch in unterrichtsmethodischer Hinsicht läuft beim Hörverstehen manches falsch. Viele Lehrkräfte neigen dazu, die Schwierigkeit des Hörverstehens zu unterschätzen. In manchenLehrbüchern steht die „echte“ Hörverstehensübung gleich am Anfang einer neuen Lernsequenz,dient zugleich also dem Input des neuen Lernstoffs und der Übung des Hörverstehens. Wieder Lerner ein Wissen sinnvoll kommunikativ gebrauchen soll, das er zu diesem Zeitpunktnoch gar nicht erworben hat, bleibt das Geheimnis der Autoren. In vielen Lehrerhandbüchern 186liest man dazu den gutgemeinten Rat, bei Hörverstehensübungen müsse man nicht gleich alles verstehen; es genüge zunächst, „nur“ das Globalverstehen zu verlangen, der kompetenteHörer entnehme einem Hörtext ja auch nur einen Bruchteil der Information (vgl. DA FORNO1994, ähnlich ARENDT 1989). Aber dieser Hinweis ist irreführend. Der kompetente Hörerversteht nicht zufällig irgendeinen Bruchteil der Information, sondern er entnimmt gezielt undaktiv die Teile, die die subjektiv wichtige Information enthalten; er erbringt beim Hören einekomplexe Interpretationsleistung, indem er die Information auf das Wesentliche hin filtert,gewichtet, reduziert. Der Fremdsprachenlerner entnimmt einem unverstandenen Text nur dieBruchstücke, die er beim oberflächenorientierten Lauschen aus einem für ihn unstrukturiertenDatenstrom nach dem Zufallsprinzip aufschnappen und dekodieren kann. Zwar behalten beideletztlich nur einen Bruchteil der Information, aber was im Ergebnis für den einen gezielteselektive Informationsentnahme ist, ist für den anderen ein willkürliches Sprachpuzzle. Globalverstehen setzt das Detailverstehen voraus und umgekehrt: Hörverstehen beruht auf dem gelingenden Zusammenspiel von top-down und bottom-up Prozessen. Der kompetente Hörer verteilt die Aufmerksamkeit nach Bedarf zwischen Detail- und Globalverstehen: Nurso ist es möglich, die jeweils wichtige Information im Datenstrom zu erkennen und herauszu-filtern. Funktionieren trotz entsprechender Bündelung der Aufmerksamkeit die datenorientiertenProzesse nicht, so muss das Ergebnis aus subjektiver Sicht unbefriedigend bleiben, weil es jagerade die wichtige Information sein kann, die man nicht verstanden hat (und daher hinsicht-lich ihrer Wichtigkeit nicht beurteilen kann). Das kommunikative Hörverstehen verlangt in-sofern immer beides, Globalverstehen und Detailverstehen. Aus dem synthetischen Charakterdes Hörverstehens ergeben sich bestimmte Anforderungen an das Design von Hörverstehens-texten und -übungen. Trivial ist zunächst, dass der Hörverstehenstext inhaltlich unbekannt sein muss. Ein Text, der inhaltlich bereits verstanden ist, ist im weiteren Verlauf für Hörverstehensübungen „ver-braucht“; insbesondere ist es methodisch verfehlt, einen Text, den man vorher gelesen hat,dann noch als Hörverstehensübung einzusetzen. Umgekehrt gilt jedoch, dass ein Text, solan-ge er noch nicht verstanden ist, entgegen mancher Meinung (ARENDT 1989) durchaus mehr-fach oder in Abschnitten präsentiert werden kann. Solche Wiederholungen sind nicht nurmethodisch sinnvoll, sondern (wie man sehen wird) im Sinne des gezielten Hörtrainings fastunverzichtbar. Man darf auch hier die Zielfähigkeit des spontanen Verstehens nicht mit demLernweg verwechseln. Während zur vorkommunikativen Hör- und Ausspracheschulung auch didaktisiertes Hör- material eingesetzt werden kann, setzen kommunikative Hörverstehensübungen, wie bereitsdargestellt, einen authentischen Plateautext als Input voraus. Nur wenn die Textschwierigkeit innerhalb des Lernerhorizonts liegt und wenn die Information als interessant und motivierendempfunden wird, ist die aktive Sinnentnahme und damit ein gezieltes Fertigkeitstraining mög-lich. Das Kriterium der „Authentizität“ ist schwierig zu erfüllen. Empirisch-reale Hörtextesind oft situations- und kontextabhängig (die Sprache wird von Handlungen, Mimik, Gestik,Geräuschen etc. begleitet), und es wird im oral code gesprochen (Aussprache mehr oder weniger abweichend vom Standard; kürzere, oft unvollständige Sätze, viel Redundanz, un-klare Sprecherwechsel/ Durcheinandersprechen etc.). Bringt man nur das Hörsubstrat einessolchen Textes auf den Tonträger, so fehlen wesentliche bedeutungsmotivierende Informatio-nen; selbst mancher Muttersprachler würde einen solchen Text spontan nicht verstehen. Vie-les, was heute als Hörverstehenstext im kommunikativen Fremdsprachenunterricht benutzt 187wird, ist aus diesem Blickwinkel fast schon eine Zumutung für den Lerner. Nicht umsonst gelten für die nur-auditive Informationsvermittlung (Radiosendungen) besondere Anforde-rungen an Textqualität und Sprechweise. Insofern sollte der Fremdsprachenlerner nicht mitAnforderungen konfrontiert werden, wie man sie aus guten Gründen dem Muttersprachlernicht zumutet. Wer transaktionalen Sprachgebrauch wirklich authentisch präsentieren will,muss audiovisuell arbeiten (Video); multimediale Sprachkurse wie FOLLOW ME habengezeigt, wie man kleine Sequenzen mit authentischem Plateautext von Anfang an sinnvoll inden Lehrgang einbauen kann. Steht dagegen nur die übliche Ton-CD zur Verfügung, so sollteman die Information wohl oder übel nach den Regeln aufbereiten, die für Radiosendungengelten (genügend Redundanz, Deutlichkeit, geschulte Sprecher, gemäßigtes Sprechtempo,klare Sprecherwechsel, Verzicht auf störende Geräusche etc.): Ein gewisses Maß an medien-bedingter Künstlichkeit ist hier wohl unvermeidlich. Auch wenn sinnvoll aufbereitetes Hörmaterial zur Verfügung steht, kann unterrichtsmethodisch vieles falsch gemacht werden. Ein nicht untypisches Szenario könnte wie folgt aussehen. DerLehrer verkündet, dass nun eine Hörverstehensübung dran sei, nestelt ein paar Minuten amCD-Player und spielt dann unter deutlichem Missfallen der Lerngruppe ( „zu schnell“, „zu undeutlich gesprochen“, „bitte LAUTER …“ ) die CD vor. Die Frage, ob irgendetwas nicht verstanden worden ist, löst keine Reaktion aus. Im Lehrbuch finden sich Aufgaben zur Verste-henskontrolle: Einige können die Antworten geben, der Rest schweigt frustriert. Erleichtertwendet man sich der nächsten Grammatikübung zu. Beim nächsten Versuch stöhnt alles schonbeim Anblick des CD-Players. Darum liest der Kursleiter nun selber den Text vor, laut undlangsam; er unterbricht, um neue V okabeln von sich aus zu erklären, sobald er in unglückli-che Augen sieht. Nach jedem Abschnitt werden Textfragen zur Überprüfung des Verstehensgestellt. Alle beteiligen sich, es scheint nun wesentlich besser zu klappen … Das kommunikative Hörverstehen ist schwierig zu unterrichten: Nimmt man nur die Ziel- fähigkeit als Maßstab, so reduziert sich die Unterrichtsmethodik in vielen Lehrbüchern aufdie nachträgliche Kontrolle, ob Verstehen denn nun stattgefunden hat oder nicht. Den, dernicht verstanden hat, bringt diese (ergebnisorientierte) Kontrolltechnik um keinen Schrittweiter. Versucht man daher, den Prozess des Verstehens durch entsprechende Hilfen zu beein-flussen, so fällt man leicht zurück in vorkommunikative Methoden der Texterschließung – diezwar den spontanen Lernerstrategien entgegenkommen, aber gerade deshalb im Hinblick aufdie angestrebte Zielfähigkeit nichts leisten. Viel hängt hier also vom Lernarrangement ab, vonder prozessorientierten Feinsteuerung der Lernhandlung. Angesichts des spontanen Überge-wichts der lokalen Verarbeitungsstrategien muss das Ziel dieser Feinsteuerung darin beste-hen, die globalen Planungsprozesse zu aktivieren , das Mitdenken und die aktive Sinnentnahme zu fördern. Dazu könnte man wie folgt vorgehen. Im ersten Schritt wird der Lerner inhaltlich auf die Hörinformation eingestimmt. Am besten geht man kurz auf die Gesprächssituation und den Handlungskontext ein ( Gespräch an der Hotelrezeption ), um vorweg den Abruf des passenden Handlungsrezeptes zu ermöglichen: •Wer spricht mit wem, wann und wo? •Worum geht es? •Wer möchte was erreichen? •Wie fühlen sich die Gesprächspartner in dieser Situation? •Was könnte Ergebnis des Gesprächs sein? 188Um innerhalb dieses Rahmens das sinnverstehende Hören anzuregen und zu erleichtern, wird vor der Präsentation der Hörinformation eine Aufgabe gestellt, die für den Lerner als advance organizer wirkt und die Aufmerksamkeit von vornherein auf die Informationsentnahme lenkt (keine sprachbezogenen Aufgaben/ keine Behaltensleistungen!). Durch die Aufgabenstellungwird der Verstehensakt unterrichtspraktisch handhabbar gemacht: Das V orgehen simulierteine natürliche Gesprächssituation, in der wir uns einer Hörinformation stets mit bestimmtenErwartungen und Motiven nähern; in der wir nicht interesselos lauschen, sondern ergebnis-und handlungsorientiert auf eine interessierende Information zugreifen. Für die Art der Aufgabenstellung gibt es ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Weniger gut geeignet sind künstliche Aufgabenstellungen, die das Verstehen nur ergebnisorientiert über-prüfen (Textinhaltsfragen, Mehrfachwahlaufgaben zur Verstehenskontrolle usw.). Viel bes-ser sind realitätsnahe Listen and … – activities (listen and speak, listen and take notes, look and listen, listen and read .. .), in denen sich der Lerner angenähert natürlich verhält, also zum Beispiel einer Wegbeschreibung mit dem Bleistift im Stadtplan folgt, über eine telefoni-sche Verabredung anhand seines Terminkalenders Auskunft gibt oder Notizen bezüglich einerReiseauskunft macht: Listen and take notes: Sie sind auf einer Geschäftsreise in England und wollen mit dem Zug von Manchester nach London fahren. Bei der Reiseauskunft erfahren Sie a) Abfahrts- und Ankunftszeiten, b) Art des Zuges und Bahnsteig,c) die Fahrpreise. Hören Sie gut zu, und notieren Sie sich die wichtigsten Angaben. Quelle: Adaptiert nach Follow me, Bd. B2: 74 Hier würde der Lerner in eine Rolle schlüpfen und wichtige Informationen festhalten müssen: Im V ordergrund stehen dabei die Unbestimmtheitsstellen im Handlungsrezept; die Aufgaben-stellung soll das Interesse auf die wesentliche Information lenken. Noch interessanter wird es,wenn ein solcher Hörtext nicht den Erwartungen entspricht (wenn man auf die Retuschen imHandlungsrezept achten muss). Hierzu ein weiteres Beispiel in Anlehnung an die gleicheQuelle: Listen and talk: Sie sind allein auf einer Rundreise durch Großbritannien. Sie finden ein Hotel, in dem Sie zwei oder drei Nächte bleiben möchten und hätten gerne ein preisgünstiges Einzelzimmermit Dusche, englischem Frühstück und Einstellplatz für Ihr Auto. Gehen Sie zum Empfang und hören sich an, was die Empfangsdame sagt. Antworten Sie ihr und entscheiden dann, was zu tun ist. Es folgt die Präsentation der Hörinformation (… ziemlich teuer, Dusche außerhalb …), zunächst als Muster vollständig mit beiden Gesprächsrollen, dann mit nur einer derGesprächsrollen und Sprechpausen, die vom Lerner individuell zu füllen sind. Die Ent- scheidung, ob man das Zimmer nehmen will, ist in jedem Falle allein zu treffen. Schwierige Hörtexte sollten, solange sie inhaltlich nicht verstanden sind (und die Aufgabe nicht gelöst werden kann), mehrfach wiederholt werden – auch in Sinnabschnitten. Hilfreich ist ein HSA-Sprachlabor, weil man sich hier die Problembereiche in eigener Regie mehrfachanhören kann. Wenn mehrere Abspielgeräte zur Verfügung stehen, kann der Hörtext entspre-chend auch in parallelen Arbeitsgruppen bearbeitet werden. 189In der anschließenden Kontrollphase wird das Verstehen des Hörtextes anhand der verschie- denen Lösungen verglichen; auf sprachliche Details sollte dabei nur in begrenztem Umfangeingegangen werden. Schwierige Texte könnte man zur abschließenden Kontrolle noch einmallesen lassen (Skript des Hörtextes) – dann am besten nach dem Mitlese-Verfahren. Das skizzierte Lernarrangement kann nach Bedarf variiert und verfeinert werden. Man kann zum Beispiel verschiedenen Arbeitsgruppen verschiedene (oder widersprüchliche) V orinfor-mationen zum gleichen Text geben; man kann das Mitdenken durch Bilder, Assoziogrammeoder Antizipationsübungen anregen (zum Beispiel nur einen Teil des Hörtextes geben, dabeiMitte, Ende oder Anfang ergänzen lassen). Bei einer Video-Präsentation könnte man denHörtext zunächst als Stummfilm anbieten, auf die Bedeutung von Mimik, Gestik und Körper-sprache achten lassen, Sprecherwechsel und Textgliederungssignale bewusstmachen. Bei den Aufgabenstellungen ist Phantasie und Realitätsnähe gefragt; interessant und wichtig sind besonders die Übergänge zum aktiven Sprechen oder Schreiben (z.B. Gesprächsnotizund Geschäftsbrief auf Basis eines Telefongesprächs; private Verabredungen anhand vonEintragungen im Terminkalender; Ergebnisprotokoll einer geschäftlichen Besprechung etc.). Eine interessante, wenn auch zeitaufwendige Methode des aktiven Hörtrainings wird ähnlich wie folgt von DA FORNO (1994: 37 ff.) beschrieben. Ein Schlüsselproblem der gängigenHörverstehensmethodik ist, dass dem Training dieser Fertigkeit oft zu wenig Beachtung gilt: Der Text wird ein- oder zweimal präsentiert – und das war es dann. Ganz anders hier. Beimaktiven Hörtraining wird gezielt ein eher (zu) schwieriger Text ausgewählt. Die Lerner hören(mit entsprechender V orinformation und Aufgabenstellung) diesen Text zunächst an und ord-nen sich selbst auf einer Verstehensskala zwischen 0 und 100 Prozent ein. Dann werdenZweiergruppen gebildet, in denen man die gefundene Information sammelt, austauscht undvergleicht; dabei wird der Hörtext nach Bedarf wiederholt, die Gruppen werden öfter ge-wechselt, um das Wissen in der Gesamtgruppe zu zirkulieren und zu kumulieren. Die Tafelkann benutzt werden, um den Informationsfortschritt zu sichern und zu strukturieren. DerKursleiter beantwortet Einzelfragen, spielt den Hörtext nach Bedarf ab, steuert ansonstenjedoch nicht. Die Übung kann durchaus 45 Minuten oder länger dauern. Zum Abschlusswerden die Lösungen verglichen; jeder ordnet sich selber außerdem erneut auf der Verstehens-skala ein. Der subjektive Lernerfolg wird auf diese Weise explizit; und der Fortschritt gegen-über der ersten Selbsteinstufung kann sehr ermutigend wirken. 4.3.2 Sprechen Das Sprechen der Fremdsprache wird in Lernerbefragungen allgemein als wichtigste Ziel-fertigkeit gesehen (MÜLLER-NEUMANN u.a. 1986, NEUHAUS 1987), oft auch als größ-tes Lernproblem. Letztere Bewertung mag zunächst überraschen: Anders als beim Hörverstehenkann sich der Lernende beim Sprechen ja selber zurechtlegen, was er sagen will, und selberentscheiden, wie einfach oder komplex er sich ausdrückt; die Initiative liegt bei ihm. Auch andie Verarbeitungsgeschwindigkeit sind die Anforderungen weniger streng als beim Hörver-stehen: Es gibt viele Techniken, mit denen man als Sprecher das Tempo verzögern und Denk-pausen einlegen kann, ohne deshalb die Initiative aufzugeben oder das Gespräch abzubre-chen. Dennoch wird das Sprechen einer Fremdsprache subjektiv oft als schwieriger empfun-den als das Hörverstehen. Wo liegen die Gründe? 190Kommunikatives Sprechen setzt aktives geistiges Planungshandeln voraus: Der Sprecher muss entscheiden, was er im gegebenen Kontext sagen und wie er sich ausdrücken will, dafür eine passende Formulierung sowie die geeigneten Redemittel finden. Was hier so einfachklingt, ist in der Praxis überraschend schwierig – übrigens nicht nur beim Sprechen einerFremdsprache. Auch in der Muttersprache ist es eher etwas Besonderes (und daher Gegen-stand zahlreicher Rhetorikkurse), wenn sich jemand ohne Vorlagen frei ausdrücken kann,wenn er logisch geordnet und verständlich spricht, dabei präzise und druckreif formuliert. Jemehr sich der Durchschnittssprecher auf seine Formulierungen konzentriert (oder konzen-trieren muss, weil er Ausdrucks- und Wortfindungsprobleme hat), desto größer wird die Ge-fahr, dass er seine kognitiven Ressourcen überlastet und den „roten Faden“ verliert. Auchgute Redner finden es daher nützlich, sich zwischendurch an einem Stichwortzettel orientie-ren zu können. Das gleiche Problem existiert natürlich beim Sprechen der Fremdsprache – nur in wesentlich schärferer Form. Der ungeübte Sprecher plant und formuliert auf Deutsch – und sucht dannoberflächenorientiert nach äquivalenten Ausdrucksmitteln in der Fremdsprache. Er berei-chert damit das rhetorische Grundproblem um eine zusätzliche Dimension: den Sprechplan(oder gar bestimmte einzelne Formulierungen) einigermaßen flüssig in die Fremdsprache zuübertragen. Je dichter dieser Übertragungsversuch an der Oberfläche einer bestimmten erst-sprachlichen Formulierung ansetzt, desto schwieriger wird es (wie jeder Dolmetscher weiß),desto größer wird die Wahrscheinlichkeit von Interferenzfehlern oder die eines „rhetorischenKollaps“: Wenn ein bestimmtes Wort fehlt oder nicht abrufbar ist, so bricht oft die gesamtePlanungsstrategie zusammen. Im Unterricht geht es dann üblicherweise auf Deutsch weiter:„Was heißt noch schnell XYZ?“- „Wie sagt man XYZ auf Englisch?“ Entsprechend wird das Problem vordergründig bei der Enkodierung lokalisiert, speziell bei der Wortfindung und beim Vokabellernen – ohne zu sehen, dass man schon fast die Kompe-tenz eines Simultandolmetschers haben müsste, um auf dieser Grundlage flüssig sprechen zukönnen. Kommunikatives Handeln wäre so erst am Ende eines sehr langen Lernweges vor-stellbar. Dass diese Diagnose zwar naheliegend, aber grundfalsch ist, zeigt ein Blick auffunktionierende Kommunikation bei beschränkten Ausdrucksmitteln (kindlicher Spracherwerb,natürliche Spracherwerbsprozesse, Pidginsprachen, Gastarbeiterdeutsch etc.). Nicht derUmfang des Sprachwissens ist das Problem, sondern der Grad der Verfügbarkeit und die Art,wie der Lerner sein Wissen einsetzt. Wer eine Fremdsprache über einige Jahre erlernt hat, besitzt meist ein recht breites Sprach- wissen. Oft ist dieses Wissen aufgrund falscher Lerntechniken jedoch schlecht vernetzt und/oder mit störenden Primärassoziationen verknüpft (bildhafte V orstellungen, Eselsbrücken,erstsprachliche Wörter etc.), die den flüssigen Abruf beim Enkodieren erschweren. Auch dasVergessen spielt (abhängig vom Lernweg) eine wichtige Rolle: Manches ist schon nach kur-zer Zeit nicht mehr aktiv verfügbar. Im Abrufgedächtnis wird nur die lernökologisch relevan-te Information bereitgehalten (dynamische Speicherorganisation); was subjektiv nicht wich-tig ist und nicht ständig gebraucht wird, „sinkt ab“ in tiefere Gedächtnisschichten, aus denender Abruf nicht mehr direkt möglich ist. Obwohl das passive Wissen durch intensiven Sprach-kontakt meistens schnell zu reaktivieren ist, glaubt man „alles vergessen“ zu haben. Wernicht ständig in Übung ist und damit sein Wissen aktiv hält, wird daher beim Sprechen ver-mehrt Probleme haben. 191Neben dem Wissensabruf sind es aber besonders die Planungsstrategien , die Schwierigkei- ten machen: Wer die Äußerung auf Deutsch plant, um auf Englisch zu formulieren, baut diemuttersprachliche Interferenz von vornherein in seine Sätze ein; obendrein ist es schwierig,bei Abruf- oder Enkodierungsproblemen flexibel zu reagieren. Die meisten Lerner beharrenbei Ausdrucksproblemen stur auf dem, was sie auf Deutsch sagen wollen. Verstärkt wird diese Lernerstrategie durch sprachorientiertes Korrigieren. Der Lehrende scheint sich kaum dafür zu interessieren, was der Lerner inhaltlich zu sagen hat und ob die Kommu-nikation gelingt, sondern vorrangig dafür, ob formal alles seine Richtigkeit hat. Faktischverlangt man damit, dass der Lerner in der Fremdsprache etwas leistet, was die meistenMenschen in ihrer Muttersprache nicht können: im spontanen mündlichen Gebrauch in voll-ständigen, grammatisch korrekten Sätzen zu sprechen. In der kommunikativen Praxis würdestreng korrektes Sprechen eher gekünstelt und angestrengt wirken, weil für den oral code eigene Regeln gelten, wie man an dem folgenden Beispiel sehen kann (für authentische Sprach-beispiele vgl. CARTER, McCARTHY 1997): (…) Manager: You’d like to be a clerk with us, Mr Jones? Mr Jones: Yes, that’s right. Manager: Um – how old are you? Mr Jones: Twenty-six. Manager: And your date of birth? When were you born? Mr Jones: On the thirteenth of May, 1954. Manager: The thirteenth of May, 1954. Good. Now – what work have you done? How many jobs have you had? Mr Jones: Ooh – I’ve had a few jobs. I was a waiter for a year. Manager: Yes? Mr Jones: I didn’t enjoy being a waiter. Then I was a shop assistant for three years. Manager: When was that? Mr Jones: That was four years ago. Manager: And now you’re a clerk. Mr Jones: Yes – I’ve been a clerk for about four years … um … since 1976. Manager: And where have you worked? Mr Jones: I’ve worked with one firm all the time, but I’ve worked in different towns. I worked in Bristol for three and a half years. And now here in Dover. Manager: So you’ve worked here in Dover for six months. Mr Jones: Yes, that’s right. Manager: Good. … Now, I’d like to ask you about (…) Quelle: Follow me, B1: 118 Der vorliegende semi-authentische Text (Vorstellungsgespräch) zeigt wichtige Merkmale des oral code : kurze, einfache, oft unvollständige Sätze; viel Redundanz; Gebrauch von festen Wendungen; rasche Sprecherwechsel mit unmittelbarem Feedback und aktiver Verlaufs-kontrolle; Gebrauch von Impuls-, Hilfs- und Reparaturtechniken; Einsatz expressiver Mittelzur Verzögerung und Geprächssteuerung. Da der Text in einem Lehrbuch steht, enthält erkeine Fehler, obwohl gerade auch Mängel in der Kohäsion (unvollendete Sätze, Anfang undEnde passen nicht zusammen etc.) und Kohärenz (ein Sprechplan wird mitten im Satz fallen-gelassen, ein neuer tritt an seine Stelle) sowie Störungen (Unterbrechen, Durcheinanderredenetc.) typisch für authentische Gespräche sind. Die „Sprechsprache“ ist nicht identisch mitgesprochener Schriftsprache; der oral code erlaubt Verständigung auch dort, wo die Konven- tionen der geschriebenen Standardsprache weniger genau beachtet werden. 192Wenn hier einige Merkmale des oral code hervorgehoben werden, dann nicht, weil die Nach- ahmung kulturspezifische Sprechrituale empfohlen würde (so etwa SPEIGHT 1986), son-dern um zu verdeutlichen, dass die gesprochene Sprache eigenen Konventionen folgt, dass sieoffener ist als die Schriftsprache und mehr Fehlertoleranz verlangt. Wichtig sind solche Unter-schiede für die interkulturelle Verständigung und für den Gebrauch von Lernersprachen:Während im Dialog der zwei Muttersprachler unabhängig vom Code das Gelingen der Kom-munikation niemals in Frage steht, ist für den Fremdsprachenlerner eher die gestörte Kom- munikation typisch. Er muss daher lernen, die Chancen, die ihm der oral code bietet, flexibel zu nutzen, um die (stets zu erwartenden) Verständigungsprobleme besser zu bewältigen. An dem Beispieldialog sind wichtige Merkmale von authentischer Kommunikation ablesbar. Die Sprachhandlung entspricht einem bestimmten Szenario , das den Gesprächsverlauf, das Handlungsrezept und typische Handlungsabsichten der Beteiligten motiviert; hier ist es einthematisch-interaktionales Szenario (V orstellungsgespräch/ Bewerbung). Die Sprechhandlungberuht auf einem Informationsdefizit ; der Sinn des Gesprächs liegt im Informationsgewinn beziehungsweise darin, bestimmte Aspekte des Informationsdefizits zu bereinigen (Berufserfah-rungen des Bewerbers klären). In entsprechender Weise kann man Dialogstrukturen danachbeschreiben und klassifizieren, auf welche Art der Gesprächsverlauf zu (wessen?) Informa- tionsgewinn beiträgt. Wichtige elementare Dialogstrukturen sind zum Beispiel der aktive Dialog (Auskunft erfra- gen, Handlungsaufforderung, Interview, Verhör etc.), der reaktive Dialog (Streitgespräche, Missverstehen etc.), der symmetrische Dialog (Beratungsgespräch, Konsultation etc.) und der phatische Dialog (Gespräche ohne direktes Informationsmotiv, Partygespräch etc.). Schau- bild 23 veranschaulicht diese Strukturen; die durchgezogenen senkrechten Pfeile bezeichnendie Gesprächsinitiative bzw. den Informationsgewinn, gestrichelte Linien eine reaktive Betei-ligung bzw. mangelnden Informationszuwachs, die schräg verlaufenden Pfeile die Aktionenund die Verteilung der Dialogrollen. Schaubild 22: einfacheDialogstrukturen 194Ganz nach audiolingualen Brauch soll hier ein Musterdialog (übrigens mit reichlich gezwun- gener Diktion) auswendig gelernt und nach slot-and-filler Manier variiert werden; dass der erste filler nicht eben gut in den slot passt, sei nur am Rande vermerkt. Ein rundum un- brauchbares Übungsdesign also. Ähnlich problematisch aus prozessualer Sicht sind die be-liebten warming-ups , bei denen jeder zu Anfang des Unterrichts ein paar Sätze Englisch sprechen soll – gleich worüber, warum und wozu. Immerhin könnte man hier noch argumen-tieren, dass die Satzbildung und Aussprache geübt wird; mit „Kommunikation“ hat das alleswenig zu tun. Auch in der folgenden Übung geht es allenfalls um Lokalplanung und Sprach-synthese, nicht um kommunikatives Handeln: Student A asks student B how long (s)he has been doing/ has had/ has been something. Student B answers. Prompts: a. live here in X b. live in your present flat/ housec. come to this class d. learn English e. work in your present job(…) j. have your dog / cat/ goldfish / etc. Quelle: Channels, Coursebook 2, 1993: 34 Das so angeregte „Gespräch“ hat keinen erkennbaren Zusammenhang, kein Ziel, kein Ergeb- nis; beide Gesprächspartner haben die Liste vor sich liegen, wissen also jederzeit, was derandere fragen oder sagen wird und können sich, während der andere spricht, schon auf ihrenächste Frage/Antwort vorbereiten. Entsprechend „spannend“ dürfte sich dieses Gesprächentfalten. Ähnliches gilt für das folgende Beispiel (Quelle: Bridges, Bd. 2, 1994: 55): Think of a hotel problem. One of you plays the hotel guest and the other is the manager. Sort out the problem and then change roles. Das Thema und die Redemittel sind vorher erarbeitet worden. Dennoch ist ein derart pau- schaler Übungsimpuls wenig sinnvoll; er wird meistens nur zur Reproduktion der vorhergelernten Standardfloskeln führen. In der Aufgabe liegt zu wenig Struktur und zu wenigUnbestimmtheit, außerdem fehlt die Ergebnisorientierung. Thema und Gesprächsziel sindvorher bekannt: Man tauscht die verlangten Sprechakte aus und wechselt dann die Rollen.Der zweite Durchgang ist noch langweiliger als der erste, weil nun selbst die lokalen Planungs-probleme nicht mehr neu sind. Sehr viel produktiver würde diese Übung ablaufen, wenn der Gast den „Geheimauftrag“ erhielte, den Wechsel des Zimmers oder einen Preisnachlass zu erwirken, und der Managerdie verborgene Zusatzinformation, dass er für die kommende Nacht noch fünf Überbuchungenseines Reiseveranstalters unterbringen muss und meckernde Gäste nicht leiden kann. Überdas Ergebnis wäre dann zu berichten. Eine in diesem Sinne geschickter konzipierte Auf-gabenstellung findet sich im folgenden Beispiel: Your teacher will tell you to be a customer or a shop manager. (…) Customers: There is something wrong with your camera/ watch/ telephone etc. Decide what is wrong. Decide whether you want it repaired or replaced, or whether you want arefund. Decide whether you are going to be friendly to the shop manager. You can look back at the dialogues for vocabulary. Then go and complain. 195Shop managers : You are the manager of a shop. Decide whether you are feeling friendly or not today. Decide whether your shop gives refunds, or only offers to repair or replace. Decide how long repairs take. You can look back at the dialogue for vocabulary. Then getready for some complaints. Quelle: The new Cambridge English course, Bd. 3, 1992: 59 Die Information der „Gegenseite“ wird im Lehrbuch abgedeckt. Das Übungsdesign enthält alle wichtigen Strukturelemente einer kommunikativen Handlung: Informationsverteilung,Unbestimmtheit, Zwang zur Improvisation, Ergebnisorientierung und sogar gewisse affekti-ve Elemente. Ein solches Übungsdesign funktioniert erfahrungsgemäß nicht nur in der Theo-rie, sondern gut auch in der Praxis … Wie man sieht, ist die Wahl von Sprechanlässen, Aufgabenstellungen und Sozialformen für Kommunikationsübungen keineswegs einfach. Allgemein gilt zunächst, dass das Handlungs-rezept innerhalb der Möglichkeiten der Lernersprache liegen muss: Sich ohne ausreichendeWissensbasis, ohne verfügbare Teilroutinen spontan vor einem größeren Publikum produzie-ren zu sollen, kann auch für selbstbewusste Menschen schweißtreibend sein. Manche Lehr-bücher scheinen den Fremdsprachenunterricht mit einer Talkshow (sic), einer Theatervor-führung oder Podiumsdiskussion zu verwechseln – ohne zu bedenken, wie gehemmte Men-schen auf solche Anforderungen reagieren. Dass jemand ausgerechnet im Unterricht und aufKommando des Kursleiters zum neuen, „lockeren“ Menschen mutiert, ist praxisfremdesWunschdenken. Besser ist es daher, wenn für Kommunikationsübungen von vornherein Sozial-formen gewählt werden, in denen sich niemand exponieren muss – vorzugsweise Partner- oder Gruppenarbeit. Für solche Sozialformen spricht außerdem, dass individuell mehr und mehr auf gleicher Ebe- ne gesprochen wird als im Frontalunterricht: Der Lerner empfängt comprehensible input , mehr sogar als im Gespräch mit Muttersprachlern, die oft mit der Anpassung an das Lerner-niveau nicht zurechtkommen. Insofern ist nicht sicher, dass der Muttersprachler stets auchder bessere Lernpartner ist (wie es zum Beispiel die Tandem-Methode unterstellt). Bei der Aufgabenstellung steht der Unterrichtende vor einem Dilemma: Wird die Aufgabe als zu leicht empfunden, so fehlt die Herausforderung; die Stärkeren reagieren gelangweilt,fühlen sich nicht ernstgenommen (infantilisiert?) und halten sich entsprechend zurück. Ist dieAufgabe zu komplex oder emotional belastet, werden die Schwächeren überfordert, manresigniert und weicht bei Ausdrucksproblemen rasch in die Erstsprache aus. Aufgabenstellungund Handlungshilfen sind daher in der kommunikativen Methodik sehr wichtig (vgl. Litera-tur zum Thema task orientation ). Eine gut geplante Kommunikationsübung läuft in vier Schritten ab: Orientierung/ Aufgabenstellung, Durchführung, Ergebniskontrolle und Aus- wertung. In der Orientierungsphase wird das Szenario geklärt, es werden Arbeitsgruppen gebildet, Informationen und Aufgaben verteilt. Nur wenn die Aufgabe so gestellt wird, dass sich dieInformation auf die Mitglieder der Arbeitsgruppe verteilt, kann ein Motiv für Informations-austausch und Kooperation entstehen. Auch Schwächere können im Gesprächsverlauf nichtübergangen werden, wenn sie über bestimmte Teilinformationen verfügen, die für das Ge-samtergebnis wichtig sind. Dabei sollten sich die Teilinformationen nicht zu „glatt“ ergän-zen; die Lösung der Aufgabe ist interessanter, wenn Unklarheiten, Widersprüche oderVerständigungsprobleme zu bewältigen sind. Technisch ist die Informationsverteilung mit 196einem Satz vorgefertigter Informationskärtchen einfach zu erreichen. Will man bewirken, dass eine Übung öfter und mit Rollentausch durchgespielt wird, müsste man mehrere Gruppen-sätze vorbereiten und die Aufgabe entsprechend variieren, so dass auch im zweiten Durch-gang unter realistischen Bedingungen (neues Informationsdefizit!) geübt werden kann. Viele Lernarrangements sind denkbar, in denen ein Informationsdefizit einen semi-natürli- chen Sprechanlass bietet; fast jeder Lehrbuchdialog (Wegbeschreibung, Einkauf, Verabre-dung, Termin, Hotelbuchung …) lässt sich mit vertretbarem Aufwand in diesem Sinne um-schreiben. Mehr spielerischen Charakter haben Bilder- und Geräuscheraten, Rätsel, Denk-und Problemlösungsübungen (viele Party-Spiele kann man gut auch in der Fremdsprachespielen!). Beim folgenden Beispiel geht es um problemlösendes Denken: Ask questions and find out what the story is really about: The telephone rang in the middle of the night and the woman woke up. When she answered it the caller hang up. The caller felt better. Solution: The woman and the caller were both guests in a hotel, but didn’t know each other. Their rooms were next to each other. The caller couldn’t get to sleep because thewoman was snoring. Quelle: FRANK 1982, 6 Gut einsetzbar (und oft auch sehr lustig) sind zerschnittene Bildgeschichten: Jedes Mitglied der Arbeitsgruppe erhält eines der Bilder; die Bilder werden verdeckt gehalten, die Geschich-te ist allein durch Frage und Antwort (und entsprechende Situationsphantasie) zu rekonstru-ieren. Die gefundene Lösung wird mit der „richtigen“ Handlungsfolge des Originals vergli-chen und im Anschluss mit einem passenden Dialog versehen. Die Übung ist schwieriger, alsman auf den ersten Blick vermuten würde; hier wie bei der Erstellung des Dialogs ist esübrigens durchaus möglich, von kreativen Leistungen zu sprechen. Ein Beispiel: 197Quelle: Augustin, Haase: Blasen-Geschichten, 1977 Wichtig wäre, dass solche Spiele vom Thema her zur Lerngruppe passen und dass sie sich sinnvoll in den Lernzusammenhang einfügen. (Was in der Erstsprache aus Sicht der Lern-gruppe nicht lustig ist, ist es auch in der Fremdsprache nicht.) Fast jedes Rollenspiel kanndurch Aufteilung der Informationsvorgaben in eine praktikable Kommunikationsübung um-funktioniert werden. Bei Rollenspielen wäre zu beachten, dass das Szenario den Lernerngeläufig sein muss; ohne entsprechendes Weltwissen und ohne Rollenphantasie können Übungenwie zum Beispiel der Dialog zwischen Hotelgast und Manager nicht gelingen. Gleiches gilt,wenn auch in anderem Maßstab, für Simulationen oder Planspiele mit Projektcharakter. Die wichtigste Quelle für authentisches kommunikatives Handeln bleibt jedoch die Real- situation des Lerners in der Lerngruppe. Eingebunden in ansprechende, phantasievolle tasks kommuniziert man vorrangig über sich selber: über etwas, was man weiß, kann, hat, tun willoder getan hat, meint, fühlt, für richtig hält und was die anderen in der Gruppe (hoffentlich)interessiert. Auch außerhalb des Fremdsprachenunterrichts sind das die wichtigsten Themender Alltagskommunikation – warum also nicht beim Erlernen der Fremdsprache? Die Lerngruppe sollte wissen, dass es in solchen Übungen nicht darauf ankommt, möglichst schnell, „sauber“ und fehlerfrei ein bestimmtes Ergebnis zu produzieren. Das Übungsdesignbietet die Chance, das Aushandeln von Verständigungsproblemen unter entlasteten Bedin-gungen zu trainieren – und diese Chance sollte genutzt werden. Ausdrucksprobleme werdenden Fremdsprachenlerner immer begleiten, bis hinauf auf höchste Lernniveaus; es kommtdarauf an, Strategien zu entwickeln, zu testen und einzuüben, mit denen man dennoch dieintendierten Handlungsziele erreichen kann. Insofern gilt bei kommunikativen Sprechübun-gen (trotz einer ergebnisorientierten Aufgabenstellung) das Prinzip: Der Weg ist das Ziel . Im Anfang ist es sinnvoll, transparente Dialogtypen mit klarer Regelung der Gesprächs- initiative (siehe oben „aktiver Dialog“) zu wählen; auf die Unbestimmtheitsstellen im Hand-lungsrezept kann man mit geeigneten Stichworten hinweisen. Der Ablauf des Dialogs solltenicht zu stark gelenkt werden, es muss ausreichend Raum für eigene Entscheidungen undImprovisationen bleiben. Die Vorgaben erfolgen in der Zielsprache; muss in der Aufgabe einVerständigungsproblem gelöst werden, so kann ein Impuls in der Erstsprache eingestreutwerden ( ask for „Briefmarken“ : in English? / get where? ). Die Kommunikationsübung läuft ausschließlich in der Fremdsprache ab – und zwar im oral code und in natürlichem Tempo. Alle expressiven Mittel (Mimik, Gestik, Demonstration etc.) und alle Verständigungshilfen sind zulässig, die man auch in einer natürlichen Gesprächs- 198situation anwenden könnte. Wichtig sind authentische Formen der Gesprächseröffnung und Anrede, der Ablaufsteuerung (Bestätigen, Klären, Nachfragen, Wiederholen) sowie einespassenden Gesprächsabschlusses. Der, der die Gesprächsinitiative hat, kontrolliert denInformationszuwachs im Blick auf das Handlungsziel und beendet zu gegebener Zeit dasGespräch. Missverständnisse werden nicht metasprachlich, sondern objektsprachlich geklärt.Das Übungsdesign führt damit auch zum Erlernen von Enkodierungsstrategien (Umweg-formulierungen, Paraphrasen, Gebrauch deiktischer Hilfen etc., HECHT, GREEN 1991). Das Ergebnis des Gesprächs (die Lösung der Aufgabenstellung) wird festgehalten und an- schließend kurz ausgewertet. Das Ergebnis kann auch indirekt ausgewertet werden, indem esin eine neue Aufgabe einbezogen wird (zum Beispiel Zusammenfassung verschiedener Zeu-genaussagen zur Feststellung eines Unfallhergangs). Die sprachbezogene Auswertung istwichtig, wenn man vermeiden will, dass sich weniger akzeptable Zwischenlösungen in derLernersprache verfestigen. Wer im realitätsnahen Dialog gelernt hat, sich erfolgreich „durch-zuwursteln“, schwebt immer in der Gefahr, die erfolgreichen Strategien zu verfestigen. In der Auswertungsphase werden Ausdrucksprobleme diskutiert, einzelne Formulierungen hinsichtlich ihrer Expressivität verglichen und bewertet, dabei auch die Wahl des passendenRegisters (persönlich/ neutral / förmlich) und passender Ausdrucksmittel (Wortwahl, Proso-die, Lautstärke, Körpersprache) thematisiert. Viel wichtiger als übertriebene „Authentizität“in der Wahl der Ausdrucksmittel ist, dass gewisse essentials der interkulturellen Verständi- gung verstanden und von Anfang an im Übungsverlauf praktiziert werden: •Störungen und Missverstehen erwarten, sich tolerant verhalten; •sprachliche Hilfen erwarten und anbieten; •face needs des Gesprächspartners beachten, ökologisch valide Formen des Umgangs praktizieren, Respekt und Zurückhaltung üben; •bei fehlerhaftem oder stockendem Ausdruck des Gesprächspartners auf negative Wer-tungen verzichten; •sprachliche Überlegenheit nicht ausnutzen, andere zu Wort kommen lassen. Sprechintention und Redemitteloptionen in Einklang zu bringen, die rhetorische Expressivi- tät zu schulen und zu verbessern, die Wirksamkeit der Rede zu optimieren bleiben generelle,nie abschließend lösbare Ziele der Sprecherziehung – gleich ob in Erst- oder Zweitsprache.Hier liegt ein wichtiges Arbeitsfeld für den Fortgeschrittenenunterricht, für Gesprächs- undKonversationskurse (vgl. VIELAU 1988), auch für den bilingualen Unterricht als die natür-lichste Form des kommunikativen Erlernens einer Fremdsprache außerhalb ihres Kulturkrei-ses. Begegnungssituationen (Austausch, Reisen, Sprachentandems etc.) sind nützlich vorallem in motivationaler Hinsicht (MÜLLER 1989) und zur Verbesserung der Flüssigkeit. 1994.3.3 Leseverstehen Aus der Sicht des Fremdsprachenlerners ist das Lesen die wohl wichtigste und universellste Möglichkeit zum praktischen Gebrauch der Fremdsprache. Anhand vereinfachter Texte, pas-send ausgewählter Sprachmagazine oder lehrbuchbegleitender reader ist das Lesen schon in frühen Phasen des Lernprozesses möglich; es nicht an einen besonderen Ort, einen Partner,ein technisches Medium oder ein bestimmtes Ablauftempo gebunden. Beim Lesen eines inte-ressanten fremdsprachlichen Textes verbindet man das Angenehme mit dem Nützlichen. Kann man die Kommunikationsfähigkeit insgesamt durch das Lesen verbessern? Die kontro- verse Diskussion dieser Frage kann hier nicht dargestellt werden; ich beschränke mich aufeinige Konturen der Problematik. Jedes verstehende Lesen liefert dem Lernenden compre- hensible input , und insofern sind gewisse Lern- und Übungseffekte vom pleasure reading stets zu erwarten (KRASHEN 1984). Allerdings achtet man beim flüssigen Lesen mehr aufden Inhalt als auf die Sprache, übergeht die Verstehenslücken. Der Übungseffekt beschränktsich daher auf die Bestätigung dessen, was schon bekannt ist, und auf das, was nebenbei undunbewusst mitgelernt werden kann. Andere Fertigkeitsbereiche wie Hörverstehen und Spre-chen verbessern sich beim Lesen kaum, erkennbar scheint die Schreibfertigkeit zu profitieren(HAFIZ, TUDOR 1990). Lesen verbessert vor allem die Lesefähigkeit – und nützt dem Sprach-erwerb insgesamt nur indirekt. Beim Leseverstehen steht der Lernende vor ähnlichen Problemen wie beim Hörverstehen – mit drei wichtigen Unterschieden: Die Information ist nicht flüchtig, die Zeichenerkennungist weniger schwierig und es gibt keine zeitlichen Beschränkungen. Wenn man etwas nichtversteht, kann man die Textstelle beliebig oft wiederholen. Das hat Vor- und Nachteile. DasLesen ist potenziell die „leichteste“ kommunikative Zieltätigkeit, gewisse Anfangserfolge sindhier schon mit geringen Sprachkenntnissen möglich; Einstufungstests zeigen deutliche Unter-schiede in den Grammatikkenntnissen und im Leseverstehen. Weil Lesen allgemein als leichtempfunden wird, akzentuierte Lesekurse rasche Lernerfolge versprechen, fällt nicht auf, dassman sich beim Lesen eines fremdsprachlichen Textes oft eher ungeschickt und ineffektivverhält, dass Probleme wie etwa die Bildung privatsprachlicher Lautungen nicht erkanntwerden und dass das Ergebnis der Lektüre (also das, was man tatsächlich aus dem Text anInformationsgewinn herausholt) wenig überzeugt. Eine falsche Hörstrategie widerlegt sich von selber: nach wenigen Sätzen versteht man nichts mehr oder nur noch unverbundene Bruchstücke. Eine falsche Lesestrategie hat den Nachteil,dass sie subjektiv immer noch funktioniert: Das Wort-für-Wort-Lesen (und stille wortweiseMit-Übersetzen) ist zwar ineffektiv und mühsam, aber es ist nicht von vornherein unmöglich;und dass der auf diesem Wege erlangte Informationsgewinn unbefriedigend ist, kommt man-gels geeigneter Maßstäbe und Kontrollinstrumente nicht ans Licht: Man muss einen Text verstanden haben, um zu erkennen, dass man ihn nicht verstanden hat. Schwierigkeiten beim Textverstehen werden nicht mit einer falschen Lesestrategie und fehlendem Mitdenkenin Verbindung gebracht (auch einen deutschen Text, den man auf diese Weise liest, würdeman ungenügend verstehen), sondern mit Übersetzungsproblemen und mangelnden V okabel-kenntnissen. Man kann das Textverstehen nicht durch die Schulung von Übersetzungstechnikenverbessern, das Gegenteil ist der Fall: Das Textverstehen ist die V oraussetzung für eine guteÜbersetzung. Nur einen Text, den man (vorher) verstanden hat, kann man (im zweiten Schritt)dann auch vernünftig übersetzen. 200Die Lernkonstellation beim Leseverstehen ist ähnlich wie beim Hörverstehen: Der Lerner konzentriert sich bei der Lektüre eines fremdsprachlichen Textes eher auf die Textoberfläche;das V orwissen wird nicht aktiviert, es fehlt am Mitdenken, an effektiven Lesestrategien. Un-günstig ist daher alles, was die Fixierung auf die Textoberfläche bestätigt oder verstärkt:Lautes Vorlesen, die Orientierung hin auf einzelne Wörter im Text ( cue words ) oder Wort- für-Wort-Übersetzungen. Jeder Text, der primär oberflächenorientiert erarbeitet wird, ist gleichneu und gleich schwierig, und es dauert ähnlich lange, bis der Text erfasst ist; Fortschritte inder Lesefertigkeit sind auf diesem Wege auch nach längerem Training kaum feststellbar. Beider Unterrichtsplanung muss man dort ansetzen, wo die größten Defizite liegen. Aus diesemBlickwinkel ist die Aktivierung von top-down -Prozessen und Lesestrategien vorrangig, und auch der Zeitfaktor (Flüssigkeit) bleibt ein wichtiger Aspekt zur Beurteilung der Lese-kompetenz. Die im Folgenden empfohlene Basismethode enthält vier Lernschritte: Orientie-rung, Informationsmotiv, Leiselesen, Auswertung. Orientierung Zunächst sollte man sich einen Überblick verschaffen und den unbekannten Text global ein-ordnen: Mit was für einem Text habe ich es zu tun (Quelle)? Welche Art Information habe ichzu erwarten, was leistet der Text für mich (Textsorte)? Ist der Text potenziell interessant undlesenswert (Thema, Autor)? Wie lang ist der Text und wie ist er gegliedert (Bilder, Über-schriften und Unterüberschriften, Einleitung und Zusammenfassung)? Diese erste Leseorientierung wird durch eine sinnvolle visuelle Aufbereitung des Drucktextes erleichtert. Merkmale eines gut lesbaren Texten wären zum Beispiel: ausreichende Zeichen-größe, kurze Zeilen oder Spaltensatz (Blickspanne), Gebrauch einer Serifenschrift (besserals die sachlich-technische Sansserif), Flattersatz (besser lesbar als Blocksatz), genügendDurchschuss, eine klare Gliederung mit nicht zu langen Absätzen, ein übersichtliches Lay-out, keine Abweichungen in Rechtschreibung und Zeichensetzung. Der Sinn des natürlichen Lesens liegt im Informationsgewinn ; man liest einen Text für prak- tische Zwecke, zur Unterhaltung oder im weitesten Sinn aus ästhetischen Motiven. Das Le-sen kann man daher nur an Texten üben, die aus subjektiver Sicht einen Informationsgewinnerlauben: Sie müssen dem Leser unbekannt sein, und er muss sie als interessant und ökolo- gisch valide empfinden. Dabei dürfen die Texte nicht zu schwierig sein: Wenn der Leser über jedes zweite Wort stolpert, ist flüssiges Lesen unmöglich. Erforderlich ist daher ein Plateau-text in authentischem Layout. Um dem Leser eine natürliche Annäherung zu ermöglichen, istes günstig, wenn mehrere Texte zur Auswahl angeboten werden: Zum einen entsteht dadurchdas Motiv, sich zunächst kurz über den Inhalt der Texte zu informieren (was unter künstli-chen Rahmenbedingungen oft entfällt); zum anderen verbessert sich die Chance, dass derLeser im Textangebot etwas findet, was ihn persönlich anspricht. Während der Orientierung greift der Lesende unbewusst auf Vorwissen zurück: bei der Auf- fassung des Themas, bei der Beurteilung, ob der Text ansprechend und lesenswert ist, und beider Einschätzung, was dieser Text für ihn als Leser leistet. Der nächste Schritt der Lese-handlung wird stark dadurch beeinflusst, ob der Leser die Textsorte richtig aufgefasst hat.Vereinfacht kann man fünf elementare Textsorten unterscheiden (siehe schon WERLICH 1976: 39 ff.): Deskription, Narration, Instruktion, Exposition und Argumentation. Diese Text- 201sorten wirken wie Schablonen, die die Leseerwartung beeinflussen. Der kompetente Leser weiß, was der Text für ihn leistet, sobald er die Textsorte erkannt hat: Er weiß, ob etwasbeschrieben wird (Deskription), ob etwas erzählt oder berichtet wird (Narration), ob der Textzu etwas anleiten will (Instruktion), ob er ein Thema darstellt (Exposition) oder von etwasüberzeugen will (Argumentation). Entsprechend stellt man sich auf die Lektüre ein. Zur Orien-tierung genügt schon ein Blick auf äußerliche Textmerkmale, um zu erkennen, dass man eszum Beispiel mit einer Bedienungsanleitung zu tun hat (Textsorte Instruktion). Informationsmotiv und Lesestrategie Aus naiver Sicht ist Lesen nicht kompliziert: Der Leser vollzieht anhand der Lektüre desTextes schrittweise nach, was der Autor meint; er versteht den Text, indem er für sich den imText niedergelegten Informationsgehalt ermittelt. Analysiert man das Lesen genauer, so zeigtsich allerdings, dass die Lesehandlung in vielen Fällen nicht als ein passives Nachvollziehen,sondern als ein aktives Konstruieren verstanden werden muss: als eine Handlung, die im Ergebnis nicht eine bestimmte Information, sondern eine der Optionen im Kontinuum dermöglichen Lesarten des Textes liefert. Wie ist das zu verstehen? Wie Schaubild 24 zeigt, kann man den Kommunikationsprozess beim Lesen in zwei semioti- schen Dreiecke auflösen, jeweils nach der Seite von Autor und Leser hin: Schaubild 23: Der Kommunikationsprozess beim Schreiben/ Lesen Jeder Text ist vom Autor her auf bestimmte Ergänzungen des Lesers ( Inferenzen ) angelegt: Er enthält die Information nicht sozusagen rundum vollständig, sondern nur in Andeutungen,mit Lücken und Implikationen , in denen sich die Annahmen des Autors über gemeinsames Vorwissen, die Lesekompetenz, die Phantasie und V orstellungskraft des Lesers spiegeln. Daswesentliche Merkmal literarischer Texte besteht darin, dass sie von ihrer Struktur her offenerangelegt sind als pragmatische Texte, dass sie der V orstellungskraft des Lesers mehr Raumbieten (ISER 1976). Aber selbst technische Handbücher oder Bedienungsanleitungen, die aufhöchste Präzision in der Informationsübermittlung zielen, stellen bestimmte Anforderungenan den Leser (die längst nicht jeder erfüllt). Insofern gibt es keinen geschlossen-eindeutigen,leserunabhängigen Text, sondern ein Kontinuum der Offenheit in den Textstrukturen; in die-sem Kontinuum rangiert der anspruchsvolle literarische Text in der Nähe des einen Pols undeine allgemeinverständliche Bedienungsanleitung in der Nähe des anderen. 202Jede Lesehandlung wird daher durch den Grad der Offenheit des Textes und das V orwissen des Lesenden (Sachwissen, Sprachwissen, Handlungswissen, Einstellungen) beeinflusst,obendrein durch das Informationsmotiv und die Wahl einer entsprechenden Lesestrategie . Schon während der Orientierung entscheidet der Leser (häufig unbewusst), wie und warumer den Text lesen will. Das Ergebnis der Lesehandlung, die subjektive Lesart des Textes,entspricht der Eigenart dieses gerichteten Zugriffs auf den Text; der Leser tritt sozusagen ineinen aktiven Dialog mit dem Text ein. Er ist Architekt seiner persönlichen Lesart des Textes.Im Prinzip gilt das für jede Art der Textrezeption – nicht nur für die Lektüre des Schülers,sondern auch für die des Lehrers, sogar für die des Autors. Zwischen der hypothetischenTextbedeutung „an sich“ und dem Kontinuum möglicher Lesarten dieses Textes gibt es keinedirekten Verbindungen (was im Schaubild durch die gestrichelten Linien des inneren Drei-ecks angedeutet sein soll). Wenn es zu jedem Text verschiedene Lesarten gibt, heißt das, dass eine Lesart „so gut sei wie die andere“? Die Analyse des Leseakts sagt lediglich, dass verschiedene Lesarten möglichsind, nicht aber, dass mehrere Lesarten wahrscheinlich sind (je offener der Text, desto wahr-scheinlicher sind mehrere Lesarten), und nicht, dass alle Lesarten in ihrem Informations-gehalt gleichwertig sind. Die Qualität einer Lesart ist abhängig von der Art des Zugriffs aufden Text, vom Inferenzwissen des Lesenden (wer schon vorher viel über ein Thema weiß,wird einen entsprechenden Text leicht, schnell und mit maximalem Informationsgewinn le-sen) und von bestimmten Prozessmerkmalen der Lesehandlung, vor allem vom Informations-motiv und der Lesestrategie. Bei pragmatischen Texten gibt es ein probates Außenkriteriumfür die Qualität der Lesart: den Informationszuwachs bzw. Handlungserfolg in der Praxis.(Wenn ich als einziger richtig am gewünschten Ort ankomme, habe allein ich die Wegbe-schreibung angemessen verstanden.) Schon bei der Entscheidung, gerade diesen Text zu lesen, formt sich ein Informationsmotiv : Der Leser aktiviert V orwissen und Erwartungen. Interessant und lesenswert wird ein Textsein, zu dem er einen brauchbaren Zugang hat und von dem er sich einen Informationsgewinnverspricht. Entsprechend entscheidet er sich für eine der folgenden Lesestrategien : •Er überfliegt den Text und nimmt nur die wichtigsten Informationen auf (selektives Lesen/ Globalverstehen, hohes Lesetempo); •Er liest den Text gründlich und genau, verweilt bei wichtigen Einzelheiten und tritt ineinen stillen Dialog mit dem Autor ein (genaues Lesen/ Detailverstehen; mittleres Lesetempo); •Er liest den Text kreativ und kritisch, führt Ideen weiter, auch über die gegebene Infor- mation hinaus, kommentiert und annotiert den Text (kreatives Lesen; langsames Lese- tempo). Jede dieser Lesestrategien ist in spezifischer Weise auf den Inhalt des Textes ausgerichtet; eine oberflächenorientierte Wort-für-Wort-Strategie kommt beim natürlichen Lesen nicht vor.Wenn der Lesetext nicht selbst ausgewählt werden kann, müssen Informationsmotiv und Lese-strategie über die Aufgabenstellung von außen gesetzt werden; auch hier sollte man bestrebtsein, die Außensteuerung abzulösen und nach und nach durch selbstgesteuertes, freies Lesenzu ersetzen. 203Sinnentnahme durch Leiselesen Lautes Lesen setzt voraus, dass der Text verstanden ist. Das gilt schon für den erstsprachlichen Vortrag, viel mehr noch für das V orlesen eines fremdsprachlichen Textes: Der Lernende über-lastet seine kognitiven Ressourcen, wenn er zugleich auf die Wahrnehmung des Schriftbildes,flüssige Aussprache, angemessene rhetorische Gestaltung, das Aufnehmen der Informationund aktives Mitdenken achten soll. Beim lauten V orlesen konzentriert sich die Aufmerksam-keit fast zwangsläufig auf die Textoberfläche – exakt der Effekt also, den es zu vermeidengilt. Insofern ist es ein starker methodischer Fehler, wenn man zur Einübung des Leseverstehenseinen unbekannten Text laut vorlesen lässt. Das gestaltende Vorlesen/V ortragen (MÖHLE1988) ist ähnlich dem Übersetzen eine Sekundärtechnik, die zwingend voraussetzt, dass derText dem V ortragenden bekannt ist. Beim leisen Lesen spielt sich die Verarbeitung unsichtbar im Kopf des Lernenden ab: Wie kann man diesen Prozess von außen steuern und beeinflussen, wie kann man vermeiden, dasseine Wort-für-Wort-Lesestrategie gebraucht wird? Solange die Wahl der Lesestrategie nochnicht automatisiert ist, sollten die Lernschritte der hier skizzierten Methode in expliziter Formdurchlaufen werden: Das Informationsmotiv sollte explizit genannt werden, der Lesende soll-te sich bewusst für eine Lesestrategie entscheiden und er sollte auf ein bestimmtes Ergebnishinarbeiten (Auswertung!). Das Leseverhalten kann außerdem durch Zeitvorgaben und bestimmte Arbeitstechniken (Markierungen während des Lesens) beeinflusst werden. Nur wer flüssig liest, liest effektiv:Insofern ist es keine Schikane, wenn relativ zur gewählten Lesestrategie bestimmte Zeitengesetzt werden. Markiert werden nicht die unbekannten Wörter im Text (was die Aufmerk-samkeit zu sehr auf die Textoberfläche richten würde), sondern die wichtigen Informationen.Am besten vereinbart man bestimmte Zeichen für „wichtig/neu“, „Zustimmung“, „Ableh-nung“ etc. sowie nach Bedarf einige textsortenspezifische Symbole (z.B. zur Kennzeichnungvon These, Argument, Beispiel, Folgerung in Argumentationen). Durch die Markierungenkann man die subjektive Lesart in anschaulicher Form präsentieren; das ist wichtig, wennman die Ergebnisse in der Auswertung im Detail besprechen will. Auswertung Die Auswertung hat zwei Dimensionen, eine inhaltliche und eine sprachliche. Wichtig istzunächst die inhaltliche Auswertung: Was wusste ich vorher schon über das Thema, was hatsich bei der Lektüre an neuen, interessanten Gesichtspunkten aus meiner Sicht ergeben? Da-mit ist keine wertende Stellungnahme, sondern eine subjektive Rekonstruktion verlangt: Der Lernende soll sich klar werden über seine eigene Lesart des Textes und den subjektivenErtrag der Lektüre. Er soll die Information zusammenfassen können, die Abfolge der wichti-gen Ideen im Text und ihre Beziehungen zueinander verstanden haben. Will man über Einzel-heiten sprechen (was natürlich nur dann Sinn macht, wenn eine entsprechende Lesestrategiegewählt wurde), so hilft eine geeignete Markierungstechnik und die Nummerierung der Zei-len. Die einfachste Form der inhaltlichen Auswertung liegt in einer weiterführenden Aktivität:Ausführung einer im Text beschriebenen Handlung, ein Leserbrief zu der im Text vertretenenMeinung, ein Gespräch über den Inhalt des Textes mit jemandem, der diese Informationbenötigt ( jigsaw-reading ). 204Weniger empfehlenswert sind die üblichen Verstehenstests, etwa in Form von Mehrfachwahl- aufgaben, wie sie häufig in den Lehrbüchern zu finden sind. Solche Aufgaben können meistensdurch oberflächenorientierte Vergleichsoperationen gelöst werden; sie lassen kaum Rück-schlüsse auf das Sinnverstehen zu. Inhaltsbezogen kann man die Lektüre nur auswerten,wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind: Es muss überhaupt so etwas wie eine subjektiveLesart entstanden sein, und es muss das Prinzip gelten, dass jede gefundene Lesart möglichist und ernstgenommen wird. Es klingt paradox: Wie kann man etwas lesen, ohne dass eine subjektive Lesart entsteht? Werden fremdsprachliche Texte in typischer „Schulmanier“ erarbeitet (lautes V orlesen, Un-terbrechungen für unbekannte Wörter und Strukturen, eingestreute Übersetzungen schwieri-ger Textstellen, Überprüfung des Textverstehens durch true-false -Aufgaben), liegt die Ge- fahr nahe, dass man sich fast ohne Informationsgewinn von Wort zu Wort und Satz zu Satz„voranhangelt“. Auf diese Weise kommt es schnell zum Überlauf der Gedächtnisspeicher: Esentsteht kein kohärenter Ideenfluss, die Information „kommt nicht rüber“ – ähnlich wie beider Lektüre eines schwierigen Fachtextes in der Erstsprache, bei dem wir uns inhaltlich nichtauskennen. Man hat dann zwar den Text gelesen, glaubt auch, ihn irgendwie verstanden zuhaben, ist jedoch nicht in der Lage, die Information subjektiv zu rekonstruieren. Eine brauchbare Lesart des Textes kann nur entstehen, wenn man sich beim Lesen mit dem Inhalt des Textes denkend auseinandersetzt ( Tiefenverarbeitung ). Viele Lehrkräfte reagie- ren ratlos und frustriert, wenn die Lektüre kaum Reaktionen auslöst. Häufig hat das wenigermit Verweigerung, Desinteresse, intellektuellen Defiziten zu tun als damit, dass die Lektüre,unbemerkt von Lehrendem und Lernenden, keine brauchbare Lesart des Textes, daher auchkeinen Informationszuwachs und keine innere Beteiligung hervorgebracht hat. Die tiefereUrsache des Problems ist eine falsche Lesetechnik als Folge eines falschen Lernarrangements. Vielen Schülergenerationen ist mit der Suche nach der „richtigen“ Lesart eines Textes der Spaß am Lesen verdorben worden. Die früher übliche „gelenkte Entdeckungsprozedur“ aufdie Lehrer-Lesart hin sollte in einem kommunikativen Fremdsprachenunterricht nicht mehrvorkommen. Jede authentische Lesart eines Textes ist ernstzunehmen, da der Informations-gewinn, den man aus der Lektüre eines Textes ziehen kann, zunächst immer etwas Subjekti-ves ist. Gerade die unvoreingenommene Sichtung und der Vergleich dieser verschiedenenLesarten kann zu interessanten Erkenntnissen führen (Einstieg über subjektive Anschauungs-bilder, sinnliche Vorstellungen …) – wobei man nicht zögern sollte, in solchen Gesprächenauch mal den Rückgriff auf die Erstsprache zuzulassen. Das Sprechen über verschiedene Lesarten eines Textes ist schwierig, weil es stets auch eini- ges an Selbstoffenbarung impliziert: Der Lerner fragt sich, ob er sich in solchen Gesprächen mit seiner Lesart „vorwagen“ kann, ohne Abwertungen der eigenen Person befürchten zumüssen. Anspruchsvolle Gesprächsverläufe sind daher nur in einer harmonischen Lern-konstellation zu erwarten, in der ein offener, ungeschützter Ideenaustausch möglich ist – undsie verlangen Toleranz und pädagogisches Geschick von Seiten des Lehrenden. Leichter zuhandhaben sind pragmatische follow-up -Aktivitäten, wie sie oben beschrieben wurden. Eine sprachbezogene Auswertung ist nur erforderlich, wenn man gezielt an sprachlichen Merkmalen des Textes arbeiten will, etwa den Blick für die verschiedenen Textsorten schär-fen möchte. Ob man Kohäsionsmerkmale und textgrammatische Strukturen bewusstmachensollte, wage ich zu bezweifeln – exakteres Wissen dieser Art ist eher für das Schreiben wich- 205tig. Auch vorkommunikative Formen der Sprachanalyse haben hier keinen Platz: Wer einen authentischen Lesetext als Steinbruch für Wortschatz-, Grammatik- oder Übersetzungsübungenmissbraucht, darf sich nicht wundern, wenn seine Lerngruppe „an der Oberfläche klebt“,keine Flüssigkeit erlangt und rasch die Lust am Lesen verliert. So weit zu einer Kurzdarstellung der Basismethode zur Förderung des Leseverstehens. Es gibt kaum einen Problemkreis in der Fremdsprachendidaktik, der breiter und tiefergehenderforscht ist als das Leseverstehen, zumal in der Variante, in der es um das Verstehen litera-rischer Texte geht. Dieser Themenkreis konnte hier nur gestreift werden; zur weiteren Infor-mation verweise ich in Auswahl auf WHITE 1980, GRELLET 1981, ENGELKAMP 1984,WOLFF 1985, STIEFENHÖFER 1986, WESTHOFF 1987, SCHIER 1990, GRABE 1991. Liefert die Basismethode den „roten Faden“ für die Planung entsprechender Lernarrange- ments, so gibt es aufbauend zahlreiche Übungsideen zur Ergänzung und Verbesserung be-stimmter Lernschritte (etwa VIELAU 1981, STIEFENHÖFER 1986, WESTHOFF 1987).Wichtig zur Förderung der top-down -Verarbeitung sind zum Beispiel Übungen zur Aktivierung des Vorwissens (Bilder, Assoziogramme, kleine Forschungsaufträge …) und textbezogeneAntizipationsübungen (Versprachlichung der Leseerwartung auf Basis von Teilinformationen):Hierzu kann man Textteile (Anfang, Mitte, Ende) weglassen, den Text zerschneiden und zurLektüre in der Lerngruppe aufteilen, von Überschriften oder Unterüberschriften ausgehendauf den Inhalt schließen lassen, einen ungegliedert präsentierten Text gliedern lassen, dieverstellte Reihenfolge der Abschnitte wiederherstellen … Viele Lerner haben Schwierigkeiten zu entscheiden, welche der Informationen im Text wich- tig und unwichtig sind. Obwohl diese Entscheidung sehr von der subjektiven Lesart abhängt,kann es nützlich sein, hier auch mit formaleren Instrumenten (Umstellungs- und Weglass-probe, Reduktionsübungen, Erstellung von Zusammenfassungen etc.) zu arbeiten. Als Einstieg in die Textanalyse eignet sich gut eine graphische Veranschaulichung der Text- struktur (VIELAU 1981): Die Struktur einer Argumentation lässt sich verbal schwierig dar-stellen; ein einfaches Tafelbild, das den Gang der Argumentation veranschaulicht, erleichterthier vieles. Für jede der Textsorten lassen sich einfache graphische Grundmuster finden (hie-rarchische Gliederung für die Exposition, Zeitachse für die Narration, dialektische Gliede-rung für die Argumentation etc.), die dem Leser helfen, abstrakte Textstrukturen besser zudurchschauen. Viele Detailprobleme im Verstehen des fremdsprachlichen Textes, im Auffas-sen und Gewichten der einzelnen Informationen erledigen sich durch eine graphische Aufbe-reitung der Textstruktur in Form eines „Ideen-Skeletts“ fast von selber. Auch die subjektivenLesarten lassen sich im Rahmen eines solchen Ideen-Skeletts besser lokalisieren und nach-vollziehen. Jedenfalls sollte man auf die eine oder andere Art sicher sein, dass sich eine kohärente Lesart gebildet hat, bevor man Sekundärtechniken wie Übersetzen oder gestaltendes Vortragen prak-tiziert. Eine gute Übersetzung sucht die äquivalente Bedeutung nicht auf Wort- oder Satz-ebene, sondern auf textueller Ebene; auch die Übertragung soll wieder einen in sich kohären-ten und schlüssigen Zieltext ergeben. Die Probe ist einfach: Einer guten Übersetzung merktman ihre Herkunft nicht an; am besten beurteilt das jemand, der den Ausgangstext nichtkennt. Insofern ist eine ausführliche „freie“ Zusammenfassung auf der Grundlage einer ver-standenen (veranschaulichten?) Textstruktur eine optimale Vorübung für die genaue (Her-)Übersetzung. 206Ähnliches gilt im Prinzip für den Lesevortrag. Der Vortragende kann sinnvoll nur die Infor- mation transportieren, die er selber verstanden hat. Am besten überprüft man das unter rea-listischen V ortragsbedingungen: Die Zuhörer dürfen den Text, der ihnen vorgetragen wird,nicht kennen und natürlich auch nicht mitlesen (MÖHLE 1988); das Textverstehen sollteanschließend überprüft werden. Übungen zum Leseverstehen können und sollen den Fremdsprachenunterricht von Anfang an begleiten; es gibt keine einfachere und wirkungsvollere Methode, die Fremdsprache außer-halb ihres Kulturkreises zu praktizieren. Lesen soll Spaß machen und subjektiv als Bereiche-rung empfunden werden; als Pflichtaufgabe ist es eher kontraproduktiv. Wichtig ist die An-passung des Textes an die Lernersprache (lieber zu leicht als zu schwer), ein breites Textan-gebot für verschiedene Interessen (Textarchiv) und die Ermutigung zum flüssigen, natürli-chen Lesen – alles andere folgt dann fast von alleine. Für weiter Fortgeschrittene wird mandie Textschwierigkeit anheben und komplexere Textarten (Fachtexte, literarische Texte) ein-beziehen; wichtig ist der variable Einsatz verschiedener Lesestrategien und deren ständigeVerfeinerung und Fortentwicklung (zum Beispiel Informations- und Suchstrategien, Techni-ken des schnellen Lesens). 4.3.4 Schreiben Das Thema „Schreiben“ hat zahlreiche Aspekte. Im Fremdsprachenunterricht schreibt man,um Neues besser aufnehmen und behalten zu können (Schreiben als Lernhilfe und Arbeits-technik), um das Schriftbild der fremden Sprache flüssig und richtig zu beherrschen (Schreib-motorik, Rechtschreibung), um einfache Gebrauchstexte auf angemessene und wirkungsvol-le Art in der Fremdsprache abfassen zu lernen (kommunikatives Schreiben), um erworbeneKenntnisse nachzuweisen (Schreiben als Lernkontrolle). Im Folgenden geht es besonders umdas kommunikative Schreiben . Schreiben ist eine bei Lehrenden und Lernenden eher unbeliebte Tätigkeit. Es geht langsam voran und ist vom Handlungsablauf her wenig unterhaltsam. Die Ergebnisse sind oft trostlos:Der Ergebnistext ist ideenarm, inhaltlich wirr, voller Fehler und von der Optik her eine Zu-mutung. Beim Schreiben kann man sich an Problemen nicht „vorbeimogeln“, jedes individu-elle Nichtwissen, jede Ungenauigkeit wird im Ergebnistext sichtbar. Schlechte Resultate wie-derum sind der Motivation nicht förderlich, der nächste Text geht noch schwerer von derHand als der vorige. Obendrein wird die mündliche Kommunikationsfähigkeit als wichtigereingestuft, unter dem andauernden Einfluss des „Primats der mündlichen Fertigkeiten“ auchvon vielen Lehrenden (vgl. schon BURGSCHMIDT 1975: 121 f.). Entsprechend fehlen sinn-voll angelegte Schreibübungen in vielen Lehrbüchern. Aus Lehrersicht kommt noch hinzu,dass das Schreiben viel Unterrichtszeit kostet und die Nachbereitung schon deshalb entfällt,weil regelmäßige individuelle Korrekturen viel zu aufwendig wären. Das Schreiben fristet im kommunikativen Fremdsprachenunterricht daher oft ein Schatten- dasein. Auch die methodischen V orstellungen waren lange eher einfach gestrickt: Sterile undwirklichkeitsfremde Schreibaufgaben werden individuell bearbeitet (aus Zeitgründen alsHausaufgabe), die Ergebnisse nur stichprobenartig korrigiert. Für BURGSCHMIDT (1975)geht der methodische Weg vom Abschreiben über das Diktat zum „freien Schreiben“ (108 f.), 207wobei von „gelenkten Formen“ ausgehend nach und nach freiere Formen anzustreben seien (121). Dabei ist kaum an eigenständige Produktion gedacht, sondern getreu dem audiolingu-alen Lernmodell an die oberflächenorientierte Nachahmung/Reproduktion vorgegebener Mustermit schrittweisem Aufbau des Textes vom Teil zum Ganzen hin: Verbindung vorgegebenerEinzelwörter und Wortgruppen zu Sätzen, dann von (Teil-) Sätzen zu (Teil-)Texten, dann vonTextteilen oder einem Textskelett zum Text (vgl. 186 ff.). Ketzerisch könnte man sagen: DasSchreiben eines Textes wird als verlängerte Satzbildung aufgefasst, die eigentlichen Proble-me des kommunikativen Schreibens, die intentionalen und pragmatischen Aspekte dieserKommunikationsform, bleiben von vornherein ausgeblendet. Ähnlich geht die Übungsfolgebeim Schreiben für BLIESENER (1989) von „Einzelsätzen“ über „Satzgruppen“ hin zu„Texten mittlerer Länge“ (206). Gemeinsam ist diesen Zugängen, dass man sich eher amProdukt als am Prozess orientiert, eher das gewünschte Ergebnis ins Auge fasst ( „Die Länge der Texte sollte wegen der notwendigen Kontrolle 500 Wörter nicht überschreiten.“BLIESENER 1989: 206) als die prozessualen Merkmale der Handlung, die dieses Ergebnishervorbringen soll. Wenn das Schreiben als Reproduktion vorgegebener Mustertexte geübt wird, so ist jeder Schreibanlass aus der Sicht des Lernenden gleich neu und gleich schwer: Wie und wo soll aufdiese Weise ein Lernfortschritt entstehen? Ist Schreiben mehr als das lineare Verknüpfen vonWörtern zu Sätzen, Sätzen zu Absätzen und Absätzen zu Texten? Ist die Länge des produ-zierten Textes ein Qualitätsmerkmal? Warum ist Schreiben auch für Sprachgeübte oft schwie-rig? Wie lernt man, besser, flüssiger und rhetorisch wirkungsvoller zu schreiben? Neue Anforderungen und Impulse für die Schreibmethodik kamen aus der Berufswelt, aus der Wissenschaft, auch aus der EDV-Technik. Als Folge des allgegenwärtigen Abbaus derSchreibkultur haben viele Menschen schon in ihrer Erstsprache Probleme, den schriftsprach-lichen Anforderungen der Arbeitswelt zu genügen. Deutsche Universitäten planen Kurse, indenen Studenten lernen, wie man Seminararbeiten schreibt; in den USA gibt es reguläre Stu-diengänge im professional writing . In der Didaktik rückt das Thema in den V ordergrund, sowohl als Gegenstand empirischer (KRINGS 1992) wie theoretischer Forschung (WOLFF1992b). In neueren Lehrbüchern und Spezialpublikationen (DEAN 1988) finden sich interes-sante Übungsansätze. Impulse kommen auch aus der breiteren Anwendung von EDV-Text-verarbeitungsprogrammen: Viele Menschen haben über den Einsatz solcher Programme fürsich einen neuen, motivierenden Zugang zum Schreiben entdeckt. Für den Fremdsprachen-unterricht liegt hier, nicht zuletzt in methodischer Sicht, ein weites Feld noch wenig genutzterMöglichkeiten (BÖRNER 1992b, VIELAU 1992). Die empirische Erforschung des Schreibprozesses liefert nur erste Anhaltspunkte: Die Versuchs- gruppen sind meist klein und wenig repräsentativ; es gibt Probleme bei der experimentellenKontrolle der Einflussfaktoren und bei der Auswahl der Forschungsinstrumente – und ent-sprechend eine hohe Varianz der Ergebnisse. Die Resultate decken sich weitgehend mit dem,was erfahrene Fremdsprachenlehrer aus ihrem Unterricht berichten: Das Schreiben in derFremdsprache geht langsam voran, der überwiegende Zeitanteil der Schreibtätigkeit bestehtaus Pausen; die Erstsprache spielt eine wichtige Rolle; besondere Probleme gibt es bei derWortfindung und Lexikosemantik; und allgemein fehlt es an praktikablen Schreibstrategien.Meistens wird kaum zwischen Planung und Planrealisierung getrennt, es überwiegt das asso-ziative „Drauflosformulieren“. 208Aus kognitionspsychologischer Sicht ist das kommunikative Schreiben ähnlich wie das Spre- chen eine intentionale Handlung, die dem Ausgleich von Informationsdefiziten zwischen denKommunikationspartnern dient. Während das Sprechen gleichzeitige Präsenz und räumlicheNähe verlangt, ist für das geschriebene Wort Distanz charakteristisch (KOCH 1992): Die Kommunikationspartner haben keinen direkten Kontakt und entsprechend gibt es keine kom-plementären Informationskanäle (Betonung, Mimik, Gestik, Körpersprache). Die gewünsch-te Information muss rein sprachlich übermittelt werden, in fertiger Endfassung. Da man Miss-verständnisse nicht durch Rückfragen klären und unbeabsichtigte Wirkungen nur schwerkorrigieren kann, muss ein geschriebener Text von vornherein gut geplant und vollständigsein: Er muss die möglichen Fragen, Einwände und Verstehensprobleme des impliziten (un-bekannten?) Lesers schon in den eigenen Formulierungen vorwegnehmen, um optimal wirk-sam zu sein. Außerdem spielt der Selbstoffenbarungsaspekt beim Schreiben eine wichtigeRolle: Nolens volens präsentiert sich der Schreiber in jedem seiner Text – im positiven wie im negativen Sinn. Aus Merkmalen dieser Art folgt, dass die Anforderungen an die inhaltliche Planung, an For- mulierung und psychomotorische Realisierung bei einem geschriebenen Text deutlich höhersind als bei gesprochener Sprache. Die Möglichkeiten zur Improvisation, die der oral code im informellen Gespräch bietet, gibt es ähnlich in der Schriftsprache nicht: Die Kommunika-tion orientiert sich an den standardsprachlichen Konventionen; was Richtigkeit, Angemessenheitund Expressivität der Formulierungen, nicht zuletzt auch die optische Gestaltung des Textesangeht, gelten strengere Maßstäbe. Jedem, der öfter schreibt, sind solche Anforderungen geläufig. Das Schreiben verläuft daher langsamer und mit mehr Denkpausen als jede andere Kommunikationsform. Während er anseinem Bleistift knabbert, pendelt der Schreiber gedanklich zwischen inhaltlichen Planungs-prozessen auf verschiedenen Ebenen, er ringt um Worte und die passende Formulierung,stolpert über Probleme der Rechtschreibung und Textgestaltung, überdenkt mögliche Wir-kungen. Während man schreibt, muss man simultan viele Teiltätigkeiten ausüben und koordi-nieren. Jede dieser Teiltätigkeiten wird überwacht und gesteuert durch Monitorprozesse: Fürdie meisten Menschen ist das Schreiben eine hochgradig bewusste Handlung – was der Flüs-sigkeit nicht eben förderlich ist. Obendrein spielt die Erstsprache sowohl beim Planen wiebeim Formulieren eine große Rolle. Der ungeübte Schreiber denkt auf Deutsch und suchtdann, eng gebunden an die gefundene Formulierung, eine passende Übersetzung in die Fremd-sprache. Da für eine flüssige Übersetzung alle Voraussetzungen fehlen, muss das zweispra-chige Wörterbuch helfen. Bei keiner anderen Zieltätigkeit wird das Wörterbuch so intensivgebraucht wie beim Schreiben (vgl. auch KRINGS 1992: 63 f.). Aus methodischer Sichtführt es jedoch in eine Sackgasse, wenn man das Schreiben als Hinübersetzung begreift oderin entsprechenden Formen übt: Flüssiges Schreiben wäre auf diese Weise erst am Ende eineslangen Lernwegs denkbar; man würde voraussetzen, dass der Lerner in der Erstsprache kom-petent schreiben kann und dass die erstsprachlichen Schreibrezepte direkt in die Fremdspra-che übernommen werden können. Wortfindungsprobleme, der hohe Anteil lexikosemantischer Fehler und die zahlreichen L1- Interferenzen im Output sollten daher kein Anlass sein, das Vokabellernen oder Übersetzenzu intensivieren. Zunächst wären die Schreibstrategien zu überdenken. Vielfach wird ungeplant „drauflosformuliert“: Beim Versuch, auf direktem Wege schlüssige Endformu-lierungen zu finden, kommt es wegen der vielfältigen Anforderungen rasch zu einer Überlas- 209tung der kognitiven Ressourcen. Während der Lerner vorrangig mit der inhaltlichen Planung und logischen Gedankenfolge ringt, leiden Formulierung, Rechtschreibung oder Gestaltung:Fixiert auf bestimmte erstsprachliche Formulierungen macht er in der Zielsprache wiederFehler, die er im normalen flüssigen Sprachgebrauch längst überwunden hat. Solange dieAufmerksamkeit auf die Textoberfläche und lokale Wortfindungs- und Formulierungsproblemegerichtet ist, kann schwerlich ein kohärenter und rhetorisch wirksamer Text entstehen. Zur Verbesserung der Schreibstrategien muss der komplexe Prozess des kommunikativen Schreibens daher zunächst in einzelne, überschaubare Operationen und Arbeitsschritte auf- geteilt werden. Ein Schriftsteller ist vielleicht in der Lage, in einem einzigen, ganzheitlichenZugriff einen komplexen Text ohne V orlagen in druckreifer Endfassung zu schreiben; weni-ger geübten Menschen ist ein strukturiertes, schrittweises V orgehen zu empfehlen. Im Anfangkann man dabei gut in Kleingruppen arbeiten: Zum einen werden dadurch Lasten und Verant-wortung verteilt, was die Aufgabe emotional erleichtert (Selbstdarstellung), zum anderenzwingt es zu einem expliziten, methodisch reflektierten V orgehen, wenn man die Lernschrittein der Gruppe begründen muss. Auch beim Schreiben gilt das Grundprinzip der kommunikativen Methode, dass die Global- planung V orrang vor der Lokalplanung hat. Die Arbeitsrichtung geht „von oben nach unten“,von der Idee zum Text. Man beginnt erst zu schreiben, wenn das Konzept des Textes steht; jegeringer die Schreibkompetenz, desto detaillierter und besser geordnet muss dieses Konzeptsein. Um das spontane Übergewicht lokaler Planungsprozesse abzubauen, kann es für Schreib-ungewohnte sinnvoll sein, beim Formulieren mit fertigen Textbausteinen zu arbeiten undbewusst auf den Gebrauch eines zweisprachigen Wörterbuchs zu verzichten. Man zwingtsich auf diese Weise, flüssiger und flexibler zu formulieren und mehr mit Enkodierungs-strategien (Umwegformulierungen etc.) zu arbeiten. Vor allem setzt das kommunikative Schreiben eine sinnvolle Aufgabenstellung voraus. Ste- rile Aufgaben im Sinne des „Besinnungsaufsatzes“ früherer Zeiten können nur sterile Lösun-gen hervorbringen; gut geplante, pragmatisch stimmige Schreibanlässe, die ohne Hilfsmittelinnerhalb der Lernersprache zu bearbeiten sind, erlauben interessante und produktive Lern-prozesse. Die im Folgenden skizzierte Basismethode umfasst fünf Schritte: Orientierung,Planung, Entwurf, Revision und Auswertung. Orientierung Im ersten Schritt wäre zu klären, für wen man schreibt (Adressat bekannt/ unbekannt?) undwas man mit dem Text beim Leser erreichen will (Handlungsabsicht). Hieraus ergibt sich,wie das Thema einzugrenzen ist, was der Adressat vermutlich vorher weiß (was vom Schrei-ber impliziert werden kann) und welche Aspekte des Themas neu und mitteilenswert sind(Informationsdefizit). Für jede Handlungsabsicht beim Schreiben gibt es bestimmte (häufig auch sprachübergreifende) Schreibrezepte , über die Schreibende und Lesende als Teil ihres Weltwissens verfügen; diese Schreibrezepte wirken wie Schablonen oder Baupläne beim Schreiben. Wenn ich jemandemmitteilen will, wie er als Konferenzteilnehmer in einer fremden Stadt zu einem bestimmtenOrt gelangen kann, bediene ich mich eines Schreibrezepts, das auf der Textsorte „Instrukti-on“ beruht – ohne dass der Rückgriff auf diese Textschablone notwendigerweise bewusst 210erfolgt. Ich benenne einen Startpunkt, schlage vor, bestimmte Dinge in einer bestimmten Abfolge zu tun, lenke die Aufmerksamkeit auf markante Orientierungshilfen am Weg, be-zeichne das Ziel – und lasse alles weg, was den Leser stören, verwirren oder ablenken könnte(zum Beispiel Exkurse zur Architektur und Stadtgeschichte). Ich konzentriere mich ganz aufdas, was zum Abbau des Informationsdefizits und zur Realisierung der Handlungsabsichterforderlich ist – und entspreche damit einer komplementären Erwartung des Lesers. Jedem Text liegt ein solches Handlungsrezept zugrunde, auf das Leser und Schreiber bewusst oder unbewusst Bezug nehmen. Das Rezept definiert die Textsorte und damit die Struktur des Textes; beim Schreibtraining muss es klar sein, bevor mit dem Schreiben begonnen wird.Jeder Text hat außerdem eine bestimmte Reliefstruktur , er enthält V ordergrund- und Hinter- grundinformationen, eher Wichtiges im Sinne der Handlungsabsicht und eher Unwichtiges.Wer dem Leser nicht die Zeit stehlen und ihn mit unwichtigen Details langweilen will, wirdsich hier im Beispiel auf die Vordergrundinformation beschränken, die zum Ausgleich desInformationsdefizits erforderlich ist, und dem Text eine übersichtliche und gut lesbare Formgeben. Eine präzise und übersichtliche Wegbeschreibung in wenigen Zeilen wird dem Lesergefallen – während eine langatmige „Stadtbeschreibung“ auf mehreren Seiten als Zumutungan Geduld und Spürsinn empfunden würde. Insofern ist es methodisch verfehlt, den Schreiberim Vorfeld schematisch auf eine bestimmte Mindestwortzahl festzulegen; faktisch sind solcheV orgaben eher geeignet, das Entstehen präziser, kommunikativ wirkungsvoller Texte zu ver-hindern. Entsprechend enthält die Aufgabenstellung den Schreibanlass (mit Bezeichnung des Informa- tionsdefizits), die Textsorte (mit Hilfen zum Schreibrezept), Adressat und Handlungsziel (mitHilfen zum Textrelief) sowie Hinweise zur Gestaltung des Textes. Planung des Textes Im nächsten Arbeitsschritt wird der Aufbau des Textes geplant: Der Gliederungsrahmen wirdfestgelegt, mitteilenswerte Informationen werden gesammelt, geordnet und gewichtet, Einlei-tung und Schluss konzipiert, die äußere Form und Gestaltung des Textes überdacht. Mit der Wahl einer bestimmten Textsorte liegt auch der Gliederungsrahmen fest. Die Lern- gruppe sollte die verschiedenen Gliederungstechniken kennen und zum Beispiel zwischenlinearen (Narration, Instruktion), räumlichen (Deskription), hierarchischen (Exposition) unddialektischen Gliederungen (Argumentation) unterscheiden. Außerdem sollten wichtige Vari-anten einer Textsorte, also zum Beispiel die Unterschiede zwischen „Erzählung“ und „Be-richt“ (Narration), bekannt sein. Bevor man in die inhaltliche Feinplanung eintritt, wird man sich in schreibungewohnten Lern- gruppen anhand einiger Modelltexte die Struktur des betreffenden Schreibrezepts erarbeiten. Dabei reicht es völlig, wenn man die wichtigsten inhaltlichen Merkmale des Rezepts verstehtund umgangssprachlich beschreibt. Auf Basis dieser Merkmale plant man dann die eigeneGliederung. Ein typischer Werbebrief zum Beispiel • beginnt mit einem „Aufhänger“, der das Interesse des Lesers wecken soll; • bringt die Basisinformation über das Produkt; • hebt V orzüge aus der Sicht des Kunden hervor und lässt Wünsche entstehen; 211• schließt mit einer Handlungsaufforderung und dem Hinweis, dass eine so günstige Gelegenheit nie wieder kommt … Textrezepte, die man in dieser Weise aus Modelltexten ableitet, müssen nicht sklavisch einge- halten werden; man hat einigen Spielraum, solche Rezepte zu retuschieren oder kreativ zuverändern. Allerdings sollte man beachten, dass die Erwartungen des Lesers durch ähnlichesRezeptwissen gesteuert werden. Darum ist es im Anfang sinnvoll, sich bei der Textplanungenger an ein funktionierendes Schreibrezept anzulehnen.Wichtig ist das besonders bei formellenTextarten (Bewerbungsschreiben, Bericht, Protokoll etc.), weil hier der Schreiber auch danachbeurteilt wird, ob er bestimmte Formen beachtet. Liegen die Sinnabschnitte fest, so sammelt man in Stichwörtern die wichtigsten Ideen, die den roten Faden des Textes bilden sollen, und formuliert gegebenenfalls schon einige Textinseln ; hierzu kann man auch auf die Mustertexte zurückgreifen oder, wenn man mit einem Compu-ter arbeitet, auf fertige Textbausteine. Wenn bei der Aufgabenstellung beachtet wird, dass derSchreibanlass im Rahmen der Lernersprache bearbeitet werden kann, so ist für diesen Lern-schritt ein Wörterbuch weder erforderlich noch sinnvoll. Gerade weil der vermeintlich beque-mere Weg fehlt, ist man zum Gebrauch flexibler Enkodierungsstrategien gezwungen ( „Kann ich diesen Gedanken nicht einfacher/ kürzer/ anders ausdrücken?“ ). Oft wird es bei diesem Arbeitsschritt erforderlich sein, die Abfolge der Ideen umzustellen, noch etwas einzuschieben oder zu verändern: Nur wenigen Menschen gelingt es, auf Anhiebeinen kohärenten, gut durchdachten Plan des Textes zu erzeugen. Der Text soll ja nicht nurvollständig und folgerichtig sein, sondern die Information im Blick auf Leser und Handlungs-absicht gewichten (Textrelief): also nicht mit bekannten Informationen langweilen, das Informationsdefizit in den Mittelpunkt stellen, mögliche Verstehensprobleme und Einwändedes Lesers vorwegnehmen. Beim Schreiben der Gliederung sollte man daher einen breiten Rand und viel Raum für Er- gänzungen lassen; man kann mit verschiedenen Farben und Nummerierungen arbeiten, umden Entwurf zu organisieren, oder mit Schere und Klebstoff. Eine exzellente Hilfe, zumal fürlängere Texte mit komplexer Struktur, bieten EDV-Textverarbeitungsprogramme mit ihrerGliederungsfunktion (outliner ). Alle Gliederungsoperationen sind damit rasch zu bewälti- gen, und man behält, ohne Beschränkung beim Umfang der Ideensammlung, jederzeit einenoptimalen Überblick über den logischen Aufbau des Textes. Die Form der Gliederung repräsentiert nicht nur die innere Struktur des Textes, sondern bestimmt auch die äußere Form und Gestaltung: Jedem Sinnabschnitt entspricht nachher einFormulierungsabschnitt, einer hierarchischen Gliederung zum Beispiel nachher die Eintei-lung des Textes in Einleitung, Hauptkapitel, Unterkapitel und Absätze, Schluss. Erst wennauf diese Weise ein kohärenter und subjektiv zufriedenstellender Gedankengang gefunden ist,der logische Plan des Textes „steht“, beginnt der nächste Arbeitsabschnitt: die Formulierungeines Textentwurfs. Entwurf Den ersten Entwurf des Textes schreibt man, gestützt auf die Gliederung als Handlungs-geländer, unter Ausnutzung der Stichwörter und Textinseln, die man dort vorfindet, möglichstzügig und flüssig, ohne den Anspruch, hier schon die endgültige Formulierung zu treffen. 214ses möglich; früh kann man zum Beispiel das Schreiben einer Ansichtskarte üben – und als reale Kommunikationsform praktizieren, wenn jeder, der dazu Lust hat, aus seinem Urlaubeine Karte an die Lerngruppe schreibt. Erfolgserlebnisse mit einigen Zeilen sind oft die Vor-aussetzung, sich an umfangreichere Schreibaufgaben heranzuwagen. Lernertexte verschie-dener Schwierigkeit können dennoch gemeinsam ausgewertet werden, da auch die Schwäche-ren in der Lerngruppe die Texte meistens gut genug verstehen können (V orlauf der Lese-fähigkeit); außerdem entsteht durch dieses Lernarrangement eine quasi-natürliche Kommuni-kationssituation mit echtem Informationsaustausch. Jeder Schreibanlass muss zunächst hinsichtlich des zugrundeliegenden Schreibrezeptes ver- standen sein; wichtig dafür (und als „Steinbruch“ für Routineformulierungen) ist eine ausrei-chende Zahl von Mustervorlagen als Abstraktionsbasis. Sind die Lernertexte eher ideenarmoder wenig adressatengerecht, sollte man gezielt Such- und Orientierungstechniken üben.Sinnvoll einsetzbar dafür sind zum Beispiel Assoziationsübungen und mindmapping , brain- storming , graphische Problemanalysen in Flussdiagrammen, Fallstudien anhand von Text oder Bild, Arbeit mit Referenzliteratur und Zitiertechnik. Für die Wahl der passenden Gliederung ist explizites textgrammatisches Wissen erforderlich: Wer pragmatische Texte gut schreiben will, muss die Textsorten, ihre Aufbauprinzipien unddie jeweiligen sprachlichen Merkmale kennen. Man lernt nicht auf intuitivem Weg, dass einelineare Gliederung wenig geeignet ist, den Gang einer komplexen Argumentation abzubilden;hier ist Hilfe und Anleitung gefordert. Der Aufwand zahlt sich langfristig aus: Auf der Basisdes textgrammatischen Wissens kann man das passende Gliederungsprinzip und Schreib-rezept leichter finden oder aus Mustertexten abstrahieren. Den Gebrauch der verschiedenenGliederungstechniken kann man gut anhand verstellter Texte üben. Wichtig (und schwierig) ist die Entscheidung über das, was der Text an Vorwissen implizieren soll: Kommt zuviel an bekannter Information, so wirkt der Text langweilig und schwammig,der Leser fühlt sich gelangweilt und „für dumm verkauft“. Wird zuviel impliziert, so leidetdie Kohärenz; der Text wird potenziell unverständlich. Ohne entsprechende Anleitung undgeeignete Rückmeldungen werden Lernertexte meistens allein aus dem Blickwinkel des Schrei-benden verfasst; und da jeder in seine eigene Sicht der Dinge verliebt ist, ist es nachhermeistens schwierig zu begründen, warum ein solcher Text beim Leser nicht „ankommt“.Daher ist es wichtig, realitätsnahe Lernarrangements zu wählen (möglichst mit Informations-verteilung), die Lernertexte gemeinsam zu evaluieren (kleinschrittiger Vergleich alternativerAusdrucksmöglichkeiten) und für realitätsnahe Folgeaktivitäten ausreichend Zeit zu geben. Die meiste Aufmerksamkeit beansprucht traditionell die Besprechung einzelner Formulierungs- probleme und die Fehlerkorrektur . Streng genommen gehören die meisten Fragen dieser Art allerdings in den vorkommunikativen Bereich; langatmige Grammatikexkurse sind angesichtsder Heterogenität der Fehlerquellen und mangelnder Übungsmaterialien weniger sinnvoll.Besser also, man sammelt alles Wichtige für eine spätere, gut vorbereitete Wiederholungs-lektion, und beschränkt sich hier auf knappe Fehlerkorrekturen. Wichtig ist alles, was mit derWahl der Sprachebene, mit Ausdrucksvarianten und der Textkohäsion zusammenhängt: Dazukann man bestimmte Merkmale herausheben (z.B. Satzverknüpfung) und anhand geeigneterBeispiele aus den Lernertexten vertiefen. Die Besprechung sollte nicht mit einer Leistungs-beurteilung verbunden sein. Viele Schreibhemmungen beruhen auf der Verquickung der Schreib-tätigkeit mit Fremdkorrektur und formaler Bewertung. 215Ein Schreibprojekt braucht Zeit und Geduld. Das gilt besonders, wenn schreibungewohnte Lerngruppen neu an das Schreiben kommunikativer Texte, an das lustvolle (?!) Spiel mitFormulierungen und Effekten herangeführt werden sollen. Jeder kann hier zu Erfolgserleb-nissen kommen, sobald er begriffen hat, dass es mit blindem Drauflosschreiben nicht getanist, dass ein kommunikativ wirksamer Text nicht direkt aus der Feder fließt, sondern geplantund prozesshaft entsteht. Zunächst muss man die Geduld aufbringen, sich auf ausführlichePlanungs-, Entwurfs- und Optimierungsschritte einzulassen. Wenn man ein Schreibrezeptverstanden hat, kann man es individuell retuschieren oder mit zunehmender Schreibkompetenzauch kreativ verändern. Der Fortgeschrittene kann Arbeitsschritte überspringen und Schreib-aufgaben dann ganzheitlicher angehen. Den Anspruch an die inhaltliche Qualität und Originalität der Lernertexte sollte man im Rahmen halten: Wer im fremdsprachlichen Anfangsunterricht beim Schreiben „Kreativität“einfordert, gar als Unterrichtsziel verkündet, hat meines Ermessens etwas gründlich missver-standen. Der fremdsprachliche Schreibunterricht ist erfolgreich, wenn im Ergebnis gut lesba-re, kommunikativ wirksame Alltagstexte entstehen. Überzogene Ansprüche verstärken womög-lich bestehende Schreibhemmungen und nützen niemandem – am wenigsten schreibunge-wohnten Lerngruppen. 4.4 Die Kontrolle der Lernersprache Im Gegensatz zu naturgesetzlichen Abläufen unterliegen menschliche Handlungen der Über-wachung durch eine innere Kontrollinstanz (Metakognition). Die Aufgabe dieser Kontroll-instanz ist es zu überprüfen, ob die erwarteten Ergebnisse einer Handlung eintreten. Bei einerAlltagsroutine erfolgt die Kontrolle unbewusst und konzentriert sich auf das Handlungsziel:Ich erwarte, dass das Licht angeht, wenn ich den Lichtschalter bediene, ohne einen zusätzli-chen Gedanken an den inneren Zusammenhang von Ausgangsbedingungen, Operation undErgebnis zu verschwenden. Die innere Kontrollinstanz wird erst aktiv, wenn das erwarteteErgebnis nicht eintritt; sie erlaubt dort, wo eine einfache Wiederholung der betreffenden Routine keine Besserung verspricht, in bestimmtem Umfang die aktive Fehlersuche und dieAnpassung des Handlungsablaufs an die veränderten Bedingungen. Im Beispiel wäre zuprüfen, ob der Fehler, den man im Ergebnis bemerkt (kein Licht), in den Ausgangsbedingungen(Lampe defekt, kein Strom, Glühbirne fehlt oder defekt, Schalter defekt …), in der Operation(falschen Schalter gedrückt?) oder im Handlungsrezept selbst liegt (Zeitschaltmechanismus,Sensorsteuerung …). Die Aufgaben der inneren Kontrollinstanz lassen sich anhand dieses Beispiels genauer be- stimmen: Sie überwacht, ob das erwartete Ergebnis einer Handlung eintritt, indem sie dastatsächliche Ergebnis der Handlung mit einem Soll-Zustand vergleicht; bei Bedarf lokalisiertund analysiert sie die Fehlerquellen; und sie greift regulativ ein, um die Fehler abzustellenund so den Prozess im Blick auf das gewünschte Ergebnis zu optimieren. Jede menschlicheHandlung unterliegt in diesem Sinne einer inneren Handlungskontrolle, die als Selbstkorrektur auch in naiven Lernprozessen stets zu beobachten ist: Der Lerner verbessert sich selbst, wenner, gemessen an der systemeigenen Kontrollinstanz, etwas falsch gemacht hat. 216Allerdings zeigt schon dieses einfache Beispiel, dass die Handlungskontrolle nicht immer qualifiziert und effektiv ausgeübt wird. So reicht der simple Vergleich von Ist- und Soll-Zuständen nicht aus, wenn es um die Kontrolle komplexer, mehrschrittiger Handlungen oderum die Reaktion auf variable Ausgangsbedingungen geht: Tritt das gewünschte Ergebnisnicht ein, so ist es hier oft unmöglich, die Fehlerquellen zu lokalisieren, weil kein klares Bildder Ausgangsbedingungen, der Handlungsziele (Standards?) und/oder der Handlungsverläufe(Alternativen?) existiert. Man stellt zwar fest, dass das Ergebnis (noch?) nicht den Erwartun-gen entspricht, aber die Gründe und Handlungsalternativen bleiben im Nebel: Die Situationist vieldeutig. Eine zu weite Sinnlücke dieser Art wird im Alltag oft durch magisches Den- ken, durch Wünsche und Hoffnungen überbrückt. Je komplexer die Handlung, desto ineffektiver ist die ergebnisorientierte Handlungskontrolle; in der Praxis wird die Globalsteuerung der Handlung deshalb meistens durch eine prozess- orientierte Feinsteuerung ergänzt. Eine solche Feinsteuerung impliziert eine präzise Vor- stellung von den Ausgangsbedingungen, den verschiedenen Operationen und von den jeweilsmöglichen Ergebnissen – die Existenz eines kohärenten Handlungsrezepts also. Einfach ge-sagt: Nur wenn ich weiß, wo in der Handlungssequenz die Unbestimmtheitsstellen liegen undwas ich warum in welcher Abfolge tun muss, um ein bestimmtes (Teil-)Ergebnis zu erreichen,kann ich Fehlerquellen richtig zuordnen und gezielt Handlungsalternativen ausprobieren, wennich mit Ergebnis der Handlung nicht zufrieden bin. Im Alltagsleben werden komplexe Handlungen durch subjektive Theorien (fein)gesteuert (WEINERT 1986, GROEBEN 1986). Solche Alltagstheorien, die oft auch Züge des magi-schen Denkens haben, können bewusst oder unbewusst eingesetzt werden; sie wirken imPrinzip in gleicher Weise wie wissenschaftliche Theorien, obgleich die durch sie gesteuertenHandlungen für den Außenstehenden zuweilen fremd und seltsam wirken mögen. Sie liefernein subjektiv sinnvolles und in sich kohärentes Modell eines bestimmten Ausschnitts derLebenswelt, das es dem Subjekt erlaubt, zielorientiert und kontrolliert zu handeln, Handlungs-ergebnisse zu prognostizieren und sich an die Veränderungen der Lebenswelt anzupassen.Die alte Dame, die beim Bedienen des Computers ein Stoßgebet murmelt, unterstellt einenSinnzusammenhang von Handlungserfolg und Stoßgebet (und sieht sich durch das Ergebnisoft auch bestätigt); bleibt der Handlungserfolg doch einmal aus, so wird sie zunächst in denüblichen Bahnen des magischen Denkens ihre Strategien verstärken (und heftiger beten),bevor sie sich vielleicht irgendwann eine andere Erklärung zurechtlegt und jemanden kom-men lässt, der ihr den Computer repariert. Indem die alte Dame einen Fachmann hinzuzieht, übernimmt eine äußere Instanz die Kon- trolle; die Handlung selber wird nicht mehr durch eine subjektive Theorie gesteuert, sonderndurch eine wissenschaftlich-technische. Alltagstheorien und wissenschaftliche Theorien un-terscheiden sich weniger also in ihrer Funktion als in ihrer Leistungsfähigkeit. Fachverstandist dort erforderlich, wo das Alltagswissen an seine Grenzen stößt und Alltagsroutinen nichtdie gewünschten Ergebnisse bringen. Die Fähigkeit zu einer qualifizierten metakognitivenKontrolle eines Handlungsablaufs ist nicht naturgegeben, sondern ein intellektuelles Potenzi-al des Bewusstseins, das selber erst erworben sein will. Viele Menschen, die neu eine Fremdsprache lernen, sind in einer ähnlichen Lage wie im Beispiel die alte Dame gegenüber dem Computer: Sie wissen zwar, was sie wollen ( „ohne großen Aufwand von heute auf morgen eine Fremdsprache flüssig sprechen können …“ ), 217nicht aber, was sie in welcher Reihenfolge tun müssen, um ihrem Ziel näher zu kommen; noch weniger können sie verschiedene Ausgangsbedingungen einschätzen, den Lernverlauf über-wachen, das Lernmaterial beurteilen, Lernfortschritte und Fehler erkennen, Zwischenergeb-nisse realistisch einschätzen, Handlungsalternativen testen oder den Lernprozess von sichaus optimieren. Das schließt nicht aus, dass bestimmte Alltagstheorien (oft unbewusst undunreflektiert) im Spiel sind: im Gegenteil. Solche bildungsbiographisch erworbenen Alltags-theorien haben jedoch häufig Züge des magischen Denkens und wirken in der Praxis eherlernhemmend als lernfördernd. Ich komme auf diesen Punkt später noch zurück. Aus sprachlerntheoretischer Sicht liegt einer der wichtigsten Unterschiede zwischen dem Erstsprachenerwerb und dem späteren Fremdsprachenlernen in der veränderten Rolle derMetakognition : Fremdsprachen werden nach Abschluss der sprachsensiblen Lebensphase von den meisten Menschen nicht mehr in einem unbewussten, metakognitiv weitgehendungesteuerten Prozess erworben, sondern handelnd-aktiv nach einem bestimmten Vorgehens-muster erlernt, wobei der Erfolg dieser Handlung nolens volens einer inneren und gegebe- nenfalls äußeren Kontrolle unterliegt. Ist die innere Kontrollinstanz ihrer Aufgabe nicht ge-wachsen, so muss eine äußere Steuerungsinstanz dieses Vakuum füllen: Organisiertes, veran-staltetes Lernen begründet sich durch die besseren Erfolgsaussichten von Lernhandlungen,die auf der Basis des gesellschaftlich kumulierten einschlägigen Fachwissens stattfinden. Bei allen Einwänden gegen das veranstaltete Lernen und allen Problemen, die die Fremd- steuerung mit sich bringt, wäre es naiv, die Notwendigkeit des organisierten Lernens zu leug-nen. Eine Gesellschaft hat ohne funktionierendes Bildungssystem keine Zukunftschancen,weil sie auf eine geplante und optimierte Weitergabe des gesellschaftlich erreichten Wissens-standes an die folgende Generation verzichtet: Durch Vernachlässigung des Bildungssystemsprogrammiert sie auf mittlere Sicht ihren eigenen wissenschaftlich-technischen und kulturel-len Rückschritt. Niemand kann in allen Lebensbereichen Fachmann sein bzw. ein aktuellesWissensniveau selbstständig erwerben. Das Thema „Lernerautonomie“ findet viel Aufmerksamkeit in der Fachdiskussion, wobei die Grenzen zwischen „offenem Lernen“ und laissez-faire nicht immer klar verlaufen. Ein un- brauchbarer Text wird nicht brauchbarer, ein dröges Thema nicht interessanter, nur weil einMitschüler die Quelle ist statt eines erfahrenen Autorenteams. Nichts spricht dafür, dass diezufällige Zusammenarbeit mit einem Zufalls-Tutor (Tandem-Methode) per se bessere Ergeb- nisse bringt als der geplante Lernprozess unter der Regie einer qualifizierten Lehrkraft. Wenn„offenes Lernen“ heißen soll, dass es auch ohne einen qualifizierten Lehrplan, ohne ein qua-lifiziertes Lernkonzept und ohne Erfolgskontrollen geht, so kann das im Ergebnis nur heißen,dass gerade die Lerner, die auf strukturiertes Lernen am meisten angewiesen sind, durch einsolches Lernkonzept besonders benachteiligt werden. Qualifiziertes Lernen und Selbststeue-rung im Lernprozess müssen sich nicht ausschließen; aber es wäre realitätsfernes, anti-päd-agogisches Wunschdenken, wollte man die entsprechende metakognitive Kompetenz schlichtbei jedermann als gegeben voraussetzen. Strukturiertes, zielorientiertes Lernen ist nur in demMaße möglich, in dem eine kompetente Steuerungsinstanz wirksam ist; das erforderlicheSteuerungs- und Kontrollwissen muss daher von außen in den Lernprozess importiert wer-den, solange es intern noch nicht gebildet ist. Eine qualifizierte äußere Kontrolle des Lernprozesses kann nur ausgeübt werden, wenn zu- verlässige Informationen über den Stand des Lerners zur Verfügung stehen: über die Aus-gangsbedingungen, den Lernverlauf und die Lernergebnisse. Zwar sagt jede Lernaktivität im 218Unterricht implizit etwas über den Stand des Lernprozesses aus, aber solche Informationen sind zufällig, unsystematisch und daher wenig aussagekräftig. Beobachtbar ist nur das äuße-re Verhalten: Die inneren Prozesse, die dieses Verhalten motivieren, sind nicht aus der Beob-achtung ableitbar; sie müssen auf methodischem Wege, durch die Interpretation von Output-und Feedback-Daten sowie durch Tests und Lernkontrollen erschlossen werden. Ein weiteres Problem liegt in der Auswertung der so gewonnenen Daten. Jede dieser Informa- tionen verlangt nach bestimmten Standards und Bezugsgrößen: Nur so kann eine Verände- rung als Fortschritt angesprochen und bei Bedarf als Leistungsnachweis anerkannt werden(Prüfungen). Zuverlässige Daten und eine realistische Einschätzung des jeweils erreichtenLernfortschritts wiederum sind die Voraussetzung für regulierende Eingriffe in den Lern-verlauf. Indem die Kontrollinstanz kontinuierlich das fördert und unterstützt, was den Lernerim Sinne der Lernziele voranbringt, greift sie optimierend in den Prozess ein: Erst so wird dieLernkontrolle zu einem integrativen Teil des methodischen Konzepts. Im Idealfall gewährleistet die äußere Kontrollinstanz einen sinnvollen und erfolgversprechen- den Handlungsablauf, der nicht durch die Zufälle subjektiver Theorien, sondern durch einwissenschaftlich begründetes Konzept auf Basis des einschlägigen Fachwissens getragen wird:durch eine Unterrichtstheorie . In der Realität sieht es allerdings oft anders aus. Viele Unterrichtstheorien unterscheiden sich qualitativ kaum von den entsprechenden Alltagstheorien,was zum einen mit einer unzulänglichen und praxisfernen Lehrerausbildung zu tun hat, zumanderen mit dem lückenhaften Stand des Fachwissens und unzureichenden Instrumenten.Viele Variablen sind beim Fremdsprachenlernen im Unterricht wirksam, und sie beeinflussensich wechselseitig in komplizierter Weise. Lernen verläuft nicht nach einem linearen Musteranalog der Logik des Lehrbuchs, sondern in Wechselwirkung von innerem und äußerem Lehr-plan in Sprüngen und Verzögerungen, über Wissensinseln, Lernplateaus und durch Wissens-täler. Manche Dinge sind leicht zu erlernen, andere schwierig, andere vom Stand des innerenLehrplans überhaupt noch nicht; und für jeden sieht, abhängig vom Lernertyp, die subjektiveLernbilanz anders aus. Die Effekte bestimmter Lernschritte sind daher auch für erfahreneFachleute oft schwer vorhersagbar; man kann nicht nach einem festen, unveränderlichenSchema vorgehen, sondern muss die Passung der Einflussfaktoren kontinuierlich überprüfenund optimieren, um den Lernprozess an die Bedürfnisse der Lerngruppe anzunähern. Lehren ist insofern nicht nur ein theoriegeleiteter, sondern immer auch ein kreativer und selbst-regulativer Prozess . Die Lernkontrolle liefert die Informationen, die wir als Lehrende benötigen, um nicht in der schematischen Praxisferne einer abstrakten Unterrichtstheorie zuerstarren. Lernkontrollen sind daher keine lästige Pflicht oder notwendiges Übel, sonderneines der wichtigsten Instrumente des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Ohne einegute Kontrollmethodik bleibt der Unterricht ein Blindflug und „Lernerorientierung“ letztlichnur leeres Gerede. Allerdings sind Lernkontrollen oft unbeliebt, bei Lehrenden wie bei Lernenden. Sieht man ab von realen (Arbeitsaufwand) und vorgeschobenen Gründen ( „Ich weiß auch so, wo ich ste- he“), so bleibt ein tiefgreifendes affektives Problem. Die Lernkontrolle stellt ja nicht nur die Effektivität des Unterrichtskonzepts, sondern auch die beteiligten Personen, Lerner und Leh-rer, auf den Prüfstand. Auf der Beziehungsebene vermischen sich die rationalen, lernförderndenAspekte der Lernkontrolle daher nur zu leicht mit den negativen Konnotationen von verglei-chender Leistungsbeurteilung und Versagensängsten. Um mögliche Blamagen zu vermeiden, 219geht man äußeren Kontrollen aus dem Wege, ersetzt sie womöglich durch ein Übermaß an Selbstkontrolle: Lernungewohnte Erwachsene haben oft Probleme mit einem hohen Affektiv-filter und neigen daher zu übertriebenem Einsatz des Monitors. Lernkontrollen werden oft auch von den Lehrenden abgelehnt – besonders von denen, die über kein klares, transparent und offensiv vertretbares Konzept des Lehrens und Lernens verfü-gen. Explizite Lernkontrollen sind verpönt, weil sie als rationale Instanz die Lehrautorität inFrage stellen und die Scheinharmonie der Beziehungsdefinition in der Lerngruppe stören;vor allem zeigen sie mögliche Schwächen des Unterrichtskonzepts und entlarven haltloseErfolgsversprechungen, die in manchen Unterrichtskonzepten eine große Rolle spielen(Suggestopädie). Gegenüber solchen Vorbehalten von Lehrenden und Lernenden ist zu betonen: Das Problem liegt niemals in der Lernkontrolle an sich, denn (Selbst)Kontrolle ist ein notwendiger,ratiomorpher Aspekt jeder humanspezifischen Handlung und insofern unhintergehbar . Die Frage ist, wer die Kontrolle ausübt (Kontrollinstanz), welchem Zweck die Kontrolle dient(Einstufung, Lernoptimierung, Leistungsbeurteilung etc.), ob die Kontrolle qualifiziert aus-geübt wird (Unterrichtstheorie) und ob die Instrumente und Maßstäbe stimmen (Kontroll-methodik). Fremdsprachen kann man im Unterricht nicht erlernen: Der Unterricht ist nur einerster Schritt in einem potenziell lebenslangen Lernprozess. Er kann nur Erfolg haben, wenner den Lerner qualifiziert, die Kontrolle selbst zu übernehmen: Nur so kann die Fähigkeit und Motivation zum autonomen Weiterlernen nach Abschluss des organisierten Lernens entste-hen, bei dem dann der „innere Lehrer“ statt des äußeren Lehrers die Regie führt. Im Idealfallerwirbt der Lerner daher nach und nach die Steuerungskompetenz für selbstständiges Lernen:die Fähigkeit, sich realistische Ziele zu setzen, seinen Lernweg selbstständig zu bestimmenund subjektbezogen zu optimieren, Fortschritte zu erkennen, mit Fehlern, Lernhemmungenund Versagensängsten umzugehen. Bei der Lernkontrolle geht es daher um mehr als um den Erwerb effektiver Lerntechniken (hierzu RAMPILLON 1985): Der Lerner überführt seine Alltagstheorie vom Fremdsprachen-lernen schrittweise in ein qualifiziertes, subjektiv praktikables Handlungskonzept, das ihnperspektivisch zur Selbststeuerung im Lernprozess und später zum autonomen Weiterlernenbefähigt (DICKINSON 1987, BAUSCH/ CHRIST/ KRUMM 1993). Insofern sollte im kom-munikativen Unterricht stets auch Raum für das metakognitive Lernen, für Reflexion undSelbstreflexion sein – was zwingend die Transparenz des Unterrichtskonzepts und einpartnerschaftliches Rollenverständnis auf Seiten des Lehrenden voraussetzt. 4.4.1 Ausgangsbedingungen Kein Lernprozess beginnt beim Stande Null, und man lernt nicht unter stets gleichen äußerenBedingungen. Jeder Lerner bringt seine individuellen Voraussetzungen und Lernressourcenins Spiel, sein Wissen, bestimmte praktische Fähigkeiten, seine Motive, die Erwartungen anden Lernprozess, nicht zuletzt seine persönlichen Einstellungen zum Fremdsprachenlernen. Stehen verschiedene Lernwege zur Wahl, wie es beim nachschulischen Fremdsprachenlernen häufig der Fall ist, so stellt sich die Frage, an welchen Gesichtspunkten man sich bei derAuswahl eines passenden Lernwegs orientieren soll. Nicht unwichtig sind die äußeren Fakto-ren: Unterrichtszeiten, -frequenz und -ort, Gebühren, Medienausstattung und Unterrichts- 220materialien, Lehrkräfte. V or allem muss jedoch der Lehrplan stimmen: Ausgangsniveau und Lehrziele, Stoffplan, Lerntempo und Lernmethoden, Leistungsnachweise und -bestätigungen.Jeder Lehrplan beruht auf Annahmen über Lernvoraussetzungen. Nur wenn die Passung von Lehrplan und Ausgangsbedingungen stimmt, ergibt sich eine brauchbare Arbeitsgrundlagefür das gemeinsame Lernen im Unterricht. Unmittelbar einsichtig ist dieser Zusammenhang bei den Vorkenntnissen : Wer eine Fremd- sprache vorher schon in den Grundlagen erlernt hat, wird sich in einem Sprachkurs für An-fänger früher oder später langweilen. Weniger trivial ist die Frage, auf welche Weise sichsolche Vorkenntnisse feststellen lassen und wie man den Bezug zum Lehrplan herstellt. Einwichtiges, faktisch fast unverzichtbares Instrument in diesem Zusammenhang ist derEinstufungstest ( placement test ). 4.4.1.1 Die Wahl eines Lernwegs: Einstufungstests und Lernberatung Wie der Name sagt, dienen Einstufungstests der Feststellung der V orkenntnisse in Bezug auf einen bestimmten Lehrplan. Sie unterscheiden sich von Lernkontrolltests, wie man sie üblicher-weise jeweils nach einigen Lernabschnitten im Lehr- oder Arbeitsbuch findet. Wie später zuzeigen sein wird, blicken Lernkontrolltests zurück auf ein Stück eines gemeinsamen Lern-weges; das heißt, sie beschreiben den Lernerfolg innerhalb eines aktuell gegebenen Lehr-plans. Einstufungstests sind dagegen nach vorn gerichtet: Sie dienen der Lernprognose , fußen nicht auf einem gemeinsam durchlaufenen, aktuellen Lehrplan, sondern sie sollen das(in früheren Lernzusammenhängen erworbene) potenzielle Wissen erfassen, auf das sich derLerner beim Wiedereinstieg stützen kann (siehe auch PLÜGHAN 1990). An dieser Stelle ist Vorsicht geboten. Aktive Fremdsprachenkenntnisse sind oft schon nach kurzen Lernpausen oder der zwischenzeitlichen Beschäftigung mit einer Drittsprache nichtmehr verfügbar. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass abgesunkene Kenntnisse als Lernressourceeine wichtige Rolle spielen: Das Wiederlernen geht sehr viel schneller als das Neulernen.Würde man den Seiteneinsteiger also allein auf der Basis seiner aktuellen, aktiv-kommunika-tiven Fähigkeiten einstufen, so kann zwar die Momentaufnahme durchaus stimmen (ein Ler-ner mit sechs Jahren Schulenglisch landet dann womöglich im Anfängerkurs), aber schonnach wenigen Wochen Unterricht würde sich zeigen, dass er, gemessen an seiner persönlichenLernprognose, viel zu tief begonnen hat. Insofern sind kommunikativ-integrative Lernkontroll-tests, wie man sie heute oft in den Lehrbüchern findet, als Einstufungstests ungeeignet. Einstu-fungstests zielen primär auf die Erfassung des passiven , punktuellen, auch des nicht-inte- grierten Wissens, das dem Lerner als Ressource zur Rekonstruktion seines Sprachkönnenszur Verfügung steht. Eher punktuelle, sprachbezogene Aufgabenformen ( discrete point tests ), die mehr auf das Wiedererkennen als auf das aktive Sprachkönnen abheben, sind daher für Einstufungstestsgerade richtig, obwohl sie kaum Rückschlüsse auf die Kommunkationsfähigkeit zulassen(HECHT, ARCHIBALD 1994). Weniger sinnvoll im Sinne des Testziels sind hier kommuni-kativ-integrative Aufgabenformen, also zum Beispiel ein Hörverstehens-, Sprech- oder Schreib-test. Eine mündliche Einstufung wäre nur dann erforderlich, aus gleichen Gründen dann auchnur sinnvoll, wenn jemand direkt an einem Gesprächskreis für Fortgeschrittene teilnehmenmöchte. 221Die Aufgaben des Einstufungstests sollen an den Stoff und die Progression des Lehrbuchs, mit dem später gearbeitet werden soll, genau angepasst sein. Dafür genügen einige wenige,geschickt ausgewählte Stichproben auf verschiedenen Lernniveaus; es ist nicht erforderlich, dass alle Aspekte des Stoffplans (Grammatik, Wortschatz, Phonetik, Sprachgebrauch) in derTestkonstruktion gleichmäßig berücksichtigt werden. Gefragt ist eher ein Längsschnitt durch den Lehrplan als ein Querschnitt. Der Wortschatz bleibt meistens besser in Erinnerung als dieGrammatik, und er ist einfacher und schneller lernbar. Der Bezug zur Progression des Lehr-werks lässt sich daher am besten auf Basis der Grammatik herstellen; Kenntnisse dieser Art werden langsam erworben und schnell vergessen. Insofern empfiehlt sich durchaus eine ge-wisse „Grammatiklastigkeit“ der Aufgaben im Einstufungstest (VIELAU 1995). Von den Testformen her sollten Wiedererkennungsaufgaben im Vordergrund stehen. Gut ge- eignet sind hier nach wie vor Mehrfachwahlaufgaben ( multiple choice ). Sie leisten, was die Gruppierung von Lernern angeht, praktisch das gleiche wie kommunikative Aufgabenformen(HECHT, ARCHIBALD 1994: 11 f.); sie sind ökonomisch zu bearbeiten und objektiv auszu-werten; und sie entsprechen dem aktuellen Könnensprofil des Kandidaten und dem tieferenZweck des Einstufungsverfahrens wesentlich besser als aktiv-produktive Testformen. Wiedas folgende Beispiel zeigt, sind Mehrfachwahlaufgaben allerdings nicht ganz einfach zukonstruieren: 4. Wie heißt es richtig? ——— cornflakes for breakfast. a) He don‘t haveb) He’s don’t have c) He doesn’t have d) He’s doesn’t have Quelle: BRIDGES Einstufungstest, Klett: Stuttgart 1994, 1 Zunächst ist der deutsche Satz am Anfang der Aufgabe überflüssig. In einem Einstufungstest muss die Art der Aufgabenstellung so einfach und transparent wie möglich sein (Kurzan-leitung im V orspann des Tests); die Aufgaben sollten dann selbsterklärend sein. Eine große Vielfalt an Aufgabentypen (mit entsprechendem Erklärungsbedarf) ist nicht erfor- derlich, im Gegenteil: Sie wirkt eher als Verwirrspiel und überflüssige Effekthascherei. ImEinstufungstest soll nicht die Fähigkeit des Kandidaten geprüft werden, sich in möglichstkurzer Zeit in möglichst viele Aufgabenformen einzudenken, sondern allein das Sprachwissen. Die Aufgabenstellung im Beispiel ist valide im Sinne des Testziels: Testgegenstand ist ein grammatisches Problem, das vielen Anfängern Schwierigkeiten macht. Für die Zahl der Dis-traktoren gibt es keine feste Regel. Zu wenige Distraktoren erhöhen die Ratewahrscheinlichkeit,zu viele sind unökonomisch und erschweren unnötig die Testkonstruktion. Für eine verlässli-che Auswertung sind zwei gut gewählte Distraktoren neben der Lösung völlig ausreichend.Hier im Beispiel sind die Distraktoren b) und d) schlecht gewählt, weil die Wahrscheinlich-keit gering ist, dass Fehler dieser Art vorkommen. Insofern gibt es hier neben der Lösung (c)nur einen „echten“ Distraktor (a) – was im Hinblick auf die Reliabilität des Testelements zu wenig ist (Ratewahrscheinlichkeit 50 Prozent). Bei der Testkonstruktion sollte man fehlerhafte Sätze als Distraktoren nach Möglichkeit ver- meiden: 22216. Welche Frage stimmt? a) Did you enjoy your holiday? b) Enjoyed you your holiday? c) Did you enjoyed you holiday? Quelle: a.a.O., 3 Wegen der hohen geistigen Anspannung und Konzentration bei der Bearbeitung des Tests dürfen spontane Lern- und Übungseffekte nicht übersehen werden. Es ist lernpsychologischungünstig und obendrein unökonomisch, wenn 75 Prozent des Input aus fehlerhafter Sprachebesteht – auch wenn es „nur“ um die Lösung einer Testaufgabe geht. Insofern ist es einKunstfehler der Testkonstruktion, wenn man im Mehrfachwahltest vollständige „Fehlersätze“als Distraktoren anbietet. Im ersten Beispiel ist das zwar nicht der Fall, aber die Distraktorensind in sich fehlerhaft. Das Problem hätte sich im ersten Beispiel wie folgt lösen lassen: 4. He _______ cornflakes for breakfast. a) don’t have b) doesn’t havec) hasn’t Das zweite Beispiel könnte entsprechend folgende Form haben: 16. _____ you _____ your holiday? a) Did – enjoy b) Enjoyed – . / . c) Did – enjoyed Der Lernende bearbeitet den Test, nicht indem er formal nach „falsch“ und „richtig“ sortiert, sondern indem er aus den Angeboten an grammatisch korrektem Englisch das auswählt, wasnach seinem Sprachgefühl in den gegebenen Kontext am besten passt. Für die Testkonstruktionund das Testziel (Einstufung in einen bestehenden Lernweg) ist es unerheblich, ob im erstenBeispiel der neu vorgeschlagene Distraktor c) in bestimmten Varianten der englischen Spra-che auch möglich ist, wenn im Rahmen des gegebenen Lernwegs nach dem Prinzip der didak-tischen Vereinfachung zunächst das Verständnis der Hauptregel etabliert (und getestet) wer-den soll. Mehrfachwahltests beinhalten insofern oft keine klaren Ja/Nein-Entscheidungen,eignen sich auch nicht als Exerzierfeld für linguistische Spitzfindigkeiten, sondern stellen denBezug zu einem bestimmten Lehrplan her. Sie verlangen eine Gewichtung nach Wahrschein-lichkeiten und sind deshalb oft schwieriger zu bearbeiten, als es zunächst den Anschein hat. Einstufungstest decken größere Stoffgebiete ab, müssen aus praktischen Erwägungen jedoch rasch zu bearbeiten und auszuwerten sein (Richtwert für die Bearbeitungszeit in der Erwach-senenbildung: 10 bis 15 Minuten). Am besten bildet man Aufgabengruppen entsprechend derLernabschnitte im Lehrbuch und/oder Kursprogramm; häufig ist es bei der Bearbeitung mög-lich, nach kurzer Orientierung eine oder mehrere Aufgabengruppen zu überspringen. DerLernende entscheidet selber, wie weit er sich den Stoff zutraut; „intelligentes Raten“ ist dabeidurchaus zulässig und erwünscht. Erwartet wird ein allmählicher Rückgang der Erfolgsquo-te mit wachsender Schwierigkeit der Aufgaben; wenn der subjektive Grenzbereich erreichtist, sollte die Zahl der richtigen Lösungen deutlich abfallen. Man sollte sich bei der Bearbei-tung eines solchen Tests lieber etwas mehr als zu wenig zutrauen. Etwa in diesem subjektivenGrenzbereich, je nach Selbsteinschätzung und Auswertung des Tests auch etwas höher oderniedriger, kann man dann in das Kurssystem einsteigen. 223Wenn die richtigen Lösungen auf einem Antwortbogen angekreuzt werden, kann der Test zeitsparend per Schablone ausgewertet werden; außerdem reduziert diese Technik den Papier-verbrauch. Als Richtwert für einen reliablen Einstufungstest gilt, dass etwa 75 Prozent derAufgaben einer Gruppe richtig gelöst sein sollen, damit die entsprechende Lernstufe voraus-gesetzt werden kann. Man kann solche Einstufungstests mit vertretbarem Aufwand selberentwickeln, sollte dabei aber auf die Einhaltung der oben skizzierten Gütekriterien achten. Die Reliabilität eines Einstufungstests überprüft man am einfachsten, indem man den Testprobeweise von einigen Kontrollgruppen bearbeiten lässt, deren Leistungsstand bekannt ist;anzustreben sind Aufgaben mit mittlerer Fehlerhäufigkeit, zu leichte oder zu schwere Aufga-ben werden im Verlauf der Erprobung durch bessere ersetzt. Viele Menschen reagieren mit Widerstreben auf den Vorschlag, einen Einstufungstest zu be- arbeiten. Darum sollten in der Einleitung oder im Beratungsgespräch kurz die Ziele einessolchen Tests beschrieben werden; wichtig ist hier der Aspekt, dass jede Form der Einstu-fung, auch die Selbsteinstufung, eine vernünftige Entscheidungsgrundlage verlangt. Der Testsoll zeigen, wieviel an verschüttetem Wissen noch als Lernhilfe zur Verfügung steht, und Mutmachen, auf einem subjektiv sinnvollen Lernniveau zu beginnen. Ohne eine solche Entschei-dungshilfe neigen viele Menschen eher zum Tiefstapeln, weil sie, geprägt durch schlechteErfahrungen, eine überfordernde Lernsituation unbedingt vermeiden wollen. Als Wiederholermit womöglich mehreren Jahren Lernvorsprung sind sie den anderen im Kurs jedoch potenzi-ell weit überlegen; nur ganz zu Beginn ist im aktiv-kommunikativen Bereich mit Anlauf-problemen zu rechnen. Hierauf sollte bei der Lernberatung kurz hingewiesen werden. Gut konzipierte Einstufungstests sind eine wertvolle Hilfe, aber ihre Aussagekraft für die Lernprognose darf aus verschiedenen Gründen nicht überschätzt werden. Das sprachlicheVorwissen ist nur ein Faktor unter vielen, die den Lernerfolg potenziell beeinflussen – undnicht unbedingt der wichtigste. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Konzept der „Fremd-sprachenlernfähigkeit“ bzw. „Fremdspracheneignung“ unklar ist (MACHT 1991); die Prog-nose kann nicht an einem der Faktoren allein festgemacht werden. Ähnlich wichtig sind derStand der individuellen Lernressourcen, die Lernmotivation, der Einfluss bestimmter Persön-lichkeitsmerkmale, das metakognitive Wissen, nicht zuletzt der Einfluss äußerer Faktoren.Der Einstufungstest liefert Anhaltspunkte zur Wahl des richtigen Lernwegs, keinesfalls sollteer die „Zwangseinweisung“ in einen Kurs begründen: Solche Praktiken mancher Bildungs-institute sind aus methodischer Sicht unseriös. Am besten ergänzt man den Test daher durch ein persönliches Beratungsgespräch , das die Lernvoraussetzungen weiter klärt, dem Lerner Auskunft über die Lernwege gibt und ihmhilft, sich begründet für einen Kurs zu entscheiden. Auf die Themen und die Methodik derGesprächsführung in solchen Beratungsgesprächen kann hier nicht eingegangen werden; einekurze Einführung findet sich in VIELAU 1995. 4.4.1.2 Subjektive Lerntheorien Schon im Beratungsgespräch, jedenfalls aber mit der Entscheidung des Lerners für einenbestimmten Kurs treten auf der Kontrollebene zwei Bezugssysteme in Konkurrenz: die sub-jektive Lerntheorie des Lernenden und die Unterrichtstheorie des Lehrenden. Die Implikationendieses Spannungsverhältnisses werden von unerfahrenen Lehrkräften oft unterschätzt. Die 224subjektive Lerntheorie ist für den Lernerfolg wichtig, kurzfristig oft sogar ausschlaggebend, denn sie liefert die inneren Steuerungssignale, an denen sich der Lerner (in Ermangelungeines begründeten Bezugssystems) zunächst orientiert: bei der Beurteilung von Unterrichtund Lehrkraft wie der eigenen Lerntätigkeit und des Lernerfolgs. In Lernsituationen, in denenäußerer Zwang fehlt, kann eine deutliche Dissonanz auf der Kontrollebene unmittelbar zumKursabbruch führen: Ein hoher Prozentsatz der Teilnehmer, die in der Erwachsenenbildungihren Kurs abbrechen, tut das schon nach der ersten oder zweiten Sitzung … Subjektive Theorien sind nicht beobachtbar und auch dem Lerner selber nur teilweise be- wusst. Sie müssen daher aus dem Verhalten erschlossen und im hermeneutischen Dialogzwischen Lehrer und Lerner ausgehandelt werden; so kann entsprechendes Verhalten vonbeiden Seiten besser verstanden, eingeschätzt und möglicherweise auch verändert werden(vgl. GROEBEN 1986). Erwachsene lernen leichter, wenn sie ihren eigenen V orstellungenfolgen, auch wenn diese nach den Maßstäben der wissenschaftlichen Unterrichtstheorie un-begründet sind. Gemeinsames Lernen in der Gruppe ist auf Dauer jedoch nur möglich, wenndie Bereitschaft zum Dialog und ein Mindestmaß an Offenheit für Veränderungen gegebenist. Problematisch wird es, wenn sich in der subjektiven Lerntheorie rationales und magischesDenken mischen und zusätzlich lernhemmende Einstellungen, ungünstige Lerntechniken undein hoher Affektivfilter ins Spiel kommen. Hier kann eine Grenze erreicht werden, an der manmit normalen Unterrichtsmethoden nicht weiterkommt, an der allenfalls noch eine Einzel-therapie hilft. Die subjektive Lerntheorie umfasst das Kontroll- und Steuerungswissen des Lernenden, auch die Lerntechniken und die bevorzugten Strategien der Informationsverarbeitung. Die Funkti-on und Wirkungsweise der subjektiven Lerntheorie soll anhand zweier Beispiele erläutertwerden. Viele Lerner haben Probleme mit ihrer Erfolgserwartung und Selbsteinschätzung.Am Anfang ist das Sprachenlernen, unabhängig von der Vergehensweise, relativ leicht: AlleLernmethoden, die wesentlich auf dem Auswendiglernen beruhen, bauen auf diesen Effekt.Die Schwierigkeiten beginnen, wenn die Grenze des mechanisch Lernbaren erreicht ist – wasfrüher oder später stets der Fall ist. Viele Lerner verstärken in dieser Situation ihre (zuneh-mend erfolglose) Lerntechnik durch mehr Fleiß und Gedächtnisstimulation (bildhafte Assozi-ationen, Eselsbrücken etc.). Führt auch das nicht mehr zum Erfolg, so fühlen sie sich in derAnnahme ihres persönlichen Unvermögens bestätigt und verlieren den Spaß am Lernen: Ich will lieber alles immer gleich auf Anhieb so können, ne? Wenn ich es kann, ist es gut – oder vielmehr: Wenn ich mal was so’n bißchen angefangen hab und ich das irgendwie ganzgut [kann], dann macht mir das auch Spaß. Aber wenn ich jetzt … irgendwas lernen will, und ich weiß aber, so nach drei, vier Mal, du kommst einfach nicht vorwärts, da kannste dich noch so viel hinsetzen, da hab ich nur keine Lust mehr. Ich muß sowas immer gleichkönnen. (QUETZ 1992: 67) Das Zitat ist typisch für eine subjektive Lerntheorie, die das Fremdsprachenlernen sehr er- schwert. Dem Lerner fehlt die methodische Phantasie, erfolgversprechende alternative Lern-techniken zu suchen, vor allem aber fehlt ihm die Geduld mit sich selber. Mit seiner überstei-gerten Erfolgserwartung setzt er sich selbst unter Druck: Entweder der gewünschte Effekttritt sofort ein (was bei Lernprozessen dieser Art ohne entsprechendes Training objektiv un-möglich ist) – oder man gibt lieber gleich auf. Hier liegt ein wichtiger Unterschied zum kind-lichen Erstsprachenerwerb: Ohne metakognitive Bremsen kennt das Kleinkind keine unrea-listische Erfolgserwartung und keine Versagensängste, keine Selbstüberschätzung, keinenVergleich mit anderen und folglich auch keine Frustration über ausbleibende Lernerfolge: Es 225reagiert naiv und „unverdorben“ auf Verzögerungen, Schwierigkeiten und Fehler; es wächst sozusagen mit den Erfolgen, ohne sich über (reale oder vermeintliche) Misserfolge, Umwegeund Rückschläge unnötig den Kopf zu zerbrechen. Die Fixierung vieler Menschen auf den Misserfolg (den es um jeden Preis zu vermeiden gilt) und das Festhalten an den gewohnten Lerntechniken (selbst wenn sie erkennbar erfolglossind) sind wichtige „Errungenschaften“ eines Bildungssystems, das weniger auf individuelleFörderung, eher auf Leistungsvergleich, Konkurrenz und Auslese angelegt ist, in dem derNachweis von Fehlern oft wichtiger ist als die Bestätigung von Lernzuwachs. Mit der Hypo-thek dieser Bildungsbiographie belastet, fällt es Erwachsenen schwer, sich optimistisch undflexibel auf neue Lernprozesse einzulassen. Der „Lehrer im Kopf“ sagt ihnen, was sie imVergleich mit den anderen in der Gruppe falsch machen, was sie nicht können, was anderebesser können – statt sich über jeden Lernfortschritt zu freuen und die Phantasie auf das zukonzentrieren, was das Lernen erleichtert. Auch das zweite Beispiel hat mit unerfüllten undunerfüllbaren Erfolgserwartungen zu tun: Sprachen zu erlernen, gerade Englisch – weil ich mich schon in der Jugend damit auseinan- dergesetzt habe – es fällt mir unwahrscheinlich schwer. Weil – ich sehe da kein Vorankom- men, ne? Man fängt immer wieder von vorne an, man läßt’s wieder – vertieft sich wieder ‘nbißchen, … und wieder is’ es weg. Dann fragt man sich: Jetzt hat man hier gesessen, und man weiß überhaupt nichts, so ungefähr, ne? Weil man einfach zu wenig damit konfrontiert wird. (QUETZ 1992: 67) Eine Sprache, die im praktischen Leben nicht gebraucht wird, sinkt bei Lernpausen rasch aus dem Abrufgedächtnis: Man kann dann nicht mehr aktiv auf das Gelernte zugreifen, es ent-steht der Eindruck, man habe alles vergessen. Oft wird auch falsch gelernt, zu wenig und inden falschen Formen geübt; Probleme beim Abruf des Gelernten sind die Folge. DieseGedächtnisdynamik ist uns auch aus anderen Lebensbereichen geläufig, aber beim Fremd-sprachenlernen tritt sie wegen der hohen Speicherbelastung mehr in den Vordergrund. Wersich daher mit unrealistischen Erfolgserwartungen auf das Fremdsprachenlernen einlässt,keine sinnvollen Maßstäbe zur Beurteilung von Lernweg und Lernerfolg entwickelt, wirdbald Schiffbruch erleiden und den Mut verlieren. Subjektive Lerntheorien enthalten auch Annahmen über effektive Lerntechniken. Oft beruhen diese Annahmen auf unreflektierten Erfahrungen mit dem Fremdsprachenlernen oder auf ei-ner gerade gängigen didaktisch-methodischen Folklore. Zwar kann es beim Fremdsprachen-lernen keinen Königsweg geben, der für alle richtig ist – zu verschieden sind die individuellenVoraussetzungen. Aber andererseits darf der Lerner nicht mit seinen Annahmen über Lern-wege und Lerntechniken allein gelassen werden. Nur wer eine gewisse Bandbreite alternati-ver Lerntechniken kennt und ausprobiert, kann sich begründet für einen subjektiv sinnvollenLernweg entscheiden. Die Einsicht in mögliche Alternativen fehlt anfangs fast immer; siemuss im dialogischen Prozess des Lehrens und Lernens nach und nach entstehen. 4.4.2 Lernprozess und Gruppe Fremdsprachenlernen im Unterricht wird in starkem Maße durch Gruppenprozesse beein-flusst; hier liegt einer der wichtigsten Unterschiede zum natürlichen Spracherwerb. V on derGruppe können positiv steuernde und helfende Impulse, aber auch hindernde Einflüsse kom-men. Besonders deutlich sind solche Gruppeneffekte schon in der Anfangssituation. 2264.4.2.1 Die Arbeitsgrundlage für das gemeinsame Lernen Anfangssituationen sind kompliziert für alle Beteiligten. Man kennt die anderen nicht, die zukünftige Rollenverteilung in der Gruppe muss ausgehandelt werden, die Umgebung istfremd, man kennt den Lehrer, den Stoff und die Vorgehensweise nicht, hat vielleicht auchLampenfieber … Lehrer A will am Anfang nicht lange „herumreden“; er beginnt direkt und einsprachig auf Englisch mit dem Unterricht. Zur Auflockerung setzt er einen ice-breaker ein. Die Gruppe lernt durch praktische Tätigkeit, alle werden gleichmäßig beteiligt und in Reihenübungen„drangenommen“, ob sie wollen oder nicht. Schon am Ende der ersten Sitzung hat man einordentliches Stück im Lehrbuch bewältigt. Die Gruppe wirkt am Schluss zwar noch etwasgehemmt, aber insgesamt durchaus zufrieden. In der folgenden Sitzung fehlen vier der sech-zehn Teilnehmer. Lehrer B, neu in einem Konversationskurs, will lernerorientiert vorgehen. Er fordert die Gruppe auf, (auf Englisch) Wünsche und Bedürfnisse anzumelden, V orschläge für Aufbau und inhalt-liche Gestaltung des Kurses zu machen. Die Gruppe diskutiert etwas mühsam, einige beteili-gen sich kaum, der Kursleiter beschränkt sich auf die Rolle des Beobachters, greift nur abund zu sprachlich helfend und korrigierend ein. Die erste Sitzung bringt kein greifbares Er-gebnis über das Programm. In der zweiten Sitzung, alle sind wieder da, wiederholt sich diesesSzenario; man kann sich wiederum nicht einigen. Die Stimmung wirkt zunehmend gereizt.Lehrer B entschließt sich daher gegen Ende der zweiten Sitzung zu einer kurzen Bestandsauf-nahme auf Deutsch. Er erklärt den Teilnehmern, er wolle ihnen bewusst nicht das Programmdiktieren, schließlich seien sie „erwachsene Menschen und nicht im Kindergarten“ ; um das zu unterstreichen, zieht er den Vergleich zu Seminaren in der Universität und in der Manager-schulung. Die folgende, ziemlich chaotische Aussprache geht weit über das Unterrichtsendehinaus, ohne dass eine greifbare Einigung sich abzeichnet; man vertagt das Problem auf diedritte Sitzung (von zwölf). Kurz vor dieser dritten Sitzung beschwert sich eine Teilnehmerinbeim Fachbereichsleiter; sie möchte den Kurs wechseln und „auf keinen Fall“ in dieser Konstellation weitermachen. Die Fallbeispiele verdeutlichen die Bandbreite möglicher Zugänge und die Unausweichlichkeit des Problems: Jede Lerngruppe benötigt so oder so eine Arbeitsgrundlage . Lehrer A setzt die Entscheidung von sich aus, verzichtet auf Erklärungen oder Begründungen, enthebt die Gruppeder Beteiligung und regelt das Geschehen durch einen heimlichen Lehrplan. Wer als Lernerdiesen Zugang nicht mag, nicht versteht oder von seiner subjektiven Lerntheorie her ablehnt,hat beim freiwilligen Lernen immerhin die Möglichkeit, wegzubleiben oder den Kurs zu wech-seln. Lehrer B verweigert der Gruppe die Steuerung und lässt sie mit dem Problem, einebrauchbare Arbeitsgrundlage zu finden, weitgehend allein. Da jeder irgendwie spürt, dassdas vielstimmige Konzert der subjektiven Wünsche kein schlüssiges Unterrichtskonzept er-setzen kann, verbreitet sich trotz des offenen Zugangs und der guten Beteiligungschancenmehr und mehr Unzufriedenheit. Um über den Lernweg entscheiden zu können, braucht esvernünftige Entscheidungsgrundlagen , den Blick für mögliche Alternativen und deren V or- und Nachteile. Lehrer B setzt bereits am Anfang des Lernwegs ein Steuerungswissen voraus,das erst, wenn alles gut geht, irgendwann im Verlauf des gemeinsamen Lernens entstandensein wird: Er überfordert und frustriert auf diese Art die Lerngruppe; die Unzufriedenheitwächst, je länger dieser Schwebezustand ohne akzeptierte Arbeitsgrundlage andauert. 227Die Arbeitsgrundlage eines Lehrgangs, die sich bei Unterrichtsbeginn so oder so bildet, ent- hält das kollektive Steuerungswissen der Lerngruppe: Annahmen über Ausgangsbedingungenund (Zwischen-)Ziele, Vorstellungen über einen erfolgversprechenden gemeinsamen Lern-weg, den Lernstoff und geeignete Lerntechniken, Erfolgskriterien. Wie die Beispiele zeigen,ist es methodisch nicht leicht, in einer neuen Lernkonstellation eine solche Arbeitsgrundlagezu finden, zumal wenn verschiedene Motive, Erwartungen, Lerntheorien und Ängste im Raumstehen. Häufig wird die Arbeitsgrundlage zunächst ein Kompromiss sein; sie enthält am Anfang nur grobe Orientierungshilfen, verändert sich im Verlauf des Unterrichts ständig undwird zum Spiegel des metakognitiven Lernens der Gruppe. Umso vollständiger die Arbeits-grundlage ist, desto einfacher werden die Übergänge zum offenen Unterricht und zur Auto-didaktik (s.u.). Der Lehrer kann diesen Lernprozess nicht diktieren oder erzwingen; er kannihn jedoch moderieren und als Lernberater begleiten. Bei der Vorbereitung der ersten Unterrichtseinheit ist zu entscheiden, welche Informationen die Arbeitsgrundlage aus der Sicht des Unterrichtenden gleich zu Beginn enthalten sollte, wieder Stand der Lerngruppe in Erfahrung gebracht werden soll und auf welche Weise ein ersterKonsens zum V orgehen herbeigeführt werden kann. Dabei ist zu bedenken, dass längere Vor-träge über Lernziele und Methoden an dieser Stelle meistens fehl am Platze sind. In der Praxis gibt es viele Möglichkeiten; eine davon soll hier kurz angedeutet sein. Über die Ausgangsbedingungen der Lerngruppe kann man sich durch eine Vorstellungsrunde oder eineBefragung ein erstes Bild machen. Die Form der Vorstellungsrunde hängt davon ab, wo manlernt, in der Schule, in der Erwachsenenbildung, in der betrieblichen Weiterbildung, in einemSeminar der Universität. Wichtig ist außerdem, dass die Lerngruppe bereits im ersten Schrittpraktische Erfahrungen mit dem intendierten Unterrichtskonzept machen kann. Indem manauf diese Erfahrung Bezug nimmt, kann man anschließend das Unterrichtskonzept nachvoll-ziehbar präsentieren: Jeder weiß nun zumindest in Ansätzen, worüber er redet, was ihm andem Zugang gefällt oder nicht gefällt. Im kommunikativen Fremdsprachenunterricht würdeman demnach für die Vorstellungsrunde ein kommunikatives Lernarrangement vorbereiten:Zum Beispiel könnte man kurz die notwendigen Redemittel für ein Partnerinterview einfüh-ren, in dem man sich gegenseitig kennen lernt; anschließend stellt man in der großen Rundenicht sich selber, sondern den Gesprächspartner vor. Selbstverständlich wählt man dafür einekooperative Sitzordnung. In einer fortgeschrittenen Gruppe könnte man zur Vorentlastung zum Beispiel einige Schlüs- selwörter über sich selber vorgeben (Tafel): London … 1st November … 49 … green … 21 … Maggie. Einiges ist ziemlich klar und kann durch Fragen leicht erschlossen werden ( place of birth, date of birth, age ), anderes mag schwieriger zu erraten sein und vielleicht phantasievolle Einfälle produzieren ( green = favourite colour?/ political orientation?/ grade of language teaching proficiency? // 21 = house number?/ actual record of girl friends?/ lessons for thisclass? // … ). Anschließend erfindet jeder für sich selber einige key words (die nicht notwendig wahr sein müssen!), schreibt sie auf einen Zettel und lässt den Gesprächspartner entspre-chend raten. Bei der Auswahl des ersten Lernarrangements ist Sorgfalt geboten. Die Gruppe darf hier in keiner Richtung überfordert werden, weder sprachlich, noch affektiv, noch in ihrer Erwartungs-toleranz. In einer Lerngruppe eher bildungsferner Erwachsener würde man also nicht gleich 228per „Du“ oder mit einem Lernspiel beginnen, das die Bereitschaft zu Pantomime oder szeni- schem Spiel voraussetzt. Die Gruppe muss dort abgeholt werden, wo sie sich affektiv undvon ihrer subjektiven Lerntheorie her befindet: Grenzüberschreitungen sind möglich, aberSchocktherapien nur selten erfolgreich. Am einfachsten fällt die Vorbereitung, wenn man dasPrinzip zur Regel macht, dass sich der Lerner im Unterricht nicht anders verhalten soll alsaußerhalb des Unterrichts. (Einen wildfremden Erwachsenen würde man nicht gleich duzen.) Eine andere Möglichkeit wäre eine Spontanumfrage über V orkenntnisse, Gründe für das Fremd- sprachenlernen und Wünsche an den Kursverlauf (Stichwörter auf Notizzettel). Die Umfragewird vom Kursleiter während einer Gruppenarbeitsphase ausgewertet. Bei der Vorstellungder Ergebnisse (Folie) sollte zunächst die Bandbreite der Lernvoraussetzungen und Erwar-tungen verdeutlicht werden. Schon hier könnte angesprochen werden, dass es (im Gegensatzzur Schule) in einem Weiterbildungskurs verschiedene Lernwege und entsprechend verschie-dene Erfolgskriterien geben kann. Den so ermittelten Erwartungen und Wünschen der Grup-pe kann dann das Kurskonzept gegenübergestellt werden, mit dem inzwischen erste prakti-sche Erfahrungen vorliegen. Abschließend formuliert der Kursleiter einen Vorschlag zumweiteren Vorgehen; dabei betont er, dass die V orgehensweise im Verlauf des Kurses öfterwieder zur Diskussion stehen wird. Über diesen Vorschlag sollte, für jeden erkennbar undverbindlich, ein Konsens herbeigeführt werden. Für den Rest der ersten Sitzung wird dann praktisch gearbeitet – und zwar möglichst gleich mit den vorgesehenen Lernmaterialien undin der vereinbarten methodischen Akzentuierung. In der kommunikativen Methode gibt es keine feste Regel dafür, wie weit die erste Arbeits- grundlage schon das Unterrichtskonzept des Kursleiters spiegelt und wie weit sie noch durcherkennbare Wünsche und Erwartungen der Teilnehmer geprägt wird. Oft sind hier sanfte,schrittweise Übergänge notwendig: viel Geduld und einiges an Selbstverleugnung von Sei- ten des Kursleiters. Wie gleich noch genauer zu zeigen sein wird, sollten immer erst prakti-sche Erfahrungen mit alternativen Lernformen gemacht worden sein, bevor sich wieder etwasan der Arbeitsgrundlage ändern kann. Am Ende der ersten Sitzung hat man sich als Lerngruppe kennen gelernt, man hat eine erste Vorstellung vom Ziel des Kurses und möglichen Lernformen, kennt Lernmaterialien und Stoff-plan und weiß in etwa, was man selber zu tun und beizutragen hat. 4.4.2.2 Das Lernen lernen: Lerntechniken und Lernstrategien Wer in eine neue, ungewohnte Umgebung kommt, hat zunächst das Bedürfnis, sich zu orien-tieren. Man beurteilt Lerngruppe und Kursleiter, die räumlichen Gegebenheiten, Kursgrößeund Sitzordnung ( „Werde ich mit diesen Leuten zurechtkommen?“/ „Werde ich mich in dieser Umgebung wohl fühlen?“ ). Für viele Menschen steht dabei die Frage im V ordergrund, welche Anforderungen der Kurs an sie stellen wird ( „Was wird hier von mir erwartet?“/ „Werde ich mithalten können?“ ). Die Antwort hängt von der Lernerfahrung und vom Vor- wissen ab; eine große Rolle spielt auch der subjektive Stand der Lerntechniken und Lern-strategien. Wer mit gesundem Selbstvertrauen bezüglich der eigenen Lernfähigkeiten undeinem erprobten Instrumentarium an Lerntechniken an neue Aufgaben herangeht, wird weni-ger Probleme haben als der, der nicht weiß, was ihn erwartet und wie er die neue Aufgabesinnvoll anpacken soll. 229Mit „ Lerntechniken “ ist hier die Gesamtheit der praktischen Handlungsoptionen gemeint, die der Lernende einsetzt, um seinem Lernziel näher zu kommen. Dabei geht es vorrangig umdrei Handlungsfelder: •Gebrauch von Lernmaterialien und Lernhilfen: Einblick in Aufbauprinzipien und Organisation der Lehrbücher; Beschaffung und Nutzung von Referenzliteratur (Wörter- bücher, Grammatiken, landeskundliche Texte etc.); technische Lernmedien (CD-Player,Computer); Lerndokumentation, Materialpflege und -ablage. •Organisation der individuellen Lernprozesse : Zeitorganisation (Tagesplan, Wochen- plan, Semesterplan, Lernplan allgemein); Arbeit mit dem Lehrbuch (Markierungen, Exzerpte und Notizen, Memorieren), Gebrauch zusätzlicher Lernhilfen (Karteisysteme,Lernprotokoll), Gebrauch technischer Lernhilfen im Selbststudium (CD-Player, Compu-ter, Selbstlernmaterialien …). •Arbeits- und Verhaltensregelungen für das Lernen in der Gruppe : Kenntnis der verein- barten Signale für Beteiligung und Nichtbeteiligung, Fehlerkorrektur und Fragetech- niken; Gebrauch der Metasprache, Fähigkeit und Bereitschaft zur Metakommunikation;Regelungen für praktische Lernoperationen diverser Art; kollektive Zeitplanung: Lern-einheit, Woche, Lernabschnitt, Zielperspektive. Unter „ Lernstrategien “ verstehe ich die kognitiven Handlungsoptionen, die der Lernende zur Lösung von Lernproblemen bei der (Tiefen-)Verarbeitung des Sprachinput einsetzt. DieLernstrategien beeinflussen den Intake, sie verändern die Lernersprache. Sie können bewusstoder unbewusst eingesetzt werden, von innen oder von außen gesteuert sein und sie könnenverschieden produktiv im Hinblick auf die Lernersprache sein. Eine subjektiv sinnvolle undproduktive Kombination von Lernstrategien kann den Charakter einer Methode annehmen, wenn die gewählten Verfahrensweisen ausreichend kohärent und effektiv sind. Vielfach muss man bei den Lerntechniken und Lernstrategien in einem typischen Kurs der Erwachsenenbildung fast beim Stande Null beginnen. Einiges an sprachlichem Vorwissenbringen die meisten zwar mit; aber bei den Lerntechniken waltet der Zufall der persönlichenLernbiographie, walten Gewohnheit und Wunschdenken. Besonders gilt das für Lernunge-wohnte, aber auch Abiturienten haben hier oft noch Probleme. Dass dieses Fähigkeitsprofildas Ergebnis einer Pädagogik ist, die getreu deutscher Bildungstraditionen den Lerner eherals Objekt der Stoffvermittlung begreift denn als aktiven „Lernagenten“ und Lernsubjekt, isthier verschiedentlich angesprochen worden. Für eine pädagogische Mentalität, die Lerner„konditionieren“, „(neurolinguistisch) programmieren“ oder sonst mit Lernstoff abfüllen will(und sei es im Schlaf), sind Lerntechniken naturgemäß kein Thema: Auswendiglernen, Fleißund Gehorsam bezüglich des vom Lehrer verordneten Lernwegs sind angesagt. Ein anderes Menschenbild, nicht zuletzt ein vertieftes Verständnis der Dynamik human- spezifischer Lernprozesse, führt hier zu einer neuen, partnerschaftlichen Pädagogik , die vorrangig auf Lerneraktivierung und Selbstständigkeit im Lernprozess setzt: Ein guter Un-terricht ist nicht auf Vermittlung, sondern auf Aneignung angelegt; er bietet dem Lerner Ge-legenheit zu aktiven, auf seine Lernbedürfnisse abgestimmten Lernhandlungen. Dieses päda-gogische Konzept hat viel Widerhall in der kommunikativen Fremdsprachendidaktik gefun-den (RUBIN, THOMPSON 1982, RAMPILLON 1985, DICKINSON 1987, ELLIS,SINCLAIR 1989, BAUSCH u.a. 1993); es spiegelt sich mehr und mehr auch in der jüngerenLehrbuchproduktion. Audiovisuelle Lehrmaterialien wie etwa DE VIVE VOIX (CREDIF- 230Methode), in denen Lerner und Lehrer massiv gegängelt wurden, wären heute undenkbar. Allerdings bleibt es oft auch bei Lippenbekenntnissen: Man gönnt sich einige Lerntipps undCan-do -Zusammenfassungen in Anspielung auf die Lernzielbeschreibungen des Europarats, bleibt im Kern aber bei einer Vermittlungspädagogik und einem lehrerzentrierten Unterrichts-konzept stehen. Wie also könnte man im Unterricht vorgehen, wenn man weiß, dass die Ler-ner wenig Selbstständigkeit mitbringen und dass es spontan oft wenig Bereitschaft gibt, sichmit Fragen dieser Art zu beschäftigen? Die Grundprinzipien der lernerorientierten Pädagogik heißen Transparenz und Partizipati- on. Als Lerner soll man jederzeit wissen, was man tut und warum man es tut; man soll lernen, auf das eigene Lernen Einfluss zu nehmen. Die Umsetzung dieses Prinzips verlangteinen (zuweilen langfristigen) metakognitiven Lernprozess, keineswegs jedoch ein „kleinesLehrerstudium“ von Seiten des Lerners. Schrittweises V orgehen, didaktische Vereinfachun-gen und Kompromisse sind legitim und notwendig. Aber das Ziel bleibt, dass der Lerner nachund nach für sich einen praktikablen Lernweg mit subjektiv geeigneten Lerntechniken findetund dass er lernt, sich selber für die Ergebnisse des Lernens zuständig und verantwortlich zufühlen. Das metakognitive Lernen kann man nicht vermitteln bzw. vermittelnd lehren; es ist weder mit einigen Lerntipps noch mit gelegentlichen Kurzvorträgen über effektives Lernen getan.Auch das Lernen selber muss aktiv und individuell erlernt werden. Anhand praktischer Er- fahrungen werden hinderliche Lerngewohnheiten angesprochen und problematisiert, alterna-tive Wege vorgeschlagen und erprobt; der Lerner integriert nach eigener Entscheidung sub-jektiv erfolgreiche Muster in sein persönliches Lerninventar. Die Aufgabe der Lehrkraft liegteher im Anregen, Begleiten und Moderieren dieses Prozesses; schwierig ist es im Anfang,Kohärenz zu stiften, den Zusammenhang einzelner Entscheidungen deutlich werden zu las-sen. Erst wenn die neue Lerntheorie ein hinreichendes Maß an Stabilität und Kohärenz gefun-den hat, wenn das Lerninstrumentarium selbstständig auf analoge Anwendungen übertragbarist, kann von Lernerautonomie gesprochen werden. Eine transparente Gestaltung der Unterrichtsmaterialien kann den metakognitiven Lehrplan nachhaltig unterstützen: Die Lernziele, Aufbau und Gliederung des Lehrwerks, die Übungs-ziele und Arbeitsanweisungen sollten informativ und allgemeinverständlich formuliert sein.Ganz in diesem Sinne sind die dürftigen Inhaltsverzeichnisse früherer Jahre in neueren Lehr-werken durch explizite und aussagefähige Lernübersichten ersetzt worden. Im NEW CAM-BRIDGE ENGLISH COURSE (Klett) wird der Lernstoff beispielsweise in vier ausführli-chen Teil-Lehrplänen präsentiert: Grammatik, Aussprache, Sprechabsichten/ Situationen,Konzepte/ Themenbereiche ( multi-syllabus design ). Jede Seite des Buches enthält einen in sich geschlossenen Lernzyklus, der durch eine explizite Lernzielangabe eingeleitet wird (z.B.asking for and giving directions ) und mit einer kurzen Zusammenfassung des Gelernten und Empfehlungen für subjektorientiertes Weiterlernen ( learn three or more: .. ./ folgt Wortliste zur Auswahl) abschließt. Allerdings ist die Metasprache Englisch, was gerade auf Anfänger-niveau wenig sinnvoll ist, und Benutzerführung und Übersichtlichkeit bei den Übungen las-sen oft zu wünschen übrig. Einen Schritt weiter geht zum Beispiel MACMILLAN BUSINESS ENGLISH PROGRAMME (Hueber). Die Aufgaben sind in einem übersichtlichen Layout gehalten, in dem sich Übungs-ziel und learning task wechselseitig interpretieren: 231Revise Practise by talking about there is/are, where you live, or a town you know very well: there was/were,there used to be e.g. (see page 100) There’s a church in …. Street. There was a post office near the …, but itclosed down. (…) Quelle: Macmillan Business English Programme, Pre-Intermediate Course Book, 1994: 25. So kann der Lerner leicht erkennen, was das Übungsziel sein soll und worauf beim Sprechen zu achten ist. Gerade im Grenzbereich von sprach- und mitteilungsbezogenem Üben kann essonst leicht zu Orientierungsproblemen kommen. Auch der Querverweis auf weitere Lern-hilfen ist wichtig. In PONT NEUF (Klett) finden sich Lerntipps, in denen der Lerner direkt (und auf Deutsch) angesprochen wird, damit er sich mit dem Lernproblem besser identifizieren kann (zitiertnach V orabdruck, o.O.1995): „Ich kann mir keine Vokabeln merken.“ Sicherlich stellen Sie dies manchmal fest. Wir möchten Ihnen hier zwei Tips geben. Erster Tip: die Vokabel-Landkarte Wählen Sie ein Wort als Ausgangspunkt für Ihre Karte aus. Um dieses Zentrum notierenSie kreis- oder sternförmig alle französischen Wörter, die Ihnen zu diesem Begriff spontan einfallen. Mit einem zweiten Begriff verfahren Sie genauso. Versuchen Sie dabei, einen thematischen Zusammenhang herzustellen, so daß schließlich Ihr persönliches Wortnetzentsteht … (folgt Beispiel in Form eines Schaubilds). Der Lerntipp ist lernpsychologisch begründet, verständlich formuliert, und er fügt sich kohä- rent in die Methodik dieses Lehrwerks ein. Nur wer das Unterrichtskonzept versteht, kannsouverän mit dem Material umgehen: im Stoff etwas auswählen, ergänzen oder fortlassen,persönliche Schwerpunkte setzen, selbstständig wiederholen oder Versäumnisse durch indivi-duelles Lernen ausgleichen. Wahllos zusammengewürfelte, methodisch und lernpsychologisch inkohärente Lerntipps, wie man sie sonst immer noch vielfach in den Lehrmaterialien findet, schaden dagegen mehr alssie nutzen. Transparenz des Unterrichtskonzepts kann nur entstehen, wenn Lehrbuchautorenund Lehrkräfte wissen, was sie tun, warum sie es tun und wie sich eins ins andere fügt; nurein in sich kohärentes Unterrichtskonzept kann Basis kohärenter Lernprozesse sein. Das wichtigste Instrument zur Förderung des metakognitiven Lernens sind regelmäßige Lerner- befragungen und anschließende kurze „ Lehr-/Lernkonferenzen “ (Begriff adaptiert nach GOR- DON 1974). In diesen Befragungen wird die Arbeitsgrundlage überprüft, werden Orientierungs-probleme und Störungen des Lernprozesses konkret und zeitnahe aufgegriffen. Anregungenfür eine sinnvolle Fragetechnik finden sich zum Beispiel bei ELLIS, SINCLAIR 1989; manch-mal sind entsprechende Empfehlungen schon in das Lehrwerk eingearbeitet. Die Befragungdient der Problemaufnahme; am Anfang wählt man am besten die Form einer schriftlich-anonymen Spontanumfrage, mit oder ohne Vorgaben ( „Wie finden Sie das Lerntempo?“ ), in jedem Fall mit der Möglichkeit, auch frei zu reagieren. Wenn die Lerngruppe sich besserkennt, sind mündliche Befragungen, zum Beispiel in Form eines „Blitzlichts“ möglich: Jedersagt seine Meinung in ein oder zwei Sätzen; es wird nicht kommentiert oder auf die Meinunganderer Bezug genommen. Anschließend wird die Befragung ausgewertet und das Ergebnis 232im Rahmen einer Lehr-/Lernkonferenz zur Diskussion gestellt; dabei sollten die einzelnen Konferenzen nicht zu lange dauern. Zunächst werden die Themen gesammelt und nach Wich-tigkeit geordnet. Die Diskussion beschränkt sich pro Sitzung auf ein einziges, klar begrenz-tes, allgemein als wichtig empfundenes Problem. Zu diesem Problem werden Lösungs-möglichkeiten gesammelt ( brainstorming ), verglichen und bewertet; der Kursleiter beteiligt sich gleichberechtigt an der Diskussion. Das Ergebnis wird in Form einer Lernregel explizit formuliert, an die Tafel geschrieben und durch Mehrheitsvotum vereinbart. Die Lernregelwird damit Teil der kollektiven Arbeitsgrundlage; der Kursleiter wacht im Folgenden überihre Einhaltung. Regeln, die sich nicht bewähren, können durch Mehrheitsentscheid jederzeitrevidiert werden. So oder ähnlich werden wichtige Aspekte der Arbeitsgrundlage schrittweise aufgegriffen, im Licht praktischer Erfahrungen verhandelt, von der Gruppe beeinflusst und nach und nach ineigene Regie überführt. Die Gruppe übernimmt Verantwortung für den Lernprozess in demMaße, wie sie lernt, Probleme zu erkennen, Lösungswege zu entdecken, Ziele und Verfahrens-weisen auszuhandeln. In diesem Sinne wirkt die Lehr-/Lernkonferenz quasi als Clearingstelle zwischen den subjektiven Lerntheorien der Teilnehmer, der Unterrichtstheorie des Kursleitersund dem tatsächlichen Lernprozess der Gruppe. Je vollständiger die Arbeitsgrundlage ist,desto aktiver kann sich die Gruppe in die Kursplanung einschalten: Zum Beispiel können nunder Wochenplan und das Semesterprogramm kompetent besprochen und gemeinsam festge-legt werden. 4.4.2.3 Gruppenintegrative Arbeitsformen In der Erwachsenenbildung gehen die Teilnehmer in einen Englischkurs, um Englisch zulernen – und nicht, um ihre persönlichen Befindlichkeiten in Lernsituationen zu analysieren.Wenn sie das wollten, würden sie wohl eher eine Selbsterfahrungsgruppe wählen. Auch ausder Sicht des Kursleiters ist die affektive Metaebene mit Vorsicht zu behandeln: Meistensfehlt eine entsprechende gruppentherapeutische Ausbildung, und als selbsternannter Seelen-doktor kann man mit falschen Reaktionen viel Unheil stiften. Andererseits ist zu bedenken,dass auch in einem sachlich geführten Unterricht nolens volens nicht nur der Kopf, sondern stets der ganze Mensch lernt, dass Lernprozesse sich nicht auf die kognitive Dimension be-schränken lassen. Jeder Kursleiter kennt Äußerungen wie die folgenden (vgl. auch QUETZ1992): •„Wenn ich vor den anderen Englisch sprechen soll und Fehler mache, da habe ich Hemmungen. Da sage ich lieber gar nichts.“ •„Ich muss alles ganz genau verstehen, aber der Lehrer spricht viel zu schnell und immer gleich in ganzen Sätzen. Die anderen haben keine Probleme damit.“ •„Vor dem Englischkurs habe ich immer schon Magenschmerzen.“ Eine Lernsituation stellt indirekt das Selbstwertgefühl in Frage. Lernen passt für viele Men- schen nicht zum Selbstbild des Erwachsenen; die beliebte Redewendung vom „Wieder-zu-rück-auf-die-Schulbank-müssen“ beschreibt prägnant dieses Rollenklischee (vgl. auch BROK-MANN-NOOREN u.a. 1995). Durch die Teilnahme an einem organisierten Lernprozessgibt man ein Nichtkönnen zu, unterwirft sich der Korrektur, Kritik und „Zurechtweisung“durch eine wissende und lenkende Instanz – und das obendrein vor ein größeren Gruppe 233wildfremder Menschen. Aus Gründen dieser Art empfinden viele eine organisierte Lernsituation als Stress: Sie gehen eher defensiv als offen-experimentell mit dieser Situation um und er-schweren sich und anderen das Lernen durch einen hohen Affektivfilter. In extremen Fällenkann sich dieser Lernstress in neurotischen Symptomen ausdrücken (Angst, Resignation,Aggression gegenüber den Besseren im Kurs, Clownerie, Konversionsneurosen mit körperli-chen Krankheitssymptomen etc.). Über die Ursachen solcher Einstellungen kann man nurspekulieren: Vieles reicht weit zurück in die persönliche Lernbiographie in der Familie, in derSchule, im Beruf. Man hat typische Verhaltensmuster für Lernsituationen verinnerlicht; manhat gelernt, dass es sich lohnt, der Erste und Beste zu sein, dass man sich keine Blößen gebendarf und Fehler vermeiden muss. Man hat ein Selbstbild, das es zu wahren und zu verteidigengilt (vgl. auch VIELAU 1995: 71 ff.). In einer unbekannten, potenziell bedrohlichen Situation strebt der Mensch nach der Sicher- heit bekannter Verhaltensmuster. Wenn nicht gegengesteuert wird, kommt es daher rasch zueinem Regress in kindlich-schülerhaftes Verhalten: Die Schülerrolle ist verlockend, weil sievertraut ist und vermeintlich mehr Sicherheit bietet als die kritische Distanz und Selbständig-keit des reifen Lerners. Ein Lehrer, der bewusst oder unbewusst darauf aus ist, die Lern-gruppe zu infantilisieren, sie auf sich zu fixieren und das eigene Licht leuchten zu lassen, hatdaher leichtes Spiel. Nur so ist der an sich erstaunliche Umstand zu erklären, dass sich er-wachsene Menschen oft binnen kurzem auf einen viel jüngeren, menschlich unreifen Kurs-leiter fixieren. Dass auf der Basis einer solchen Beziehungsdefinition vordergründig „effek-tiv“ gelernt werden kann, soll nicht bezweifelt werden. Aber auf mittlere Sicht widerlegt sichein solches, auf Unselbständigkeit und Abhängigkeit gegründetes Lernverhalten von selber:Es hat keine Perspektive, oft wenig Tiefenwirkung und es tötet letztlich die Motivation. Pädagogisch sehr viel schwieriger und anspruchsvoller ist der andere Weg, der das Gefühl der persönlichen Sicherheit in der Lernsituation nicht aus unbewusster Unterwerfung unddem Regress in infantile Verhaltensformen, sondern aus kritischer Mündigkeit und reflek- tierter Selbstbestimmung ableitet. Gerade im affektiven Bereich funktioniert das partner-schaftliche Lernen selten ganz von allein; Problembewusstsein von Seiten der Lehrkraft,geeignete Hilfen und Steuerungsimpulse sind unverzichtbar. Da bei affektiven Lernprozessendie Meta-Ebene nicht direkt zur Verfügung steht (unqualifizierte Beziehungsdiskussionen imgrößeren Kreis schaffen oft mehr Probleme als sie lösen), werden solche Lernhilfen gern inden heimlichen Lehrplan verlagert. Viele der heute gängigen Lernspiele sind als (mehr oder minder geeignete) Versuche zu verstehen, auf die Beziehungsebene Einfluss zu nehmen. Schondie Terminologie im Lehrerhandbuch (vgl. „ icebreaker “) macht das hinlänglich deutlich. Dass hier Vorsicht geboten ist, zeigt das folgende Beispiel: 7. You are in one of these places. Do a mime; the class will say where you are. at a swimming pool at a disco at a restaurant at the doctor’s at the dentist’s in bed in the bathroom at a car park (…) Quelle: New Cambridge English Course 1, 1993: 48. Interessant sind die heimlichen Botschaften, die in diesem Lernarrangement ausgetauscht werden. Um die Lerngruppe „aufzulockern“ und affektiv „aufzumischen“, setzt die Anlei-tung gängige Erwartungshaltungen an erwachsenengemäße Lernformen außer Kraft. Indemder Kursleiter Lernhandlungen dieser Art verlangt, definiert er zugleich die eigene Rolle inder Gruppe. Er nimmt sich das Recht, erzieherisch auf erwachsene Menschen einzuwirken, 234ohne dass ihn diese Menschen oder die Institution, für die er tätig ist, mit einem entsprechen- den Erziehungsauftrag ausgestattet hätten. Wer erwachsene Menschen, die eine Dienstleis-tung in Anspruch nehmen (und dafür nicht zu knapp bezahlen), mit einem heimlichen Lehr-plan dieser Art konfrontiert, geht ein hohes Risiko ein. Zunächst wäre hier das Selbstver-ständnisses zu prüfen: Wie verstehe ich meine Rolle in dieser Lerngruppe? Welches Rechthabe ich, über die vereinbarten Ziele des äußeren Lehrplans hinausgehend* erzieherisch tätigzu werden? Wie weit darf ich mich über die Erwartungen der Gruppe hinwegsetzen? Die Rolle des Kursleiters ist schwierig zu bestimmen, weil er stets Teil der Lerngruppe ist, selber am Gruppenprozess teilnimmt und eigene Bedürfnisse nach Geltung in der Gruppeentwickelt, aber zugleich von seiner Funktion her die Aufgabe hat, die Gruppe (und sichselber) von außen zu sehen, sie bewusst zu steuern und anzuleiten. Supervision kann eingeeignetes Mittel für Lehrkräfte sein, die Implikationen dieser Doppelrolle und die eigenenBedürfnisse in Unterrichtssituationen besser zu verstehen. Der hier praktizierte Zugang übereinen heimlichen Lehrplan weist Lehrer und Gruppe asymmetrische Rollen zu: Der Kurs- leiter definiert sich nicht als Dienstleister und Lernberater, als gleichberechtigter Partnereines gemeinsamen Lernprozesses, sondern als überlegen-wissender Lenker und Erzieher. Erbeansprucht damit einen Status, der ihm von dem institutionellen Kontext her nicht zukommt.Dem Lerner bleibt die Rolle des unmündigen Erduldens fremdbestimmter Lernhandlungen;die höhere Weisheit der Lenkungsinstanz ist ihm verschlossen. Wer der impliziten Beziehungs-definition nicht zustimmt und sich durch die Zumutungen des heimlichen Lehrplans veralbertfühlt, hat nur die Wahl, diese Lerngruppe zu verlassen. Besser ist es daher, übrigens nicht nur in der Erwachsenenbildung, wenn auf einen heimlichen Lehrplan verzichtet wird. Der Lerner ist als Partner zu akzeptieren, der ohne sein Verstehenund Einverständnis nicht in ungewohnte Verhaltensmuster gedrängt werden darf – zumal,wenn diese Verhaltensmuster möglicherweise sein Selbstbild und seinen Status in Frage stel-len. Das gilt auch, wenn die gewohnten Verhaltensmuster nach Einschätzung des Kursleitersweniger effektiv sein mögen. Auch die affektiven Ziele des Unterrichts können offengelegtwerden („Wir wollen uns im Unterricht wohl fühlen, Unsicherheiten abbauen, gut miteinander auskommen, auf andere Rücksicht nehmen: Je besser uns das gelingt, desto effektiver undschneller können wir gemeinsam Englisch lernen.“ ) Entsprechendes gilt für die Verfahrens- weisen, die eingesetzt werden, um die affektiven Ziele zu erreichen. Der Lerner wird nichtvorgeführt und soll sich nicht exponieren müssen: Das „Drannehmen“ im Frontalunterrichtoder das „V orholen-an-die-Tafel“ sind problematische Unterrichtstechniken in diesem Sinn. Das Gefühl, akzeptiertes Mitglied einer Gruppe Gleichinteressierter zu sein, kann auf der affektiven Ebene sehr entlastend wirken (MASLOW 1989), kann Ängste und Hemmungenbesser abbauen als ein äußerlicher Motivierungsversuch über ice-breaker oder eine aufge- setzte Entspannungsübung. Wenn man sich im Kreise anderer wohlfühlt, gemeinsam an derLösung von Problemen arbeitet, selber etwas beiträgt, können sich gruppenbedingte Synergie-effekte entfalten, die den Lernprozess fördern und voranbringen. Erfahrungen dieser Art er-klären, warum das Lernen in der Gruppe effektiver ist als das Lernen allein im stillen Käm-merlein. In einer funktionierenden Lerngruppe ergänzen sich Wissen und Können der Betei-ligten: Jeder trägt etwas bei; man profitiert von Fehlern, die andere machen, aus den folgen- * Viele Versuche haben gezeigt: Erscheint ein Hinweis auf „szenisches Spiel“ o.ä. in derKursbeschreibung, so kommt dieser Kurs nicht zustande. 235den Korrekturen und Verstehenshilfen. Insofern ist das Ganze eines Gruppenprozesses oft mehr als die Summe der individuellen Anteile. Wie also kann ein solcher Gruppenprozessgefördert werden? Zunächst geht es um scheinbar belanglose Äußerlichkeiten: die Gruppengröße, die Herstel- lung einer kommunikativen, gleichberechtigten Sitzordnung, die Einigung auf die bevorzug-ten Formen der Anrede, die Aufstellung von Namensschildern, die Art, ob und wie eine An-wesenheitsliste geführt wird, wie man sich vorstellt und anredet. Kommunikatives Lernenund direkte Interaktion zwischen den Lernern sind nur möglich, wenn man sich ungehindertansehen und ansprechen kann. Die Gruppe darf daher nicht zu groß sein, aber auch nicht zuklein. Zu kleine Gruppen nehmen schnell den Charakter privater Zirkel an, in denen man sich(zu gut) kennt, denen Anregungspotenzial, Vielfalt und die „echten“ Kommunikations- undÜbungschancen des größeren Kreises fehlen. Zu große Gruppen sind unübersichtlich undwirken einschüchternd; beim Frontalunterricht verringern sich obendrein die individuellenBeteiligungschancen. Eine ideale Gruppengröße liegt irgendwo zwischen zehn und zwanzigTeilnehmern; wer meint, dass zwanzig „viel zu viel“ sei, denkt primär wohl an vermittelndesLehren und frontale Unterrichtsformen: Er überschätzt die Rolle des Lehrers im Lernprozess,verwechselt spoon-feeding durch die Lehrperson mit Lernerorientierung. Die wichtigste Sozial- form im kommunikativen Sprachunterricht ist Partner- und Gruppenarbeit, erst danach ran-gieren Frontal- und Individualarbeit. Eine Sitzordnung in „Omnibus-Formation“, wie sie früher in den Schulen gang und gäbe war, ist für kommunikatives Lernen offensichtlich ungeeignet. Schwer fällt es dennoch vielenLehrkräften, sich von ihrer herausgehobenen Position zu verabschieden. Eine vorgefundeneSitzordnung, die Gleichberechtigung signalisiert (Kreis, Viereck, Gruppentische), wird dar-um gerne wieder zu einer U-Formation mit Ausrichtung auf Lehrer und Tafel hin umgestellt,mit dem Lehrertisch weit vorn und deutlich abgehoben. In bestimmten Lehr- und Lernphasen(zum Beispiel während der Sprachaufnahme) kann eine frontale Sitzordnung mit Ausrich-tung auf Lehrer und Tafel durchaus sinnvoll sein. Dennoch wird es einen Grund geben, war-um die gleiche Lehrkraft die gleiche Sitzordnung mit dem Direktor vorne während einerSchulkonferenz als unkollegial und wenig partnerschaftlich empfinden würde. Sensibilitätfür die äußeren Gegebenheiten ist daher angesagt; man sollte flexibel die Sitzordnung wäh-len, die am besten zur aktuellen Sozialform des Lernens passt. Es gibt viele Übungsformen, die direkt oder indirekt auf die Beziehungsebene zielen, die die Motivation und Lernatmosphäre verbessern sollen (SOLMECKE 1983, REISENER 1989).Prüft man die Implikationen des heimlichen Lehrplans, so wird man schnell feststellen, war-um in der Praxis vieles nicht so funktioniert, wie es am Schreibtisch geplant war. Eine aus-führliche Analyse ist hier nicht möglich; darum nur Orientierungshilfen: •Der Lehrende sollte sich, so weit möglich, symmetrisch und hinsichtlich seiner Sprache reversibel verhalten: den Lerner als Partner ernstnehmen, Erwachsene als Erwachsene behandeln. Niemand gibt seine Identität an der Garderobe ab, nur weil er zufällig einenEnglischkurs besucht. Eine Konsequenz dieser Grundhaltung wäre zum Beispiel, dassman (außer vielleicht in sehr homogenen Gruppen) besser auf das Duzen verzichtet,solange man sich nicht wirklich gut kennt. •Entsprechend sollte man als Lehrer eher mehr als weniger Distanz wahren: sich nicht anbiedern, nichts verlangen oder anregen, was introvertierte Menschen in Verlegenheit 236bringt oder die (ohnehin labile!) Erwachsenenrolle in Frage stellt. Im Gruppenprozess ist etwas fundamental falsch gelaufen, wenn sich erwachsene Menschen binnen kurzemunkritisch auf einen Kursleiter fixieren. Wer als Kursleiter ungewollt solche Konstella-tionen öfter herbeiführt, sollte es mit einer Supervision versuchen. •Das Hauptaugenmerk sollte zunächst dem Gruppenprozess gelten: Alles ist richtig, was den Kontakt der Lerngruppe untereinander fördert, Fremdheit auflöst und Nähe (auch im räumlichen Sinne) schafft. Günstig ist es am Anfang, wenn man öfter die Plätzewechselt. (Ein kleiner Trick dazu: man sammelt die Namensschilder am Ende der Stundeein und verteilt sie zu Beginn der nächsten Sitzung jeweils neu. Jeder geht nicht zuseinem Stammplatz, sondern dorthin, wo sein Namensschild steht. Der Trick gelingtallerdings nur, wenn man einsichtig begründen kann, warum es entgegen Sicherheits-bedürfnis und Gewohnheitsdenken sinnvoll ist, öfter die Plätze zu wechseln …). •Jeder Lernschritt ist unter dem Gesichtspunkt zu planen, den Lerner individuell anzu- sprechen, zu beteiligen und zu aktivieren. Lernaktivität ist nicht mit hektischer Betrieb- samkeit zu verwechseln: Auch Denkpausen können aktivierend wirken. Die Aktivierungsoll nicht von außen kommen (etwa durch „Drannehmen“ beim Frontalunterricht),sondern von innen (individuelles Bemühen um Problemlösungen). •Die wichtigsten Sozialformen im kommunikativen Fredsprachenunterricht sind Klein- gruppen- und Partnerarbeit, weil sie die besten Beteiligungschancen bieten. Die Klein- gruppen brauchen gut geplante Aufgabenstellungen. Der Kursleiter sollte auch zu denKleingruppen zunächst eher mehr als weniger Distanz wahren: also nicht ständigdabeisitzen, sondern dem Gruppenprozess Raum geben und so die Selbständigkeit derLernhandlungen und die Teamfähigkeit der Gruppe fördern. •Je mehr man als Kursleiter über Gruppenprozesse weiß, die Verlaufsmerkmale und etwaige Störungen kennt, mögliche Beweggründe nachvollziehen kann – umso besser für alle (vgl. etwa BROKMANN-NOOREN 1995: 173 ff.). Meistens wird es dennochgeraten sein, den Gruppenprozess nicht direkt zu thematisieren. Eher sinnvoll ist es dannschon, bei Bedarf Einzelgespräche zu führen. •Vieles spricht dafür, die affektiven Lernziele , das Streben nach guter Zusammenarbeit und einer guten Lernatmosphäre direkt anzusprechen; mancherlei Ungewohntes wird nur auf diesem Wege sinnvoll zu begründen sein. Dass die Bestätigung von Lernerfolgenund ständige Ermutigung nicht nur für die Motivation, sondern auch für die Lern- atmosphäre wichtig ist, versteht sich von selber. Methodisch ist die Forderung nach gruppenintegrativen Lernformen nicht einfach einzulö- sen. Solange eine entsprechende Lernkultur noch nicht etabliert ist, ist keineswegs sicher,dass Gruppenarbeit an sich schon etwas Positives bewirkt: Der Schnellste in der Gruppeproduziert die verlangte Lösung aus dem Handgelenk, der Rest schaut gelangweilt oder frus-triert zu – wo läge da der tiefere pädagogische Sinn? Ungeschickt implementierte Gruppen-arbeit kann geradezu zur Plage werden, Vereinzelung und Passivität begünstigen. Die Zu-sammensetzung der Arbeitsgruppen (siehe auch „Differenzierung“, Kap. 4.4.4) und die Artder Aufgabenstellung darf daher nicht dem Zufall überlassen bleiben. Jede Gruppenarbeitverlangt ein transparentes Lernarrangement mit Angaben über •Gruppeneinteilung und Ort •Aufgabenstellung 237•Arbeitsmaterial •Arbeitsergebnis und Zeitrahmen •Art der Dokumentation. Kleingruppen können zwischen zwei (Partnerarbeit) und vier Personen umfassen, bei be- stimmten Aufgabenstellungen auch mehr. Die Zusammensetzung sollte anfangs öfter gewechseltwerden, um der allzu raschen Bildung fester Cliquen entgegenzuwirken, die dann womöglichals ingroups wieder zum Störfaktor für die Gesamtgruppe werden. Zufallsverteilungen kann man auf verschiedene Art erreichen, am leichtesten durch Abzählen. Jede Gruppenarbeit führtinnerhalb des gesetzten Zeitrahmens zu einem greifbaren Ergebnis, das in der vereinbartenForm dokumentiert wird (z.B. auf Folie oder Wandzeitung). Gleichzeitig muss jedoch klarsein, dass nicht das Ergebnis, sondern der Prozess im Mittelpunkt steht. Zeitdruck ist fehl amPlatze, noch schlechter geeignet sind Lernspiele mit Wettbewerbscharakter. Die Gruppe kommtdurch Kooperation und Teamarbeit zu ihrem Ergebnis – nicht durch Handlungsdruck undentsprechende „Schnellschüsse“ einzelner Mitglieder. Kooperative Arbeitsformen erreicht man am einfachsten durch Informationsverteilung (cue- cards ): Jedes Gruppenmitglied erhält eine komplementäre Teilinformation, erst der Zusam- menfluss aller Teilinformationen ermöglicht die Lösung der Aufgabe; und selbstverständlichdarf keiner vorher das Ergebnis kennen. Auf diese Weise entsteht ein quasi -natürlicher An- lass für die Kommunikation und Kooperation in der Lerngruppe. Jeder trägt seinen Teil zumErgebnis bei, unabhängig vom subjektiven Stand des Wissens oder der Sprachbeherrschung;keiner kann allein arbeiten oder dominieren, weil keiner ein Informationsmonopol besitzt.Wenn alles gut läuft, macht man so die Erfahrung, dass auch mit minimalen Sprachmittelnerfolgreich kommuniziert werden kann. Die meisten Lehrbuchübungen können mit geringem Aufwand so umgestaltet werden, dass die Informationen verteilt sind; mit etwas Phantasie finden sich auch offene Aufgabenstellungen.In modernen Lehrwerken sind solche Lernarrangements schon vorgesehen; das methodischePrinzip ist auf viele Lernformen anwendbar, von einfachen Strukturübungen bis hin zu kom-plexen Simulationen und Planspielen. Nicht durch Lehrvortrag oder Appell, sondern durchpraktisches TUN entsteht die Befähigung zu kooperativem Handeln in der Gruppe: In derphantasievollen Anlage entsprechender Lernarrangements sollte daher einer der Schwerpunkteder Unterrichtsplanung liegen. Nicht zufällig sind es die gleichen Lernformen, die das kom-munikative Lernen anregen und die eine gruppenintegrative Wirkung haben. 4.4.3 Lernergebnisse Das Lernen im eigentlichen Sinn, die Veränderung des Wissens im Kopf des Lerners, ist nichtbeobachtbar und kann daher auch nicht direkt beeinflusst werden. Beobachtbar sind nur dieErgebnisse des Lernens in Form eines kommunikativen Outputs, von dem aus wiederumRückschlüsse auf den Stand des Lernprozesses möglich sind. Im Folgenden geht es dement-sprechend um die Feststellung, Auswertung, Beurteilung und Interpretation von Lern-ergebnissen. 2384.4.3.1 Fehler und Fehlerkorrektur Im Unterricht kommt den Fehlern besondere Bedeutung zu: Der Lehrende steht ständig neu vor der Frage, ob er eingreifen soll oder nicht, und wenn ja, wie im Einzelfall bei der Korrek-tur vorzugehen ist. Das Problem ist nicht einfach: In der Praxis stellen wir oft fest, dass eineKorrektur nichts bewirkt (der gleiche Fehler wiederholt sich trotz Korrektur), oft sogar mehrschadet als nützt, weil sie den Lerner in Verlegenheit bringt, verwirrt und eher zu einer sto-ckend-suchenden Sprechweise veranlasst. Auch der lerntheoretische Status des Fehlers ist vielen Lehrkräften unklar. Der eine Lehrer sieht im Fehler nur die schädliche Abweichung vom rechten Weg, befürchtet die Festigung falscher Strukturen und treibt daher so etwas wie aktive Fehlerprophylaxe, bevorzugt Übun-gen mit Antwortsteuerung oder das Auswendiglernen, korrigiert sofort alles und jedes – undbestraft Fehler, wenn sie denn doch passieren, durch schlechte Noten. Der andere Lehrersieht im Fehler ein produktives, lernwirksames Probehandeln : Nur wer etwas riskiert, Feh- ler macht und aus den eigenen Fehlern lernt, kann auf Dauer Erfolg haben; er ermutigt daherdie Gruppe, aktiv zu lernen und Fehler als notwendige Übergangserscheinung zu akzeptieren,hält sich beim Korrigieren zurück und bewertet ggf. bei der mündlichen Zensur eher dieBereitschaft zur Beteiligung, die Flüssigkeit und Verständlichkeit der Äußerungen als dieFehlerhäufigkeit. Auch beim Lerner können Korrekturen verschieden ankommen: als willkommene, informati- ve Lernhilfe – oder als willkürliche Unterbrechung des Sprechflusses und nicht nachvollzieh-bare „Zurechtweisung“, womöglich als Blamage vor der Lerngruppe. Es liegt auf der Hand,dass hier auch Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle spielen. In der Theorie ist das Problem leichter zu lösen als in der Praxis. Fremdkorrekturen sind in dem Maße wirksam, wie der Lerner das betreffende Problem auffassen kann und über genü-gend Wissen verfügt, um die Korrektur als sekundären Input auffassen, für sich auswertenund weiterverarbeiten zu können. Eine unverständliche Korrektur wirkt beunruhigend undeinschüchternd; die richtige Lösung wird womöglich oberflächengetreu nachgesprochen, derFehler wiederholt sich jedoch bei nächster Gelegenheit. Die Fremdkorrektur kann mangelndeTiefenverarbeitung also nicht ersetzen; sie muss sie ergänzen und begleiten. Eine Fehlerkorrektur, die gut auf den Lernprozess abgestimmt ist, ist eine wichtige Lernhilfe, da sie dem Lerner beim Hypothesentesten ein direktes und gezieltes Feedback bereitstellt; derLerner ist so bei der Elaboration seines subjektiven Sprachmodells nicht mehr von den Zufäl-len des Sprachgebrauchs abhängig. Fehler dieser Provenienz sind indirekt gestellte Fragen -und die Korrektur ist die Antwort, ohne die an dieser Stelle ein Lernfortschritt nicht möglichist. Entsprechend werden sinnvolle Fremdkorrekturen von den meisten Lernern gewünschtund bereitwillig akzeptiert; Lehrer, die nicht präzise korrigieren, werden als wenig effizientempfunden und entsprechend kritisiert (vgl. KÖNIGS 1992: 173, QUETZ 1990: 34). Manspürt, dass pauschale Rückmeldungen nicht ausreichen: Allein die Tatsache, dass man„irgendwie“ verstanden wird, sagt ja nichts über die sprachliche Qualität der Äußerung aus.Nur wenn man weiß, welche Fehler man noch macht, kann man gezielt an der Verbesserungder eigenen Ausdrucksfähigkeit arbeiten. Andererseits darf der Effekt der Fehlerkorrektur nicht überschätzt werden. Jeder lernt zu einem gegebenen Zeitpunkt nur das, wofür er von seinem inneren Lehrplan bereit ist. Es 239macht keinen Sinn, beharrlich auf Lernschwierigkeiten herumreiten, weil man den Lernschritt durch die Korrektur erzwingen will. Es gibt Fehler, die gegen Korrekturen nahezu resistentsind: Dann fehlt die Basis für eine angemessene Tiefenverarbeitung im subjektiven Lehrplan.Man muss aus solchen Beobachtungen nicht folgern, dass Fehlerkorrekturen überhaupt sinn-los sind, da sich erwerbsbedingte Fehler nicht vermeiden lassen (so etwa DULAY , BURT,KRASHEN 1982). Diese radikale Position entspricht nicht der Unterrichtserfahrung; und siekönnte theoretisch auch nur stimmen, wenn der äußere Lehrplan keinerlei Zusammenhangmit dem inneren Lehrplan hätte. Aber sie erklärt immerhin, warum Korrekturen in der Praxishäufig erfolglos bleiben. Eine Lehrstrategie, die wahllos alles und jedes korrigiert, keinenFehler durchgehen lässt, ist vor diesem Hintergrund sicher falsch – und obendrein anstren-gend und demotivierend für Lehrende und Lernende. Besonders gilt das, wenn der Korrekturkeine vertiefende Übungsphase folgt, wenn ohne Rücksicht auf den aktuellen Übungs-zusammenhang korrigiert wird oder wenn Korrekturen mit Leistungsbewertungen verknüpftwerden. Eine sinnvoll angelegte Fremdkorrektur baut außerdem Brücken für die Selbstkorrektur des Lerners. In frühen Stadien des Lernprozesses werden eigene Fehler kaum wahrgenommen,die Fähigkeit zur Selbstkorrektur muss erst erworben werden. Nur bei Lernproblemen, dieals solche erkannt werden, richtet sich die Aufmerksamkeit auf mögliche Fehlerquellen; derFehler wird hier subjektiv als ein „mentales Stolpern“ über Wissenslücken erlebt. Häufigreicht das Sprachwissen im Angang jedoch nicht aus, um Probleme dieser Art autonom er-kennen und bereinigen zu können. In der Unterrichtspraxis überwiegt daher zunächst dieFremdkorrektur (vgl. auch KLEPPIN, KÖNIGS 1991). Bei Fortgeschrittenen sind Selbst-korrekturen dagegen häufig zu beobachten (HECHT/GREEN 1991b), wobei sowohl explizi-tes wie implizites Sprachwissen mitwirkt. Art und Umfang der Selbstkorrekturen hängen unter anderem von der Korrekturstrategie des Lehrers ab. Wird im Unterricht alles und jedes korrigiert, was nicht sprachlich korrekt ist, soverstärkt das die Tendenz zum Monitorlernen , die in der Unterrichtssituation ohnehin ange- legt ist: Ein wesentlicher Teil der kognitiven Ressourcen des Lerners wird dann für Kontroll-zwecke verbraucht; es spielt sich eine eher defensive, suchende und stockende Sprechweiseein. Die Tendenz zum Monitorlernen kann sich, wenn sie durch entsprechende Persönlichkeits-merkmale begünstigt wird, bis hin zu Lernblockaden steigern: Nicht das Dazulernen, dasSuchen, Probieren und Fragen, sondern die Fehlervermeidung steht dann im Vordergrund;aus Angst vor möglichen Fehlern tritt man auf der Stelle und lernt kaum noch Neues hinzu. Die Anforderung an den Lehrer ist daher in gewisser Weise paradox: Er soll und muss korri- gieren, aber doch stets mit Augenmaß. Richtiges Korrigieren ist ein wesentlicher Teil derLehrkompetenz, in gewisser Weise fast eine Kunst, die viel Wissen und Übersicht, aber auchSensibilität für den einzelnen Lerner und seine Probleme verlangt. Dabei sollte die Norm , an der sich der Korrigierende orientiert, verlaufsorientiert aus dem didaktischen Prozess abge-leitet werden: Der aktuelle Lern- und Übungsschwerpunkt bestimmt die Korrekturstrategie.Bei einer sprachbezogenen Übung wird sprachbezogen korrigiert (korrekt?), bei kommunika-tiven Arbeitsformen eher in gesprächsnatürlich-kommunikativen Formen (verständlich?/ an-gemessen?/ flüssig?). Da nicht alle in der Lerngruppe sprachlich auf dem gleichen Standsind, ist obendrein eine Individualisierung der Rückmeldungen relativ zu den unterschiedli-chen Ausgangsbedingungen anzustreben. 240Als Faustregel gilt, dass man kommunikative Aktivitäten nicht mit Korrekturen oder Ein- hilfen unterbrechen sollte: Der Lerner soll hier auch zum Gebrauch von Enkodierungsstrategien(Selbstkorrektur, Reparatur- und Umwegstrategien, Verzögerung, Abbruch und Neuformu-lierung etc.) angeregt werden. Nur wer gelernt hat, in diesem Sinne alle Ressourcen flexibelzu nutzen, wird unter natürlichen Bedingungen, wenn der Souffleur und Dolmetscher fehlt,flüssig kommunizieren können. Die Auswertung wird hier aus dem Übungszusammenhangausgelagert: Der Lehrer beschränkt sich zunächst auf das Beobachten, macht sich unauffäl-lig Notizen; präzisere Auswertungen sind bei Bedarf durch Ton- oder Videomitschnitt mög-lich. Soll dennoch direkt eingegriffen werden, so bietet sich eine Korrekturstrategie an, wieman sie gesprächsweise auch im täglichen Leben verwendet: „Habe ich Sie richtig verstan- den, dass …? / Meinen Sie …?“ Bei sprachbezogenen Übungen ist unterbrechendes Korrigieren eher zu vertreten. Im Ideal- fall hieße das: Der Lerner formuliert Hypothesen, und der Lehrer gibt sofort und direkt einFeedback, ob die Hypothese stimmt. Schwierig zu beantworten ist hier die Frage nach derlingualen Norm bzw. wie genau oder gar spitzfindig die Korrektur zu sein hat. Durch ständi-ge Konfrontation mit der Sprache des Lehrbuchs und den verschiedenen Übergangsstadienindividueller Lernersprachen drohen die Maßstäbe zu verschwimmen. Oft gibt es außerdemkeine klare Entscheidungsmöglichkeit im Sinne von richtig oder falsch, sondern eher einKontinuum von besseren und schlechteren Möglichkeiten. Zum Problem kann das besondersbei mündlichen ad hoc- Korrekturen werden (QUETZ 1990): Der Lehrer kann und soll kein lebendes Lexikon sein; im Zweifel sollte man eher weniger als zuviel korrigieren, Zweifels-fragen zurückstellen und auf geeignete Nachschlagewerke verweisen. Gerade für korrektur-empfindliche Menschen kann die selbstständige und aktive Suche nach der richtigen Lösung(und die Erfahrung, dass der Lehrer auch nicht allwissend ist) entlastend wirken. Verlaufsorientierte Korrekturen der hier besprochenen Art dürfen nicht, auch nicht indirekt, mit Bewertungen oder Notengebung belastet werden. Gut ist eine Korrekturstrategie, die vomLerner als Hilfestellung und als ein Aushandeln des Lernwegs verstanden werden kann – dieein anregendes und motivierendes Umfeld für aktive Lernprozesse schafft. 4.4.3.2 Lernkontrollen und Tests Obwohl zuweilen die Berechtigung von Lernkontrollen anzweifelt wird (vgl. etwa BROK-MANN-NOOREN u.a. 1995: 59), sind sie für einen qualifizierten Unterricht unverzichtbar,wenn man lernerorientiert arbeiten will. Die Beobachtung von Lernprozessen, selbst in derForm des korrigierenden Eingriffs, liefert ein eher zufälliges Bild der Lerngruppe. Nicht jederbeteiligt sich freiwillig auch dann, wenn er etwas noch nicht verstanden hat; nicht jeder Feh-ler verweist auf ein Lernproblem (Flüchtigkeit, Ablenkungen etc.); und nicht jede richtigeLösung signalisiert entsprechendes Sprachkönnen. V on einer systematischen Lernkontrolle,aus der sich begründete Impulse zur Steuerung und Optimierung der Lernprozesse ableitenlassen, kann bei einem bloß „impressionistischen“ Unterricht kaum die Rede sein. Das giltähnlich für die Aussagekraft einer einzelnen Klassenarbeit: Die Zufälle der Aufgabenstellungund/oder Bewertung, des aktuellen Lösungsverhaltens und/oder der Tagesform des Lernerskönnen die Ergebnisse stark verzerren – von Lernblockaden durch Prüfungsängste gar nichtzu reden. Sinnvolle Lernkontrollen können nicht nebenbei mitlaufen oder als gelegentliches 241Extra hinzutreten: Sie sollten methodisch geplant, kontinuierlich und explizit in den Unter- richt einbezogen werden. Lernkontrollen können verschiedene Funktionen haben. Im Idealfall stellen sie eine Bezie- hung her zwischen dem, was gelehrt wird, und dem, was gelernt wird: zwischen dem äußerenund dem inneren Lehrplan. Sie dienen der Feststellung temporärer Lernergebnisse, beschrei-ben eine bestimmte Übergangsverfassung der Lernersprache und in der diachronen Dimensi-on einen Lernverlauf (vgl. auch Schaubild 8). Diese Information wiederum kann erwendetwerden, um •Rückschlüsse auf den inneren Lehrplan, typische Lernverläufe und Lernerstrategien zu ziehen; •den äußeren Lehrplan, die Materialien und Methoden zu evaluieren und zu optimieren; •die Leistung der Lernenden zu beurteilen; •die Leistung des Lehrenden zu beurteilen. Der letzte Aspekt kommt in der Praxis eher selten zum Zuge; die anderen sind häufiger und vermischen sich oft auch miteinander. Da gerade aus dieser (methodisch wenig sinnvollen)Vermischung von Lerndiagnose und Beurteilung viele Probleme, Widerstände und V orbehal-te folgen, wird hier der Aspekt der Leistungsbeurteilung zunächst ausgeklammert und inForm eines Exkurses über Fremdsprachenprüfungen gesondert behandelt. ProzessorientierteLernkontrollen der folgend beschriebenen Art sollten grundsätzlich unbenotet bleiben. In derErwachsenenbildung hat es sich bewährt, solche Lernkontrollen zunächst anonym durchzu-führen. W enn einzelne Lerner eine individuelle Rückmeldung über ihren Lernerfolg wünschen, ist die Zuordnung ihres Testergebnisses zum Beispiel über eine Zufallszahl oder ein Kenn-wort möglich. Die prozessorientierte Lernkontrolle bezieht sich direkt auf die Inhalte des äußeren Lehr- plans: Die Kontrollziele und Auswertungsmaßstäbe entsprechen daher den Lehrzielen, unddie einzelnen Aufgabenstellungen überprüfen den individuellen Lernerfolg in Bezug auf dieseLehrziele. Was hier einfach klingt, wirft in der Praxis viele Probleme auf: Was sind im Ein-zelnen diese Lehrziele? Welche Art Aufgabenstellungen sind sinnvoll? Wie definiert man denLernerfolg? Im kommunikativen Curriculum gibt es sprachbezogene (Aussprache, Wortschatz, Gram- matik etc.), mitteilungsbezogene (integrative Versprachlichung von Information) und kom- munikative Lernformen (mündlich/ schriftlicher Austausch von Ideen im Handlungskontext). Entsprechend lassen sich diesen Lernformen spezifische Kontrollverfahren zuordnen, mitdenen man den Lernerfolg feststellen kann. Dabei ist die Auswahl der Kontrollverfahren auspraktischer Sicht zunächst weniger schwierig, als man nach Lektüre der umfangreichen test-theoretischen Literatur vermuten könnte: Jede lernzielorientierte und leidlich monofunktionaleÜbungsaufgabe hat in gewissem Maße ja auch Kontrollfunktion. Die Probleme stecken, wieman gleich sehen wird, mehr im Detail. Weniger klar ist, was in diesem Zusammenhang unter „Lernerfolg“ verstanden werden soll. Die Testtheorie (vgl. VOLLMER 1989) antwortet hier üblicherweise mit einer Tautologie:Lernerfolg ist gleich Testerfolg; erfolgreich hat der gelernt, der den Test erfolgreich bearbei-ten kann. Dass es so einfach nicht sein kann, zeigt die Frage, welche Art Lernerfolg wohl einVokabeltest misst oder was von Erfolgsmeldungen des Typs „200 V okabeln in zwei Unter- 242richtsstunden“ zu halten ist. Man benötigt also bestimmte Gütekriterien für Tests, was das Problem allerdings nicht unbedingt löst, sondern die Tautologie auf höherem Niveau repro-duziert: Erfolgreich hat der gelernt, der einen Test erfolgreich bearbeiten kann, der den jewei-ligen Gütekriterien entspricht. Ungünstigerweise kann ein Vokabeltest, wie man sehen wird,durchaus den üblichen Gütekriterien entsprechen: Man ist also nach Überprüfung der forma-len Testqualität kaum schlauer als zuvor. Sinnvoll wird der Maßstab erst durch ein Außenkri-terium: Der Lernerfolg misst sich daran, ob und inwieweit ein bestimmtes Lehrziel des äuße-ren Lehrplans erreicht worden ist, im kommunikativen Fremdsprachenunterricht letztlich alsodaran, ob der Lerner messbare Fortschritte in seiner Kommunikationsfähigkeit verzeichnet. Die Kommunikationsfähigkeit lässt sich, wie vorne im „magischen Viereck der Fremdsprachen- didaktik“ dargestellt (Schaubild 9), grundsätzlich in vier Dimensionen messen: Richtigkeit,Angemessenheit, Flüssigkeit und Expressivität. Bei sprachbezogenen Kontrollzielen wird manvor allem auf Richtigkeit achten, bei mitteilungsbezogenen Lernkontrollen zusätzlich auf dieinhaltliche Angemessenheit und bei kommunikativen Lernkontrollen zusätzlich auf die Flüs-sigkeit und Expressivität. Die Kontrollverfahren sind so zu wählen, dass sie im Sinne derKontrollziele aussagefähig (valide) sind. Das Kontrollziel bestimmt letztlich also die Aus-wahl der Kontrollverfahren (und nicht umgekehrt). Der Lernerfolg kann anschließend in Be-zug auf die Feinziele des äußeren Lehrplans als Lernerprofil in den Dimensionen Richtigkeit,Angemessenheit, Expressivität und Flüssigkeit dargestellt und auf Wunsch auch veranschau-licht werden (siehe Schaubild 10: „Fähigkeitsprofile im Vergleich“). Bei den Testverfahren sollte man zunächst zwischen prozessorientierten Lernkontrollen und prozessunabhängigen Leistungstests unterscheiden; zur zweiten Kategorie komme ich im nächsten Kapitel. Üblicherweise werden Testverfahren, wie schon erwähnt, an formalen Güte-kriterien wie Validität , Reliabilität und Objektivität gemessen (vgl. BOLTON 1985, KLAU- ER 1987, VOLLMER 1989). Ein Test ist valide, wenn das Testverfahren tatsächlich dasmisst (nicht mehr und nicht weniger, auf angemessenem Schwierigkeitsniveau etc.), was esvom Testziel her messen soll. Reliabel ist ein Testverfahren, wenn die Ergebnisse nicht zufäl-lig sind, sondern unter analogen Bedingungen reproduziert werden können. Das Kriteriumder Objektivität lässt sich zum einen auf die Bearbeitung beziehen (Identitätsnachweis, keineunerlaubten Hilfen etc.), zum anderen auf die Auswertung: Das Ergebnis soll nicht von derPerson des Auswertenden und seinem subjektiven Urteil abhängen; jeder, der den Test nachdem gegebenen Maßstab auswertet, soll zum gleichen Ergebnis kommen. Es gibt noch eineReihe weiterer Kriterien, die hier aber nicht interessieren. Die testtheoretisch motivierte Kritik (s. schon LADO 1971) hat sich insbesondere an „klas- sisch“-offenen Aufgabenstellungen wie der Übersetzung oder Nacherzählung entzündet: DieErgebnisse solcher Kontrolltechniken sind weder valide noch reliabel, und bei der Auswer-tung kann es in Ermangelung objektiver Maßstäbe leicht zu Unstimmigkeiten kommen. Demwurden als Positivbeispiele „geschlossene Aufgabenformen“ gegenübergestellt, die die Test-kriterien naturgemäß besser erfüllen: •Antwortauswahltest (z.B. Beurteilung einer Vorgabe nach richtig/ falsch oder Auswahl zwischen mehreren Antwortmöglichkeiten); •Zuordnungstest (z.B. Zuordnung passender Satzhälften aus zwei Listen von Halbsätzenoder Zuordnung von Text und Bild); •Umstellungstest (z.B. Bildung eines Satzes aus einer verstellten Wortliste); 243•Transformationstest (z.B. Bildung der Passivtransformation); •Lückentest mit Vorgaben (z.B. eine Lücke im Satz ist auf Basis einer V orgabe mit der grammatisch richtigen Form zu schließen). Für weitere Testformen und Beispiele sei auf die einschlägige testtypologische Literatur ver- wiesen (z.B. DOYÉ 1986, KLAUER 1987, DOYÉ 1989); auf Einzelheiten dieser Testformensoll hier nicht eingegangen werden. Man kann sich leicht überzeugen, dass geschlosseneAufgabenformen die formalen Testkriterien besser erfüllen als offene: Da die Antwort-möglichkeiten vorher schon festliegen, wird jeder, der mit einer Lösungsschablone umgehenkann, bei der Auswertung zum gleichen Ergebnis kommen; die Reliabilität lässt sich durchvergleichende Vortests mit Kontrollgruppen feststellen, und die Validität in Bezug auf dasjeweilige Testziel ist bei dem punktuellen Testverfahren meistens ohnehin gegeben. Tatsächlich ist der Vergleich offener und geschlossener Aufgabenformen aber weder legitim („Äpfel und Birnen“) noch methodisch sinnvoll, da sie völlig verschiedene Informationenliefern (HECHT, ARCHIBALD 1994, HINZ 1994). Verlaufsorientierte Lernkontrollen lei-ten ihre Testziele, wie oben dargestellt, nicht aus einer formalen Verfahrenslogik, sonderndirekt aus dem Lernprozess ab. Zunächst stellt sich daher die Frage, ob geschlossene Auf-gabenformen lernpsychologisch valide sind. Im Gegensatz zu Einstufungstests beziehen sich prozessorientierte Lernkontrollen auf einen aktuellen Lernzusammenhang. Hier interessiertweniger das Wiedererkennungswissen des Lerners (Wiedererkennungsgedächtnis) als das di-rekt abrufbare, aktive Handlungswissen (Abrufgedächtnis). Insofern ist zu bezweifeln, obAufgabenformen, bei deren Bearbeitung das Wiedererkennen und/oder Differenzieren zwi-schen vorgegebenen Alternativen im Vordergrund steht, nützliche Informationen in Bezug aufeinen aktuellen Lernverlauf liefern. Als Lehrer interessiert mich weniger, was ein Lernerpotenziell weiß oder sich aus den V orgaben zusammenreimen kann, als das, was er aktivabrufen und für kommunikative Zwecke nutzen kann. Wenn ich an dieser Art Informationinteressiert bin, muss ich daher, testtheoretische Bedenken hin oder her, halb-offene und offe-ne Aufgabenformen bevorzugen. Während die sprachbezogenen Lernziele problemlos durch geschlossene Aufgabenformen zu testen sind, wird es bei mitteilungsbezogenen und kommunikativen Lernformen schwieriger:Das ergebnisoffene Zusammenspiel von gedanklicher Planung und sprachlicher Realisierung,wie es für kommunikatives Handeln typisch ist, schließt die Antwortsteuerung geschlossenerund halb-offener Aufgabenformen schon von der Logik her aus. Offene Aufgabenformenwiederum können zwar gut geeignet sein, die Kommunikationsfähigkeit zu überprüfen; siekollidieren jedoch mehr oder weniger mit den formalen Gütekriterien. Für prozessorientierteLernkontrollen sollte man aus Gründen ihrer höheren Validität dennoch halb-offene und offe-ne Aufgabenformen bevorzugen. (Für Einstufungstests und prozessunabhängige Leistungs-prüfungen gelten andere Überlegungen.) Halb-offene Aufgabenformen passen gut zu sprachbezogenen und mitteilungsbezogenen Kontrollzielen, da sie die Antwortmöglichkeiten eingrenzen und inhaltlich vorentlasten, ohnesie bis ins Detail festzulegen. Aus der Fülle der Möglichkeiten hier drei Beispiele für halb-offene Aufgabenstellungen: •Wortschatzreihe (zu finden sind weitere Wörter, die zu den Vorgaben passen) •Lückentest (ohne oder mit Vorgaben) 244• Brief nach Leitpunkten. Wie schon erwähnt, ist für sprachbezogene Kontrollziele besonders der Lückentest empfeh- lenswert: Er kann mit Hilfe von Tipp-ex und Kopierer ohne großen Aufwand hergestelltwerden; wenn man sich nicht auf formale Kriterien festlegt (Lückenabstand, V orgaben etc.),ist der Test flexibel für viele Zwecke geeignet (Grammatik, Wortschatz, Orthographie); er istlernpsychologisch sinnvoll, ökonomisch zu bearbeiten/ auszuwerten und sowohl als Übungwie als Lernkontrolle verwendbar. Die Testschwierigkeit kann man durch Zahl und Abstandder Lücken gut dosieren. Ein Lückentext kann im Prinzip sowohl als Übung wie als Test verwendet werden. Übungen beruhen auf Wiederholung und Variation des gleichen Problems, sie dienen der Routine-bildung; beim Test wird mit einer Aufgabe gezielt ein bestimmtes Wissen überprüft. Wennman einen Lückentext als Test benutzen will, sollte man das gleiche Lernproblem also nichtmehrfach überprüfen; umgekehrt verlangt die Übung nach variabler Wiederholung eines be-stimmten Lernproblems. Von ihrer Funktion her darf man Test und Übung nicht miteinanderverwechseln; ein Test hat geringen Übungswert, im Gegenteil: er verringert die effektiveÜbungs- und Lernzeit. Gleiches gilt für die Lektüre von Fehlersammlungen: Zu viel davonverwirrt nur, der Übungswert ist mangels variierender Wiederholung eher gering. Man solltealso nicht „übungshalber“ Tests bearbeiten – es sei denn, man möchte im Rahmen einerPrüfungsvorbereitung gezielt die Testtechnik üben. Mitteilungsbezogene Lernziele werden überprüft, wenn man zum Beispiel einen Brief nach Leitpunkten schreibt oder auf die Beschreibung einer Situation mit einer kommunikativ ange-messenen Äußerung zu reagieren hat. Die Handlungsidee liegt inhaltlich im Wesentlichenfest, primär zu leisten ist die sprachliche Realisierung/ Umsetzung durch Integration undSynthese der verschiedenen Bedeutungsebenen (Lokalplanung). Testverfahren dieser Art sindeher noch im vorkommunikativen Bereich angesiedelt. Erst offene Aufgabenstellungen, bei denen durch angemessene Kontextualisierung und den Verzicht auf enge inhaltliche V orgaben eigenes Denken und eine eigene Globalplanung gefor-dert sind (z.B. Stellungnahme zu einem Leserbrief schreiben), entsprechen den kommunika-tiven Lernzielen in vollem Maße. Bei dieser Art Aufgabenstellung verschwimmen die Gren-zen zwischen Übung und Lernkontrolle: Viele kommunikative Übungen haben indirekt auchKontrollfunktion. Umgekehrt wird schlecht integriertes Sprachwissen erst im Kontext einerkommunikativen Anforderung sichtbar: Die Aufmerksamkeit des Lerners verschiebt sich aufdie gedankliche Planung (Globalplanung); ohne bewusste Monitorprozesse geht dann auf dersprachlichen Ebene (Lokalplanung) wieder vieles durcheinander. Erst eine offene Aufgaben-stellung und kommunikativer Sprachgebrauch zeigen, ob ein sprachliches Problem wirklichgemeistert wird; alles andere ist nur Trockenschwimmen. Obendrein lässt eine Lernkontrolle,die nicht nur auf die Feststellung von Fehlern fixiert ist, eher auch positive Rückschlüsse aufden Stand der Lernersprache zu: auf das Ausdrucksvermögen, die Fähigkeit, Enkodierungs-strategien einzusetzen, das rhetorische Geschick. Es lohnt sich also, weiter in diese Richtungzu denken, obwohl es nach wie vor schwierig ist, kommunikative Fertigkeiten testmethodischangemessen zu erfassen und auszuwerten (UNDERHILL 1987, MACHT 1989). Abschließend hier noch einige praktische Empfehlungen zur Vorbereitung, Durchführung und Auswertung verlaufsorientierter Lernkontrollen: 246für den remedialen Lehrplan vor (s.u., Differenzierung). Den entsprechenden Lernverlauf der Gruppe (bzw. einzelner Teilgruppen innerhalb der Gesamtgruppe) kann man auf dieser Basisgut in Form einer einfachen Strichgraphik veranschaulichen (vgl. Schaubild 10). Solche Gra-phiken wiederum erlauben interessante Vergleiche und Rückschlüsse auf die Effizienz vonLehrmaterialien und Methoden. Schwieriger und aufwendiger ist die qualitative Analyse der Daten. Sie ist erforderlich, wenn man individualisierte Rückmeldungen in Form von „Lernentwicklungsberichten“ geben will.Für das Lernerprofil benötigt man die individuellen Ergebnisse in den verschiedenen Dimen-sionen der Kommunikationsfähigkeit (Richtigkeit, Angemessenheit, Flüssigkeit, Expressivi-tät) und zusätzlich Detailinformationen, aus denen man auf den Lerntyp und den Stand derTiefenverarbeitung eines Lernproblems schließen kann. Interessant sind hier die folgenden(für die individuelle Performanz hinlänglich typischen?) Fehlerkategorien bzw. Performanz-probleme: •Interferenzfehler ( *Can I become a steak? ) verweisen auf den Einfluss der Erstsprache bei der Sprechplanung: Der Lerner ist in der Verarbeitung dieses Problems noch auf der Stufe der Anfangshypothese. •Generalisierungsfehler ( *goed statt went ) zeigen, dass die Hypothesenbildung subjektiv noch nicht abgeschlossen ist (Stufe der Elaboration); erforderlich sind weitere sprach- bezogene Übungen zur Verfeinerung der Anfangshypothese. •Enkodierungsprobleme (z.B. Lücken im Text für fehlende Ausdrücke) und mangelnde Flüssigkeit können auf unzulängliche Routinebildung und Schwierigkeiten bei der Sprachsynthese verweisen; hier spielen allerdings auch persönliche Eigenheiten einegroße Rolle (niemand wird in der Fremdsprache flüssiger sein als in der Erstsprache!). • Problematisch aus sprachdidaktischer Sicht ist die Kombination von systematischen Fehlern und flüssiger Performanz, wie sie häufig bei Lernern auftritt, die die Spracheauf natürliche Weise ohne explizite Anleitung und Korrektur erworben haben. Manspricht hier von „Fossilisierung“; Fehler dieser Kategorie sind sehr zählebig. •Mängel in der Kohärenz, Kohäsion und im Ausdruck (Produktion) bzw. beim aktiven Sinnverstehen (Rezeption) sind auch für fortgeschrittene Lerner noch typisch; hier sind methodisch gut geplante kommunikative Übungen erforderlich. Generell sollten Lerner ermutigt werden, auch im Rahmen von Lernkontrollen mehr Ge- brauch von Enkodierungsstrategien zu machen. Es gibt nur wenige Menschen, die ihre Erstsprache jederzeit flüssig, grammatisch korrekt und rhetorisch expressiv gebrauchen kön-nen; warum sollte dieser Anspruch für die fremdsprachliche Kommunikation gelten? Vielwichtiger ist die Sicherung der Verständigung auch bei geringeren sprachlichen Möglichkei-ten, der „Mut zur Lücke“ bzw. (bei schriftlichen Arbeiten) zur einfacheren, wenn auch zweit-besten Formulierung. Kurz gesagt: Verständigung hat Vorrang auch bei Lernkontrollen. Um ungünstige Rückwirkungen auf den Lernprozess zu vermeiden und der Tendenz zum Monitorlernen bzw. „Prüfungslernen“ entgegenzuwirken, sollten die Lernkontrollen nicht zuvielGewicht im Lehrplan erhalten. 2474.4.3.3 Exkurs: Fremdsprachenprüfungen und Leistungsbeurteilung Der Aspekt der Leistungsbeurteilung wurde bisher ausgeklammert, da er, gemessen an den primären pädagogischen Funktionen der Lernkontrolle, fakultativ ist und außerdem bestimmtezusätzliche Probleme impliziert. Zunächst muss man zwischen der technischen Auswertung und Analyse einer Lernkontrolle (wie sie bisher beschrieben wurde) und der Beurteilung bzw. Bewertung des Ergebnisses unterscheiden. Die Auswertung liefert beispielsweise dieInformation, dass die Arbeit eine bestimmte Anzahl bestimmter Fehler und Ungenauigkeitenenthält, andererseits vielleicht auch gewisse positive Merkmale aufweist. In der Beurteilungtreffen wir eine zusammenfassende Aussage darüber, was von diesem Ergebnis zu halten ist,ob es im Sinne unserer Beurteilungsmaßstäbe „gut“ oder „schlecht“ ist. Schon diese schwam-mige Formulierung macht deutlich: Jedes Werturteil verlangt logisch nach einem Bezugssys-tem, nach einem tertium comparationis , aus dem sich die Beurteilung ableitet und begründet. Im Prinzip stehen drei Maßstäbe zur Wahl: der subjektive, der objektive und der intersubjek-tive. Ich werde zunächst deren V or- und Nachteile kurz beschreiben. Der subjektive Maßstab meint, dass wir den Lerner selbst als Bezugspunkt wählen; gefragt wird, ob der durch die Lernkontrolle festgestellte Stand gegenüber dem Ausgangspunkt einenpersönlichen Fortschritt im Sinne der Lernziele erkennen lässt. Schon diese Kurzbeschreibungmacht deutlich, dass dieses Beurteilungssystem aus pädagogischer Sicht (und zumal in derErwachsenenbildung) ungemein relevant ist, da es als einziges wirklich dem Einzelfall ge-recht wird, die individuelle Lernleistung, das persönliche Lernengagement in vollem Umfangwürdigt. Die Beurteilung wird meist in Form eines persönlichen Lernverlaufsberichts (in derSchule spricht man hier oft von „Lernentwicklungsberichten“) gegeben. Ein potenzieller Nachteil dieses Verfahrens liegt jedoch darin, dass es Leistungsvergleiche erschwert und das objektiv erreichte Niveau der Kommunikationsfähigkeit letztlich unbe-stimmt lässt. Ein Lerner kann, gemessen an seinen Ausgangsbedingungen, Lernbemühungenund subjektiven Lernzielen gute Fortschritte machen – und dennoch mag das erreichte Leistungs-niveau den gesellschaftlichen Anforderungen, wie sie sich in einer bestimmten Nachfragenach Fremdsprachenkenntnissen spiegeln, (noch) nicht entsprechen. Damit sind wir beimzweiten Maßstab: den objektiv definierten Standards der Sprachbeherrschung. Im allgemeinen werden solche Lernstandards in Form von Prüfungsordnungen oder Referenz- systemen wie dem „Europäischen Referenzrahmen für das Fremdsprachenlernen“ festgelegt.Prüfungsordnungen sind ein wirksames (meist staatlich implementiertes) Steuerungsinstrumentfür den Unterricht, da sich die Lehrpläne nolens volens an dem orientieren müssen, was in den Prüfungen verlangt wird. Dass es im Grundsatz legitim und notwendig ist, den gesell-schaftlichen Qualifikationsbedarf als Maßstab an das öffentlich finanzierte Bildungssystemanzulegen, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Aus gesellschaftlicher Perspektive dienenLeistungsnachweise der sinnvollen Allokation der Humanressourcen: Niemandem ist gedient,wenn Menschen auf Basis bloßer Vermutungen oder Empfehlungen in Positionen gelangen,die sie nachher von ihrem persönlichen Wissensstand und Leistungsvermögen nicht ausfüllenkönnen. Das Notensystem ist ein probates Mittel, um standardisierte Leistungsanforderungendieser Art vergleichbar zu machen. Aus gesellschaftlicher Perspektive kann daher nicht dersubjektive Lernverlauf interessieren, sondern umgekehrt und bewusst personunabhängig, obund inwieweit ein bestimmter Leistungsstand nachweislich erreicht wurde. Beispiele für standardisierte Fremdsprachenprüfungen dieser Art sind die Europäischen Sprach- 248zertifikate oder die Cambridge-Prüfungen. Das Zielniveau ist auf verschiedenen Lernstufen genau definiert und ggf. durch Stoffkataloge eingegrenzt. Auch die Form der Prüfung, die Artder Aufgabenstellungen, Bearbeitungszeit und Bewertungsmaßstäbe liegen fest; anhand vonModellprüfungen kann man sich schon im Vorfeld ein zuverlässiges Bild der Anforderungenmachen. Auch wenn alle Prüflinge mit „sehr gut“ oder alle mit „mangelhaft“ abschneiden:Der Maßstab wird nachträglich nicht verändert. Das Prüfungsergebnis sagt unabhängig vonPerson, Lernverlauf und Ergebnisstatistik aus, ob und inwieweit ein bestimmter Stand derSprachbeherrschung nachgewiesen wurde. Die Ergebnisse solcher Prüfungen (die meistengrößeren Prüfungssysteme für Fremdsprachen gehören in diesen Kontext) sind daher auchals förmliche Qualifikationsnachweise interessant: Der Abnehmer dieser Qualifikation kann sich darauf verlassen, dass ein bestimmtes, durch die Benotung qualifiziertes Niveau derSprachbeherrschung beim Absolventen tatsächlich vorhanden ist – zumindest insoweit, wiedie jeweiligen Testverfahren solche Aussagen zulassen. Ein weiteres interessantes Merkmal dieser Prüfsysteme ist darin zu sehen, dass sie zuverläs- sige Rückschlüsse nicht nur auf die Lernleistung, sondern auch auf die Lehrleistung erlau- ben: Wenn Lerngruppen Jahr für Jahr bei einer bestimmten Lehrkraft in standardisiertenLeistungsprüfungen gute Prüfungsergebnisse erzielen, so ist das ein wichtiges Indiz für einenqualitativ guten Unterricht; umgekehrt fällt ein wiederholt schlechtes Leistungsniveau derLerngruppen (womöglich noch mit großen Schereneffekten) ähnlich direkt auf den Lehrerzurück. Vielleicht ist das einer der heimlichen Gründe, warum standardisierte Verfahren der Leistungs- messung im öffentlichen Schulsystem unbeliebt sind. Viele Lehrkräfte bevorzugen den inter- subjektiven Maßstab, bei dem sich das Beurteilungssystem vorrangig am rechnerischen Mit- telwert der Lerngruppe orientiert und insofern eher Aussagen über die Rangfolge in der Lerngruppe als über die individuelle und/oder objektive Lernleistung liefert. Außerdem spie-len Praktikabilitätserwägungen eine Rolle: Niemand will gerne augenscheinlich zu leichteoder zu schwere Arbeiten schreiben; insofern liegt es nahe, die angestrebte Normalverteilungnachträglich per Beurteilungssystem herzustellen. Da sich die Beurteilung ex post aus Fehler- durchschnitt und Rangfolge ergibt (die Varianz kann durch entsprechende Anpassung derIntervalle fast beliebig abgefedert werden), gibt es nach dieser Beurteilungsmethode im Prin-zip keine zu leichten oder zu schweren Klassenarbeiten mit lästigem Erklärungsbedarf gegen-über Lerngruppe, Schulleitung, Kollegium und Eltern. Auch das Notenniveau liegt letztlichim Belieben: Wer als Lehrer Spaß daran findet, kann sich als „anspruchsvoll“ bezeichnenund im Durchschnitt eher schlechtere Noten verteilen, wer „menschenfreundlich“ denkt, gibthalt eher bessere Noten; verfahrensmethodisch nachvollziehbar ist ohnehin nur die Rangfolgein der Klasse. Sogar die Inhalte solcher Prüfungen liegen im beliebigen Ermessen, sofern dieentsprechenden V orschriften in den Rahmenrichtlinien beachtet werden: Noch der schlichtes-te V okabeltest kann womöglich zur Notengebung herangezogen werden, wenn es dem Lehrerso beliebt. Bequemer und praktikabler geht es tatsächlich kaum. Das objektive Leistungsvermögen der Lerngruppe bleibt bei dem intersubjektiven Maßstab ähnlich unbestimmt wie bei dem subjektiven: Der Lehrer definiert den Lerngegenstand, kon-trolliert und beurteilt die Lernleistung letztlich in freiem „pädagogischem Ermessen“ inner-halb der (oft weitgesteckten) Grenzen der offiziellen Rahmenrichtlinien. Wenn man lehrt, wasgeprüft werden soll, und dann wiederum mit variablem Maßstab prüft, was auf diese Weisegelehrt wurde, so entzieht sich natürlich auch die Lehrleistung jeder laufenden Qualitäts- 250Aus gesellschaftlicher Sicht sind Leistungsprüfungen dieser Art dennoch notwendig und sinn- voll, wenn es darum geht, ohne Ansehen der Person die richtigen Menschen an die richtigeStelle zu bringen. Bei der Vergabe eines Führerscheins leuchtet unmittelbar ein, warum eingewisses Mindestniveau der Fahrkünste völlig ohne subjektiven Bonus nachgewiesen werdenmuss: Wer diese Mindestleistung (aus welchen subjektiv nachvollziehbaren Gründen auchimmer) nicht erbringt, gefährdet Leib und Leben unbeteiligter Dritter. Ähnliche Überlegun-gen gelten jedoch mehr oder weniger für jeden offiziellen Leistungsnachweis. Und für Bil-dungsstätten wären striktere Anforderungen dieser Art Zwang und Verpflichtung zugleich,auf mehr Vergleichbarkeit und Qualität des Unterrichts zu achten: Nicht das selbstgefällige Eigenbild, sondern objektiv nachgewiesene Lehr- und Lernerfolge wären vermehrt gefordert. Zur verlaufsorientierten Leistungsbeurteilung eignet sich dagegen vor allem der subjektive Maßstab, da er dem Einzelfall besser gerecht wird, individuelle Stärken und Schwächen imLernverlauf angemessen erfassen kann. Der ausführliche Lernentwicklungsbericht (auf Ein- zelheiten und Probleme dieser Beurteilungsmethode kann an dieser Stelle nicht eingegangenwerden) ist hier die geeignete Form der Rückmeldung. Wenn zusätzlich von Zeit zu Zeit eineInformation über das objektiv erreichte Leistungsniveau in Bezug auf die Anforderungen desäußeren Lehrplans erforderlich ist, kann auch eine Kombination von Lernentwicklungsberichtund Zensurenzeugnis sinnvoll sein. Jeder Leistungsvergleich durch Zensuren wirkt selektiv und lässt, wenn nicht rechtzeitig ge- gengesteuert wird, eine störende Wettbewerbsmentalität entstehen. Statt auf die eigenen Lern-fortschritte zu achten und positiv zu denken, vergleicht man sich in der Zensur eher negativmit den Besseren in der Lerngruppe: Oft überwiegt dabei das Gefühl, trotz aller Anstrengun-gen mit den Besseren nicht Schritt halten zu können. Leistungsvergleiche führen daher geradebei denen verstärkt zur Entmutigung, deren Lernmotivation besonders gefordert ist. Kata-strophal wirkt sich in diesem Zusammenhang eine Beurteilungsmethode aus, die das Kon-kurrenzdenken, das in jedem Leistungsvergleich ohnehin impliziert ist, noch zusätzlich för-dert und anheizt. Eine rangorientierte Leistungsbeurteilung passt nicht in ein modernesBildungssystem. 4.4.4 Individuelle Lernverläufe und Differenzierung, Lernerautonomie Viele Menschen reagieren empfindlich auf Lernunterschiede. Besonders gilt das, wenn sieden Eindruck gewinnen, dass das Lernen den anderen leichter fällt als ihnen selber. Lern-kontrollen haben den unvermeidlichen Nebeneffekt, dass sie solche Unterschiede sichtbarwerden lassen. Darum ist es gerade bei Kontrollhandlungen wichtig, sich über Unterschiedeim Lernerfolg und individuelle Lernverläufe Gedanken zu machen. Bereits am Anfang des Unterrichts sollte klar sein, dass Menschen Fremdsprachen relativ zu ihren persönlichen Lernvoraussetzungen jeweils auf eigene und unterschiedliche Weise ler-nen und dass sich folglich auch die Ergebnisse unterscheiden. Das ist so normal und so wenigehrenrührig, wie Menschen nun einmal verschieden sind. Für die Erwachsenenbildung giltaußerdem, dass nicht jeder den gleichen Lernaufwand einbringen kann oder will und dasssich auch die Ziele mehr oder weniger unterscheiden mögen. Insofern gibt es hier nicht einbestimmtes Lernresultat, das personunabhängig Gültigkeit hätte, sondern innerhalb des glei-chen Kurses eine Vielzahl subjektiv sinnvoller Lernwege und eine entsprechende Bandbreite 251lernökologisch valider Lernresultate. Erfolgreich lernt, wer nach seinen persönlichen Mög- lichkeiten und Zielen Lernfortschritte verzeichnet; dabei ist es unerheblich, ob andere imKurs (auf Basis anderer V oraussetzungen und Ziele) im Leistungsvergleich besser oder schlech-ter abschneiden als man selber (vgl. VIELAU 1995). Im Unterricht ist ein gewisses Maß an Heterogenität nicht nur unvermeidlich, sondern sogar förderlich. Man lernt nicht nur vom Lehrer, sondern auch von den Mitlernern. Da deren Inputdichter am eigenen Sprachmodell liegt und besser angepasst ist, sind die wechselseitigenLernprozesse unter Umständen wirkungsvoller und nachhaltiger als der Input des Kursleiters(vgl. auch ELLIS 1990). Und je früher man lernt, sich mit begrenzten sprachlichen Mittelnim Kreise weiter Fortgeschrittener zu behaupten, desto besser ist man für die reale Kommu-nikation gerüstet. Auch dort wird man nicht verstummen wollen, nur weil ein Muttersprach-ler oder versiertere Fremdsprachenlerner am Gespräch teilnehmen. Gemäßigt heterogene Lerngruppen versprechen für alle Beteiligten bessere Lernresultate, auch für die leistungsstärkeren. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass heterogene Gruppenstärker explizit lernen – und daher auch gründlicher und nachhaltiger: Wenn von vornhereinkeine Fehler, keine Fragen oder Probleme auftreten, so bleibt der Lernprozess an der Oberflä-che. Sprachen lernt man jedoch nicht durch Übernahme von korrektem Input, sondern durchdie subjektive Rekonstruktion der jeweils richtigen Option im Spektrum der möglichen Alter-nativen. Es reicht daher nicht aus, etwas von Anfang an richtig zu machen: Erst wenn manweiß, wo die Entscheidungspunkte liegen und welche Alternativen dort aus welchen Gründenfalsch sind, hat man ein Problem wirklich verstanden. Heterogene Gruppen profitieren dahergerade vom Zusammenwirken Stärkerer und Schwächerer: Die Schwächeren stellen die Fra-gen, die auch die Stärkeren brauchen, um ihren Lernprozess zu optimieren. Dem entsprichtdie Alltagserfahrung, dass ich etwas besonders gut dann erlernen kann, wenn ich es anderenerkläre. Außerdem werden in solchen Interaktionen bestimmte extrafunktionale Qualifikationen wie Teamfähigkeit, zielorientierte Kooperation, Toleranz im Umgang mit anderen erworben. Dasssolche Fähigkeiten unter veränderten Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt zunehmendgebraucht werden, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Weniger klar ist, dass Fähigkeitendieser Art erlernt und systematisch trainiert werden müssen; das öffentliche Schulsystemwirkt tendenziell in entgegengesetzter Richtung, fördert eher die Vereinzelung, Konkurrenz-und Ellbogendenken. Die V orteile, die eine heterogene Lernsituation bietet, können sich allerdings nur entfalten, wenn gewährleistet ist, dass alle, auch die Stärkeren, in nachvollziehbarer Weise vom Unter-richt profitieren. Wenn die Unterschiede zu groß werden, im Lehrplan ein gemeinsames Fun-dament nicht mehr definiert werden kann, wird die Konstellation in der einen oder anderenRichtung unproduktiv. Dann sollte man das pädagogische Prinzip des gemeinsamen Lernensnicht überstrapazieren: Wer sich allzu weit vom gemeinsamen Fundament einer Lerngruppe entfernt, wechselt irgendwann besser in einen anderen Kurs. Insofern ist eine bestimmte Lern-konstellation immer nur ein Zweckbündnis auf Zeit, kein „Bund für das Leben“: Niemandsollte sich gedrängt fühlen, aus falsch verstandenem Gruppengefühl heraus auf einen indivi-duell sinnvolleren Lernweg zu verzichten. Wie kann man sich als Lehrender methodisch auf eine heterogene Lerngruppe einstellen? Hier kann nur das Denkprinzip kurz angedeutet werden. Naiv könnte man zunächst fragen, 252an welcher Teilgruppe des Kurses man sich bei der Stoffplanung orientieren soll: an den Stärkeren, an den Schwächeren – oder an einem angenommenen Mittelwert, der für beideGruppen gleichermaßen ungünstig sei?- Die Antwort kann nur lauten, dass diese Fragefalsch gestellt ist. Sie geht von der Vorstellung aus, dass Sprachen portionsweise im Gleich-takt der Stoffvermittlung gelernt werden, und dass alle im gleichen Tempo lernen und amgleichen Ziel ankommen. In diesem V orverständnis liegt das methodische Problem lediglichin der Wahl eines passend großen Trichters, der die einen nicht über- und die anderen nichtunterfordert. Wem der verordnete Trichter dann noch nicht passt, der ist entweder dumm oderfaul oder unwillig – und insofern selber schuld, wenn er aus der Gruppe aussortiert wird. Wer heterogene Lerngruppen erfolgreich unterrichten will, muss einem anderen Denkansatz folgen: Unterschiedliche Lernverläufe sind keine lehrer- und/oder lernerseitig verschuldetenLernkatastrophen, sondern der Normalfall . Sie drücken aus, dass Menschen letztlich nicht nach dem äußeren Lehrplan lernen, sondern nach ihrem eigenen, inneren Lehrplan. Da wirnicht wissen, wie die inneren Lehrpläne funktionieren, sollte man bezüglich der Lernergebnissebescheiden sein. Als Lehrende können wir zwar den Input bestimmen, nicht jedoch das, wasder Lerner zu einem gegebenen Zeitpunkt tatsächlich dem Input entnimmt (Intake). Insoferndarf es nicht überraschen, wenn Lernprozesse in der Praxis trotz intensiven Bemühens allerBeteiligten ungleichmäßig und ungleichzeitig verlaufen. Moralische Appelle und äußerer Druck bewirken hier wenig; sie erhöhen nur den Lernstress, lösen womöglich Angst undLernblockaden aus. Ein Wissen, für das der Lerner nach seinem inneren Lehrplan noch nichtbereit ist, kann zwar bei entsprechendem Fleiß äußerlich antrainiert werden: Es wirkt sichmangels Tiefenverarbeitung jedoch kaum verändernd auf die Lernersprache aus, es kannnicht transferiert werden und es wird meistens rasch wieder vergessen. Statt also mechanisch gegen den inneren Lehrplan anzuarbeiten, empfiehlt sich ein methodi- sches Konzept, das verschiedene Lernverläufe nicht nur erwartet, sondern ermöglicht undunterstützt. Üblicherweise wird ein solches Konzept mit dem Fachbegriff „ Binnen- differenzierung “ beschrieben (GÖBEL 1981, RAUTENHAUS 1989). Es ist nicht Zweck dieses Konzeptes, durch vermehrtes Bremsen der einen und vermehrtes Antreiben der ande-ren in Richtung Homogenisierung der Gesamtgruppe zu arbeiten (so etwa HINZ 1992). ImGegenteil: es geht um die Förderung und Optimierung verschiedener Lernverläufe unter demDach eines gemeinsamen Lernfundaments. Im binnendifferenzierenden Unterricht gibt es nichteinen Lehrplan, auf den alles zuläuft, sondern mindestens drei: Den gemeinsamen Kern-bereich (Fundament) und zwei zielgruppenspezifische Additivbereiche (potenziell so viele,wie Teilnehmer in der Lerngruppe sind). Die wichtigsten Implikationen dieses Unterrichts-konzeptes werde ich im Folgenden kurz umreißen. Binnendifferenzierung ist nur möglich, wenn das Unterrichtskonzept offengelegt wird und in der Lerngruppe Zustimmung findet. Unterricht dieser Art kann nicht gelingen, wenn der Leh-rer suggeriert, dass der im Lehrbuch vorgegebene Lernstoff heilig ist, dass Nichtverstehenauf persönliche Lerndefizite verweist und dass sich der Lernerfolg aus dem Leistungsvergleichableitet. Alle Beteiligten müssen akzeptieren, dass Lernerfolg etwas Individuelles und Sub-jektives ist und dass es verschiedene erfolgreiche Lernverläufe geben kann – je nachdem, vonwelchen V oraussetzungen man ausgeht und wie man selbst die Ziele und Prioritäten setzt. Das wichtigste Hilfsmittel zur Individualisierung der Lernwege ist das persönliche Lern- protokoll (vgl. DICKINSON 1987). Es hat eine ähnliche Funktion wie der Trainingsplan 253eines Leistungssportlers: Indem man die Erwartungen explizit formuliert, Aufwand und Fort- schritte dokumentiert, geht man bewusster mit ihnen um und entwickelt nach und nach sinn-volle Maßstäbe zur Kontrolle und Steuerung des eigenen Lernwegs. In manchen Lehrwerkenist ein solches self-monitoring schon angelegt: ENGLISH FOR EUROPE (1994) enthält beispielsweise record charts (What have I done? ), evaluation charts (How am I getting on?) und choice of modules (Who’s in charge of tasks?) . Auch das „Europäische Sprachenport- folio“ (z.B. HUEBER 2006) entspricht in seinem pädagogischen Kern diesem Denkansatz. Wie schon öfter erwähnt, erfüllt das Lernprotokoll mehrere Funktionen im Lernprozess: Es dient als Arbeitsbuch zum Mitschreiben im Unterricht und für die häusliche Lernarbeit, alspersönliche Lerndatenbank zum Sammeln und zur Ablage subjektiv wichtiger Informationen,als Instrument der Lernplanung und Selbstevaluation. Damit die Information nach Bedarfverändert und ergänzt werden kann, eignet sich am besten ein offenes Format (DIN A4-Ringbuch). Es enthält folgende Abteilungen: •eine Lernübersicht (Halbjahresplan mit Selbst- und Fremdevaluation); •eine Kladde zum Mitschreiben im Unterricht; •die persönliche Lerndatenbank, lektionsweise geordnet (u.a. mit Zusatztexten, Übun- gen, Arbeitsblättern, Hausarbeiten); •einen übergreifenden Referenzteil, systematisch geordnet nach Situationen/ Funktionen,Themen/ Notionen und Grammatik; •ein Register. Im aktuellen Zusammenhang interessiert besonders die Lernübersicht . Das Arbeitsblatt sollte die folgenden Spalten enthalten: •Unterrichtswoche und Lernstoff (Wochenplan): Die Eintragungen werden Schritt für Schritt so ähnlich wie im Klassenbuch vorgenommen; sie ergänzen sich nach und nach zum Halbjahresplan. •eine Selbstevaluation in Bezug auf den Unterrichtsstoff (z.B. in Form einer Prozentzahl für den angenommenen Grad des Verstehens); •(als Korrektiv und soweit bekannt) eine Fremdevaluation, zum Beispiel durch Test-ergebnisse oder individuelle Rückmeldung der Lehrkraft; •Angaben zum optionalen Lernen: persönliche Schwerpunkte und Akzente im Lern- verlauf, Wiederholungen, offenes Weiterlernen. Obwohl die Arbeit mit dem Lernprotokoll umständlich wirken mag und am Anfang viel An- leitung und Hilfe verlangt, handelt es sich mittelfristig um ein gut praktikables und sehrnachhaltiges Verfahren, um den „inneren Lehrer“ für seine Kontroll- und Steuerungsauf-gaben zu schulen: So wie das Klassenbuch den äußeren Lehrplan beschreibt, dokumentiertdas Lernprotokoll dessen individuelle Interpretation. Die Maßstäbe der subjektiven Lern-theorie, die vorher nur diffus wirksam waren, werden so auf eine reflektierte Ebene angeho-ben – und damit subjektiv handhabbar gemacht. Entscheidungen über Lernstoff und -temposowie eventuelle zusätzliche Lernbemühungen liegen nicht länger im Steuerungs- und Kontroll-monopol der Lehrkraft, sondern können auf Basis einer bewussten Einschätzung und Bewer-tung des eigenen Lernfortschritts zunehmend selbstverantwortlich getroffen werden. 254Schwierig ist dabei zunächst die Selbstevaluation ; viele Menschen (und Erwachsene zumal) neigen dazu, die eigenen Fortschritte zu unterschätzen und, nicht zuletzt im Blick auf diestärkeren Lerner im Kurs, die Maßstäbe viel zu hoch anzulegen. Hier ist die Fremdevaluationder Lehrkraft gefragt, gut geplante Lernkontrollen, das Aushandeln der Maßstäbe, eine indi-viduelle Lernberatung (Lernentwicklungsbericht!). Auch technische Kontrollinstanzen(computergestützte Lernprogramme) können eine nützliche Rolle spielen. Nach und nachkann auf diese Weise eine realistische Lernplanung entstehen, die aus subjektiver Sicht einevernünftige Balance von persönlichen Ausgangsbedingungen und Lernzielen, dem Lernauf-wand sowie dem tatsächlichen Lernverlauf herstellt. Eine solche Lernplanung ist nicht nurdie Basis für die persönliche Zufriedenheit und eine stabile Lernmotivation, sondern zugleichdie wichtigste V oraussetzung für den gemeinsamen Wochen- und Halbjahresplan. Für die Festlegung des Wochenplans der Gesamtgruppe sind drei zentrale Entscheidungen zu treffen: über das Fundament , die Wiederholungen und den Wahlbereich . Die V orschlä- ge dazu werden zunächst von der Lehrkraft kommen müssen. Die zeitlichen Anteile dieserdrei Lehrpläne richten sich flexibel nach dem Stand der Gruppe (Lernkontrollen!), dem Lern-verlauf und den Anforderungen des äußeren Lehrplans. Im Anfang wird eher das Fundament-lernen im Vordergrund stehen, später nimmt möglicherweise das Differenzierungslernen unddie Freiarbeit mehr Zeit in Anspruch. Schwierig ist die Definition des Lernfundaments; hierbeisind die Ergebnisse der Stoffanalyse im Lehrbuch zu berücksichtigen, die Lernziele der Gruppe,aber auch Erfahrungen über typische Lernverläufe und eine Prognose zur Lernleistung dieserGruppe. Als Faustregel kann gelten, dass in das Lernfundament nur das Unverzichtbare ge-hört, eine Auswahl von oft kaum mehr als zwanzig Prozent des Stoffs einer typischen Lehrbuch-lektion. Das Lernfundament wird von allen gemeinsam erarbeitet und ist für alle verbindlich (wenn auch nicht sofort und gleich beim ersten Input!). Die Arbeitsgruppen sind heterogen zusam-mengesetzt und arbeiten parallel; die Auswertung erfolgt in der Gesamtgruppe. Die Methodikbeim Fundamentlernen richtet sich nach den Lernbedürfnissen der schwächeren Lerner: Es wird schrittweise, aktiv-entdeckend vom Lerner her und generell mit mehr Lernhilfen gear-beitet. Lernkontrollen und Lernverlaufsanalyse beziehen sich auf den Fortschritt im Lern-fundament. Im Wiederholungslehrplan wird das gesammelt, was zum Lernfundament gehört und sich im ersten Anlauf als schwierig erweist. Der remediale Lehrplan soll Lernprobleme im Funda-ment ausgleichen und Schereneffekten entgegenwirken. Man kann einen bestimmten Lern-stoff explizit und implizit wiederholen; beides hat Vor- und Nachteile. Explizite Wiederholun-gen greifen direkt auf Übungen zurück, die vorher behandelt wurden; sie dienen vor allem derBestätigung von Lernfortschritten. Gerade für schwächere Lerner wirkt es entlastend, wennsie feststellen, dass sie ein zunächst schwieriges Lernproblem im zweiten Anlauf bewältigenkönnen. Implizite Wiederholungen sind vom Lernprozess her effektiver und anspruchsvoller,da sie das Problem in neuer Verpackung oder auf anderen Wegen angehen; oft sprechen sieauch das Transfervermögen an und haben zusätzlich Kontrollfunktion. Im Wahlbereich richten sich die Angebote nach den Lerninteressen. Hier können schon früh V orschläge und Wünsche aus der Gruppe einfließen; Lernerbefragungen, auch entsprechendeoptionale Angebote im Lehrbuch ( learner‘s choice ) sind hilfreich. V om Prinzip her werden zusätzliche, lernökologisch valide Lerninhalte bearbeitet (z.B. Textarbeit, Hörverstehen, 255Sprechpraxis, Zusatzwortschatz), bei denen das Fundament jeweils vorausgesetzt ist. Sie dürfen sich nicht in direkter Form auf den Lehrplan im Fundament auswirken (beinhaltenalso nicht etwa den Lernstoff, der im nächsten Schritt des Fundaments ansteht). Die Auf-gabenstellungen im Additivbereich sind selbsterklärend, selbstständig zu erarbeiten und aus-zuwerten; die Ergebnisse werden nicht in die Gesamtgruppe zurückgetragen, wohl aber ingeeigneter Form dokumentiert und veröffentlicht. Beim Additivlernen können sich die Lerner nach eigenem Gutdünken und in eigener Verant- wortung einer der Wiederholungs- oder Erweiterungsgruppen zuordnen: Die Gruppen setzensich hier eher interessen- und leistungshomogen zusammen. Der Lehrer berät die Gruppenbei der Auswahl der Lerngegenstände und Übungen, hinsichtlich der Lerntechniken (Benut-zung von Referenzliteratur!) und hilft auf Anforderung vor allem bei der Auswertung undLernkontrolle: Eigene Fehler sind schwer zu erkennen. Methodisch gut geeignet sind auchkomplementäre Aufgabenstellungen, bei denen die Arbeitsergebnisse der einen Gruppe eineranderen Gruppe als Ausgangspunkt dienen. Die Lehrbücher genügen diesem Anspruch bisherkaum: Für ein Unterrichtskonzept, wie es hier beschrieben wird, braucht man offene, flexibelauf die Lernkonstellation abzustimmende „Lerndatenbanken“, vorzugsweise mit Gliederungdes Materials nach Fundament, Remedial und Optionen – statt der eher eindimensionalenStoffgliederung des klassischen Lehrwerks zwischen zwei Buchdeckeln. Erfolgreiches Lernen im Rahmen der Binnendifferenzierung ist die Voraussetzung für an- spruchsvollere Formen der Individualarbeit , wie sie etwa bei Hausaufgaben impliziert sind. In der Gruppe kann man bei Lernproblemen direkt um Rat fragen, die anderen oder notfallsauch den Lehrer. Diese prozessorientierte Hilfe fehlt beim Individuallernen: Hier gibt es lediglicheine Aufgabenstelung und eventuell eine Ergebniskontrolle; aber alles, was dazwischen ge-schieht, muss vom Lerner individuell bewältigt werden: Die erforderlichen Lerntechnikenund -strategien werden vorausgesetzt. Insofern stellen Hausaufgaben oft hohe Anforderun-gen an das selbstständige Lernvermögen; es ist so, als ob man mit einem neuen Computer-programm arbeitet, bei dem der Programmierer die kontextsensitive Hilfe vergessen hat.Paradoxerweise schwören oft gerade die Lehrkräfte auf häusliche Lernarbeit, die im Unter-richt am wenigsten dazu tun, das selbstständige Lernvermögen unter kontrollierten Bedin-gungen zu entwickeln und zu trainieren. Obendrein ist es nicht leicht, für die Hausaufgabe Übungsformen zu finden, die sich sinnvoll in das Unterrichtskonzept einfügen (PAUELS 1995). Oft haben die Hausaufgaben nur Alibi-charakter und/oder die Funktion, die Schuld am Misserfolg zuweisen zu können: HektischeBetriebsamkeit der Lerner soll das Fehlen eines kohärenten Unterrichtskonzeptes verschlei-ern. Tatsächlich enthüllt die Art der Aufgabenstellung eher die Einfallslosigkeit des Aufga-benstellers: Wer vorwiegend einsprachig unterrichtet und dann als Hausaufgabe das Memo-rieren einer zweisprachigen V okabelliste aufgibt, offenbart tiefgreifende Missverständnisseseiner subjektiven Unterrichtstheorie – von der Problematik des V okabellernens an sich ganzabgesehen. Nichts tötet die Lernmotivation schneller als sinnlose Fleißaufgaben oder Aufgaben-formen, für die der Lerner, auf sich gestellt, von seinem Wissen oder seinen Lerntechnikenher noch nicht bereit ist. Das häusliche Lernen kann nicht mehr als das leisten, was durch dasgesteuerte Lernen im Unterricht angelegt ist. Die Individualarbeit hat im differenzierenden Unterricht ähnliche Funktion wie das Additiv- lernen. Sie dient der Ergänzung und Wiederholung, vor allem jedoch der Individualisierung 256der Lernwege: der Bildung lernereigener Schwerpunkte bei den Lerninhalten und bei den Lerntechniken. Für die häusliche Arbeit empfiehlt sich als Aufgabenstellung vor allem dieFührung des Lernprotokolls ; die darin enthaltene Information muss ständig aktualisiert, ergänzt und neu organisiert werden. Weiterhin sind Aufgabenstellungen sinnvoll, die aus demLernen in der Gruppe entstehen und zum selbstständigen Weiterlernen herausfordern. EinBeispiel: In der Interessengruppe stellt sich ein fachliches Problem, das die Gruppe nicht anOrt und Stelle bewältigen kann; statt den Lehrer zu fragen, erklärt sich einer bereit, individu-ell durch Lektüre geeigneter Referenzliteratur nach der Lösung zu suchen. Er präsentiertseiner Gruppe die Lösung beim nächsten Treffen in Form eines kleinen Fachreferats. DieFremdkontrolle der Hausaufgabe wird hier durch Eigenverantwortung und sachliches Inter-esse ersetzt. Nur Fragen, die auf diesem Wege nicht geklärt werden können, gehen zurück andie Arbeitsgruppe, an den Lehrer oder auch an das Plenum. So wie die angeleitete Seminararbeit im Studium vor allem die Fähigkeit zum selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten entwickeln soll, fördert die schulische Hausarbeit die Fähigkei-ten zum eigenständigen Lernen. Damit wird das lernstrategische Ziel und der methodischeOrt der Individualarbeit deutlich: Als prozessual anspruchsvollste Form des gesteuerten Lernensbaut sie eine Brücke zum autonomen (Weiter-)Lernen außerhalb des Unterrichts. Im Ler- nen des Lernens ergibt sich so die folgende Progression: •Lernen in der Gesamtgruppe: eng lehrergesteuert/-kontrolliert bezüglich Aufgaben- stellung, Prozess und Ergebnis. •Fundamentlernen in parallelen Arbeitsgruppen mit V orbereitung und Auswertung im Plenum: lehrergesteuert bezüglich Aufgabenstellung und Ergebnis, ansatzweise selbst- bestimmt im Prozess; Hilfen bei Lernproblemen durch die Arbeitsgruppe, durch einzelne„Tutoren“ in diesen Gruppen und durch den Lehrer. •Additivlernen in Interessengruppen ohne direkten Rückbezug ins Plenum: Mitwirkung bei der Aufgabenstellung, selbstbestimmt im Prozess und in der Kontrolle des Ergebnis- ses, prozessuale Lernhilfen gruppenintern; die Lehrkraft wirkt nur auf direkte Anforde-rung als Lernberater mit. •Individuallernen: Mitwirkung bei Aufgabenstellung und Ergebniskontrolle, im Prozess selbstbestimmt und ohne Lernhilfen. •Autonomes Lernen: Aufgabenstellung, Prozess und Ergebnis sind selbstbestimmt und selbstkontrolliert. Beim autonomen Lernen führt nicht mehr der äußere, sondern der innere Lehrer die Regie: nun nicht mehr auf Basis einer zufällig-subjektiven Lerntheorie, sondern auf der Grundlageeiner praktisch erprobten, in sich kohärenten und subjektiv optimierten Handlungstheorie(die nicht in allen Einzelheiten bewusst und reflektiert sein muss!). Der Lerner setzt sichrealistische Ziele, beurteilt und wählt die Lernmaterialien aus, entscheidet sich für eine be-stimmte Abfolge bestimmter Teilhandlungen, für subjektiv erfolgversprechende Lerntechnikenund -strategien; er kontrolliert und überwacht die eigenen Lernfortschritte. An die Stelle derFremdsteuerung tritt so die Selbststeuerung und Selbstkontrolle; was oben als learner’ s choice nur punktuell möglich war, wird hier zum strukturierenden Prinzip des Lernens. 2575. Möglichkeiten und Grenzen der Methodik: das Lernen lehren und das Lehren lernen Lehren und Lernen finden auf verschiedenen Ebenen statt; zwischen dem, was im Unterrichtgelehrt wird, und dem, was individuell gelernt wird, bleibt in der Praxis oft eine Differenz.Daher ist es sinnvoll, verschiedene Lehrpläne zu unterscheiden. Der äußere Lehrplan, unterUmständen ergänzt durch einen heimlichen Lehrplan, enthält alles das, was im Unterrichtgelehrt wird, der innere Lehrplan des Lerners das, was tatsächlich erlernt wird. Dem äußeren Lehrplan liegt ein (reflektiertes?) Unterrichtskonzept zugrunde, das die Kohä- renz der Lernschritte im Blick auf das Handlungsziel sichert und die Handlungsabläufe imUnterricht steuert und kontrolliert. Beim inneren Lehrplan ist die Frage der Handlungssteuerungweniger klar geregelt: Vieles entzieht sich der bewussten Kontrolle des Lerners, und auchdort, wo eine Handlungskontrolle vom Lernsubjekt bewusst ausgeübt wird, ist eher unwahr-scheinlich, dass der „innere Lehrer“ der Aufgabe spontan gewachsen ist und dass ihm diepassenden Lerntechniken und Lernstrategien zur Verfügung stehen. Am Anfang eines neuenLernwegs ist die subjektive Lerntheorie daher wenig geeignet, den Handlungsablauf zu steu-ern; dennoch ist die Selbstkontrolle jederzeit wirksam, und es kommt zu Störungen, wennUnterrichtskonzept und subjektive Lerntheorie sich allzu weit voneinander entfernen. Hierbeiist auch zu beachten, dass es in einer Lerngruppe zwar nur ein Unterrichtskonzept, aber viele(und möglicherweise sehr verschiedene) subjektive Lerntheorien gibt. Lernwirksam ist nicht der äußere Lehrplan, sondern vorrangig der innere Lehrplan und die subjektive Lerntheorie: Jeder Lerner konstruiert sich unter Einsatz seiner persönlichen Lern-ressourcen Schritt für Schritt sein eigenes Wissensmodell, seine eigene Lernersprache. Unab-hängig davon, was nach dem äußeren Lehrplan „dran ist“ und „vermittelt“ werden soll: Sub-jektiv aufgenommen und gelernt werden kann immer nur das, wofür der Lerner von seineminneren Lehrplan her aufnahmebereit ist. Mit Blick auf den V orrang des inneren Lehrplans istes daher möglich und sinnvoll, für das Fremdsprachenlernen im Unterricht von „gesteuertemSpracherwerb“ zu sprechen. Das heißt nicht, dass der äußere Lehrplan gleichgültig wäre; denn der äußere Lehrplan steu- ert das Unterrichtsgeschehen insgesamt, verschiedene Unterrichtskonzepte führen zu ver-schiedenen Lernergebnissen. Der äußere Lehrplan öffnet gleichsam ein Fenster für die indi- viduellen Lernverläufe: Das, was individuell gelernt oder nicht gelernt wird, spielt sich we-sentlich innerhalb dieses Rahmens ab. So ist es zum Beispiel eine Entscheidung des äußerenLehrplans, ob es in einem Englisch-Anfängerkurs für Erwachsene einen phonetischen Vor-kurs gibt, ob vielleicht ganz auf Ausspracheübungen verzichtet wird oder ob ein eigenes,langfristig angelegtes Aussprache-Curriculum mit methodisch geplanten Ausspracheübungenvorgesehen ist. In Abhängigkeit von solchen Rahmenentscheidungen variieren die individuel-len Lernmöglichkeiten über ein breites Spektrum. Aus der Sicht des einzelnen Lerners ist esdaher wichtig, den passenden Unterricht zu finden. Logisch wäre es folglich, wenn man dem Unterricht nicht nach einen äußeren Lehrplan anle- gen würde, den anonyme Experten fern vom Unterrichtsgeschehen als standardisierte Lern-form ersonnen haben, sondern wenn man bei der Unterrichtsplanung direkt von einem inne-ren Lehrplan ausgehen könnte. Das scheitert aber schon daran, dass es potenziell so vieleinnere Lehrpläne wie Lerner in der Gruppe gibt und dass über den Aufbau und die Entwick- 258lung dieser inneren Lehrpläne viel zu wenig bekannt ist. Die extreme Lösung des Planungs- problems schließlich, der Verzicht auf einen äußeren Lehrplan ( natural approach ), würde das Lernvermögen der meisten Lerngruppen überfordern und den üblichen Rahmen desFremdsprachenunterrichts sprengen (Lernzeit, Übungs- und Anwendungsmöglichkeiten etc.). Aus methodischer Sicht wäre daher zu fragen, wie man den äußeren Lehrplan des kommuni- kativen Fremdsprachenunterrichts im Blick auf erkennbare Bedürfnisse der Lerngruppe an- passen und optimieren kann. Aus dem hier dargestellten Denkansatz lassen sich zehn me- thodische Merkmale für ein solches Unterrichtskonzept ableiten: 1. Jeder in der Lerngruppe lernt nach seinem eigenen Tempo und entnimmt dem äußeren Lehrplan verschieden viel (Quantität). Folgerung : mehr Differenzierung und Individualisierung statt „Lernen im Gleichschritt“; keine starren Erfolgserwartungen; mehr Wiederholung und „Mut zur Lücke“ statt eines über-trieben sequenziellen Lernens nach festen Stoffplänen. 2. Jeder lernt auf eigene Weise und entnimmt dem äußeren Lehrplan inhaltlich Verschiedenes (Qualität); ebenso unterscheidet sich, was Menschen als interessant und affektiv ansprechendempfinden. Folgerung : mehr Möglichkeiten zur subjektiven Auswahl der Lerngegenstände und Themen, mehr lernökologische Validität der Lernangebote, mehr Möglichkeiten zum offen-selbst-bestimmten Lernen. 3. Jeder lernt für sich selber: Das „Aha-Erlebnis“, das den Sprung zur nächsten Wissensinsel bewirkt, kommt von innen, nicht von außen. Äußere Erklärungen und Lernhilfen können dasindividuelle Lernen anregen, aber nicht ersetzen oder gar erzwingen. Folgerung : Vermittelndes Lehren in frontalen Arbeitsformen, passives Zuschauen und Zuhö- ren sind wenig effektiv; aktives Lernen, das individuelle Bemühen um Problemlösungen,individuelles Üben und Anwenden führen zu Lernfortschritten. Selberlernen geht vor Erklä-ren; die wichtigsten Sozialformen sind Partner- und Gruppenarbeit. 4. Beim Lernen zählt nicht vorrangig das Ergebnis; viel wichtiger ist der Prozess, mit dem der Lernende zu dem Ergebnis gelangt. Folgerung : Verzicht auf übertriebene Ergebnisorientierung, auf drillhafte Übungsformen mit Antwortsteuerung oder schematisches Auswendiglernen (Oberflächenverarbeitung des Lern-stoffs). Statt dessen mehr Prozess- und Handlungsorientierung: Förderung der Tiefenver-arbeitung durch entdeckendes Lernen und Ermutigung zum „Sprachexperiment“ (Hypothesen-bilden/ -testen/ -elaborieren, denkender Sprachgebrauch, Anwendung von Enkodierungs-techniken); mehr Fehlertoleranz und prozessorientierte Korrekturverfahren; Verbesserung derLerntechniken und Lernstrategien. 5. Der logische Aufbau einer Lernsequenz ist unhintergehbar; er drückt sich in einer be- stimmten Abfolge der Lehr- und Lernphasen zur Bildung der Lernersprache aus (Sprach-aufnahme, Sprachverarbeitung, Sprachsynthese, Sprachanwendung). 259Folgerung : Unterricht ist methodisch zu planen; eine zufällige Abfolge der Aktivitäten ver- spricht unter Unterrichtsbedingungen wenig Erfolg. 6. Eine Fremdsprache wird nur dann gelernt, wenn sich etwas in der interlanguage des Ler- ners verändert. Entscheidend ist nicht der Input, sondern der Intake. Folgerung : Lernprozesse orientieren sich am Lernertyp: wie gut oder schlecht ist der Betref- fende in der Lage, das zielsprachliche Wissensmodell zu bilden, zu verändern, zu benutzen?Welche Lernhilfen sind erforderlich? 7. Bei subjektiv schwierigen Lernproblemen ist ein schrittweiser Aufbau des Lernprozesses wichtig, um eine Überlastung der kognitiven Ressourcen des Lerners zu vermeiden. Folgerung : Gerade bei schwächeren Lernern ist vermehrt auf schrittweise Abfolge, Mono- funktionalität und geeignete Lernhilfen im Übungsaufbau zu achten – auch wenn nicht jederdieser Lernschritte für jeden Lerner sofort zum Erfolg führt. In abgekürzter Form bzw. syn-thetisch-ganzheitlich kann dort gelernt werden, wo Lernprozesse leichtfallen (Lerngewohnte)bzw. wo an vorhandene Teilroutinen angeknüpft werden kann. 8. Im kommunikativen Fremdsprachenunterricht greifen Übungshandlungen mit unterschied- lichen Schwerpunkten ineinander: Die Lernsequenz als ganze, nicht die einzelne Lernaktivität,entspricht den kommunikativen Lernzielen. Folgerung : Sprachbezogene, mitteilungsbezogene und kommunikative Übungsformen ergänzen sich beim Aufbau der Lernersprache in jeweils spezifischer Weise. Nicht jede Übungshandlungist sinnvoll am Maßstab der Performanzgültigkeit zu messen. 9. Das Fremdsprachenlernen im Unterricht wird (im Vergleich mit natürlichen Spracherwerbs- prozessen) durch einen höheren Affektivfilter behindert. In besonderem Maße gilt das fürLernungewohnte. Folgerung : Wichtig ist ein angenehmes und entspanntes Lernklima sowie die Förderung lern- dienlicher Gruppenprozesse. 10. Jeder Lernprozess braucht ein Mindestmaß an Steuerung sowie eine effektive Verlaufs- kontrolle. Der äußere Lehrer und ein systematisch angelegter Lehrplan ist besonders amAnfang des Lernprozesses gefordert. Im weiteren Lernverlauf sollte der Lerner selber dieentsprechende Steuerungskompetenz bilden. Eine dauerhafte Lernmotivation beruht auf demInteresse am Lerngegenstand, praktischen Lernerfolgen – wesentlich jedoch auf der Fähigkeitzur Selbststeuerung im Lernprozess. Folgerung : Lehrerzentrierte Methoden behindern das metakognitive Lernen, Dominanz soll- te daher nicht angestrebt, sondern abgebaut werden: anfangs durch mehr Partnerschaftlichkeit,Transparenz und Mitbestimmung (Aushandeln der Arbeitsgrundlage), später durch stärkereIndividualisierung, mehr Selbststeuerung und Selbstkontrolle (offener Unterricht). Ein fachlich gut geplanter und im Sinne der genannten Merkmale methodisch optimierter Unterricht sollte die Erfolgsaussichten für alle Beteiligten deutlich verbessern. Dennoch ist es 260wichtig zu verstehen, dass es Grenzen in der Planbarkeit des Unterrichtserfolgs gibt. Zum Teil liegen diese Grenzen in der Unterrichtssituation selber: Die künstliche Lernsituation, dievergleichsweise geringe effektive Lern- und Übungszeit, die V or-Entscheidungen des äußerenLehrplans bestimmen und begrenzen in vielfältiger Weise das, was unter den jeweiligen V or-aussetzungen erlernt werden kann. Fast noch wichtiger sind die inneren Grenzen: Menschensind keine Maschinen, die sich programmieren, mit Wissen vollstopfen und in ihren Reaktio-nen beeinflussen und vorherbestimmen lassen. Solche inneren Grenzen sind zwar nicht starr,aber auch nicht beliebig erweiterbar. Der Lerner muss vor allem selbst bereit sein, seinen aktiven Beitrag zum Lernerfolg zu leis- ten; dazu gehören Motivation, persönliche Anstrengung, Durchhaltevermögen, Selbstdiszip-lin, die Bereitschaft zum Dialog und zur Veränderung. Man kann eine Sprache nicht mal ebenkonsumieren oder gegen Bezahlung „eintrichtern“ lassen. Methoden, die solches in Aussichtstellen, sind darum in doppelter Weise schädlich: Sie versprechen etwas, was sie objektivnicht einlösen können, und sie appellieren an Bequemlichkeit und Wunderglauben, untergra-ben so die Fähigkeit und Bereitschaft zum eigenverantwortlichen Lernen. Die Anwendung reflektierter Methoden erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit des Unterrichts- erfolgs, bietet jedoch keine Sicherheit. Die Effekte von Lehrbemühungen sind letztlich nichtkalkulierbar, da weder alle Variablen noch die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwi-schen den Wirkungsfaktoren bekannt sind. Unterricht hat insofern den Charakter eines dyna-mischen Systems, bei dem selbst unscheinbare Veränderungen in den Ausgangsbedingungenund/oder Prozessen zuweilen völlig unerwartete Ergebnisse auslösen können. Das sprichtzwar nicht gegen Unterrichtsplanung (auch Wettervorhersagen sind nicht sinnlos, weil ihnendie letzte Exaktheit fehlt), wohl aber gegen übertriebene Erwartungen. Der Pädagoge hat esmit Menschen zu tun, nicht mit Maschinen; es genügt nicht, ein paar Schalter zu bewegen,um mit Sicherheit die gewünschten Effekte zu erzeugen. Flexibilität, Offenheit und ein gewis-ses Maß an Frustrationstoleranz gehören zum Lehrberuf. Wer seinen Beruf professionellausüben will, muss lernen, die Unbestimmtheit der pädagogischen Situation auszuhalten undproduktiv zu wenden: Distanz zu wahren, auf Fehlschläge nicht resignativ, beleidigt, zynischoder mit Schuldzuweisungen zu reagieren, sondern solche Fehlschläge als Ausgangspunktfür eigene Lernprozesse zu begreifen. Es gibt kein Unterrichtskonzept, das für jeden Lerner, jeden Lehrer und jede Lernsituation gleichermaßen passt. Solange der Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen nicht restlosaufgeklärt ist (und wie könnte das bei solcher Komplexität der Fall sein?), muss jede Global-hypothese früher oder später an ihre Grenzen stoßen: Was heute gut läuft, kann morgen ausscheinbar unerfindlichen Gründen scheitern; was für die Kollegin X richtig ist, kann für denKollegen Y falsch sein. Insofern muss das Unterrichtskonzept ständig überprüft, handlungs-orientiert erforscht und neu gedacht werden; es orientiert sich an theoretischen Vorgaben,aber stets auch den konkreten Gegebenheiten – vor allem natürlich am aktuellen Lernverlaufund den Bedürfnissen der Lerngruppe. Insofern hat Methodik stets zwei Seiten: eine fachlich-konzeptuelle, die uns sagt, was wir warum tun, und eine prozessorientiert-offene, die uns erlaubt, flexibel und lernbereit aufErfahrungen zu reagieren. Konzepte geben uns die Möglichkeit, das Lernen zu lehren, Offen-heit erlaubt uns, das Lehren immer wieder neu zu erlernen. 261Anhang A: Verzeichnis der Schaubilder Schaubild 1: Steuerung einfacher Handlungen 8 Schaubild 2: Steuerung komplexer Handlungen 8Schaubild 3: – Gedächtnisspanne und Bildung von Superzeichen/ 1 32 – Gedächtnisspanne und Bildung von Superzeichen/ 2 32 – Gedächtnisspanne und Bildung von Superzeichen/ 3 33 Schaubild 4: Spektrum der Handlungsoptionen in der Beispielsituation 37Schaubild 5: Prozess der Sprachverarbeitung 44Schaubild 6: Ebenen des sprachlichen Input 64Schaubild 7: Übertragbarkeit von Sprachhandlungsmustern 66Schaubild 8: Lernverläufe und Lehrstrategien 79Schaubild 9: Das magische Viereck der Fremdsprachenmethodik: zwei Fähigkeitsprofile im Vergleich 81 Schaubild 10: Lernverlauf „formale Richtigkeit“ 82Schaubild 11: Makromethodische Merkmale der kommunikativen Methodik des Fremdsprachenunterrichts für leistungsheterogene Lerngruppen 92 Schaubild 12: Der Prozess der Wissenskonstruktion 95Schaubild 13: Die Konstruktionsphase 97Schaubild 14: Die Anwendungsphase (Gebrauch von Wissen) 98 Schaubild 15: Lauterkennung 103 Schaubild 16: V orstellungsinhalte und Kodierungsformen 111Schaubild 17: Semantische Reorganisation des Input und Tiefenverarbeitung 124Schaubild 18: Sprachanalyse und Tiefenverarbeitung 126Schaubild 19: Fähigkeitsprofil, Aussprachemethoden und Verarbeitungstiefe 136Schaubild 20: Bedeutungsmotivation im lexikalisch-semantischen Netz 139Schaubild 21: Fähigkeitsprofil, Verarbeitungstiefe und Methoden des Wortschatzlernens 145 Schaubild 22: Einfache Dialogstrukturen 192Schaubild 23: Der Kommunikationsprozess beim Schreiben/ Lesen 201 262B: Verzeichnis der benutzten Lehrmaterialien (nach Sprache und Erscheinungsjahr) Hoffmann, H.G., Hoffmann, B., Mepham, R.: Englisch für Sie. 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Acest articol: Szb Ildiko@yahoo.com 142 Methodik Axel Vielau Text (ID: 700486)
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