Inhaltsverzeichnis: [630756]

Inhaltsverzeichnis:

Einleitung ………………………….. ………………………….. ………………………….. …….. 1
1. Allgemeine Fakten über den Roman ………………………….. …………………….. 4
1.1. Bernhard Schlink – Kurzbiographie ………………………….. ………………… 5
1.2. Inhalt des Romans Der Vorleser ………………………….. …………………….. 6
1.3. Der Vorleser – Titelerklärung ………………………….. ………………………….. 9
1.4. Der Vorleser als moderner Roman ………………………….. ………………… 10
2. Bearbeitung der Thematik ………………………….. ………………………….. …….. 13
2.1. Darstellung der Thematik ………………………….. ………………………….. … 14
2.2. Einordnung des Werkes in der Literaturgeschichte ……………………… 17
2.3. Der Vorleser – Personenkonstellation ………………………….. …………….. 19
3. Aspekte der NS -Prozesse ………………………….. ………………………….. ………. 23
3.1. Vorgeschichte (die Juden und die KZs) ………………………….. …………. 25
3.3. Das Schuld – und Schamgefühl ………………………….. ……………………… 28
3.3.1. Schuldunfähigkeit und Schamangst Hannas – Eine
Rechtfertigung ………………………….. ………………………….. …………………… 31
3.3.2. Mimik, Gestik und Gesichtsaudrücke Hannas ……………………….. 34
3.3.3. Schilderung von Hannas Evolution ………………………….. …………. 37
3.3.4. Psychologische Betrachtungen anhand der Hauptgestalten …….. 41
3.3.5. Unmündigkeit oder Unzurechnungsfähigkeit ………………………… 43
4. Die Verfilmung des Romans Der Vorleser und seine Rezeption …………. 45
4.1. Rezeption des Romans ………………………….. ………………………….. ……. 50
4.2. Vergleich zwischen Der Vorleser und The Reader ………………………. 52
4.3. Kritische Perspektiv e der Verfilmung des Romans von Bernhard
Schlink, The Reader ………………………….. ………………………….. ……………… 56
Schluss betrachtungen…… ……………………………………….. …………..59
Bibliographie ………… ……………………… …………… …………. ………… 62

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit nimmt si ch vor, eine Auseinandersetzung mit dem Roman Der
Vorleser und dessen Verfilmung darzustellen, um eine klare Perspektive zu schaffen,
dass die Verfilmung des modernen Romans Bernhard Schlinks eine gelungene ist,
eine Verfilmung welche gleich vom Publikum a nerkannt und gepriesen wurde.
Die Arbeit konzentriert sich nicht nur auf den Vergleich zwichen dem Roman und der
Verfilmung. Ich habe mir vorgenommen, im ersten Kapitel, schrittweise vorzugehen,
vielfältige generelle Aspekte wie allgemeine Fakten über d en Roman, die
Kurzbiographie des Autors und ebenfalls die Wiedergabe der Handlung zu
berücksichtigen, um einen klaren Blick zu haben und eine möglichst professionelle
Analyse zu schaffen. Ebenfalls im ersten Kapitel habe ich mir vorgenommen, mich
mit dem m odernen Charakter des Romans Der Vorleser auseinanderzusetzen und
infolgedessen auch eine Deutung des Titels zu gestalten.
Im zweiten Kapitel setze ich mit der Darstellung und Bearbeitung der Thematik fort,
um einen klaren Blick zu ermöglichen, wovon diese r Roman handelt und wie man die
Handlung deuten könnte. Im Nachhinein wird in der Arbeit die Einordnung des
Werks in die Literaturgeschichte eingenommen und dessen Angehörigkeit zu der
Epoche des Moderne besprochen. Im weiteren Verlauf wechsele ich den Fok us und
widme die Aufmerksamkeit der Personenkonstelation. In diesem Unterkapitel werden
die zwei Hauptgestalten unter die Lupe genommen und analysiert.
Das dritte Kapitel fängt mit geschichtlichen und sozialen Aspekten an, berücksichtigt
generell die Aspe kte der NS -Prozesse, behandelt global und kurz die Vorgeschichte,
welche eine entscheidende Rolle für die Entstehung und für die Handlung des
Romans an sich hatte. Nach dem mehr oder weniger theoretischen und trockenen Teil
wird die Sculd – und Schamproblem atik angesprochen. Diese zwei Aspekte sind in
jeder Rezension des Romans oder der Verfilmung erwähnt worden, deshalb möchte
ich sie nicht auslassen, im Gegenteil, mich sorgfältig damit auseinandersetzen. Im
folgenden Unterkapitel gehe ich auf die Schuldunf ähigkeit und Schamangst Hannas
ein, versuche eine objektive Darstellung deren Aspekte und wenn möglich sogar eine
Rechtfertigung für Hannas Aktionen.

2 Die Komplexität der weiblichen Hauptgestalt des Romans ist dem Leser auf dem
ersten Blick nicht sehr ein deutig. Vielleicht auch durch die Tatsache, dass die ganze
Handlung aus der Perspektive Michaels erzählt wird, bleibt dem Leser den Eindruck,
dass Hanna eine nicht sehr komplexe Gestalt sei, sondern eine Gestalt welche viel
verbirgt und viel Nebel hinter s ich lässt. Bei einer näheren Betrachtung kann man im
Roman sogar ihre Mimik und Gestik analysieren, weil der Ich -Erzähler oft auch
darüber berichtet. Infolgedessen habe ich mich im nächsten Unterkapitel mit den
Gesichtsaudrücken Hannas beschäftigt und der en Deutung zu erklären versucht.
Im folgenden Unterkapitel werde ich mich ebenfalls mit Hanna Schmitz beschäftigen,
ihr Status wird unter die Lupe genommen und ich werde versuchen, eine
Schlussfolgerung zu formulieren, indem ich Hannas Evolution im Roman global
betrachten werde. Es wird sich die Frage stellen, ob Hanna Schmitz eine statische
Gestalt ist, eine Gestalt die sich entwickelt/eine Evolution macht, oder eine Gestalt die
einen Rückschritt/eine Involution macht.
Was mich persönlich daran sehr beg eistert, sind die psychologischen Betrachtungen
anhand der beiden Hauptgestalten. Deswegen werden diese im folgenden Unterkapitel
bearbeitet. Für mich persönlich war es eine Herausforderung herauszufinden, welchen
Einfluss Hanna auf Michael hatte und umgek ehrt. Die meisten würden einschätzen,
dass Hanna ausschließlich einen negativen Einfluss auf Michaels Entwicklung hatte,
es wird sich aber herausstellen, dass es auch positive Aspekte innerhalb der
Beziehung gab, Aspekte welche Michaels Weg und Entwicklung tatsächlich verändert
haben, aber nicht unbedingt in einem negativen Sinn.
Im letzten Unterkapitel des 3. Kapitels werde ich mich mit der möglichen
Unmündigkeit, beziehungsweise möglichen Unzurechnungsfähigkeit der weiblichen
Hauptgestalt befassen. Aller erst werden die zwei Begriffe erklärt werden und im
Nachhinein werde ich Argumente suchen, welche sowohl dafür als auch dagegen
sprechen, um am Ende dann eine klare Schlussfolgerung ziehen zu können, ob man
im Falle von Hanna Schmitz über Unmündigkeit oder Unzurechnungsfähigkeit
sprechen kann.
Im 4. und letzten Kapitel meiner Arbeit befasse ich mich hauptsächlich mit der
Verfilmung des Bestsellers Bernhard Schlinks. Das erste Unterkapitel konzentriert
sich also auf die Verfilmung des Vorlesers und auf die Rezeption des Romans und des
Films. Im nächsten Unterkapitel schaffe ich einen Vergleich zwichen dem Roman und
der Verfilmung und versuche herauszufinden, inwiefern die Verfilmung getreu dem

3 Roman gemacht wurde. Im letzten Unterkapitel des 4. Kapitels ver usche ich eine
kritische Perspektive der Verfilmung des Romans zu schaffen und die Wichtigkeit der
Schauspielerauswahl eines Films betonen, indem ich die in vielfältigen Rezensionen
gepriesene Schauspielerin Kate Winslet und ihrer Bedeutung für den Film be tonen
werde.
Mit dem 4. Kapitel findet meine Arbeit einen Abschluss, ich möchte aber noch meine
Auswahl bezüglich des Thema begründen: Nicht vor langer Zeit habe ich an einer
Fortbildung teilgenommen und bei dieser Gelegenheit wurden uns Sequenzen aus
dem Film The Reader gezeigt. Das Ziel dieser Filmabschnitte ging nur in Richtung
psychologischer Analyse, und Spezialisten und Psychologen versuchten verschiedene
Filmszenen mit uns, dem Publikum, zu analysieren und zu verdeutlichen. Ich kannte
dieses Werk sc hon aus der Schulzeit, war aber fasziniert auch von der Verfilmung und
von der psychologischen Interpretation der Handlung, Mimik, Gestik und Gedanken
und gleich nach der Fortbildung war Der Vorleser eine mögliche Variante für meine
Abschlussarbeit.
Ich k ann nur hoffen, dass es mir wenigstens in einem gewissen Maße gelungen ist,
eine ausgewogene und aus mehreren Perspektiven zusammengestellte Analyse des
modernen Romans und dessen Verfilmung darzustellen.

4 1. Allgemeine Fakten über den Roman

Der Vorlese r von B ernhard Schlink ist ein moderner Roman des 20. Jahrhunderts, ein
literarisches Ereignis. Gleichzeitig handelt es sich um einen Liebesroman wegen der
Liebesgeschichte zwischen Hanna und Michael, aber auch um ein en historische n
Roman , wegen de n Gesche hnissen aus dem II . Weltkrieg in den Konzentrationslagern
und ihre n Folgen.
Man kann keine der beiden zuvor vorgestellten Aspekte auslassen, weil sie im Roman
symbiotisch und parallel dargestellt werden. Die vorgestellte emotionale Geschichte
Michaels und Hannas ist meisterlich verflochten mit den geschichtlichen Aspekten,
somit gibt es einen Ausgleich und die strenge Eingliederung des Werks ausschließlich
als geschichtlicher Roman oder als Liebesroman ist unmöglich.
Schlinks Vorleser beinhaltet ebenfalls Stellen, welche sich vorwiegend auf
psychologische, emotionale und nonverbale Aspekte konzentrieren. Aus diesem
Grund könnte Schlinks Roman auch als moderner Roman mit psychologischem
Charakter betrachtet werden.
Bernha rd Schlinks Roman Der Vorleser ersch eint im Jahr e 1995 und erreicht
unmittelbar nach seiner Publikation den Bestseller -Status. Zu dem Zeitpunkt wird
behauptet , dass dieses Meisterw erk der erste Versuch gewesen war, den Holocaust
nicht nur aus geschichtlicher Perspektive darzustellen, sondern auch mit Hilfe von
Belletristik .
Trotz der vielen Kritiken und Debatten , die stattgefunden haben, wurde der Roman in
40 Sprachen übersetzt und darüber hinaus im Jahr 2008 verfilmt. The Reader ist der
Film , der den Roman lebendig und noch bekannter gemach t hat.

5 1.1. Bernhard Schlink – Kurzbiographie

Bernhard Schlink wurde am 6. Juli 1944 in Großdornberg bei Bielefeld geboren. Er
studie rt Jura und wird Professor für Ö ffentliches Recht. Später wird er Ri chter des
Verfassungsgerichthofes für das Land Nordreihn -Westfalen. Er hat viele Werke
geschrieben und auch viele Preise bekommen. Er schreibt nicht nur Belletristik,
sondern auch Fachbücher im Bereich Jura. Auch diese Bücher erleben einen großen
Erfolg , eines seiner Bücher, Grundrechte. Staatsrecht , erlebte die 30. Auflage und
wird bis heutzutage als Studiumsmaterial benutzt. Dieses Fachbuch schrieb er
zusammen mit Bodo Pieroth. Ein sämtliches Fachbuch, Polizei – und Ordnungsrecht
mit Versammlungsrecht , schreibt er ebenfalls mit Bodo Pieroth und Michael Kniesel.
Auch dieses Buch erlebt 7 Auflagen und ist sehr geschätzt von Fachleuten.
Als Belletristik -Schriftsteller kann der zeitgenössische Bernhard Schlink ebenfalls
stolz sein, er lebt und erlebt den Erfolg des Vorlesers , welches 1995 zum Bestseller
wird, in über 50 Sprachen übersetzt, und im Jahr 2008 sogar verfilmt wird. Nach der
gelungenen Verfilmung breitet sich die Sphäre der Leserschaft und Zuschauer des
Films noch mehr, sein Werk wird sehr geschätzt und wird als Pflichtlektüre für die
Epoche des M odernismus im Lehrplan eingenommen.
Er ist Schriftsteller, Rechtswissenschaftler, Mitglied hoher Justizbehörden und Jurist.
1995 schreibt er den Roman Der Vorleser , der welberühmt wird , in 40 Sprachen
übersetzt wird und 2008 wird der Roman auch verfilmt wird. 1 Heute lebt Bernhard
Schlink in New York und Berlin.
Schlinks Bücher behandeln laut Beate Dreike oft den Komplex Recht und
Gerechtigkeit. So erweist sich etwa in den selbigen Romanen das Gesetz als ein
unpassendes Instrument für die Herstellung von Ge rechtigkeit lange zurückliegender
Taten, und auch in Der Vorleser stellt sich die Frage, wie über Taten, die unter einem
anderen Rechtssystem begangen wurden, zu urteilen ist. Dabei bleibt das Buch in
seiner Position offen, was ihm auch Kritik eingebracht hat.

1 Munziger, Wissen das zählt : Bibiographie Bernhard Schlink.
http://www.munzinger.de/search/go/document.jsp?id=00000022973&preview=0

6 1.2. Inhalt des Romans Der Vorleser

Die Handlung des Romans Der Vorleser spielt sich im 20 . Jahrhundert ab . Der
Roman ist in drei Teile eingeteilt und der mittlere Teil umfasst das Ende des
Holocausts. Jeder Teil ist in Kapiteln eingeteilt , die die Geschehnisse voneinander
abgrenzen und wird von dem Ich -Erzähler , Michael Berg erzählt. Die drei Teile sind
sehr gut voneinander getrennt . Im ersten Teil des Romans wird die Liebesgeschichte
zwischen Hanna und Michael dargestellt. Der Roman fängt mit ein em einfachen, aber
essenziellen Satz an, ,,Als ich fünfzehn war, hatte ich Gelbsucht.“, welcher dem Leser
einen wichtigen Hinweis gibt, wie alt eine der Hauptgestalten ist. Eines Tages, gleich
nach dem Schulunterricht , geht Michael Berg die Straße entlang, als er sich plötzlich
erbricht und sich unwohl fühlt. In diesem Kontext lernt er die 35 -jährige Hanna
Schmitz kennen. Hanna kümmert sich um Michael und bringt ihn nach Hause. Noch
am selben Tag wird bei Michael seine Krankheit diagnostiziert, so erfahren wir, dass
es sich um Gelbsucht han delt. Michael überlegt , wie er sich bei Hanna bedanken kann
und kommt zu dem Entschluss , einen Blumenstrauß zu kaufen. Er macht sich also auf
den Weg und bringt Hanna einen Strauß Blumen, um ihr seine Dankbarkeit zu zeigen .
Michael möchte Hanna nicht aufhalten und hat die Absicht sich bald zu
verabschieden, diese bittet ihn jedoch zu warten, weil sie ihn ein Stück des Weges
begleiten möchte. Während sich Hanna umzieht, beobachtet sie Michael durch eine n
Türspalt, Hanna beme rkt das und Michael rennt davon.
Eine Woche später besucht Michael Hanna erneut. Bei dieser Gelegenheit bittet ihn
Hanna, Kohle aus dem Keller zu holen. Michael kehrt schmutzig und eingeschwärzt
vom Kohlenstaub zurück. Daraufhin bi etet ihm Hanna die Mögli chkeit , sich bei ihr zu
waschen und lässt ein Bad ein. Bei dieser Gelegenheit schlafen Hanna und Michael
das erste Mal miteinander, in derselben Nacht verliebt sich Michael in Hanna. Ab
diesem Moment entwickelt sich eine Art Routine oder Ritual und Michael schwänzt
jeden Tag die letzte Unterrichtsstunde, um auf Hanna zu warten, die um Zwölf Uhr
von der Arbeit kommt. Hanna bittet Michael ihr vorzulesen, während sie eine sehr
aufmerksame Zuhörerin ist. Sobald Osterferien sind, fährt Michael mit der ersten
Bahn nach Schwetzingen, um bei Hanna zu sein. Sie arbeitet als

7 Straßenbahnschaffnerin. Die Zeit, die sie diesmal zusammen verbringen ist zum Teil
verschieden, es kommt oft zu Streitigkeiten, Michael nimmt aber die Schuld auf sich,
um Hanna nicht zu kränken. Ein solche r Zwischenfall findet eines Morgens statt, als
Michael Hanna einen Zettel hinter lässt und für d as Frühstück einkauf en geht . Als
Michael zurückkehrt ist Hanna sehr zornig und der Zettel nicht mehr auffindbar. Die
beiden unternehmen auch eine Fahrr adtour in den Ferien und wir erfahren, dass sich
Michael vor allem auf diese Nächte sehr freut. Nachdem die Ferien zu Ende sind,
wird die Klasseneinteilung neu gemacht und Michael verbringt neben der Zeit mit
Hanna auch einige Zeit mit seiner Klasse im Sch wimmbad. Wieder mal schlafen
Hanna und Michael zusammen, später sieht er Hanna im Schwimmbad, geht aber
nicht zu ihr. Am nächsten Tag ist Hanna plötzlich aus ihrer Wohnung ausgezogen und
verschwunden. Michael fragt sich, ob es seine Schuld gewesen sei, ode r ob er Hanna
verraten habe.
Der erste Teil endet also mit der Abfahrt Hannas, was zum zweiten Teil führt. Hier
erfahren wir, dass Michael jetzt älter ist, Jura studiert und mit seiner Gruppe bei den
Nürenberger Prozesse n dabei sein muss. Die Haupthandlung wird hier von Hannas
Anwesenheit bei den Verhandlungen geschildert. Sie wurde wegen Mordverdacht
verurteilt , da sie in einem KZ gearbeitet hat. Hanna ließ sich im KZ immer von
jungen Mädchen vorlesen, danach wurden diese selektiert , indem sie sich nur die
Schwachen aussuchte . Bei einem Todesmarsch von Krakau nach Auschwitz schläft
Hanna mit Häftlingen und anderen KZ Aufsehern in einer Kirche, als in der Nacht ein
Feuer ausbricht. Weil keiner der Wärter die Tür aufschließt, sterben alle Insassen bis
auf ein e Mutter mit ihrer Tochter. Hanna gibt zu, damals den Bericht geschrieben zu
haben, obwohl sie, wie sich später in dem Buch herausstellt, Analphabetin ist.
Michael fährt in ein ehemaliges Konzentrationslager, um Hanna in der damaligen
Situation einerseits zu verstehen, andererseits zu verurteilen. Als Michael
herausfindet, dass Hanna Analphabetin ist, beschließt er zum obersten Richter zu
gehen und es ihm mitzuteilen . Beim obersten Richter
angekommen , erwähnt er Hannas Analphabetismus allerdings nicht. Hann a bekommt
eine lebenslängliche Haftstrafe.
Im dritten Tei l ist Michael schon etwas älter , er heiratet als Rechtsreferendar Gertrud
und sie bekommen eine Tochter namens Julia. Als Julia fünf ist, lassen sich die beiden
scheiden. Hanna ist inzwischen schon mehrere Jahre im Gefängnis und Michael
beginnt, Bücher auf Kassetten vorzulesen und sie ihr in das Gefängnis zu schicken.

8 Vier Jahre später bekommt Michael die erste Antwort von Hanna, die sich für die
Kassetten bedankt . Er selber schreibt Hanna allerdings nie. Nach 17 Jahren Haft erhält
Michael einen Brief der Gefängnisleitung. Die Leiterin schreibt Michael, dass Hanna
wahrscheinlich in einem Jahr entlassen wird und bittet ihn, sich für sie um eine
Wohnung, eine Arbeitsstelle und um Freizeitprogramme zu kü mmern und Hanna im
Gefängnis zu besuchen. Er besorgt eine Wohnung und eine Arbeitsstelle für sie,
besucht Hanna allerdings zunächst nicht, sondern erst eine Woche vor Hannas
Entlassung aus dem Gefängnis , als er bemerkt, dass die Hanna von früher inzwischen
eine alte Frau ist. Ebenso schenkt er Hanna keinen Platz mehr in seinem Leben. Am
Tag ihrer Entlassung begeht Hanna Selbstmord und erhängt. In Begleitung der
Gefängnis leiterin sieht Michael sich Hannas Zelle an und findet Bücher über
Konzentrationslager aber auch klassische Literatur. Hanna hat mit Hilfe von Michaels
Kassetten lesen gelernt. Sie hinterlässt auch ein Testament. Die 7000 DM von ihrem
Konto sollen der Mutter und der Tochter, welche den Kirchenbrand überlebten,
übergeben werden. Da für fährt Mi chael nach New York und er überweist das Geld an
die Jewish League Against Illiteracy in Hannas Namen.
Die Organisation bedankt sich mit einem Brief an Hanna für die Spende. Michael
nimmt den Brief und besucht ein letztes Mal Hannas Grab auf dem Friedhof.

9 1.3. Der Vorleser – Titelerklärung

Der Titel des Romans wird eigentlich vom Leitmotiv gegeben, nämlich das Vorlesen,
der Vorwand für die ungeeignet verbrachten Momente /für die anrüchige Beziehung
zwischen Hanna und Michael. Meiner Ansicht nach, ist da s Vorlesen als ein
erregendes Moment zu betrachten, es ist also die Aktivität, welche die sogenannte
Schuld für Hannas bewusstes Handeln trägt. Ich habe das Vorlesen als Leitmotiv
betrachtet, aus dem einfachen Grund, dass es immer wieder auftaucht und so z u
sagen, das Vorspiel ihrer sexuellen Beziehung darstellt.
Der Roman könnte natürlich auch einen anderen Titel tragen, aber nachdem der Leser
mit der Handlung vertraut ist, kommt er zu dem Beschluss, dass somit ein gewisser
Abstand von der Handlung gescha ffen wird, eben dass der Leser nicht selbst
mitempfinden muss, meiner Ansicht nach, eher mitdenken und reflektieren muss.
Man kann es so annehmen auch durch die Tatsache, dass der Ich -Erzähler (Michael
Berg) erst in seinem reifen Alter in die Vergangenheit rückblendet und aus der Truhe
die Ereignisse ans Licht bringt. Er wartet also bis alles gereift, sogar abgelaufen und
geschlossen ist, um eine klare und möglich st getreue Perspektive zu schaffen.
Das Vorlesen taucht, wie auch vorhin erwähnt, mehrere Male auf, es spricht bis zu
einem gewissen Punkt für die heißen Momente zwischen Hanna und Michael, aber es
ist ebenfalls auch der Grund für Hannas Unfähigkeit selbst zu lesen und die
wunderbare Welt der Literatur persönlich kennenzulernen. Sie lässt sich so zu sagen
ein Gefallen tun, wir erfahren sogar, dass sie eine brave Zuhörerin ist , hört also
Michael ganz aufmerksam zu und nachdem die mentale Anstrengung,
beziehungsweise angenehme Entspannung zu Ende ist, begibt sie sich der
körperlichen, physischen Befrie digung zusammen mit Michael.
Michael, der Held oder das Opfer einer erwachsenen Frau ist also derjenige, der den
Titel dieses modernen Romans gibt, nicht mit seinem eigentlichen Namen, eher mit
seiner relevanten bewusst oder unbewusst eingegangenen Rolle.

10 1.4. Der Vorleser als moderner Roman

Der moderne Charakter des Roman s im Falle des Vorlesers zeich net sich durch seine
Kompl exität und gleichzeitig seine Einfachkeit aus. Im modernen Roman nimmt man
Abschied von der Fabel, vom olympischen Erzähler und von den Helden. Im Roman
wird nicht chronologisch erzählt , es können Synkopen auftauchen, Zeitraffungen,
Zeitdehnungen und Sprünge . Durch Rückblend en, Errinerungsmonologe,
Assoziationen wird Vergangenes oft in den Fortgang der Handlung eingebaut.
Eigentli ch ist der Roman Der Vorleser eine Rückblendung des Autors in d ie
Vergangenheit. Die vergangenen Handlungen werden von dem Ich -Erzähler
geschildert und das kann man gleich am Anfang des Romans bemerken „ Als ich
fünfzehn war, hatte ich Gelbsucht…im Oktobe r.“2 Der Ich Erzähler Michael Berg, der
sich – im Rückblick – schreibend an wichtige Momente seines Lebens er innert, greift
im ersten Teil ( S. 5- S.81) biographische Erlebnisse des Zeitraums von Oktober 1958
bis Anfang August 1959 heraus .
Die Ich -Erzählfor m ist als autobiographisch zu bezeichnen. Das Autobiographische
der Erzählform zeigt sich darin, dass der Ich -Erzähler aus einer gewissen zeitlichen
Distanz heraus , bestimmte Ereignisse aus seinem Leben in der Ich -Form erzählt.
Bereits im zweiten Kapitel d es Werkes kann man beobachten , wie groß die
Zeitspanne zwischen Michael Berg s Erlebnissen und das Moment des Erzählens ist
„Das Haus in der Bahnhofstraße steht heute nich mehr“3. Es spielen sich
wahrscheinlich im Kopf von Michael viele Momente ab, wichtige Erinnerungen aus
diesem ehemaligen Haus . Erst im letzten Kapitel wird die Geschichte in der
Gegenwart des Erählers geschildert.
Ein typisches Merkmal des modernen Romans ist, dass der Held zum Antiheld wird.
Hanna kann , muss aber nicht nur als ein Antihel d betrachtet werden . Es gibt mehrere
Gründe , welche die vorige Aussage unterstützen. Ihre Entwicklung als Gestalt ist
kaum bemerkbar, sie gibt sich überhaupt keine Mühe einen Fortschritt zu machen und
man kann deshalb sogar annehmen, dass sie auf demselben Niveau bleibt, wenn nicht
sogar eine Involution /einen Rückschritt macht.

2 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Ver lag, 1995 , S. 5 .
3 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 112

11 Was den modernen Roman prägt , ist die Schreibhaltung des Ich -Erzählers, die
emotionale Nähe ist dennoch an den meisten Stellen spürbar. Oft wirkt das, was
Michael am Ende des Romans schreibt, auf den Leser irritierend.
Zum Schluss bekundet er selbst zufrieden, seine Geschichte sei „rund, geschlossen
und gerichtet“. Trotzdem lässt er zum Beispiel bei der Beschreibung des zweiten
Besuchs des 15 -jährigen Michael bei Hanna den Leser in d ieselbe Falle laufen, in die
bereit s der Junge geraten ist: Hanna würde sich normal verhalten, ,,Ich würde mich
normal verhalten, und alles würde wieder normal sein“, „vernünftelt“ der 15 -Jährige,
und der 52 -jährige Michael sieht keinen Grund, dem Leser an zudeuten, dass es anders
sein könnte. Eine ironische Distanz zur Sichtweise des „vernünftelnden“ 1 6-Jährigen
ist allenfalls implizit in dem künstlich erschaffene n Wort „vernünfteln“ zu erkennen.
Der 52 -jährige erklärt seine akademische Karriere damit, dass er die
Standardtätigkeiten eines Juristen mit Distanz betrachte; er verabscheue die Art, wie
Richter, Anwälte oder Staatsanwälte Urteile fällten . Gleichwohl bildet er sich „nach
Aktenlage“ ein e Meinung über die inhaftierte Hanna, die er zwar nicht besucht , aber
Literatur über den Analphabetismus vorliest und aufnimmt . Er kommt zu der Ansicht,
sie sei ein „unmündiger“ Mensch. Dieses Urteil revidiert der 52 -Jährige später nicht,
auch nicht nachdem der Leser erfahren hat, dass Hanna gelernt habe, sich Autorit äten
zu widersetzen und sogar einen Sitzstreik durchgeführt habe.
Die Aussagen diverser Frauen lässt der Erzähler kommentarlos im Raum stehen,
obwohl sie seinen Reflexionen zum Teil erheblich widersprechen. So zitiert er z. B.
die Aussage der jüngeren amer ikanischen Jüdin im Prozess gegen Hanna, sie habe
angenommen, Hanna unterhalte zu den Vorleserinnen lesbische Beziehungen („und
wir dachten, daß sie mit ihnen…“ – gleiche Andeutungstechnik wie im Gespräch mit
Michael in New York –) sowie das sich anschli eßende Dementi („Aber so war es gar
nicht“). Später traut er sich aber nicht recht, denselben Verdacht explizit
auszusprechen: Indem er sich fragt: „Und wer war ich für sie gewesen? Der kleine
Vorleser, den sie benutzt hatte, der kleine Beischläfer, mit de m sie ihren Spaß gehabt
hatte? Hätte sie mich auch ins Gas geschickt, wenn sie mich nicht hätte verlassen
können, aber loswerden wollen?“, zeigt er, dass er eine Parallele zwischen sich und
den Vorleserinnen sieht, und zwar in dem Dreierschritt „Vorlesen l assen – sexuellen
Spaß haben – in den Tod schicken “.

12 Der Vorleser ist ein moderner Roman durch seine Struktur, Erzählweise und
Erzählperspektive. Bernhard Schlink hat es i n dem Roman geschafft, komplexe
Ereignisse in einer einfachen Form darzustellen.

13 2. Bearbeitung der Thematik

Das Thema des Romans ist nun, wie Bernhard Schlink in Interviews immer wieder
betont hat, das Schicksal dieser zweiten Generation und ihre Verstrickungen in die
Schuld der Tätergeneration des nationalsozialistischen Deutschla nds.
Michael Berg wurde 1943 geboren und damit ist er ein Vertreter der Zweiten
Generation, derjenigen Deutschen, die während des Zweiten Weltkrieges oder in den
unmittelbar darauf folgenden Jahren geboren wurde. Typisch für diese Generation ist
es, dass s ie ihre Vorfahren schuldig für den Holocaust halten. Anschliessend wird
diese Thematik näher behandelt.
Der Vorleser von Bernhard Schlink ist ein moderner Roman des 20. Jahrhunderts, ein
literarisches Ereignis. Gleichzeitig handelt es sich um einen Liebes roman wegen der
Liebesgeschichte zwischen Hanna und Michael, aber auch um einen historische n
Roman, wegen den Geschehnissen aus dem II. Weltkrieg in den Konzentrationslagern
und ihren Folgen.
Bei einer näheren Betrachtung des Romans erscheinen mehrere Mögl ichkeiten und
Perspektiven , von denen man ausgehen kann, um noch besser einige Aspekte des
Romans zu analysieren und zu deuten. Für mich persönlich war auch der Fokus auf
die psychologischen Aspekte von großer Bedeutung und in einem der folgenden
Kapiteln wird dieser Aspekt näher angesprochen werden.
Schlinks Meinung, die er auch in den Interviews mehrmals geäußert hat , wird
ebenfalls in Betracht gezogen. Deshalb wird auch seitens dieser Perspektive eine
Analyse gemacht werden, welche dann ausgeweitet wird und mit einer Filmanalyse
fortsetzt, um einen Vergleich zwischen dem Roman, dem Originalwerk, zu schaffen
und der Verfilmung aus dem Jahr 2008.

14 2.1. Darstellung der Thematik

Der Roman behandelt die Schuld der Tätergeneration des nationalsozialistisc hen
Deutschlands. D ie Hauptproblematik stellt die verschieden Schuldgefühle dar. Zum
einem gibt es ein moralisches Problem auf Hannas Seite, dass sie eine Beziehung
eingeht , in der nicht nur, dass das „Jungchen“ als sie jünger ist, aber e s ist auch
minderj ährig. Sie ist 36 und er nur 15 Jahre alt.
Als nächstes ändert sich Michaels Mentalität , da er in einem jungen Alter reif wird. Er
verbringt die Zeit nicht mit Jugen dlichen, sondern nur mit Hanna und das verhindert
ihn den Kontakt mit Menschen seines Alte rs aufzunehmen. Allmählich beginnt
Michael Zeit auch mit den Schulkollegen zu verbringen , und langsam kommt er zu
dem Beschluss, dass es auch andere Mädchen, bzw. Frauen gibt, nicht nur Hanna.
„…Schwimmbad…Dort fand das gesellschaftliche Leben der Kla sse statt, und es
bedeutete mir viel dabeizusein und dazuzugehören.“4 Bei dieser Gelegenheit bemerkt
er auch Sophie, eine Mitschülerin.
An einem Tag unternehmen Hanna und Michael eine Fahrradexkursion und verlassen
die Stadt . Dort wo sie übernachten , sagen sie, dass sie Mutter und Sohn sind. Diese
kranke Erklärung stört Michael gar nicht , da er blind vor Liebe ist. Als er ihr am
nächsten Morgen einen Zettel hinterlässt, dass er bald zurück sei, verprügelt Hanna
Michael als er zurückkommt. Als Entschuldigung benutzt sie die Angst davor , dass
Michael nicht mehr zurückkommt.
Von hier a us erfährt man Hannas Geheim nis, nämlich dass sie Analphabetin ist.
Obwohl Michael viel Zeit mit Hanna verbracht hat, hat er nie bemerkt, dass sie nicht
lesen und schreiben kann . Kurz nach Hannas Prozess, ist Michael auf einem
Spazie rgang im Wald plötzlich auf den Gedanken gekommen , dass sie eigentlich ihr
ganzes Leben Analphabetin gewesen ist. Nach so vielen Jahren hat er es endlich
bemerkt und verstand es auch , dass sie sich ni cht bloßstellen wollte. „Deswegen? Daß
sie sich schämte, nicht lesen und schreiben zu können, und lieber mich befremdet als
sich bloßgestellt hatte, verstand.“5

4 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995, S. 70
5 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 127

15 In dem Augenblick als sie zum Strand ging und er sie ignorierte , beginnen die
Schuldgefühle für Michael. Er fühlt sich schuldig, dass sie so handelt, aber weiss
nicht genau was er getan haben könnte. All die Jahre , die ganzen Fragen überhäufen
ihn, als er sie beim Prozess wieder sieht. Die mächtigen, quälenden Schuldgefühle
werden wieder wach, als Mi chael erfährt, dass Hanna zu den Tätern der NS Morde
zählt. Die Verarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit war ein Tabu -Thema
nach 1945. Er konnte sie weder vollständig beschuldigen , da er noch Gefühle für sie
hatte, noch mit den Studenten sie ganz ank lagen. ”Aber ich wollte mehr, ich wollte
das gemeinsame Eifer teilen. Die anderen mögen mich immer als distanziert und
arrogant empfunden haben“.6 Später , bei der Beerdigung eines seiner Professoren aus
der Uni , trifft Michael einen Kollege n, der auch beim Prozess dabei war , und wirft
ihm folgendes vor: ”Dich hat der Proze ß besonders intere ssiert? Der Proze ss oder die
Angeklagte, die du immer angestarrt hast? Wir haben uns alle gefragt, was mit dir und
ihr ist, aber dich fragen hat sich keiner getraut.“7
Von den Schuldgefühlen zeugt auch Michaels Geste als er Hanna im Gefängnis
besucht. Er stand neben ihr , sie roch eigentlich nach einer alten Frau, aber er rückte
näher. „Ich hatte gemerkt, da ss ich sie zuvor enttäuscht hatte, und wollte es jetzt
besser und w iedergutmachen.“8
In Michael gab es ein en inneren Kampf zwischen der ehemaligen Liebe, Hanna als
Schuldige und seinem Gewissen die Täter der NS Zeit zu beschuldigen. Einerseits
fand er sie schuldig, aber andererseits versuchte er nachzudenken , wie er sie a ufgrund
ihres Analphabeti smus retten könnte , obwohl er das nicht schafft. Er hat te versuc ht,
mit seinem Vater zu sprechen, diesem das Problem so zu schild ern, dass der Vater
nicht merken konnte , um we n es sich handelt e und als Antwort bekam er: „Man muß
ihm das letzte Wort lassen, aber man muß mit ihm reden, mit ihm, nicht hinter seinem
Rücken mit jemand anderem.“9 Michael hat ihr das letzte Wort gelassen und nichts
gemacht. Er hat ja auch nie mit jemande m über Hanna oder seine Gefühle für sie
gesprochen. D iese Situation hat er in sich ver steckt bis zu dem Zeitpunkt , als er mit
der Tochter der Frau , die im KZ gestorben war, gesprochen hat. Weil sie fragen
stellte , hat er zugegeben , Hannas Vorleser gewesen zu sein , und eine i ntime
Beziehung mit ihr gehabt zu haben.

6 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 89
7 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 169
8 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 186
9 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 138

16 Zur Problematik des Romans zählen nicht nur Michaels Schuldgefühle , sondern auch
Hannas Schuldgefüh le. Sie hat sich an der Ermord ung der Gefangenen beteiligt, hat
normverletzende Sexualität begangen wegen de s Alter sunterschied s und Michael
gedehmüt igt, als sie ihn geschlagen hat. All das macht auch Michael verantwortlich
für nor mverletzende Sexualität, für die Liebe zu einer Mörderin, einer NS -Täterin.
Im Roman spricht man auch über eine Kollektivschuld der Elter ngeneration. Sie
wurden als Mitläufer gesehe n, die sich an das Regime angepasst haben . Viele der
damaligen NS -Überlebenden haben sich wegen de r durchgemachten Zeit umgebrach.
Das kann auch eine mögliche Erklärung für Hannas Tat sein.
Am Ende erfährt man, dass Michael trotz der vergangenen Jah re ihre Geschichte
aufgeschrieben hat :
„Jedenfalls denke ich das, wenn ich einfach so an sie denke. Wenn ich jedoch verletzt werde,
kommen wieder die damals erfahrenen Verletzungen hoch, wenn ich mich schuldig fühle, die
damaligen Schuldgefühle, und in he utiger Sehensucht und Heimweh von damals. Vielleicht
habe ich unsere Geschichte doch geschrieben, weil ich sie loswerden will auch wenn ich es
nicht kann.“10

Er denkt immer noch , an sie und tief in seinem Unterbewu sstsein denkt er noch was er
richtig mach en konnte. Es taucht also eine Unsicherheit Michaels auf, jedoch seine
Absicht ist klar, er möchte die Vergangenheit zurücklassen und die weniger
glücklichen Momente überwinden.

10Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 206

17 2.2. Einordnung des Werkes in der Literaturgeschichte

Der Vorleser erschie n zum ersten Mal im Jahr 1995, viele Jahre später nachdem die
Judenverfolgung und Judenermordung in Massen gerichtet war. Dieser Roman stellt
unter andere m eine Möglichkeit dar, die tragischen und traurigen Geschehnisse der
damaligen Zeitspanne zu verarbei ten und in einer fiktionalen Form mit anderen
Ereignissen zu verbinden, um daraus nicht nur das Tragische zu unterstreichen,
sondern auch das Umgehen der Menschen miteinander in der damaligen Zeit. Der
Roman hat also Zeit gebraucht, hat auch die Wende von 1989 hinter sich ge bracht und
ist erst dan ach ans Licht gekommen.
Der Vorleser galt sieben Jahre lang als erster wirklich gelungener deutscher Versuch,
den Holocaust in fiktionaler Form literarisch darzustellen. Außer Bernhard Schlink
haben zuvor auch and ere Autoren versucht das Thema Holocaust zu bearbeiten.
Die zentralen Erken ntnisse aus dem Frankfurter Auschwitz -Prozess fanden in Peter
Weiss’ dokumentarischem Theaterstück Die Ermittlung . Oratorium in 11 Gesängen
1965 Eingang in die Literatur. Weiss wies in seinem in Ost – und Westdeutsc hland
zur gle ichen Zeit uraufgeführten Drama , das auf Protokollen des Auschwitz -Prozesses
beruhte und dennoch von literarischen und fiktionalen Gestaltungsmitteln Gebrauch
machte, besonders auf die Rolle des Kapitalismus i n der Geschichte des Holocaust
hin.
Ein andere r bekannter Roman zu dem oben genannten T hema ist „Schindler’s Ark“
von Thomas Keneally. Mit Mitteln der Fiktion versucht der Autor das Thema
litera risch zu verarbeiten. Der Roman über den deutschen Industriell en Oskar
Schindler wurde zw ölf Jahre später von Steven Spielberg unter dem T itel: Schindler’s
List äußerst erfolgreich verfilmt. Kontrovers diskutiert wurde, dass Keanelly eine
positive deutsche Figur zeigt, die tro tz ihrer Verstrickung in das NS -System du rch die
Rettung hunderter Menschen zur Identifikation einlud.

18 Auch der Protagonist des Romans „Time’s Arrow“ des britischen Autors Martin Amis
ist SS – Arzt. Die Person Josef Mengeles, wird im Roman mehrmals erwähnt. Das
Besondere an diesem Werk ist darü ber hinaus die Umkehrung des Erzählvorgan gs.
Das Buch beginnt mit dem Tod des Protagonisten und endet in seiner Kindheit, was
die in Auschwitz vollzogene Umkehrung aller Werte symbolisiert.

19 2.3. Der Vorleser – Personenkonstellation

Die Hauptpersonen des Romans s ind Mi chael Berg und Hanna Sch mitz. Als
Nebenpersonen gibt es Michaels Familie, ein p aar seine r Mitschülern, Kommilitonen,
ein Professor und ein Student, Gertrud und Julia. Die Tochter der Frau aus dem KZ ist
auch eine Nebenfigur , wie a uch die Wäc hterin des Gefängnises . Der Richter, der
Anwalt und die anderen Angeklagten in Hannas P rozess treten nur beim Prozess auf.
Michael Berg , der Ich -Erzähler, ist 1 6 Jahre alt , als er seine Geschichte zu erzählen
beginnt. Michael ist Schüler, leidet an Gelbsu cht und als er sich einmal auf der Straße
nicht wohl fühlt , trifft er Hanna , die ihn nach Hause begleitet. Hana ist 36 Jahre alt
und ist Schaf fnerin. D ie beiden haben eine intime Beziehung , die das Vorlesen
miteinbezieht. Michael li est Hanna verschiedene S tücke vor und das findet sie an ihm
faszinierend. Ihre Beziehung dauert über Jahre bis an dem Zeitpunkt als sie sich dafür,
entscheidet aus der Stadt wegzuziehen. Letzendlich treffen sie sich wieder bei den
Nürnberger Prozessen , wo Hanna als Angeklagte da steht. Michael ist verblüfft , sie
wieder zu sehen und nachdem d er Prozess zu Ende ist , bemerkt er , sie ist eigentlich
Analphabetin ist und das s sie das ihr ganzes Leben versteckt hat.
Während er ihr Kasetten mit vorgelesesen Stücke n ins Gefängnis schickt, lernt sie
langsam schreiben. Als de r Moment kommt , aus dem Gefängni s entlassen zu werden ,
begeht sie Selbstmord. Für sie wäre es nach 18 Jahren Gefän gnis zu schwer gewesen
ein neues Leben anzufangen, alt zu sein und vor ihrem „Jungchen” als alt erlebt zu
werde n.
Nicht nur Michael hat Schuldgefühle , was ihre Beziehung angeht , sondern auch
Hanna. Während der Zeit, die sie im KZ verbracht hat, hat sie sich die Schwachen
ausgesucht , und zum Vorlesen gezwungen . Das ist eine An deutung, dass sie Michael
vermisst , denn als er ihr später Kassetten ins Gefängniss schickt , ist sie sehr glücklich.
Sie litt auch unter dem Gedanke, dass sie Menschen in den Tod geschickt hat.
Im Gefängnis hat sie versucht , Bücher über d as KZ zu lesen und über die Frauen , die
dort gearbe itet haben , mehr zu erfahren. Kurz vor ihrer Entlassung , besucht Michael
Hanna im Gefängnis . Nach so vielen Jahren sehen sich die beiden wieder , und sind
endlich in der Lage , miteinander zu sprechen. Michael trifft eine ältere Hanna, mit

20 derselben Stimme, aber de n frische n Geruch von damals sich jetzt mit dem Geruch
einer Alten gemischt hat: „Ich saß neben Hanna und roch eine alte Frau”.11 Sie hatte
„Graue Haare, ein Gesicht mit tiefen senkrechten Furchen in der Stirn, in den Backen,
und ein en schweren Leib. ”12 Ausschließlich war es nicht mehr dieselbe Hanna , doch
innerlich war sie immer die 36 -jährige Hanna , die er mit 1 6 kennengelernt hat , und
die ihm auch gegenwärtig „Jungchen” gesagt hat. Nach ihrem Tod erfährt man, dass
sie ihr Geld der Tochter einer Frau , mit der sie im KZ war, hinterlassen hatte , und
Michael dieser das Geld in einer Dose bringen musste .

Michaels Mutter wird im Roman nahezu kaum erwähnt. Michael erinnert sich an
einer Stelle daran, wie sie ihn als Kind liebevoll gewaschen hat. Weiterhin wird
erwähnt, dass sich seine Mutter Sorgen um ihn machte , als er zu spät nach Hause
kam. Außerdem war sie es, die ihn dazu ermuntert hat, zu Hanna zu gehen , um sich zu
bedanken (nachdem Hanna ihm auf dem Nachhauseweg geholfen hatte). Man kann
nur vermute n, dass Michaels Mutter wahrscheinlich recht fürsorglich war. Auch ihren
Namen erfährt man nicht.
Michaels Bruder ist drei Jahre älter als er. Als Kinder haben sich beide häufig
gestritten. Da Michael dabei als der Jüngere von beiden in der Regel unterlege n war,
gab er es irgendwann auf , auf die Provokationen seines Bruders zu reagieren. Seitdem
beschränkt sich der Bruder laut Michael darauf, ihn ständig zu kritisieren bzw an ihm
zu nörgeln.
Von Michaels älterer Schwester erfährt man nur sehr wenig im Roman . Michael
versucht vor ihr seinen Besuch bei Hanna mit Hilfe einer gewagten Ausrede zu
verstecken. Während sein großer Bruder sofort anfängt , diese Ausrede kritisch zu
hinterfragen, schaut ihn seine ältere Schwester nur prüfend an. Vermutlich hat sie
erkan nt, dass es sich nur um eine Ausrede handelt, lässt ihm aber mehr Freiraum als
der Rest der Familie.
Michael beschreibt seine jüngere Schester als "frech" und ist der Ansicht, dass sie es
als jüngstes Kind gelernt habe , sich durchzusetzen. Außerdem trampe sie manchmal ,
obwohl seine Eltern das nicht gerne sähen. In Kapitel 12 versucht Michael seine
jüngere Schwester dazu zu bekommen, über Ostern nicht (mit ihm) zu Hause zu
bleiben. Anstatt einfach einzuwilligen verlangt sie aber Kleidung als Bezahlung dafür .

11 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 186
12 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 184

21 Diese solle er zur Not auch stehlen, wenn er das Geld dafür nicht habe (was Michael
dann auch tatsächlich tut).

Die Gefängnisdirektorin erscheint nur im dritten Teil des Romans. Sie wird in erster
Linie positiv beschrieben, so äußert Michael „Ich hatte schon von ihr gehört; ihre
Anstalt galt als außergewöhnlich, und ihre Stimme hatte in Fragen der Reform des
Strafvollzugs Gewicht“ 13.
In Briefen bittet sie Michael darum, sich schon mal vorsorglich um Hanna nach ihrer
Entlassung aus dem Gefängnis zu kümmer n. Auch später beschreibt die
Gefängnisdirektorin Hanna eher positiv, wodurch sie sich deutlich von denjenigen
unterscheidet, die Hanna nur verurteilen und ihr Schuld zuweisen. Offensichtlich hat
der Umgang mit Straftätern/Straftäterinnen ihr Sichtfeld erw eitert, was sich wiederum
günstig auf die Reintegration der Gefangenen auswirkt. Nichtsdestotrotz stört Michael
aber auch das Verhalten der Direktorin, da sie ihn mit seiner Vergangenheit
konfrontiert und nach Hannas Tod lästige/kritische Fragen stellt.
Auf dem Weg zum KZ Struthof fährt Michael bei einem Fahrer mit, den er vom
Aussehen her wie folgt beschreibt: „Er war mittleren Alters, hatte ein hageres Gesicht,
ein dunkelrotes Mutter -oder Brandmal an der rechten Schläfe und strähnig
gekämmtes, akkurat ges cheiteltes schwarzes Haar“.14
Aus dem Gespräch zwischen Michael und dem Fahrer geht hervor, dass dieser früher
Offizier bei der Wehrmacht war. Er versucht, die Gründe für das damalige Verhalten
der Mensc hen zu erläutern bzw. zumindest das Verhalten zu
entsc huldigen/herunterzuspielen. Dabei geht er auf ein Foto ein, welches ihn als
Offizier während einer Erschießung von Juden zeigt. Er beschreibt seinen
Gesichtsausdruck wie folgt:
Er kuckt ein bißchen verdrießlich. Vielleicht geht es ihm nicht schnell genug v oran.
Er hat aber auch etwas Zufriedenes, sogar Vergnügtes im Gesicht, vielleicht weil
immerhin das Tagwerk geschieht und bald Feierabend ist.15

Michael trifft auf den Richter während der Gerichtsverhandlung i m 2. Teil . Viel
erzählt er nicht von ihm. Das e inzige auffällige Charakteristikum ist, dass der Richter
während der Verhandlung immer wieder seine Brille abnimmt und irritiert guckt, um
etwas Zeit zum Denken zu gewinnen. Abseits davon hat Michael ein Gespräch mit

13 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 182
14 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 144
15 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 147

22 ihm in Kapitel 16. Dabei äußert er sich wie folgt über den Gesichtsausdruck des
Richters:
Zitat:

Er wirkte entspannt, ein Mann, der sein Tagwerk vollbracht hat und damit zufrieden
ist. Ohne den irritierten Gesichtsausdruck, hinter dem er sich während der
Verhandlung verschanzte (…)16

Diese Formulierung ist auffällig ähnlich jener , die der Fahrer und ehemalige Offizier
verwendet. In beiden taucht das Wort "Tagwerk" auf und in beiden wird ein Kontrast
zwischen eher negativem Gesichtsausdruck während der Arbeit und eher positivem
Gesichtsausdru ck nach der Arbeit bzw. im Hinblick auf den Feierabend hergestellt.
Diese Gemeinsamkeit unterstreicht die Austauschbarkeit der beiden Personen. Der
Richter hätte sich vermutlich während der NS -Zeit – trotz seiner moralischen
Bekundungen – angepasst und ähn lich gut "funktioniert" wie in der Zeit nach dem
NS-Regime, schließlich ist er als Beamter letztlich genauso wie ein Offizier nur
ausführendes Organ des Willens der Regierung.
Man kann auch spekulieren, dass Bernhard Schlink damit die Scheinheiligkeit eini ger
Menschen kritisieren oder her vorheben wollte . Sein Ziel war die Scheinheiligkeit
derjenigen Menschen, die ehemalige n Beteiligte n des NS -Apparates moralisch zu
verurteilen, weil sie sich der Meinung der Masse in der Nachkriegszeit angep asst
haben.

16 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1 995, S. 154

23 3. Aspekte der NS -Prozesse

Teil der Angeklagten wurden im Rahmen der Nürnberger Prozesse befreit, Teil zum
Tode verurteilt und Teil zu lebenslanger Haft oder Freiheitsstrafen verurteilt .
Der historische Hintergrund in dem Roman Der Vorleser ist als Rückb lende in d en
Kriegsjahre n 1944/45 zu sehen, als der Prozess gegen Hanna Schmitz und ihre
Mitangeklagten beginnt. Hierbei geht es um die Beteiligung der Angeklagten am
Holocaust. Als Holocaust bezeichnet man den systematischen Völkermord an ca. 6
Millionen Juden, den die Deutschen in den Kriegsjahren von 1942 bis 1945 begangen
haben.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im März 1933 begann das Nazi –
Regime einen starken Druck auf die Juden auszuüben, mit dem Ziel, sie zur
Auswanderung aus Deutsc hland zu drängen. Jüdische Ge schäftsinhaber wurden
enteignet und ihre Geschäfte wurden einfach zerstört. In den Folgejahren steigerte sich
die Propaganda gegen Juden immer mehr, selbst in Kinderbüchern wurde gegen Juden
gehetzt .
Nach dem Anschluss Österreic hs an das Deutsche Reich bekam die SS starken
Zulauf. Sie verstand sich als Elitetruppe und ihre Soldaten waren Hitlers
Rassekrieger. Zudem war die SS an der Reichskristallnacht im Jahre 1938 maßgeblich
beteiligt und wurde dann im Krieg als Bewachung der K onzentrationslager und später
auch als Kampfverband neben der Wehrmacht eingesetzt.
Nach dem Sieg über Polen 1939 begann man die Juden in Ghettos zu sperren und
zwang sie in der Öffentlichkeit den Davidstern an der Kleidung zu tragen, damit jeder
erkennen konnte, dass sie Juden waren. Dies geschah in allen von Deutschland
besetzten Gebieten. In den Ghettos und in den besetzten Gebieten kam es immer
wieder zu r willkürlichen Ermordungen von Juden und politisch Andersdenkenden
durch SS und Wehrmacht. Die planm äßige Ermordung der Juden und der politischen
Gegner in Konzentrationslagern begann im Frühjahr 1942 nach der
Wannseekonferenz, auf der, unter Vorsitz Heydrichs, die sogenannte „Endlösung der
Judenfrage“ diskutiert wurde . Es gab reine Vernichtungslager wie z.B. Chelmno,
Treblinka, Sobibor, Majdanek, in denen die ankommenden Juden aus allen besetzten
Gebieten Europas sofort ermordet wurden, ohne dass man deren Namen überhaupt

24 erfasste. Das war in den "herkömmlichen“ KZs, wie z.B. Buchenwald, Bergen –
Belsen, R avensbrück anders. Diese KZs bestanden aus einem Arbeitslager und einem
Vernichtungslager. Man stellte nach der Ankunft der Juden oder politischen
Häftlingen erst einmal deren Identität fest und selektierte sie dann aus. Bei der
Selektion gab es nur ein En tscheidungskriterium, die Arbeitsfähigkeit. Wer
arbeitsfähig war, musste in den Fabriken, die den KZs entweder inbegriffen oder in
der Nähe waren, arbeiten, wobei der allergrößte Teil der arbeitenden Juden bei der
Arbeit ums Leben kam. Wer nicht arbeitsfäh ig war, wurde meist sofort erschossen
oder in den Gaskammern getötet.
Das bekannteste KZ ist wohl Auschwitz. Als die sowjetischen Streitkräfte 1944
immer weiter in das Gebiet des Deutschen Reiches bzw. in die von Deutschland
besetzten Gebiete vordrangen, versuchte man die KZs zu zerstören, die schriftlichen
Beweise zu vernichten und die noch lebenden Juden schnellstmöglich zu ermorden.
Dies wurde um so dringender, als die Alliierten am 6. Juni 1944 ihre Invasion in der
Normandie begannen und Deutschland n unmehr von allen Seiten angegriffen wurde.
Man ermordete die Juden auf langen Todesmärschen, die oft über eine Strecke von
100-200 km reichten. Doch alle Versuche, diesen Völkermord zu vertuschen,
schlugen fehl, denn den Alliierten gelang es die Gefangene n aus den
Konzentrationslagern zu befreien und Beweise sicherzustellen.
Nach Kriegsende begannen die „Nürnberger Prozesse“, in denen man die
Kriegsverbrecher für ihre grausamen Taten verurteilte. Der größte Teil der
Hauptkriegsverbrecher jedoch beging Sel bstmord oder setzte sich ins Ausland ab.
Adolf Eichmann, der für die Deportationen der Juden zuständig war, und Rudolf
Hess, Hitlers Stellvertreter, bildeten Ausnahmen. Ihnen konnte man den Prozess
machen und sie zur Rechenschaft ziehen. Im Laufe der Nürnb erger
Kriegsverbrecherprozesse wurden viele KZ -Aufseher, Wehrmachts – und SS –
Angehörige vor Gericht gestellt und verurteilt, so auch Hanna.

25 3.1. Vorgeschichte (die Juden und die KZs)

Als Holocaust , auch Holokaust (von griechisch , holokáutoma : „vollständ ig
Verbranntes“, d. h. „Brandopfer“) oder als Shoa („Unheil, große Katastrophe“)
bezeichnet man heute im deutschen Sprachraum den Völkermord an mindestens 5,6
bis 6,3 Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus .17
In einer durchaus verbreiteten Wahrnehmung bezeichn et “Holocaust” die
fabrikmäßige Tötung der Menschen in den Vernichtungslagern Polens. Damit wird
das Einzigartige des nationalsozialistischen Maßenmordes erfaßt, die quasi –
industrielle, bürokratisch organisierte Massentötung mit den Mitteln der Chemie und
mit Hilfe technischer Apparaturen. 18

Die wichtigsten Konzentrationslager waren in Auschwitz -Birkenau, Dachau,
Majdanek, Sobibor und Treblinka errichtet. Sie dienten als Vernichtungslager des
jüdischen Volkes, da die Häftlinge sehr viel arbeiten mussten, w enig ernährt wurden
und bis zur Erschöpfung in den Lagern tätig sein mussten.
Es gab vier große Deportationswellen aus Deutschland in die KZs.

Die erste Deportationswelle zwischen dem 15. Oktober und dem 2. November 1941
betraf 20.000 Juden und 5000 „Z igeuner“, die nach Lodz transportiert wurden, jetzt in
„Litzmannstadt“ unbenannt. In einer zweiten Deportationswelle von November 1941
bis Januar 1942 gingen sieben Transporte nach Minsk, fünf nach Kowono und 22
nach Riga. Insgesamt wurden mit diesen Tran sporten zirka 53.000 Juden und 5000
„Zigeuner“ in den Osten verschleppt. 19

Die Zahl der transportierten Juden war wesentlich größer als die Zahl der Sinti, da das
jüdische Volk wesentlich zahlreicher war.
Die meisten Konzentrationslager gab es in Deutsc hland, und in Polen gab es die
meisten Vernichtungslager. Deutsche Konzentrationslager waren in Sachsenhausen,
Theresienstadt, Buchenwald, Mittelbau -Dora. Polnische Vernichtungslager waren in
Auschwitz, Belzec, Sobibor, Majdanek, Tre blinka. Die meisten Tot e in einem
Konzentrationslager gab es in Sachsenhausen, etwa 100.000 Tote und im Falle der
Verni chtungslager steht Auschwitz an ersten Stelle mit etwa 3 Millionen Tote, gefolgt

17 Babylon translation @ a click: Definition von Holocaust, http://woerterbuch.babylon.com/Holocaust
18 Armin, Heinen: Rumänien, der Holokaust und die Logik der Welt , München: Oldenbourg Verlag,
2007, S. 188
19 Arno , Herzi g; Cay, Rademacher: Die Geschichte der Juden in Deutschland heute , Hamburg: Ellert
& Richter Verlag, 2007, S. 206 -207 zit. nach Christopher, Browning: Die Entfesselung der
“Endlösung” , Berlin; München: Pr opyläen Verlag, 2003, S. 537

26 von Treblinka mit 700.000 Tote. In Matthausen, Österreich, gab es ein
Vernichtu ngslager in dem es 110.000 Tote gab. 20
Nach der Verschiebung in ein KZ, wurde den Menschen alle Sachen genommen , und
statt des Namens wurden sie mit einer Nummer versehen , die als Name diente. Beim
Ankommen gab es eine Selektion und einige von ihnen diente n den ärztlichen
Experimenten, die anderen für die Arbeit und die ganz schwachen wurden ermordet.
Lea Fleischmann erinnert sich, was in den Konzentrationslagern geschah, wenn man
ankam "Schnell ausziehen, entlausen, Haar abschneiden, in einer Reihe aufstel len,
tatowieren, A 504942, Schlage auf dem Kopf, alles abg eben, Häftlingskleider
anziehen "21.
Die physische und psychische Vernichtung begann. Nach dem Motto des Lagers
Auschwitz -Birkenau, “Arbeit macht frei”, schufteten die Juden den ganzen Tag. Unter
ihnen zählten auch Sinti oder Kriegsgefangene. Alle schliefen in hölzerne Baracken
die ursprünglich als Pferdeställe dienten . Eine jüdische Zeitung, „Unzer Hofenung“,
berichtete im Jahr 1946 über die Lebensbedingungen der Juden im DP -Lager
Babenhausen

Die W ohnbedingungen sind schrecklich. Früher waren es Pferdeställe für die
Kavallerie des Dritten Reiches, heute sind es Wohnungen für die überlebenden Juden.
Die Jüden wollten die Züge nicht verlassen, um sich hier nicht ansiedeln zu müssen.22

Nachdem die Men schen ganz schwach waren und nicht mehr arbeiten konnten ,
wurden sie in den Gaskammern vergast. Die Leichen wurden im Krematorium
verbrannt oder in Gruben geworfen. Das Ende brachte mehr als 6 Mi llionen t ote
Menschen . Diejenigen , die den Konzentrationslage rn überlebt haben, waren entweder
krank oder sehr geschwächt.23

Krankheit war ein Grund. Viele waren immer noch von der Zeit im KZ gezeichnet.
Tuberkulose, Herz -Kreislaufstörungen, Depressionen – woran auch immer sie im

20 Louise -Schroeder -Gymnasium: Karte zu Die na tionalsozialistischen Konzentrationslagern ,
Münchner Städt. http://www.lsg.musin.de/geschichte/Material/karten/KZ%20 -%20Karte.jpg
21 Lea, Fleischmann: Dies ist nicht mein Land: Eine Jüdin verläßt die Bundesrepublik , München:
Wilhelm Heyne Verlag, 2002, S. 83
22 Unzer Hofenung , 13. Dezember 1946 zit. nach Michael, Brenner: Nach dem Holocaust , München:
Beck, 1995, S. 22
23 Michael , Palomino: Holocaust -Tabelle: 6 Millionen: Holocaust mit Stollenbau, Bunkerbau, Stalin –
Deportationen, Rote Armee etc. plus Auswand erung – und nicht geborene jüdische Kinder nach 1945 ,
Geschichte in Chronologie.
http://www.geschichteinchronologie.ch/judentum -aktenlage/hol/6 -mio-aufteilung -D.html

27 einzelnen litten, diese Menschen hatt en einfach keine Kraft mehr, woanders
hinzugehen. [..] Nach Auschwitz und Treblinka, nach Majdanek und Sobinor machte
es keinen Unterschied mehr, wo man war, wie man lebte.24

Der Holocaust ist das größte Verbrechen der Geschichte. Trotz der Prozesse gegen die
Täter oder dem Selbstmord Hitlers, wird niemand jemals dieses Ereignis aus der
Geschichte oder dem menschlichen Verstand löschen können.

24 Richard Chaim, Schneider: Wir sind da! , Berlin: Ullstein Verlag, 2000, S. 16

28 3.3. Das Schuld – und Scham gefühl

Der Roman Der Vorleser befasst sich hauptsächlich mit der Beziehung von Michae l
Berg zu Hanna Schmitz . Es wird gleich am Anfang die Ausgangssituation
beschrieben, nämlich das spontane, ungeplante Treffen der beiden, Schlüsselmoment
für das weiterhin sich entwickelnde Liebesverhältnis. Ihr Liebesverhältnis, wie aus
dem Roman hervorge ht, ist ein atypisches, ihre Beziehung muss vor den Augen der
Leute verheimlicht werden. Die Beziehung endet mit der Niederschrift der
Erinnerungen, Michael versucht damit ein Ende zu setzen und seine Ruhe zu finden,
indem er mit dem „Hanna -Lebensabschnitt “ „Frieden [macht]“.25
Bei der Lektüre erkennt man prog ressiv Scham – und Schuldgefühle , welche die
beiden Gestlten beeinflussen.
Michael Berg durchläuft verschiedene Schamsituationen im Verlauf der drei Teile des
Romans . Im ersten Teil ist es zunächst die „Körperscham, d ie als ein präventiver
Selbstschutz für prekäre, fragile, ureigene Aspekte der Person eingesetzt wird“ 26, mit
der sich Michael auseinandersetzen muss.
Wie wichtig der Begriff „ Scham “ für den gesamten Roman ist, zeigt sich schon daran,
dass e r direkt mit einer Schamsituation beginnt. Michael empfindet Scham wegen des
Erbrechens auf offener Straße in Folge einer Gelbsucht. Er fühlt sich hilflos und kann
nichts dafür tun : „Ich schämte mich, so schwach zu sein. Ich schämte mich besonders,
als ich mich übergab.“ 27 Als Hanna ihm hilft , fühlt er sich erschüttert . Diese Frau
erinnert ihn an seine Mutter , und doch fühlt er sie distanziert, „fast grob“ 28.
Als Michael Hanna danken muss, erlebt er ein nächstes Schamerlebnis. Er kennt zu
diesem Zeitpunkt n icht mal ihren Namen, klingelt aber nach einem Hinweis eines
Nachbarn bei Frau Schmitz. Das eigentliche Schamerlebnis hat er, als sie ihn beim
Gehen bittet , auf sie zu warten. Er wusste, dass Hanna während des Umziehens ihn
bemerkt hat.. Als er auf dem Flu r wartet , beobachtet Michael sie beim Anziehen ihrer

25 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 206
26 Assmann, Aleida: Scham. Schamkultur und Schuldkultur . In: Schächter, Markus: Was kommt, was
geht,
was bleibt , S.282
27 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S.5
28 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 6

29 Strümpfe, die sie an Strumpfbändern befestigt. Er kann „die Augen nicht von ihr
lassen“ und wird dabei von ihr ertappt:

„Sie spürte meinen Blick. Sie hielt im Griff nach dem anderen Strumpf inne, wandt e
sich zur Tür und sah mir in die Augen. Ich weiß nicht, wie sie schaute – verwundert,
fragend, wissend, tadelnd. Ich wurde rot. Einen kurzen Augenblick stand ich mit
brennendem Gesicht. Dann hielt ich es nicht mehr aus, stürzte aus der Wohnung,
rannte die Treppe hinunter und aus dem Haus.“ 29

Aus dieser Schlüsselszene entwickelt sich die fatale Beziehung zwischen Michael und
Hanna, die ihn für sein gesamtes weiteres Leben prägen wird, weil seine Gedanken
von diesem Zeitpunkt an n ur noch um sie kreisen.
Im Folgenden weicht d ie Körperscham mehr und mehr einer Schuldscham. Aleida
Assmann zufolge hat es die Schuldscham mit der Abwehr von Wirkungen zu tun, die
aus negativ bewertetem Handeln hervor gehen. […] Es ist die Angst vor
Bloßstellungen, Imageschaden und Reputationsverlust, die von der Gruppe oder der
Gesellschaft für die eigene Person ausgehen. 30
Michael schämt sich, weil er eine Frau liebt, die seine Mutter sein könnte und
versteckt daher das Verh ältnis vor seinen Freunden, wenn diese sich durch
Nachfrag en dem Thema Hanna nähern. Andererseits verbessert sich sein
Selbstbewusstsein, das er durch die sexuellen Erfahrungen mit Hanna erlangt .
Michael sagt zunächst über sich:

Ich hatte zu lange Arme und zu lange Beine […] für die Koordination meiner
Bewegunge n. Meine Brille war ein billiges Kassenmodell und mein Haar ein zauser
Mop, ich konnte machen, was ich wollte. […] Ich mochte nicht, wie ich aussah, wie
ich mich anzog und bewegte, was ich zustande brachte und was ich galt. 31

Durch seine Beziehung mit Han na verände rt sich dieses Bild jedoch völlig :

Mein Erfolg in der Schule ließ meine Lehrer aufmerken und gab mir die Sicherheit
ihres Respekts. Die Mädchen, denen ich begegnete, merkten und mochten, daß ich
keine Angst vor ihnen hatte. Ich fühlte mich in m einem Körper wohl. 32

29 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 16
30 Assmann: Scham, S.282
31 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 39
32 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 41

30 Die Körperscham scheint also damit überwunden. Michael gewinnt Selbstvertrauen,
sammelt Erfahrung dank der Beziehung mit Hanna und hat ab diesem Zeitpunkt keine
Angst mehr, mit Mädchen umzugehen. Wie auch aus dem Zitat hervorgeht, be ginnt
Michael sich in seinem Körper wohl zu fühlen und sich selbst zu akzeptieren , sich
sogar wohl zu fühlen.
Im zweiten und dritten Teil besteht Michaels Auseinandersetzung mit Scham in
Konfrontationen der Vergangenheit mit der Gegenwart. Nach Hannas
überraschendem
Fortgang bleibt für ihn nur das Schuldgefühl, denn er nimmt an, dass er der Grund
ihrer
Flucht ist, weil er bei einer unvermuteten Begegnung nicht gleich auf sie zugegangen
ist:

Sie stand zwanzig bis dreißig Meter entfernt […] und schaute zu mir herüber. Ich
schaute zurück. Ich konnte über die Entfernung den Ausdruck ihres Gesichts nicht
lesen. Ich bin nicht aufgesprungen und zu ihr gelaufen. Mir ging durch den Kopf,
warum sie im Schwimmbad ist, ob sie von mir und mit mir gesehen werden wil l, ob
ich mit ihr gesehen werden will, daß wir uns noch nie zufällig getroffen haben, was
ich tun soll. Dann stand ich auf. In dem kurzen Moment, in dem ich dabei den Blick
von ihr ließ, ist sie gegangen.33

Die zweite Hauptperson des Romans, Hanna Schmitz, wird dem Leser ausschließlich
durch die Augen des Erzählers Michael Berg gezeigt.

33 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 78

31 3.3.1. Schuldunfähigkeit und Schamangst Hannas – Eine
Rechtfertigung

Hanna s Schamangst besteht in der Aufdeckung ihres Analphabetismus. Diese
panische Angst setzt eine K ette von Handlungen in ihrem Leben in Gang, die sie
schließlich als Verurteilte von NS -Verbrechen ins Gefängnis bringen und letztlich
auch ihren Selbstmord verursachen wird. Schlink lässt den Leser über Hannas
Vergangenheit, was den Schulbesuch angeht, im Dunkeln. Es wird lediglich erwähnt,
dass Hanna unterschriftsfähig ist:
Hanna überließ mir nicht nur die Wahl der Richtungen und Straßen. Ich suchte die
Gasthöfe aus, in denen wir über Nacht blieben, trug uns als Mutter und Sohn in die
Meldezettel ein, di e sie nur noch unterschrieb, und wählte auf der Speisekarte nicht
nur für mich, sondern auch für sie das Essen aus. 34
Aufgrund vieler weiterer Indizien, die letztendlich auch Michael die Erkenntnis
bringen, dass Hanna Analphabetin ist, ist davon au szugehen , dass sie nicht schreiben
kann . Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass sie zumindest die Zahlen beherrscht,
denn mit ihnen musste sie sowohl bei ihrer Arbeit als Schaffnerin, als auch bei ihrer
Tätigkeit als KZ -Aufseherin umgehen können, da bei den Sele ktionen aus den „sechs
gleich großen Zuständigkeitsbereichen gleich große Gefangenenzahlen zu melden
[waren], jeweils zehn und insgesamt sechzig“ 35 Analphabetismus ist laut Micha
Hilger s eine „[h]äufige Schamquelle“ . 36 Der Betroffene – also im Fall des Vorlesers ,
die Betroffene Hanna Schmitz – versucht, Schamsituationen zu vermeiden und tut
dies „teilweise mit beträchtlichem Aufwand“ . 37
Hanna richtet ihr gesamtes Leben so ein, dass sie der Bloßstellung ihrer Schwäche
entgeht. Sie ist aus diesem Grund imme r auf der Flucht und führt ein wurzelloses
Dasein. Andererseits versteht sie es aber auch, sich Menschen gefügig zu machen, wie
sie es mit Michael tut. Dazu instrumentalisiert sie die Mechanismen der Scham –
Demütigung, strafende Blicke und Ignorierung – zur Durchsetzung ihres Willens.
Wenn Michael zu viele oder gefährliche Fragen stellt, weist sie ihn zurück oder
weicht im besten Fall aus. Besonders anschaulich schildert Michael die Bestrafung für

34 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 54
35 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 106
36 Hilgers, Micha: Scham. Gesichter eines Affekts . Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht, 1997, S. 136
37 ebd. S. 136

32 Fehlverhalten in der Straßenbahnszene, als er – in der Hoff nung auch während ihrer
Arbeit einmal allein mit ihr zu sein – sehr früh morgens in die Straßenbahn steigt, in
der sie an diesem Tag arbeitet. Seine Absicht, mit ihr allein zu sein wird von ihr
dahingehend fehl gedeutet, dass sie annimmt, er wolle nichts m it ihr zu tun haben. Als
Strafe ignoriert sie ihn und als er sie später zur Rede stellt, behandeln ihn „ihr Blick,
ihre Stimme und ihre Gesten […] als Eindringling“ . 38 Michael verliert nicht nur
diesen ersten Streit, sondern seine Kapitulation wird grundle gend für seine Beziehung
zu Hanna:
In den kommenden Wochen habe ich nicht einmal mehr kurz gekämpft. Wenn sie
drohte, habe ich sofort bedingungslos kapituliert. Ich habe alles auf mich genommen.
Ich habe Fehler zugegeben, die ich nicht begangen hatte, Abs ichten eingestanden, die
ich nie gehegt hatte. Wenn sie kalt und hart wurde, bettelte ich darum, daß sie mir
wieder gut ist, mir verzeiht, mich liebt. Manchmal empfand ich, als leide sie selbst
unter ihrem Erkalten und Erstarren. Als sehne sie sich nach de r Wärme meiner
Entschuldigungen, Beteuerungen und Beschwörungen. Manchmal dachte ich, sie
triumphiert einfach über mich. Aber so oder so hatte ich keine Wahl. 39

Michael erkennt Hannas Dilemma: ihre Schamangst lässt s ie eisig, „kalt und hart“
werden und si e selbst leidet unter ihrer eigenen Erstarrung. Da Michael zu diesem
Zeitpunkt des Romans aber allenfalls eine Ahnung von der eigentlichen Ursache ihrer
Scham hat, kann er ihr nicht helfen und erträgt ihre Demütigungen. Hannas
Schamangst ist auch der Grund für ihre Unfähigkeit zur Auseinandersetzung mit ihrer
persönlichen Schuld. Bill Niven schreibt in seinem Artikel:
We have little, if any, evidence that Hanna was consciously anti -Semitic. What we
can say is that her biography is an archetypal shame biogr aphy, and that National
Socialist anti -Semitism pr ovided a framework in which she was able to find
psychological compensation for her deficiency. 40
Diese Kompensierung kann sie auch nach dem Krieg weiter betreiben, indem sie
Michael als Vorleser benutzt un d ihn durch sein Verlangen nach ihr an sich bindet,
gleichzeitig aber durch ihr dominantes Verhalten dafür sorgt, dass er nicht zu viele
Fragen stellt. An mehreren Stellen des Romans wird deutlich, dass Hanna sich nicht
in denselben Moralkategorien bewegt, wie beispielsweise Michael. So ist ihr

38 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 48
39 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 50
40 Niven, Bill: Bernhard Schlink’s Der Vorleser and the Problem of Shame . In: The
Modern Language Review (2003), vol. 98, no. 2, S. 385

33 fehlendes „Gefühl für den Kontext, für die Regeln, nach denen gespielt wurde, für die
Formeln, nach denen sich ihre Äußerungen und die der anderen zu Schuld und
Unschuld, Verurteilung und Freispruch verrechneten“41 der Grund dafür, dass die
Verhandlung für sie „nic ht schlechter laufen können“42. Die Bereitwilligkeit, mit der
sie bestimmte Anklagepunkte zugibt, lässt den Beteiligten des Prozesses keinen
Zweifel daran, dass sie schuld ig im Sinne der Anklage ist. Es ist ab er auch ein Indiz
dafür, dass Hanna in ihren eigenen Kategorie n von richtig und falsch pendelt und sich
der Tragweite ihrer Handlungen nicht bewusst ist. Besonders deutlich wird dies, als
sie die Begründung dafür gibt, warum sie die Gefangenen nicht aus de r brennenden
Kirche freigelassen hat:
Wir haben nicht gewußt, was wir machen sollen. […] Wie hätten wir die vielen
Frauen bewachen sollen? […] wie hätten wir da noch mal Ordnung reinbringen
sollen? Das hätte ein Durcheinander gegeben, mit dem wir nicht fe rtiggeworden
wären. […]Wir hätten sie doch nicht einfach fliehen lassen können! Wir waren doch
dafür verantwortlich… Ich meine, wir hatten sie doch die ganze Zeit bewacht, im
Lager und im Zug, das war doch der Sinn, daß wir sie bewachen und daß sie nicht
fliehen. Darum haben wir nicht gewußt, was wir machen sollen. 43
Hanna ist nicht in der Lage, über den Befehl, die Häftlinge zu bewachen und nicht
fliehen zu lassen, hinaus zu denken. Für sie besteht keine Verbindung zwischen der
Verantwortung für die Bewa chung der Häftlinge und einer moralischen
Verantwortung für deren Überleben. Sie kann ausschließlich situationsgebunden
handeln, weshalb sie den Richter auch zweimal während des Prozesses fragt, was er
denn an ihrer Stelle gemacht hätte. 44
Trotzdem wird Ha nnas Analphabetismus im Roman nicht als Rechtfertigung ihrer
Schuld geschildert, sondern er zeigt lediglich „how irrational, self -negating, and
indeed destructive a reckless fear of shame can be when the individual makes no
attempt to face it” 45

41 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 105
42 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 104
43 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 121
44 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 107 und S. 123
45 Niven: Problem of Shame , S.387

34 3.3.2. Mimik, Gestik und Gesichtsaudrücke Hannas

Die wichtigsten Kommunikationsmittel jedes Menschen sind das Gesicht und die
Augen . Für das Empfinden der Scham ist das Gesicht das zentrale „Organ“, weil die
Scham , durch Sehen und Angeschautwerden definiert wird. Im Vorleser spielt das
Gesicht eine entscheidende Rolle, da es die Kommunikation der beiden
Hauptpersonen dominiert. Wie Michael am Anfang des Romans selbst sagt, reden sie
nicht viel, beziehungsweise werden die Versuche Michaels durch Hanna abgeblockt
oder umgangen. Somit wird ihr Gesicht für Michael zum Schlüssel seines
Verhältnisses zu Hanna – allerdings zu einem Sc hlüssel, der nicht immer passt. Die
erste Beschreibung von Hannas Gesicht gibt Michael im Zusammenhang mit ihrer
gesamten äußeren Erscheinung :
Über ihr damaliges Gesicht haben sich in meiner Erinnerung ihre späteren Gesichter
gelegt. Wenn ich sie vor meine Augen rufe, wie sie damals war, dann stellt sie sich
ohne Gesicht ein. Ich muss es rekonstruieren. Hohe Stirn, hohe Backenknochen,
blaßblau e Augen, volle, ohne Einbuchtung gleichmäßig geschwungene Lippen,
kräftiges Kinn. Ein großflächiges, herbes, frauliches Gesicht. Ich weiß, daß ich es
schön fand. Aber ich sehe seine Schönheit nicht vor mir. 46
Da diese erste Beschreibung ihres Gesichts zu e inem Zeitpunkt stattfindet, an dem
Michael Hanna noch nicht näher kennt, ist es noch ein leeres Gesicht. E s hat für die
Komm unikation noch keine Bedeutung. Anders ist das zu einem weiter
fortgeschrittenerem Zeitpunkt ihrer Beziehung, als sie eine gemeinsam e Fahrradtour
unternehmen. Hanna hatte Michaels Notiz nicht lesen können und reagiert zunächst
zornig. Sie schlägt Michael mit einem Gürtel ins Gesicht. Sie will noch ein zweites
Mal ausholen, bricht aber in Tränen aus:
Ich hatte sie noch nie weinen sehen . Ihr Gesicht verlor alle Form. Aufgerissene
Augen, aufgerissener Mund, die Lider nach den ersten Tränen verquollen, rote
Flecken auf Wange und Hals. Aus ihrem Mund kamen krächzende, kehlige Laute,
ähnlich dem tonlosen Schrei, wenn wir uns liebten. Sie sta nd da und sah mich durch
ihre Tränen an. 47
Dieses Mal ist Hannas Gesicht nicht leer, aber es verliert „alle Form“, was es Michael
wieder unmöglich macht, die Situation einzuschätzen. Er weiß nicht, was er tun soll,

46 Schlink, Bernhard: Der V orleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 14
47 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 54

35 denn „(b)ei uns zu Hause weinte man nicht so. Man schlug nicht, nicht mit der Hand
und erst recht nicht mit einem Lederriemen. Man redete. Aber was sollte ich sagen?“
48 Hanna überträgt durch das extensive Zur -Schau -Stellen ihrer Gefühle ihre
Beschämung auch auf Michael. Die Angst vor der Bloßstel lung ihrer Lebenslüge ist
so groß, dass Hanna der möglichen Beschämung nicht gewachsen ist und sie in
Gewalt umwandelt. Es ist auch kein Zufall, dass sie Michael ausgerechnet ins Gesicht
– die beobachtende Instanz – schlägt. Doch in Hannas Fall löst die Ge walt die
Schamsituation nicht, da Michael im wahrsten Sinne des Wortes diese Sprache nicht
spricht. Die Spannung löst sich erst, als Ha nna sich an Michael „klammert“ 49 und
somit der Kontakt zwischen den Gesichtern unterbrochen wird. Wie sehr Michael bei
der Kommunikation mit Hanna darauf angewiesen ist, ihr Gesicht zu lesen, zeigt auch
die Szene im Schwimmbad:
Sie stand zwanzig bis dreißig Meter entfernt, in Shorts und offener, in der Taille
geknoteter Bluse, und schaute zu mir herüber. Ich schaute zurück. Ich konnte über die
Entfernung den Ausdruck ihres Gesichts nicht lesen. 50
Die Unfähigkeit ihr Gesicht zu lesen macht es ihm auch hier unmöglich, angemessen
zu reagieren. Als er schließlich doch zu ihr gehen will und den Blickkontakt kurz
unterbricht, vers chwindet sie und lässt ihn mit seinen Schuldgefühlen zurück. Als er
Hanna im Prozess wieder trifft, in dem sie der Verbrechen angeklagt ist, die sie in
ihrer Zeit als KZ -Aufseherin ausge übt hat, meint er, nur stummer Beobachter und vor
allem von ihr unerka nnt zu sein. Wieder versucht er sie zu „lesen“: „So sah ich sie
von hinten. Ich sah ihren Kopf, ihren Nacken, ihre Schultern. Ich las ihren Kopf, ihren
Nacken, ihre Schultern.“ 51 Erst als es im Prozess um das Thema der Vorleserinnen
für Hanna im KZ geht, w ird Michael bewusst, dass Hanna seine Anwesen dheit nicht
entgangen ist:
Hanna drehte sich um und sah mich an. Ihr Blick fand mich sofort, und so merkte ich,
daß sie die ganze Zeit gewußt hatte, daß ich da war. Sie sah mich einfach an. Ihr
Gesicht bat um n ichts, warb um nichts, versicherte oder versprach nichts. Es bot sich
dar. Ich erkannte, wie angespannt und erschöpft sie war. Sie hatte Ringe unter den
Augen, und in jeder Backe führte eine Falte von oben nach unten, die ich nicht
kannte, die noch nicht t ief war, sie aber schon wie eine Narbe zeichnete. Als ich unter

48 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 55
49 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 55
50 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 78
51 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 95

36 ihrem Blick rot wurde, wandte sie ihn ab und kehrte sich wieder der Gerichtsbank zu.
52
In dem Moment, als Hanna Michael das Gesicht zuwendet, gewinnt sie erneut Macht
über ihn und beschämt ihn . Es scheint fast so, als würde die nonverbale
Kommunikation allein von Hanna dominiert; sie entzieht und offenbart Michael ihr
Gesicht in einer möglicherweise unbewussten, aber taktischen Weise. Selbst am Ende
des Romans, als Michael Hanna nach achtzehn J ahren Haft das erste – und
gleichzeitig letzte – Mal im Gefängnis besucht, wirkt diese Taktik der Beschämung,
wenn auch erst im Nachhinein. Michael findet eine „alte Frau“ anstelle der in seinen
Erinnerungen so dynamischen Hanna und kann seine Enttäuschung nicht ausreichend
verbergen:
Dann merkte sie, daß sie beobachtet wurde, und wandte mir ihr Gesicht zu. Ich sah
die Erwartung in ihrem Gesicht, sah es in Freude aufglänzen, als sie mich erkannte,
sah ihre Augen mein Gesicht abtasten, als ich näherkam, sah ihre Augen suchen,
fragen, unsicher und verletzt schauen und sah ihr Gesicht erlöschen. Als ich bei ihr
war, lächelte sie ei n freundliches, müdes Lächeln. 53
Als Hanna sich in der Nacht vor ihrer Entlassung das Leben nimmt, gibt Michael
wieder sich die Sch uld:
„Das Gesicht war weder besonders friedlich noch besonders qualvoll. Es sah starr und
tot aus. Als ich lange hinschaute, schien im toten Gesicht das lebende auf, im alten
das junge. […] Warum hatte ich den Aufschein vor einer Woche nicht gesehen?“ 54
Doch mit den Jahren werden diese „Fragen“ unwichtig und mit der Niederschrift
seiner Geschichte versucht Michael mit ihr abzuschließen, obwohl er weiß, dass ihm
das nie ganz gelingen wird.

Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 112
53 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 184
54 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 197

37 3.3.3. Schilderung von Hannas Evolution

Hanna wird von Micha el als „manchmal schwerfällig“ 55 beschrieben, zurückgezogen .
Möglicherweise ist in e ben dieser „Weltvergessenheit“ 56, die ihr Körper ausstrahlt,
der Grund dafür zu suchen, dass Hanna sich bis zum Proze ssbeginn und darüber
hinaus keiner Schuld bewusst ist. Es bl eibt jedoch ungeklärt, ob diese Körpersprache
angeborener oder erworbener Natur ist. Wenn sie angeboren ist, würde das erklären,
warum sie ohne Bedenken zur SS gegangen ist, da die Bedeutung dieses Schritts
vielleicht gar nicht in ihre innere Welt durchged rungen ist. Andererseits könnte Hanna
sie aber auch erst aufgrund der Erfahrungen als KZ -Aufseherin angenommen haben,
um das Elend der Konzentrationslager nicht an sich heran zu lassen.
Allerdings hat sie in ihrer Zeit als KZ -Aufseherin offenkundig Häftli nge dazu benutzt,
ihr vorzulesen, und bezeichnenderweise waren dies stets die „schwachen und zarten“
57, die nicht mehr fähig waren zu arbeiten und somit in den nächsten Zug nach
Auschwitz kamen. Die also somit ihr Geheimnis, falls sie es entdeckt hatten,
niemandem mehr erzählen konnten. Die Tochter der überlebenden Zeugin erinnert
sich an das Ritual der „Lieblinge“ 58:
Ja, sie hatte Lieblinge, immer eine von den jungen, schwachen und zarten, und die
nahm sie unter ihren Schutz und sorgte, daß sie nicht arbe iten mussten, brachte sie
besser unter und versorgte und verköstigte sie besser, und abends holte sie sie zu sich.
Und die Mädchen durften nicht sagen, was sie abends mit ihnen machte, und wir
dachten, daß sie mit ihnen… auch weil sie alle in den Transport kamen, als hätte sie
mit ihnen ihren Spaß und sie dann satt gehabt. Aber so war es gar nicht, und eines
Tages hat doch eines geredet, und wir haben gewußt, daß die Mädchen ihr vorgelesen
haben, Abend um Abend um Abend. Das war besser, als wenn sie… auch b esser, als
wenn sie sich an dem Bau zu Tode gearbeitet hätten, ich muß gedacht haben, daß es
besser war, sonst hätte ich es nicht vergessen können. Aber war es besser?
Es lässt sich nicht aufklären, ob Hanna tatsächlich aus Mildtätigkeit gehandelt hat
oder ob sie bewusst diese Möglichkeit ausgenutzt hat, um von der Lesefähigkeit der
Mädchen zu profitieren ohne Gefahr zu laufen, dass sie ihre Lebenslüge aufdecken
könnten. Auch Michael hat sie im Prinzip auf diese Weise missbraucht und seine
Verliebtheit, di e schon an Hörigkeit grenzte, für ihre Zwecke ausgenutzt. Sie hat ihm

55 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 17
56 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 17
57 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 17
58 Schlink, Bernhard: Der Vorleser , Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S. 112

38 mit Liebesentzug gedroht und ihn damit gefügig gemacht, genauso, wie sie Macht
über die dem Tode geweihten Mädchen im Konzentrationslager ausgeübt hat.
Die Schamangst vor der Enthüllung ihres Analphabetismus ist so überwältigend groß,
dass sie ihr alles andere unterordnet, auch eventuelle Bedenken. Sie versucht, in ihrem
Sinne richtig zu handeln, indem sie Befehle befolgt, aber auch in einem gewissen
Rahmen für sich ausnutzt. Hannas eige ntliche Entwicklung beginnt erst im Gefängnis,
als sie sich selbst Lesen und Schreiben beibringt – ein Schritt, den sie längst hätte tun
können, wie auch Michael bereits während der Verhandlung in Betracht zieht: „Mit
der Energie, mit der sie ihre Lebenslü ge aufrechterhielt, hätte sie längst lesen und
schreiben lernen können.“ 59
Es stellt sich auch die Frage, ob Michaels Verhalten während der Gefangenschaft
etwas dazu beigetragen haben könnte. Die Beziehung zwischen den beiden ist in
dieser Zeit sehr dist anziert. Michael hält den Kontakt nur aufrecht, indem er ihr in
mehr oder weniger regelmäßigen Abständen auf Band aufgenommene, von ihm
vorgelesene Literatur schickt, die er aber frei von persönlichen Äußerungen und
Nachrichten hält. Möglicherweise interpr etiert Hanna das als ein Zeichen von
pflichtschuldigem Tun, so als würde Michael ihr aus schlechtem Gewissen diese
Kassetten senden. Dazu kommt auch noch, dass er Hanna nie besucht hat, erst als er
einen Brief der Direktorin erhält, die ihn über die bevors tehende Entlassung Hannas
unterrichtet.
Diese fürchtet sich vor der normalen Welt außerhalb der Gefängnismauern und da
Michael ihr so abweisend vorkommt auch vor der Einsamkeit, die sie erwartet. Sie
schreckt zurück vor der Aussicht, dass sie, allein gela ssen, vollkommen hilflos wäre
und vollkommen von dem abhängig, der sie die letzten Jahre kaum beachtet hat. Auf
der anderen Seite sind auch viele Argumente vorhanden, die Michaels Schuld
widerlegen. Zum einen muss die Schuld nicht von ihm ausgehen. Während Hannas
Zeit als Gefängnisinsassin, lernt sie ihr Analphabetentum abzulegen. Dieser Schritt
zur Mündigkeit zeigt ihr wie groß ihr Opfer eigentlich gewesen ist. Indem sie
bemerkt, dass lesen und schreiben kein unerlernbares Mysterium darstellen, sieht sie
zum ersten Mal die Relation zwischen dem Aufwand etwas für andere alltägliches zu

59 Schlink, Bernhard: Der Vorleser, Zürich: Diogenes Verlag, 1995 , S.132

39 erlernen und 18 Jahren Haft, in denen sie isoliert von der Außenwelt ihr Dasein fristet.
Sie erkennt, dass sie nicht nur im Sinne der Anklage schuldig ist.
Zu den andauernden Schuldgefühlen, die ihre Handlungen in ihrer Zeit als Aufseherin
hervorgebracht haben, kommen nun weitere. Nur der Tod kann ihr Absolution
gewähren. So gesehen ist die einzige, die schuld an ihrem Selbstmord hat, sie alleine.
Außerdem entwickelt sie währe nd ihrer Zeit im Gefängnis auch ein großes Maß an
Verantwortungsgefühl. Sie merkt zwar, dass ihre Entscheidungen falsch gewesen sind
steht aber voller Überzeugung dahinter. Sie schafft es, ihre Lebenssituation
einigermaßen zu meistern und auch die Zeit im KZ halbwegs zu verarbeiten.
Nach ihrer Entlassung müsste sie auf Michael vertrauen und ihr wäre die Möglichkeit
entzogen sich selbstständig eine neue Existenz aufzubauen. Er hat die besten
Absichten ihr gegenüber, besorgt ihr einen Job und richtet ihr sog ar eine eigene kleine
Wohnung ein, ohne zu wissen, dass dies ihr aufs tiefste widerstrebt. So stellt sich
wieder heraus, dass Michael keine Schuld trifft, denn er wusste nichts von Hannas
Denkweise und hielt sein Handeln für richtig.
Alles in allem kann m an nicht sagen, ob Michael schuld an Hannas Selbsttötung ist,
oder überhaupt eine spezielle Person. Den Entschluss zu solch einem endgültigen
Schritt fasst man nicht von heute auf morgen. Viele verschiedene Faktoren müssen
zusammenkommen; kleine Begebenhei ten, die im Auge eines anderen Nichtigkeiten
sind, können den zündenden Funken liefern. Deswegen ist es nur möglich so viele
potentielle Gründe wie möglich zu sammeln, um ein Gesamtbild zu erschaffen, aus
dem sich jeder selbst sein Urteil bilden sollte.

Was bedeutet es überhaupt, wen man jemanden der Schuld an einem Selbstmord
bezichtigt? Man macht diesen verantwortlich für eine Tat, die er indirekt begangen
hat, indem er den Anstoß zu einem Entschluss gegeben hat. Kann man jemanden dazu
verurteilen, die Gedanken eines anderen beeinflusst
zu haben? Sicher, die Folgen sind für betroffene schwer zu erfassen und es ist leicht
jemand anderes die Schuld zuzuschieben, aber was ist mit dem Opfer selbst? Wie

40 verzweifelt muss ein Mensch sein, dass er sich durch se ine eigene Hand richtet? Diese
Verzweiflung kann nicht von außen eindringen, sie kommt aus einem selbst; und bei
Hanna war dieses Gefühl übermächtigt. Aus welchem Grund, ist nicht zu sagen.
Wichtig ist n ur, dass sie einen Grund hatte.
Erst durch die erworb ene Lese – und Schreibfähigkeit ist sie in der Lage, ihre
Vergangenheit allmählich zu verstehen und sich über ihre Taten bewusst zu werden.
Ihr Selbstmord einen Tag vor ihrer Entlassung ist allerdings nicht zwangsläufig durch
diese Einsicht einer Schuld mot iviert, sondern vermutlic h trotz aller Versuche der
(Resozialisierung in ihrer Angst vor der Außenwelt begründet und darin, in dieser
nicht zurechtzukommen. Deshalb kann man nicht von einer Entwicklung im
eigentlichen Sinne sprechen, sondern der eine Entwi cklungsversuch, den sie
unternimmt, stellt eine derart große Umdeutung ihres gesamten Lebens dar, dass sie
ihm nicht gewachsen ist.

41 3.3.4. Psychologische Betrachtungen anhand der Hauptgestalten

Die zwei Hauptgestalten des Romans erleben gemeinsam nicht n ur die physische
Attraktion und das Vergnügen der körperlichen Liebe, sondern viel mehr passiert
auch auf psychischer Ebene. Hinsichtlich der psychologishen Betrachtung der beiden
Hauptpersonen kann man behaupten, sie empfinden eine Varietät von Gefühlen,
welche zunächst auch den Geisteszustand beeinflussen.
Hanna Schmitz, die 36 -jährige weibliche Gestalt , lässt am Anfang den Eindruck einer
hilfsbereiten Frau, welche einem minderjährigen Jungen – aufgrund seines
gesundheitlichen Zustandes – auf der Straße hilft. Bis zu diesem Zeitpunkt kann man
überhaupt keine Kritik an sie ausüben. Im Nachhinein ändert sich zum Teil die
Ausgangssituation, weil sie Michaels Neugierde nicht ablehnt und weil sie ihm auch
nicht vorwirft, dass er nicht richtig gehandelt habe. H ier wird selbstverständlich die
Szene angesprochen, wo Michael durch die Türspalte zuschaut, als sich Hanna
umzieht. Hanna bemerkt Michaels Blicke, reagiert aber nicht entsprechend ihres
Alters und ihrer angenommenen Reife, welche sie angeblich noch nicht hat.
Die wiederholten Treffen zwischen Hanna und Michael führen dazu, dass das Baden
zu einem Ritual wird. Das Baden versteckt aber hinter sich nicht nur die körperliche
Nacktheit und den imminenten Geschlechtsverkehr, sondern auch Aspekte, welche
den min derjährigen Michael stark im Alltäglichen beeinflussen. Michael wird mit der
Zeit so stark von dieser Frau angezogen, dass er erkennbar sein Verhalten ändert.
Falls zwischen Michael und Hanna Streitigkeiten auftauchen, was oft der Fall war,
nimmt Michael d ie sogenannte Schuld auf sich, aus dem einfachen Grund Hanna
nicht zu ärgern. Es tauchen entlang der erzählten Handlung vielfache solche Szenen
auf, wo man keinesfalls über einen richtigen Streit oder ein Schuldgefühl sprechen
kann, aber Michael ist immerh in derjenige, der sich sofort entschuldigt und die
Situation wieder gut machen möchte, eben aus dem Grund, weil er Hanna nicht
kränken will.
Man kann von einer bedenkenswerte n Veränderung des Verhaltens Michaels
sprechen , welche aus mehreren Gründen stattg efunden hat , beeinflusst
selbstverständlich auch von der emotionalen Ebene, nämlich von den entwickelten
Gefühlen . Es ist zum Teil die Sicherheit, die ihm anfangs fehlt und welche Hanna

42 schon längst als erwachsene Frau erworben hat, teils seine Begeisterun g als Jüngling
die Aufmerksamkeit einer schon reifen Frau gewonnen zu haben. Michael stellt sich
nicht zufrieden nur mit der Tatsache eine sexuelle Erfahrung mit Hanna gemacht zu
haben, er geht diese Beziehung ein und lässt sich vom weiblichen Wesen verfüh rt und
geführt. Inwiefern Michael bewusst war, was diese Beziehung für Folgen haben
könnte, wird im Roman nicht klar gedeutet. Der Ich -Erzähler lässt diesen Aspekt aus
und es bleibt dem Leser überlassen, sich Gedanken darüber zu machen. Die Folgen
lassen s ich dann später, im weiteren Verlauf der Handlung, erkennen.
Am anderen Pol ist Hanna, welche nicht allzu viel ihre Gefühle zeigen möchte. Sie
versucht eine Gestalt mit wenig Gefühlen zu sein, schafft es zum Teil, aber bei einer
näheren Betrachtung kommt d er Leser doch zu der Schlussfolgerung, dass sie
Vielfältiges empfindet, aber verheimlicht. Ihre Gefühle sind meiner Ansicht nach
ziemlich fragwü rdig, in heutiger Gesellschaft würde sich eine solche Person einer
psychologischen Untersuchung stellen müssen. All das wird durch Gefühle wie
Frustrierung, Angst und suveränes Verhalten belegt.
Die Frustrierung Hannas kann folgender Maßen erklärt werden: Die 36 -jährige Frau
kann keineswegs stolz auf eine Karriere sein, hat bis zu dem Zeitpunkt keine Familie
mit ei nem Mann gegründet und auch keine Kinder großgezogen. Im beruflichen
Leben hat sie ebenfalls keine Karriere gemacht.
In der Gesellschaft kann sich Hanna auch nicht als Teil integrieren, man hat den
Eindruck sie fürchte sich vor Nachbarn und Bekannten. Sie würde eher der Typologie
einer Außenseiterin entsprechen , eine Person welche in Zurückgezogenheit lebt,
welche sich nach der Arbeit in der Wohnung versteckt und dort die restliche Zeit
verbringt. Im ganzen Roman wird keineswegs eine Freundin, eine Kaffe -Tratschtante
oder sonst eine Person erwähnt, welche eine engere Beziehung zu Hanna hat.

43 3.3.5. Unmündigkeit oder Unzurechnungsfähigkeit

In diesem Unterkapitel beabsichtige ich eine Analyse Hannas, um eine der im
Untertitel erwähnten Möglichkeiten Hannas Aktionen zu deuten, zu erklären.
Unmündigkeit ist ein Begriff, welcher uns mit dem Gedanke zur mentalen Unreife
führt. Meiner Ansicht nach schließt dieser Begriff auch Verantwortungslosigkeit ein.
Damit meine ich die Tatsache, dass ein Minderjähriger zum Beispiel nicht volle
Verantwortung für seine Taten trägt. Diese Eigenschaft würde vielleicht eher zu
Michaels Profil passen, da er der 16 -jährige ist.
Unmündig könnte man Hanna auch folgender Maßen betrachten: Sie verheimlicht
ihre Identität, versucht ebe nfalls ihr berufliches Leben zu verheimlichen und viel
mehr ihre Unfähigkeit zu lesen und schreiben. Ihr Analfabetismus könnte man mit der
angenommenen Unmündigkeit Hannas verbinden. Man spricht in ihrem Fall von
Scham, sie schämt sich nicht lesen und schr eiben zu können. In all dieser Zeit hat
Hanna aber nichts unternommen, um diesen Mangel anzufüllen. Bis im Alter von 36
hätte sie genug Zeit gehabt sich das Lesen und Schreiben anzueignen, sei es durch
einen Privatlehrer oder durch eine enge Bekanntschaft.
Wenn schon die enge Bekanntschaft erwähnt wurde, sollte man eine Brücke zum
nächsten Begriff – welcher im Untertitel erwähnt wird – aufbauen. Aus erklärbaren
Gründen hat Hanna Schmitz keine enge Bekanntschaft. Es ist fragwürdig, ob Hanna
ihrem Nächsten b eistehen und helfen würde, wie es auch die Bibel sagt, aus dem
einfachen Grund, dass sie kein Nächstes hat. Es lässt sich herausschließen, dass
Hanna bis zu diesem Zeitpunkt alle Annäherungsmöglichkeiten und Versuche der
Personen abgelehnt hat. Hanna lässt den Eindruck einer rigiden, kalten Person.
Michael schafft es in ihre Privatsphäre einzudringen, hat darunter aber nicht nur zu
gewinnen, sondern auch zu leiden.
Unzurechnungsfähigkeit verbindet man gleich mit geistiger Krankheit. Eine
unzurechnungsfähig e Person kann nicht die Verantwortung für ihre Taten
übernehmen. Dieser Begriff und seine Implikationen sind natürlich sehr empfindlich
und deswegen muss man Aufmerksamkeit und Vorsicht des Umgangs damit widmen.
Solche Störungen, welche eine Person unzurec hnungsfähig machen, sind meistens in
den persönlichen Dokumenten der Person gekennzeichnet. Wir wissen nicht, ob
Hanna im Ausweis oder in den ärztlichen Dokumente solche Kennzeichen trägt, aber

44 nachdem das Urteil ausgesprochen wurde, wird einem klar, dass Hanna keine geistige
Krankheit hat und deswegen keine Entschuldigungsmöglichkeit noch aufrichtig steht.
Hanna Schmitz bekommt ihre Strafe, muss in Haft die folgenden Jahre verbringen,
Tatsache welche uns Leser klar besagt, dass Hanna weder als unmündig no ch als
unzurechnungsfähig betrachtet werden sollte, sowohl für ihre Beziehung zu Michael,
als auch für ihre Aktivität in den KZs.
Wenn schon die Schuldprobblematik erneut erwähnt wurde, gilt es vielleicht auch von
einer Rettung zu sprechen, von einer zwei ten Chance, die Hanna hätte bekommen
können. Wir erfahren am Ende des Romans, dass Hanna sich kurz vor der Entlassung
umbringt. Sie verzichtet also auf die Chance ein neues, korrektes Leben nach der
Haftzeit aufzubauen und wählt den Selbstmord. In diesem F all spricht man entweder
von einer Resignation, von einer Zufriedenstellung des Gelebten und Erlebten, oder
von einer Anhäufung und einer möglichen Sättigung Hannas. Das Urteil über Hannas
Mord bleibt dem Leser überlassen, somit wird er zum Nachdenken gebr acht.

45 4. Die Verfilmung des Romans Der Vorleser und seine
Rezeption

Im Laufe der Zeit gab es mehrere Filme die versucht haben Fakten nach dem
Holocaust zu schildern. Dazu zählt auch Verurteilt zum Tode durch den Strang – Das
Nürnberger Tribunal der Alli ierten . Dokumentation mit vielen Originalaufnahmen
und Interviews mit einigen Beteiligten. Frankreich, 2006, 91 Min. (Dabei wird auch
besonders auf die Rolle des Einsatzes von drei Filmen als Beweismittel eingegangen:
Über die Nazi -Konzentrationslager , Die Beteiligung der Angeklagten an den
Kriegsvorbereitungen (Der Nazi -Plan) und Die Exhumierung der von Deutschen
Ermordeten in der Sowjetunion ).
Im Jahr 2005 wurde ein Teil des Prozesses mit besonderer Berücksichtigung der Rolle
Albert Speers im Fernsehfilm Speer und Er gezeigt. Im Jahr 2000 wurde der Prozess
gegen die Hauptkriegsverbrecher verfilmt. Der Film, von Regisseur Yves Simoneau
trägt den Titel Nürnberg – Im Namen der Menschlichkeit .
1961 verwendete Stanley Kramer in Das Urteil von Nürnberg den Juris tenprozess
(Folgeprozess; Hauptdarsteller Spencer Tracy Oscar Nominierung, Maximilian Schell
– Oscar) als Skriptvorlage.
Bald nach dem Hauptkriegsverbrecherprozess erschienen Im Zuge der Reeducation
1947 der sowjetische Dokumentarfilm Das Gericht der Völke r und die amerikanische
Dokumentation Nürnberg und seine Lehre .
Der Vorleser/ The Reader erschien 2008 im Kino. Der Film basiert auf Bernhards
Schlink s Roman , Der Vorleser . Das Drehbuch des Filmes entstand, unter Mitwirkung
des Autors60, schrieb der Dramati ker David Hare. Der Film wurde unter der Regie des
britischen Regisseurs Stephen Daldry fast ausschließlich in Deutschland gedreht und
begann am 10. Dezember 2008 in den US -amerikanischen Kinos gezeigt zu werden .
In Deutschland lief er a b 26. Februar 2009 . Die Hauptdarsteller Hanna Schmitz und
Michael Berg werden von der berühmten Kate Winslet und jungem David Cross
gespielt.

60 http://www.cineasten.de/filme/der -vorleser.html ; Presseheft zum Film, S. 10

46 Der Roman erschien in den USA im Jahr 1997 und zu dem Zeitpunkt wurden die
Rechte für die Verfilmung von Mirimax auch erworben, damit man den Roman auf
die Leinwand umsetzen kann.61
Der Vorleser wurde auf deutscher Seite von der Studio -Babelsberg –
Tochtergesellschaft Neunte Babelsberg Film GmbH und in den USA von The
Weinstein Company und Mirage Enterprises mit einem Budget von 32 Mio. US –
Dollar produziert.62 Der Film wurde mit 500.000 Euro von der Filmförderungsanstalt
bezuschusst.63
Im Spiegel erscheint im Jahr 2009 einen Artikel von Daniel Sander über die
Verfilmung des Romans. Der Artikel ist vielleicht ein wenig zu direkt und kann bruta l
für einen wirken, deshalb versuche ich Daniel Sander zu paraphrasieren und den
Inhalt des Artikels ebenfalls durch meinen Filter gehen zu lassen. Daniel Sander baut
einen direkten Aufstieg auf und der Leser hat den Eindruck er fällt mit der Tür ins
Haus :

Man kann diesen Film geschmacklos finden, zu trivial, konfus oder kühl, und trotzdem bleibt
immer noch ein Grund übrig, sich Der Vorleser anzusehen: Kate Winslet. Der Oscar, den sie
am Sonntag dafür bekommen hat , ist absolut gerechtfert igt, auch wenn sie im Ehedrama
Zeiten des Aufruhrs noch viel interessanter war. Was schwer zu glauben ist, be i dem ganzen
Wirbel, der gerade um Stephen Daldrys Verfilmung von Bernhard Schlinks Roman gemacht
wird. "Der Vorleser" wird nun für alle Zeiten der "Holocaust -Sex-Film" sein, einer dieser von
Skandalen umrankten Filme, die man wohl gesehen haben muss, um m itreden zu können.64

Der deutsche Journalist empfiehlt den Film also für die beliebte Kate Winslet und
behauptet sie sei ein Grund, den Vorleser anzusehen. Sander behauptet, dieser Film
gehöre zu den Filmen des Holocausts, einen Film den man gesehen haben muss, um
als aktiver Partner einer Diskussion handeln zu können. Wir erfahren noch, dass
dieser Film durch die intimen Szenen beeindruckt und beeinflusst hat und somit er als
„Holocaust -Sex-Film“ bezeichnet.

61 Monica , Roman: Miramax books “Reader”. In: variety.com am 8. Januar 2008
62 Der Vorleser. filmmag.de; abgerufen am 22. Mai 2018
63 Ed Meza: “Reader” receives German funds. In: variety.com am 26. Oktober 2007
64 Daniel, Sander : Schuld und Sünde – In: Der Spiegel, 26.02.2009

47 Dabei hält sich der Film rigide an Handlun g und Struktur der Textvorlage: Ein 15 -Jähriger
erlebt im Nachkriegsdeutschland sein sexuelles Erwachen mit der geheimnisvollen,
schweigsamen 36 -jährigen Hanna Schmitz, der er vor und nach dem Sex aus Werken der
Weltliteratur vorliest.
Er verfällt ihr, doc h sie verschwindet eines Tages, und erst Jahre später sieht er sie während
seines Jura -Studiums wieder – ihr wird der Prozess gemacht, weil sie als ehemalige KZ –
Aufseherin für den Tod von Hunderten Menschen verantwortlich sein soll. Sie zeigt keine
Reue, s ie hat ein anderes Geheimnis, für das sie sich mehr schämt. Das Geheimnis könnte sie
vor einer lebenslangen Strafe bewahren, auch ihr früherer Liebhaber kennt es, doch beide
schweigen.65

Die Verfilmung bleibt dem Roman ziemlich treu, der Regisseur behält d ie Handlung
und folgt der Textvorlage ziemlich treu. Sander versucht in diesem Artikel eine treue
Meinung und Rezeption des Films zu schaffen, manchmal wirkt er vielleicht ein
wenig zu radikal, aber das erklärt man sich durch die Tatsache, dass der Artikel in
einer Zeitung erscheint und für den Leser einen möglichen Reiz, sich den Film
anzusehen, aufbaut. Er versucht seine persönlichen Meinungen auszuschließen, um
eben die Leser nicht positiv oder negativ zu beeinflussen, aber man erkennt schon
seinen Wunsc h Hanna anzuklagen und als Schuldige zu wählen.

Wie der Roman wechselt der Film häufig zwischen vier Zeitebenen – erzählt, wie aus dem
Jungen von einst (David Kross, hervorragend) ein erfolgreicher aber emotionsgestörter
Anwalt (Ralph Fiennes) geworden i st, und wie die mysteriöse reife Frau eine mysteriöse
Gefangene bleibt, die nicht preisgeben will, ob sie ihre Schuld irgendwann eingesehen oder
verstanden hat.
Im Buch wirkte das wie ein philosophisches Gedankenspiel um Schuld, Sühne und Sünde, um
das Sch weigen einer Generation und um die Hilflosigkeit der folgenden.
Der Film hat schon des Mediums wegen weniger Möglichkeit zur Introspektion und zu
Ausflügen in die Gedankenwelt seiner Figuren.66

Meiner Ansicht nach hält Sander wenig für sich, er öffnet sich wie ein Buch und
begibt sich diesen Artikel/diese Rezension zu schreiben. Die Leserschaft erfährt von
ihm, dass Michael der Erzähler im Film und Roman ist, also dass es sich um einen
Ich-Erzähler handelt. Die Perspektive gehört also Michael Berg oder im F ilm David
Kross und Ralph Fiennes , welcher von Sander als ein ,,erfolgreicher aber
emotionsgestörter Anwalt“ sei. Sanders Ansicht entspricht meiner, er bezeichnet
Hanna als reife, mysteriöse Frau, später Gefangene.

65 Daniel, Sander : Schuld und Sünde – In: Der Spiegel, 26.02.2009
66 Daniel, Sander : Schuld und Sünde – In: Der Spiegel, 26.02.2009

48 Daniel Sander hält sich überhaupt nicht zurück und macht sogar Beurteilungen über
den Roman selbst. Wie auch ich in einem früheren Unterkapitel erwähnt habe, hat
dieses Werk ein Ende, welches zum Nachdenken anregt. Sander bleibt derselbe
Eindruck, er behauptet folgendes: „ Im Buch wirkte das wie ein philosophisches
Gedankenspiel um Schuld, Sühne und Sünde, um das Schweigen einer Generation
und um die Hilflosigkeit der folgenden. “67
Im Gegenteil, behauptet Sander, der Film lässt dem Zuschauer weniger Raum und
Möglichkeit zur Introspektion in die Ge dankenwelt der Figuren wegen des Mediums.
Dafür eignet sich doch die schriftliche Variante viel besser.

Regisseur Stephen Daldry hilft sich mit langen Blicken in die sorgenerfüllten Gesichter seiner
Protagonisten, deutet ihr Unglück an, ohne es erklären zu können.
In gewisser Weise ist das sogar reizvoll, weil gerade die Hauptfigur Hanna Schmitz so
moralisch noch undurchsichtiger bleibt als in der Vorlage. Viele jedoch werden die kühle
Zurückhaltung eher als frustrierend begreifen.
Sicher, die Sexszenen s ind nicht gerade zimperlich und womöglich einen Hauch zu
schwelgerisch eingefangen, doch letztlich ist "Der Vorleser" ein adäquates, geradezu
vorsichtiges Nachstellen seiner Vorlage.68

Hanna Schmitz wird von Sander als „undurchsichtig“ bezeichnet, sie wirk t
geheimnisvoll, kalt und fragwürdig als Mensch. Das entspricht auch meiner
Beschreibung Hannas in den vorigen Kapiteln. Daniel Sander kommt zur selben
Schlussfolgerung zu der ich in meiner Analyse gekommen bin, nämlich, dass Hanna
Schmitz‘ Verhalten und S chweigen sich aus Frustrierung gebildet haben. Ihr Dasein
und Handeln ist nichts anderes als das Resultat ihrer Frustrierung, ihrer Verborgenheit
und ihres Geheimnisses.
Die Sexszenen werden auch in Betracht gezogen von Daniel Sander. Er ist der
Meinung, dass sie im Film so gehören, wie sie dargestellt wurden, aus dem einfachen
Grund, dass sie im Roman auch ziemlich explizit dargestellt werden. Der Leser bzw.
Zuschauer kann sich somit eine Meinung bilden, welche die Evolution Michaels ist,
was für Veränder ungen bei ihm stattfinden und welchen Einfluss das bei ihm hat.
Sander behauptet, der Regisseur habe sogar bei den Sexszenen vorsichtig der Vorlage
gefolgt und ein treues Bild geschafft.
Skandalös kann der Film nur da sein, wo es der Roman schon gewesen i st, oder von manchen
so empfunden wurde. Wer das Buch für brillant hält, für eine wichtige Auseinandersetzung
mit dem Holocaust aus Sicht einer Schuldigen, kann das auch für den Film unterschreiben.
Wer die gnädige Absolution einer uneinsichtigen Täterin b eklagte, wird es hier wieder tun.

67 Daniel, Sander : Schuld und Sünde – In: Der Spiegel, 26.02.2009
68 Daniel, Sander : Schuld und Sünde – In: Der Spiegel, 26.02.2009

49 Aber dabei zuzusehen, wie die große Kate Winslet sich dieser Figur hingibt, wie sie ein Rätsel
zu einem Menschen macht, ohne einfache Antworten liefern zu wollen – das ist ein Erlebnis
vollendeter Schauspielkunst.69

In die sem letzten Abschnitt, den ich zitiert habe, hat Sander eine korrekte und getreue
Schlussfolgerung formuliert und der Leserschaft sowohl das Buch, das Originalwerk,
empfohlen, als auch die Verfilmung mit ihren gelungenen Darstellungsmöglichkeiten.
Daniel m acht die zwei Positionen von Anfang an bekannt, nämlich die Perspektive
von der man Hanna als Schuldige (KZ -Aufseherin) betrachtet, oder die Perspektive
von der man Hanna als uneinsichtige Täterin betrachtet. Er gibt klar zu, dass dem
Leser, bzw. dem Zusch auer die Aufgabe überlassen wird, Hanna sich je nach
Geschmack anzusehen und zu beurteilen. Daniel Sander, angeblich ein großer Fan
von Kate Winslet, schließt seinen Artikel ab, indem er die Leserschaft fordert, sich
den Film auch nur für Kate Winslet anzu sehen, wenn für sie alles andere kein
Interesse weckt.
Der Film erhielt die Golden -Globe -Nominierungen in den Kategorien Bester
Film/Drama, Beste Regie, Bestes Drehbuch. Vier weitere Oscar -Nominierungen
folgten in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bestes adaptiertes Drehbuch,
Beste Kamera
Kate Winslet erhielt im Jahr 2009 für die Rolle von Hanna Schmitz folgende
Filmpreise:

Oscar (USA): Beste Hauptdarstellerin
Golden Globe Award (USA): Beste Nebendarstellerin
Screen Actors Guild Award (USA): Beste Nebendarstellerin
BAFTA Award (Vereinigtes Königreich): Beste Hauptdarstellerin
Bambi (Deutschland): Schauspielerin International
Europäischer Filmpreis: Beste Darstellerin 70

69 Daniel, Sander : Schuld und Sünde – In: Der Spiegel, 26.02.2009
70 http://de.wikipedia.org/wiki/Kate_Winslet (Abruf am 25.05.2018)

50 4.1. Rezeption des Romans

Die erste größere Rezeption stammt von Tilman Krau se, deutscher Literaturkritiker
und leitender Literaturredakteur der Tageszeitung Die Welt , und zeigt bereits die
begeisterte Wertschätzung des Romans, die zahlreiche n Besprechungen des Vorleser s
im In – und Ausland auszeichnet:

Die Außenseiter sollen lebe n. Sie sind es, die frischen Wind in unserer flügellahme Literatur
bringen. Sie packen die relevanten Themen an und achten doch das Unterhaltungsbedürfnis
des Lesers. Handelt es sich auch noch, wie hier, um einen Juristen, so wird die deutsche
Belletristik zu ihrem großen Gewinn um Elemente bereichert, die sie fast verloren hat:
Scharfsinn und die Lust am Argumentieren. 71

Schlink geht nicht von dem Prinzip aus, dass alles verstehen heißt auch alles
verzeihen. Das heißt

man wird nie alles verstehen, darum sollte man sich gerechterweise mit dem Verurteilen
zurückhalten. Da wir es hier aber mit der Literatur zu tun haben, steht die Lehre gar nicht im
Vordergrund. In erster Linie ist dies eine aufregende Fallgeschichte, so gezügelt wie Genuß
gewährend erzählt. Das sollte man sich nicht entgehen lassen, weil es in der deutsch en
Literatur unserer Tage Seltenheitswert besitzt. 72

Werner Fuld, deutscher Autor und Literaturkritiker schreibt:

[…] Bernhard Schlink erzählt die Geschichte aus der Errinnerungsperspekt ive des Mannes,
dessen ganzes Leben von der Begegnung mit dieser Frau geprägt wurde. Dabei gelingt ihm
das in der deutschen Literatur seltene Kunststück, so behutsam wie möglich, vor allem ohne
moralische Bevormundung des Lesers, zu erfahren und dennoch du rch die suggestive
Präzision seiner Sprache ein Höchstmaß an Anschaulichkeit zu erreichen. Deshalb ist man als
Leser auch sofort verführt, die Geschichte sogar für authentisch zu halten, zumal es Parallelen
in der Biografie des Autors und seines Erzählens gibt. […] Ob die Geschichte so oder ähnlich
geschehen ist, bleibt angesichts der literarischen Leistung Schlinks eine drittrangige Frage.
Denn die Literatur erfindet sich ihre eigene Wahrheit, und in diesem Buch wird sie zu einem
Teil unserer Geschichte.73

Reiner Moritz, Kritiker, lobt den Roman mit gewissen Einschränkungen:

71 Krause, T ilman .: Keine Elternaustreibung. Ein Höhepunkt im deutschen Bücherherbst:Bernhard
Schlinks Roman über 68er und die deutsche Schuld. – In: DerTagesspiegel. 3.9.1995
72 Krause, T ilman .: Keine Elternaustreibung. Ein Höhepunkt im deutschen Bücherherbs t:Bernhard
Schlinks Roman über 68er und die deutsche Schuld. – In: DerTagesspiegel. 3.9.1995

73 Fuld, Werner: Drama eines zerstörten Lebens . In Focus. 30. September 1995. Nr. 40. S. 155

51 Bernhard Schlinks Erzählkunst besteht darin, fern aller Political Correctness zwei ineinander
verschränkte Biographien mit schnörkelloser, unerbittlicher Wahrhaftigkeit nachzuzeich nen.
[..] Es sind die einfachen Sätze dieses Romans, die ein kaum erträgliches Maß an
Erschütterung in sich bergen. Schlink reiht sie aneinander, ohne jedes Auftrumpfen, gibt ihnen
eine Resonanzkraft, wie sie allein große Literatur besitzt. […] Der Vores er ist ein Roman von
bestechender Aufrichtigkeit. Er fegt die bequemen Ausflüchte all derer hinfort, die einem
„Aufarbeiten der Vergangenheit“ eilferting das Wort reden. 74

Die Meinungen sind geteilt, aber i m Großen Ganzen hatte das Buch ein positives
Feed back . Einerseits wurde gesagt, dass die Liebesgeschichte zum Thema NS –
Prozess nicht passe, aber andererseits wurde Schlink für seine Wahl geschätzt. Die
Leserschaft und die Literaturkritiker waren diejenige, die das Urteil hatten und
infolgedessen hatte d er Roman einen großen Erfolg und das Publikum schätzt bis
heute sowhl das Werk als auch die Verfilmung.

74 Moritz, Reiner: Die Liebe zur Aufseherin . In: Die Weltwoche. Zürich. 23. November 1995

52 4.2. Vergleich zwischen Der Vorle ser und The Reader

Man kann diesen Film geschmacklos finden, zu trivial, konfus oder kühl, und
trotzdem bleibt im mer noch ein Grund übrig, sich Der Vorleser anzusehen: Kate
Winslet.
Der Film hält sich an der Handlung und Struktur der Textvorlage: Ein 1 6-Jähriger
erlebt im Nachkriegsdeutschland sein sexuelles Erwachen mit der geheimnisvollen,
schweigsamen 36 -jährigen H anna Schmitz, der er vor und nach dem Sex aus Werken
der Weltliteratur vorliest. Er verfällt ihr, doch sie verschwindet eines Tages, und erst
Jahre später sieht er sie während seines Jura -Studiums wieder – ihr wird der Prozess
gemacht, weil sie als ehemali ge KZ -Aufseherin für den Tod von Hunderten Menschen
verantwortlich sein soll. Sie zeigt keine Reue, sie hat ein anderes Geheimnis, für das
sie sich mehr schämt. Das Geheimnis könnte sie vor einer lebenslangen Strafe
bewahren, auch ihr früherer Liebhaber ke nnt es, doch beide schweigen.
Wie der Roman , wechselt auch der Film häufig zwischen vier Zeitebenen – erzählt ,
wie aus dem Jungen von einst ein erfolgreicher aber emotionsgestörter Anwa lt
geworden ist, und wie die mysteriöse reife Frau eine mysteriöse Gefa ngene bleibt, die
nicht preisgeben will, ob sie ihre Schuld irgendwann eingesehen oder verstanden hat.
Im Buch wirkte das wie ein philosophisches Gedankenspiel um Schuld, Sühne und
Sünde, um das Schweigen einer Generation und um die Hilflosigkeit der folge nden.
Der Film hat schon des Mediums wegen weniger Möglichkeit zur Introspektion und
zu Ausflügen in die Gedankenwelt seiner Figuren. Reg isseur Stephen hilft sich mit
langen Blicken in die sorgenerfüllten Gesichter seiner Protagonisten, deutet ihr
Unglück an, ohne es erklären zu können. In gewisser Weise ist das sogar reizvoll,
weil gerade die Hauptfigur Hanna Schmitz so moralisch noch undurchsichtiger bleibt
als in der Vorlage. Viele jedoch werden die kühle Zurückhaltung eher als frustrierend
begreifen.
Skandalös kann der Film nur da sein, wo es der Roman schon gewesen ist, oder von
manchen so empfunden wurde. Wer das Buch für brillant hält, für eine wichtige
Auseinandersetzung mit dem Holocaust aus Sicht einer Schuldigen, kann das auch für
den Film untersc hreiben. Wer die gnädige Absolution einer uneinsichtigen Täterin
beklagte, wird es hier wieder tun. Aber dabei zuzusehen, wie Kate Winslet sich dieser

53 Figur hingibt, wie sie ein Rätsel zu einem Menschen macht, ohne einfache Antworten
liefern zu wollen – das ist ein Erlebnis vollendeter Schauspielkunst.
Hanna ist eine Erloschene, innerlich tot, von der ersten Einstellung an. Die
Straßenbahnschaffnerin Mitte dreißig, die Ende der fünfziger Jahre Dienst tut in einer
westdeutschen Mittelstadt, beginnt zwar eine Affäre mit einem Fünfzehnjährigen,
aber eine Liebesgeschichte in tieferem Wortsinn erwächst daraus nicht, zumindest für
sie. Einen Sommer lang schenkt er ihr – und inszeniert sie sich – einen Raum, in dem
sie sich von ihrem Erloschensein ablenken kann. In dem sie den Schüler, den sie
immer nur „Jungchen“ nennt, aus Büchern vorlesen lässt, ihre zunächst eigentümlich
erscheinende Bedingung für Sex, erschließt sie sich die Welt über die Fiktion, hält sie
sich aber gleichzeitig einmal mehr vom Leibe.
Hanna Schm itz ist Gefangene zweier Geheimnisse. Das eine, der Analphabetismus,
treibt sie – wie viele Analphabeten – in Scham. Und in Verhaltensweisen, die Lese –
und Schreibkundigen unverständlich bleiben. Das andere gründet auf eine durch keine
Liebe aufhebbare und kein Gericht tauglich zu bemessende Schuld. Als Aufseherin in
einem KZ -Außenlager, da war sie Anfang zwanzig, hat sie Gefangene, die ihr hatten
vorlesen müssen, turnusmäßig nach Auschwitz geschickt. Und kurz vor Kriegsende
hat sie, zusammen mit vier ander en Wärterinnen, Hunderte von Jüdinnen verbrennen
lassen – nachts in einer verrammelten, von einer Bombe getroffenen Kirche.
Michael Berg, der Ich -Erzähler aus Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“, dem
Stephen Daldrys Verfilmung mit hoher Intelligenz folg t, ist ein Außenseiter, von der
ersten Einstellung an. Die Affäre ist sein Geheimnis, das ihn zum Einsiedler in der
Familie und unter den Mitschülern macht. Hanna aber, der er sein sexuelles
Erweckungserlebnis verdankt, folgt eigenen Geheimnissen, stellt d ie
Begegnungsregeln auf, beherrscht ihn mit jäh wechselnden Stimmungen und
verschwindet nach kurzen Wochen des Glücks ohne Erklärung. Nein, das
Zusammentreffen zwischen einer, die sich vor der Welt verschlossen hat und einem,
den sie benutzt und zur Belohn ung an ihren Körper heranlässt, kann keine
Liebesgeschichte sein.
Dass diese Begegnung das gesamte Leben Michaels dennoch tragisch prägt, weil er
an beiden Geheimnissen Hannas auf seine Weise zugrunde geht, ist die Prämisse und
existenzielle Moral des „Vor lesers“, der zum Welterfolg wurde und dessen
Verfilmung zu Recht als einer der stärksten Bewerber um die Oscars galt, dann aber
doch, bis auf den in jeder Hinsicht verdienten Oscar für Kate Winslet als Beste

54 Hauptdarstellerin, dem Indien -Kinomärchen „Slumd og Millionär“ unterlag. Erst
erfährt der Jurastudent, acht Jahre später im Gerichtssaal, von Hannas Schuld: Sie ist
eine der KZ -Aufseherinnen, denen der Prozess gemacht wird. Dann von ihrer Scham:
Weil die Mitangeklagten sie fälschlich beschuldigen, den Ei nsatz in der Mordnacht
angeführt und selber protokolliert zu haben, nimmt Hanna die Höchststrafe auf sich –
und Michael erkennt, dass er der Vorleser einer Analphabetin war. Fortan trägt er an
einem doppelt verschwiegenen Wissen: Niemand weiß von seiner Ve rbindung zu der
Nazi Verbrecherin, und nur er ist Mitwisser ihres Analphabetismus. Das eine
beschämt ihn, das andere macht ihn auf seine Weise schuldig. Diese beiden
Schweigegespenster zerstören sein Leben.
In seiner romantischen, von Kate Winslet und Davi d Kross fantasti sch verkörperten
ersten Teils geht es um Passion. Und um eine jungmännliche Projektion. Doch ist sie
– auch für den Zuschauer – nicht zu haben ohne die Ernüchterungsarbeit des
Erwachsenen, der einen fundamentalen Schrecken in seine Biografi e einarbeiten
muss. Er tut dies, indem er Hanna über Jahre Kassetten mit Vorgelesenem ins
Gefängnis schickt, aber nicht auf ihre Zweizeiler antwortet, als sie mühsam lesen und
schreiben gelernt hat. Der Widerspruch ist zwangsläufig: Als Mitwisser ihrer Sch am
kann er trostweise Signale senden. Für einen Briefwechsel aber, einen echten Dialog,
ist ihre Schuld zu groß.
Überhaupt ist die Scham Hannas über ihren Analphabetismus, die zu erst das Mitleid
des Zuschauers mobilisieren mag, nur ein geschickt gewählter psychologischer
Nebenschauplatz. Nirgendwo findet sich ein Beleg dafür, dass sie der Betroffenen
selbst den Blick auf ihre Schuld verstellt. Auch dass Hanna, um ihr Geheimnis zu
wahren, eine schwerere Strafe auf sich nimmt als die Mittäterinnen, ist die
Entscheidung einer erwachsenen Frau. Umso dramatischer gerät der moralische
Konflikt Michaels, der mit einer Initiative beim Gericht auf eben diesen mildernden
Umstand drängen könnte. Nur was, wenn er, womöglich aus einem missverstandenen
Begriff von Liebe, damit Hannas Willen missachtet?
Der unwiderstehliche Reiz des Buches besteht darin, dass es den Projektionen eines
Ich-Erzählers folgen kann, der sich zugleich auf der Reflexionsebene keineswegs
schont. Der Film löst sich – auch im geschmeidigen Wechsel de r Zeitebenen – von
dieser monolithisch allzweifelnden Erinnerungsperspektive, wobei er die zentralen
Fragen noch zuspitzt. Die von Drehbuchautor David Hare hinzuerfundenen oder
signifikant veränderten Dialoge insistieren auf der Unmoral der Tat, nicht der Moral

55 der Gefühle, zumindest gilt dies für die Generation der Täter und der überlebenden
Opfer. Die Schuld endet nie, die Wunden heilen nie, „die Toten sind immer noch tot“,
sagt Hanna zu Michael, bevor sie sich anderntags in der Zelle erhängt. Lernen könn en
und müssen allenfalls die Jüngeren.
Vielleicht ist es dieser verobjektivierenden Schärfe geschuldet, dass Stephen Daldry
seine furchtbare Heldin mitunter sanfter erscheinen lassen kann als in der Vorlage.
Hanna zieht dem Halbwüchsigen im Streit nicht ei nen Lederriemen durchs Gesicht,
sondern ohrfeigt ihn nur; auch die entlarvende Bemerkung der Überlebenden des
Kirchenbrands, „Was ist diese Frau brutal gewesen“, fällt im Film nicht – Michael
besucht die Jüdin, die Lena Olin mit fein strahlender Überzeugun gskraft spielt, nach
Hannas Tod in New York. Dass sie allerdings die hinterlassene Teedose ihrer
Peinigerin neben das Foto ihrer ermordeten Verwandten stellt, ist zu viel der
Versöhnung. Nur hier lügen die Bilder dieses sonst so klar nachempfindenden Films ,
als gäbe es zwischen Tätern und Opfern ein gemeinsames Erbe.
Noch ein Unterschied wäre zu nennen, einer der zarteren Art. Im Roman, dessen
nachgehende Lektüre mindestens so ergiebig ist wie die vorbereitende, fragt Michael
bei der erschütternden Begegnun g im Gefängnis nicht, was Hanna „gelernt“ habe aus
alledem. Und sie antwortet auch nicht: „lesen“, um damit jeder billigen Buße einen
Riegel vorzuschieben. Sondern er erkundigt sich behutsam, ob sie nicht schon damals
an ihre Taten habe denken müssen, in j enem Sommer, als er ihr vorgelesen habe. Und
sie antwortet, damals habe sie die Toten noch verscheuchen können, aber seit dem
Prozess seien sie bei ihr, „jede Nacht, ob ich sie haben wollte oder nicht.“ In diesem
Augenblick der Geheimnislosigkeit sind Hann a und Michael ein Paar, ihr einziges
wirkliches Mal.

56 4.3. Kritische Perspektive der Verfilmung des Romans von Bernhard
Schlink, The Reader

In Daldrys Verfilmung steckt die Fülle des schmalen Buches – nur bleibt sie hinter
den Bildern zurück. Bei der Tr ansformation der Prosa ins Visuelle sieht man plötzlich
die konventionellen Effekte. Zwar ist der für seine sensible Schauspielführung
berühmte Regisseur ( Billy Elliot , 2000; The Hours , 2002) bemüht, Kitsch und allzu
eindeutige Zuschreibungen zu vermeiden. Aber die Poesie, das Rührende, das
Gewollte in der Inszenierung wiegt immer stärker. Bei Schlink heißt es, er wolle
keine Geschichte erzählen, die glücklich oder traurig macht, sondern eine, die stimmt.
Auf der Leinwand ist es andersherum.
Bernhard Schlin ks Welterfolg Der Vorleser verbindet sprachliche Qualität mit einer
runden Geschichte übers Erwachsenwerden und die Aufarbeitung der deutschen NS –
Vergangenheit. Regisseur Stephen Daldry und Drehbuchautor David Hare
vermochten es in ihrer Verfilmung weder, Schlinks Sprachfertigkeit in entsprechende
Bilder zu kleiden, noch die Handlung als solche adäquat auf die Leinwand zu bannen.
Daldrys Inszenierung ist handwerklich routiniert, aber weitgehend bieder und
konturlos, Hares Adaption krankt ab der Filmmitte an einer perspektivischen
Verzerrung. Schlink hält die Distanz zu seiner Protagonistin durchgehend aufrecht
und macht dadurch sowohl Michaels Leid als auch Hannas doppeltes Dilemma,
einerseits ihre unnachgiebige Befehlstreue als KZ -Wärterin, andererseits ihr
persönliches Handicap, das an dieser Stelle nicht verraten sei, in ihrer Komplexität
greifbar und glaubhaft. In der Filmversion wird Hanna hingegen undifferenziert als
Opfer dargestellt. Auch die Charakterisierung des erwachsenen Michael, gespielt von
Ralph Fiennes, die sich einzig auf seine Vergangenheit mit Hanna stützt, wirkt in
ihrer Direktheit reichlich plump.
Der Film ist in den ersten Minuten eine sehr getreue Adaption des Romans, dies
ändert sich mit zunehmendem Verlauf. Im Film wird der Fokus der Geschichte
zunehmend auf Hanna gelegt, was Kritiker der Geschichte dazu veranlassen werden,
einen Relativismus zu konstatieren, der noch stärker durchscheint als er es im Roman
ohnehin schon tun würde. Dies hat zuvorderst auch mit dem Verlust der Ich –

57 Persp ektive aus dem Roman zu tun, die so im Film nicht adaptierbar war. Stattdessen
beginnt der Film nun im Berlin des Jahres 1995 und erzählt die Ereignisse in der
Rückblende: Wie der junge Michael Berg eines Tages auf der Straße von Hanna
aufgelesen und nach Hause gebracht wird, als ihm schlecht ist. Wie er nach seiner
Krankheit wieder zu ihr kommt, wie er ihr verfällt, wie er sich in die ältere Frau
verliebt. Doch eines Tages ist Hanna verschwunden und Michael sieht sie erst Jahre
später als Student in einem Gerichtsaal als Angeklagte wieder, als ihre Verbrechen als
Angestellte der SS verhandelt werden.
Gelingt es Daldry den ersten Teil des Romans mühelos abzubilden, verliert der Film
in seiner zweiten Hälfte eindeutig den Fokus. Die weitgehenden Reflexionen v on
Michael um Schuld, Moral und deren Reichweite , fallen zum großen Teil unter de m
Tisch. Es gibt nur wenige Szenen, wie zum Beispiel die aufgeheizte Debatte von
Michael und seinen Kommilitonen im Seminar, die etwas von den gesellschaftlichen
Konflikten de r Zeit abzubilden vermögen. Eingeschränkt gelingt dies auch noch im
Gericht ssaal, wenn mit ekelhafter Eindringlichkeit gezeigt wird, wie einfach es doch
ist, einige Wenige zu verurteilen und den großen Rest , mehr oder weniger , aus der
Verantwortung zu entl assen. Eine schöne Szene ebenfalls , als Hanna den vorsitzenden
Richter fragt, was er denn an ihrer Stelle gemacht hätte. Und es darf spekuliert
werden, warum der Richter im Film stumm bleibt, während er im Buch antwortet.
Jedenfalls zeigt diese Szene eindr ücklich um die Schwierigkeit des richtigen
Verhaltens, welches Mut erfordert, wo eben dann auch zu Viele versagen mit der
Folge, dass sie Schuld auf sich laden. Wenn aber, und diesen Vorwurf muss sich der
Film gefallen lassen, der Fokus von der innerlichen Zerrissenheit des Studenten
Michael auf Hanna zentriert wird, zerfasert Schlinks Vorlage zusehends zu einer
tragischen Liebesgeschichte. Hanna wird auch im letztem Abschnitt des Films
fälschlicherweise zur zentralen Figur, wenn ihr Leben im Gefängnis geze igt wird. Ein
Leben, was im Buch nur durch die Augen von Michael erzählt wird, hier aber eine
Eigenständigkeit erlangt. Das s Daldry dann noch in der Szene des letzten
Auseinandertreffens zwischen Michael und Hanna die Kurve kommt, muss als großes
Glück bez eichnet werden: Zeigt sich doch an dieser Stelle die moralische Leerstelle,
die Hanna in sich trägt, nämlich das Scheitern des Erkennens der eigenen Schuld. Der
Film ist an dieser Stelle bedeutend härter als der Roman, so als ob Daldry eingefallen
wäre, da ss er bislang seine Hanna zu weich gezeichnet hätte.

58 Dies liegt auch an Kate Winslet, die in gewisser Weise vielleicht einfach auch nur zu
schön für diese Rolle gewesen ist. Zwar versucht sie zu Beginn ab und an die Kälte
zur Schau zu stellen, die im Roman so charakteristisch für Hanna ist, doch gelingt ihr
das nur selten, auch weil Daldry seine Hanna an Stellen weinen lässt, an denen im
Roman keine Tränen fließen. Erst im Zuge des Prozesses gelingt es Winselt Hanna
mit der Ambivalenz zu verkörpern, die ihr er Rolle angemessen ist. David Kross
schließlich ist zwar kein Totalausfall, kann sich aber gegen seine ominpräsente
Kollegin nicht behaupten. Das ist im ersten Abschnitt des Films noch nicht weiter zu
bemängeln, im zweiten wird es aber umso ärgerlicher, d a er sich da mehr in den
Vordergrund hätte spielen müssen. Besser zu gefallen weiß da Ralph Fiennes, der den
Film einleitet und beendet und in seiner Verkörperung des erwachsenen Michael ganz
gut erahnen lässt, was die Zeit mit Hanna in ihm anger ichtet hat . Alles in allem
ist Der Vorleser im Großen und Ganzen eine gelungene Adaption des Romans.

59 Schlussbetrachtung en

In meiner Arbeit habe ich versucht, eine komplexe Auseinandersetzung mit einem
Bestseller der deutschen modernen Literatur, dem Vorleser . Die Analyse wurde
weitergeführt und bezog sich nicht nur auf das Werk an sich, sondern auch auf die
Verfilmung aus dem Jahr 2008.
Ich bin schrittweise vorgegagen und habe eingangs der Arbeit generelle Aspekte
angesprochen. Die Arbeit beginnt also mit der Pr äsentation allgemeiner Fakten über
den Roman, setzt dann mit der Biographie Bernhard Schlinks f ort, gefolgt von einer
Erörterung bezüglich des modernen Charakters des Romans und von der
Interpretation und Deutung des Titels.
Im zweiten Kapitel setz te ich m it der Darstellung und Bearbeitung der Thematik fort,
um einen klaren Blick zu ermöglichen, wovon dieser Roman handelt und wie man die
Handlung deuten könnte. Im Nachhinein w urde in der Arbeit die Einordnung des
Werks in die Literaturgeschichte eingenommen und dessen Angehörigkeit zu der
Epoche des Moderne besprochen. Im weiteren Verlauf wechsel te ich den Fokus und
widme te die Aufmerksamkeit der Personenkonstelation. In diesem Unterkapitel
wurden die zwei Hauptgestalten unter die Lupe genommen und analysier t.
Das dritte und umfangreichere Kapitel fing mit den geschichtlichen und sozialen
Aspekten an. Aspekte der NS -Prozesse wurden global behandelt, ebenfalls die
Vorgeschichte, welche eine wesentliche Rolle für die Entstehung und Handlung des
Romans hatte. Di esem theoretischen und trockenerem Teil folgte die Ansprache der
Schuld – und Schamproblematik, ein sensibler Aspekt, welcher aber nicht weggelassen
werden konnte. Diese zwei Aspekte wurde in fast jeder Rezension des Romans und
der Verfilmung erwähnt, sie g ehören zur Auseinandersetzung mit dem Thema und
wurden deshalb mit Sorgfältigkeit behandelt.
Im folgenden Unterkapitel g ing ich auf die Schuldunfähigkeit und Schamangst
Hannas ein, versuch te eine objektive Darstellung deren Aspekte und w o möglich
sogar ein e Rechtfertigung für Hannas Aktionen. Dadurch, dass Hanna eine komplexe
Gestalt des Romans ist und ihr viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde, konnte ich im
Rahmen der vorliegenden Arbeit sogar eine Analyse der Mimik und Gestik Hannas

60 aufbauen. Die Arbeit setz te also fort mit einem Unterkapitel über die Deutung der
Gesichtsausdrücke und der körperlichen Sprache Hannas.
Im folgenden Unterkapitel habe ich mich ebenfalls mit Hanna Schmitz beschäftig t, ihr
Status w urde unter die Lupe genommen und ich habe versuch t, eine Schlussfolgerung
zu formulieren, indem ich Hannas Evolut ion im Roman global betrachtet habe . Man
konnte sich die Frage stellen, ob Hanna Schmitz eine statische Gestalt gewesen ist ,
eine Gestalt die sich entwickelt e/eine Evolution macht e, oder eine Ge stalt die einen
Rückschritt/eine Involution macht e. Es gab selbstverständlich Argumente für jede der
obigen Varianten, deshalb kann man schlussfolgern, dass sie eine ziemlich statische
Gestalt ist, welche aber doch eine Evolution macht, indem sie das Schr eiben und
Lesen selbst erlernt.
Was mich persönlich daran sehr begeistert hat, waren die psychologischen
Betrachtungen , die man anhand der beiden Hauptgestalten ableiten konnte . Deswegen
wurden diese im folgenden Unterkapitel bearbeitet. Für mich persönli ch war es eine
Herausforderung herauszufinden, welchen Einfluss Hanna auf Michael hatte und
umgekehrt. Die meisten würden einschätzen, dass Hanna ausschließlich einen
negativen Einfluss auf Michaels Entwicklung hatte, es hat sich aber heraus gestellt ,
dass es auch positive Aspekte innerhalb der Beziehung gab, Aspekte welche Michaels
Weg und Entwicklung tatsächlich verändert haben, aber nicht unbedingt in einem
negativen Sinn.
Im letzten Unterkapitel des 3. Kapitels habe ich mich mit der in der Einleitung
erwähnten Unmündigkeit, beziehungsweise möglichen Unzurechnungsfähigkeit der
weiblichen Hauptgestalt befass t. Allererst habe ich die zwe i Begriffe erklärt und im
Nachhinein habe ich Argumente gesucht , welche sowohl dafür als auch dagegen
sprachen, um am Ende dann zu einer klare n Schlussfolgerung kommen zu können. Es
stellte sich also die Frage, ob man im Falle von Hanna Schmitz über Unmündigkeit
oder Unzurechnungsfähigkeit sprechen k ann.
Im 4. und letzten Kapitel meiner Arbeit befass te ich mich hauptsächlich m it der
Verfilmung des Bestsellers Bernhard Schlinks. Das erste Unterkapitel fokussierte also
auf die Verfilmung des Vorlesers und auf die Rezeption des Romans und des Films.
Im nächsten Unterkapitel versuchte ich einen Vergleich zwichen dem Roman und der
Verfilmung aufzustellen und wollte herausfinden, inwiefern die Verfilmung getreu
dem Roman gemacht wurde. Im letzten Unterkapitel des 4. Kapitels brachte ich eine
kritische Perspektive der Verfilmung des Romans und betonte die Wichtigkeit der

61 Schauspielera uswahl eines Films , indem ich , die in vielfältigen Rezensionen
gepriesene Schauspielerin , Kate Winslet , und ihre Bedeutung für den Film , beton t
habe . Mit dem 4. Kapitel fand meine Auseinandersetzung mit dem Bestseller der
Deutschen Literatur und dessen Ver filmung einen Schluss.

62 Bibliographie

Behr, Martina, Maike Corpataux (2006) : Die Nürnberger Prozesse:
Zur Bedeutung der Dolmetscher für die Prozesse und der Prozesse für die
Dolmetscher . Meidenbauer, München

Chaim Schneider, Richard (2000): Wir sind da! , Berlin: Ullstein Verlag

Fleischmann, Lea (2002): Dies ist nicht mein Land: Eine Jüdin verläßt
die Bundesrepublik , München: Wilhelm Heyne Verlag

Heinen, Armin (2007) : Rumänien, der Holokaust und die Logik der
Welt, München: Oldenbourg Verl ag

Kirsch, Stefan (2009) : Der Begehungszusammenhang der Verb rechen
gegen die Menschlichkeit, München: Internationaler Verlag der
Wissenschaften

Michael , Palomino (2003) : Holocaust -Tabelle: 6 Millionen: Holocaust
mit Stollenbau, Bunkerbau, Stalin -Deporta tionen, Rote Armee etc. plus
Auswanderung – und nicht geborene jüdische Kinder nach 1945,
Geschichte in Chronologie. , Gerlingen: Bleicher Verlag

Schlink, Bernhard (1995): Der Vorleser, Zürich: Diogenes Verlag
Wolfram Wette (2005): Die Wehrmacht. Feindbild er,
Vernichtungskrieg, Legenden. Frankfurt : Fischer Verlag

63 Internetquellen

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http://woerterbuch.babylon.com/Holocaust (20.05.201 8)

Cinestean: http://www.cineasten.de/filme/der -vorleser. html; Presse heft
zum Film (20.05.201 8)

Daniel, Sander : Schuld und Sünde – In: Der Spiegel, (21.05.2018)

Der Spiegel 14/2005 . Der Zweite Weltkrieg. Ein Glücksfall der
Geschichte. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d -39916258.html
(22.05.201 8)

Ed Meza : “Reader” r eceives German funds. variety.com (20.05.201 8)

Louise -Schroeder -Gymnasium : Karte zu Die nationalsozialistischen
Konzentrationslagern , Münchner Städt.
http://www.lsg.musin.de/geschichte/Material/karten/KZ%20 –
%20Karte.jpg (21.05.201 8)

Munziger, Wissen da s zählt : Bibiographie Bernhard Schlink.
http://www.munzinger.de/search/go/document.jsp?id=00000022973&pre
view=0 (2 2.05.201 8)

Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen
Militärgerichtshof Nürnberg. 14. November 1945 – 1. Oktober 1946.
Amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache, www.zeno.org (20.05.201 8)

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